Salzburger Armenologin Dum-Tragut: Dramatische Situation in Armenien

17. September 2022 in Chronik


"Unbegreiflich, was der Nachbarstaat Armeniens seit dem sogenannten Waffenstillstand 2020 der armenischen Bevölkerung im Grenzgebiet immer wieder antut" - Katholikos Karekin richtet Hilfsgesuch an Papst und Österreichische Bischofskonferenz.


Jerewan/Wien (kath.net/ KAP)

Bei den jüngsten Kämpfen zwischen Aserbaidschan und Armenien sind nicht nur zahlreiche Soldaten ums Leben gekommen, sondern in Armenien wurden auch Zivilisten Opfer der "aserbaidschanischen Aggression". Das hat die Salzburger Armenien-Expertin Jasmin Dum-Tragut im Kathpress-Interview am Mittwoch berichtet. Dum-Tragut hält sich derzeit in Armenien auf und hätte am kommenden Wochenende ein Forschungsprojekt im Süden des Landes in Angriff nehmen wollen. Das sei aber genau jene Region, die nun von Aserbaidschan unter Beschuss genommen wurde, so Dum-Tragut, die den Angriff Aserbaidschans scharf verurteilte.

Dieser Angriff gelte nicht der umstrittenen Region Berg-Karabach (Artsach), sondern ziele direkt auf Armenien. Aserbaidschan wolle wohl eine direkte Verbindung zur Enklave Nachitschewan herstellen, direkt durch Armenien. Es sei in den vergangenen Tagen äußerst unsicher gewesen, auf der einzigen wirklich befahrbaren Nord-Südverbindung in den Süden zu fahren. Aserbaidschan würde immer wieder auch die Straße beschießen, so Dum-Tragut. Nun wurde die Straße gesperrt und von sämtlichen Reisen in den Süden abgeraten.

Die armenische Bevölkerung sei zutiefst verunsichert und fürchte sich vor einem neuen Krieg. Wörtlich hielt Dum-Tragut fest: "Ich weiß nicht, ob ihr euch vorstellen könnt, wie es ist, die stille Unruhe eines neuen Kriegs zu vernehmen, die Ängste der Menschen zu spüren und einfach nicht begreifen zu können, was der Nachbarstaat Armeniens seit dem sogenannten Waffenstillstand 2020 der armenischen Bevölkerung im Grenzgebiet immer wieder antut. Der Waffenstillstand wurde wieder gebrochen." Und: "Es wird endlich Zeit, dass Europa konkrete Schritte setzt für einen wirklichen Friedensvertrag hier. Ich bin zutiefst beunruhigt. Es hilft nicht mehr, nur zu reden, sondern es müssen die Zuständigen hierher, vor Ort kommen, um das alles zu sehen, zu begreifen, zu spüren."

Dum-Tragut nannte den Kurort Jermuk als Beispiel, in dem sich auch viele Gäste aufhalten würden: "Aufgrund der Bombardierung gestern ist es auch zu einem Waldbrand in der Region gekommen. Es brennen Häuser, es brennen Bäume." Von staatlicher Seite wurden 49 getötete Soldaten und drei verletzte Zivilisten bestätigt. Nachsatz: "Vor zwei Jahren war ich hier im Krieg. Ich möchte nicht nochmals das alles erleben."

 

Hilferuf von Katholikos Karekin II.

Schon am Dienstag hatte Katholikos Karekin II., Oberhaupt der Armenisch-apostolischen Kirche die internationale Gemeinschaft aufgerufen, das Kaukasusland vor aserbaidschanischen Angriffen zu schützen. Er bat alle Schwesterkirchen, "für die Sicherheit des ersten christlichen Staates, seiner gläubigen Menschen zu beten" und zur Herstellung eines wirklichen Friedens in der Region beizutragen. Wie Dum-Tragut nun sagte, richtete der Katholikos ein entsprechendes Schreiben u.a. auch direkt an Papst Franziskus. Ein weiteres Schreiben sei an die Österreichische Bischofskonferenz bzw. auch an deren Vorsitzenden Erzbischof Franz Lackner gerichtet.

Dum-Tragut ist neben ihrer Tätigkeit als Leiterin des "Zentrums zur Erforschung des Christlichen Ostens" (ZECO) an der Universität Salzburg auch wissenschaftliche Beraterin und Mitarbeiterin im "Mother See of Holy Etchmiatzin's office for Artsakh Spiritual-Cultural Heritage Issues". Als enge Beraterin von Katholikos Karekin II. hält sie sich oft in Armenien auf. Für ihre Verdienste wurde ihr u.a. das Ehrendoktorat der Staatlichen Universität Jerewan verliehen - die höchste wissenschaftliche Auszeichnung der renommierten Universität, die nur in Ausnahmefällen an ausländische, nicht-armenische Forscher verliehen wird.

 

Schutz christlicher Kulturgüter

In den vergangenen Jahren hat sich Dum-Tragut unermüdlich darum bemüht, die internationale Aufmerksamkeit auf den "Kulturkampf" um Berg-Karabach zu lenken. Tausende christliche Kulturgüter sind demnach von der Zerstörung durch Aserbaidschan bedroht, "und die Frage ist jetzt plötzlich von Artsach in Richtung armenisches Staatsgebiet gelandet. Im Grenzgebiet gibt es genau so viele historische Baudenkmäler."

Erst vor einem Tag habe die amerikanische Satellitenüberwachung eine neuerliche Zerstörung einer Kirche auf dem Gebiet Karabachs dokumentiert, berichtete die Armenologin. Dabei handle es sich um die St- Sargis-Kirche in Susanlq in der Khojavend-Region in Karabach.

Ein großer Teil Berg-Karabachs ging im Herbst 2020 im Krieg an Aserbaidschan verloren. Viele bedeutende christliche Stätten wie die Kathedrale von Shushi oder das Kloster Dadivank stehen nicht mehr unter armenischer Kontrolle. Im Dezember 2021 befand der Internationale Strafgerichtshof, dass Aserbaidschan "alle nötigen Maßnahmen ergreifen" müsse, um "Vandalismus und die Entweihung armenischer Kulturstätten zu verhindern und bestrafen". Auch die UNESCO hat ihre Sorge um kulturelle Stätten zum Ausdruck gebracht. Bemühungen, eine UNESCO-Mission nach Berg-Karabach zur Inspektion der Kulturstätten zu entsenden, blieben jedoch bisher erfolglos.

 

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