24. September 2022 in Interview
Kardinal Müller im Interview mit Javier Arias/Infovaticana: Teile der katholischen Kirche in Deutschland „denken in ihrer blinden Arroganz nicht an Spaltung, sondern an die Übernahme der Weltkirche… Sie beanspruchen die Führungsrolle in der Weltkirch
Vatikan (kath.net) kath.net dokumentiert das Interview von infovaticana in org. deutsch – Die abgedruckten Antworten von Kardinal Gerhard Ludwig Müller stellen die deutschsprachige Originalvorlage dar – kath.net dankt für S.E. für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung
Infovaticana: Vor einigen Wochen haben Sie am Konsistorium der Kardinäle in Rom teilgenommen, mit welchen Gefühlen haben Sie die damalige Arbeit verlassen?
Kard. Müller: Zunächst war ich dem Heiligen Vater dankbar, dass er nach einer Pause von vielen Jahren wieder ein Konsistorium einberufen hat, damit die Kardinäle mit ihm über die Situation der Kirche in der Welt von heute sprechen. Das Thema aber war eingeschränkt auf die Diskussion über das schon veröffentlichte Dokument "Praedicate Evangelium" über die Kurienreform und über das kommende Heilige Jahr 2025.
Infovaticana: Es gibt einige Kardinäle, die bedauert haben, dass sie nicht so viel sprechen konnten, wie sie es gerne gewollt hätten. Gab es für die Kardinäle die Möglichkeit, ihre Bedenken gegenüber dem Papst auszudrücken?
Kard. Müller: Für eine Diskussion über die brennenden Fragen z.B. über den Frontalangriff auf das christliche Menschenbild seitens der Ideologien des Posthumanismus und des Genderwahns oder über die Krise der Kirche in Europa (wenig Priesterberufungen, leere Kirchen am Sonntag etc.) gab es keine Gelegenheit. Die kritischen Beiträge bezogen sich auf die Theorie des Papsttums als unbeschränkte Macht göttlichen Rechtes über die ganze Kirche, so als ob der Papst ein Deus in terris (ein Gott auf Erden) wäre. Der Neo-Kardinal Ghirlanda SJ, einer der wichtigsten Berater des Papstes in der Kurienreform vertritt ja diese Auffassung, dass alles was jemals die Päpste im Laufe der Kirchengeschichte gesagt oder getan haben ein Dogma oder ein Gesetz göttlichen rechtes (de jure divino) sei. Die These widerspricht der ganzen katholischen Tradition und besonders auch dem II. Vatikanum, dass die Bischöfe und Priester nur die Vollmacht zu sakramentalen Handlungen hätten (d.h. die Vollmacht zu weihen anstatt- wie es richtig ist- die Vollmachten aus der sakramentalen Weihe, wie Thomas von Aquin potestas ordinis verstanden hatte), während der Papst im Alleinbesitz aller Jurisdiktion sei (also nicht nur den Primat in der Jurisdiktion habe, sondern Teil habe an der göttlichen Omnipotenz), die er beliebig an Kleriker oder Laien delegieren könnte (weshalb er auch Laien zu Leitern römischer Dikasterien mit Lehr- und Jurisdiktionskompetenz machen könne). In Wirklichkeit überträgt Christus im Sakrament der Weihe dem Bischof (bzw. Priester) die Vollmacht zu predigen, zu heiligen und zu leiten (inklusive Recht zu sprechen). Der Papst verleiht also einem Bischof nicht die Jurisdiktionsvollmacht, sondern weist nur einem Bischof die konkrete Diözese zu, in der dieser aber nicht Stellvertreter des Papstes (oder seine „Weihbischöfe“), sondern Jesu Christi ist (Lumen gentium 27). Denn er predigt, heiligt und leitet die Gläubigen im Namen Christi und nicht des Papstes, und bezeugt die Lehre der Apostel und nicht die privaten Ideen des aktuellen Papstes. Deshalb ist auch die Rede von einer Kirche des Papstes Franziskus anstatt der wahren Sprachgebrauchs von der Kirche Christi oder von Bischöfen und Priestern nach dem Herzen des Papstes von Franziskus, statt des Priesters nach dem Herzen Jesu, nicht nur Ausdruck höfischer Schmeicheleien, sondern einer eine „Beleidigung frommer Ohren“ und „riecht nach Häresie“ (um hier die theologischen Qualifikation von problematischen Thesen in Erinnerung zu rufen) Auf einem ökumenischen Konzil üben die geweihten Bischöfe (also nicht wie im deutschem, aber problematischen, Sprachgebrauch nur „Weihbischöfe“) ihren Anteil an der Jurisdiktion des Gesamtepiskopates aus. Sie handeln nicht als Delegierte des Papstes, sondern kraft ihrer Autorität, die ihnen von Christus, dem Haupt und Herrn der Kirche, verliehen ist. Die aus der Jesuitentheologie des 19. Jahrhunderts wieder hervorgeholte Theorie vom Papst als Autokrator oder absoluten Monarchen widerspricht nicht nur dem II. Vatikanischen Konzil, sondern unterminiert mit dieser Karikatur des Petrus-Dienstes die Glaubwürdigkeit der Kirche. Man sich in der Theologie und der Spiritualität des päpstlichen Primates an den Einsetzungsworten des Petrus-Dienstes orientieren ( Mt 16, 18; Lk 22, 32; Joh 21, 15-17). Man macht das Angebot einer ökumenischen Vermittlung der katholischen Lehre vom Papsttum (vgl. Johannes Paul II. Enzyklika, Ut unum sint, 1995) als dem "immerwährenden und sichtbaren Prinzip und Fundament der Einheit im Glauben und der Gemeinschaft“ der Bischöfe und aller Gläubigen (Lumen gentium 18; 23) geradezu lächerlich.
Infovaticana: Welche Themen würden Sie hervorheben, die derzeit im Vatikan von größter Bedeutung sind?
Kard. Müller: Unter "Vatikan" verstehen wir die weltlichen Einrichtungen des Heiligen Stuhles (die Vatikanbank, den Pressesaal, die Vermögens- und Finanzverwaltung etc). Ich spreche hier vielmehr vom Dienst der römischen Kirche, d.h. des Papstes mit dem Kardinalskollegium (und den ekklesialen Einrichtungen der römischen Kurie) an der Communio und Einheit aller Ortskirchen in der Wahrheit der göttlichen Offenbarung und in der sakramentalen Sendung, alle Menschen zur Erkenntnis Christi, des Sohnes Gottes und einzigen Mittler des Heiles, hinzuführen.
Infovaticana: Eine etwas umstrittene Frage: Warum wird in der Kirche immer mehr über Themen wie Ökologie, den Planeten oder andere Themen gesprochen und immer weniger über Jesus Christus und seine Lehre?
Kard. Müller: In einer Welt, in der Sinn und Ziel des Mensch-Seins materialistisch nur auf zeitliche und vergängliche Inhalte (wie Machterwerb, Prestige, Geld, Luxus, Lustbefriedigung) beschränkt wird, ist es leichter sich als Agent dieses Programms einer "Neuen Weltordnung ohne Gott" (nach kapitalistischer oder kommunistischer Lesart) interessant zu machen. "Aber was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben verliert?" (Mt 16,26). Wenn wir Jünger Jesu sein wollen, dann befolgen wir auch sein Wort: "Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit- und alles andere (was wir zum Leben brauchen) wird euch dazugegeben werden." (Lk 12, 31). Es gibt keinen strikten Gegensatz zwischen den ewigen/geistlichen Gütern und den zeitlich/vergänglichen Lebensnotwendigkeiten. Aber zuerst beten wir zu Gott, unserem Vater, dass sein Reich komme und dass seine heiliger Wille geschehe im Himmel wie auf Erden. Und dann bitten wir auch um das tägliche Brot, die Vergebung unserer Schuld in dem Maß wie wir auch unseren Schuldigern vergeben und um die Erlösung von all den Übeln, die aus unserer sündhaften Trennung von Gott, welcher Ursprung und Ziel jedes Menschen ist, folgten. In der Nachfolge des hl. Petrus eint der Papst die ganze Kirche täglich in dem Bekenntnis zu Jesus: "Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes." (Mt 16,16). Und Christus baut Seine Kirche auf Petrus, den Felsen, indem er ihm und den Bischöfen die Vollmacht gibt, das Evangelium vom Reich Gottes zu verkünden, die Sakramente zu spenden und als gute Hirten die Herde Christi auf die Weide des Wortes und der Gnade zu führen.
Infovaticana: Die ganze Kirche verfolgt aufmerksam und besorgt die Schritte des deutschen Synodenweges Was halten Sie von den Beschlüssen der vierten deutschen Synodenversammlung?
Kard. Müller: In der Theatersprache würde man im Hinblick auf diese Veranstaltung nicht genau wissen, ob man von einer Tragödie oder eine Komödie sprechen soll. Es geht bei all den sehr abundanten, aber nicht profunden, Texten nicht um die Erneuerung der Katholiken in Christus, sondern um eine Kapitulation vor einer Welt ohne Gott. Das monotone Thema aller Themen ist die Sexualität. Sie wird aber nicht als Gabe Gottes an die Menschen als geschaffene Personen (in unserer männlichen oder weiblichen Natur) verstanden, aus der die Verantwortung folgt als Vater und Mutter an Gottes Schöpfungswerk und universalen Heilswillen gegenüber den eigenen Nachkommen mitzuwirken, sondern als eine Art Droge, um das nihilistische Grundgefühl mit einer maximalen Lustbefriedigung zu betäuben.
Infovaticana: Sowohl Kardinal Marx als auch Georg Bätzing unterstützten die Texte, die den Papst aufforderten, die Sexualmoral, die Ordination von Frauen und die Vision von Homosexualität zu ändern, was denken Sie?
Kard. Müller: Darin liegen zwei Fehler, die nur theologischen Ignoranten unterlaufen können:
1. Der Papst ( ebenso wie ein Konzil) hat keine Vollmacht, die Lehre der Kirche, die in der Offenbarung Gottes verankert ist, zu ändern. Denn damit würde er sich als Mensch über Gott erheben.
2. Die Apostel können nur das lehren und anordnen, was Jesus ihnen aufgetragen hat (Mt 28, 19). Gerade die Bischöfe als ihre Nachfolger sind gebunden an die "Lehre der Apostel" (Apg 2, 42) in der Heiligen Schrift, der Apostolischen Tradition und in den unfehlbaren Lehrdefinitionen vorhergehender päpstlicher Kathedralentscheidungen oder der ökumenischen Konzilien. "Eine neu öffentliche Offenbarung als Teil der göttlichen Glaubenshinterlage (depositum fidei) empfangen sie (Papst und Bischöfe) jedoch nicht." (Lumen gentium 25; vgl. Dei verbum 10).
Infovaticana: Hatten Sie Gelegenheit, mit zwei oder anderen Bischöfen Deutschlands zu sprechen, die diese Positionen vertreten?
Kard. Müller: Nach der Logik der Macht, die die Wahrheit scheut wie der Teufel das Weihwasser, hat es für sie keinen Sinn mit dem früheren Präfekten der Glaubenskongregation zu sprechen. Aber auch Kardinal Kasper, den sie einst als Verbündeten in der Frage nach der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene feierten, wird nach seinen kritischen Äußerungen zum Synodalen Weg von ihnen totgeschwiegen.
Infovaticana: Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für den Versuch, die Kirche zu reformieren, indem alle Moralvorstellungen, Prinzipien, Lehren und Traditionen geändert werden?
Kard. Müller: Viele gut bezahlte Funktionäre im Establishment des Unternehmens "deutsche Kirche" (als der größte Arbeitgeber in Deutschland) leiden darunter, dass die kirchliche Lehre zur Ehe und zum 6. und 9. Gebot des Dekalogs dem Mainstream der Gesellschaft aufgrund der sexuellen Revolution des 1968er Jahre widerspricht. Sie können den Widerspruch zu Gottes Willen in ihrem persönlichen Verhalten und die hämischen Kommentare ihrer Zeitgenossen über die "im Mittelalter zurückgebliebene katholische Glaubenswelt und Moral" nicht aushalten. Deshalb wollen sie sich selbst auch als modern anpreisen und auf dem neuesten Stand der Wissenschaft von Psychologie und Soziologie mitspielen. Man möchte dabei sein und nicht als Außenseiter gelten (als "Schmuddelkind der Nation", wie der Bischof von Aachen herum jammerte).
Infovaticana: Glauben Sie, dass die Kirche in Deutschland in Gefahr ist, eine Ab-Spaltung mit Rom zu riskieren?
Kard. Müller: Die denken in ihrer blinden Arroganz nicht an Spaltung, sondern an die Übernahme der Weltkirche. Deutschland ist ihnen für die Ausübung ihrer Herrschaftsideologie viel zu klein. Sie beanspruchen die Führungsrolle in der Weltkirche. Es geht um nichts weniger, als mit ihrer Weisheit die ganze Welt zu beglücken und die rückständigen und noch nicht „erwachsenen Katholiken“ und ihre Bischöfe aus den anderen Ländern einschließlich des Papstes von der Last der göttlichen Offenbarung und Gebote zu befreien. Ihr Ziel ist die Umwandlung der Kirche des dreifaltigen Gottes in eine weltliche Wohlfahrtsorganisation (NGO). Dann wäre man endlich in der "Religion der universellen Brüderlichkeit" angekommen, d.h. einer Religion ohne den Gott der Offenbarung in Christus, ohne eine geoffenbarte-übernatürliche Wahrheit, die über die endliche Vernunft hinausreicht, ohne Credo und Dogmen und ohne Sakramente als heilsnotwendiger Gnadenmittel. Ein gespenstiges Szenario - ganz so wie es der große russische Religionsphilosoph Wladimir Solowjew in seiner Schrift "Kurze Erzählung vom Antichrist (1899) beschrieb. Dem „Welt-Herrscher“ der universalen Philanthropie ohne den persönlichen Gott wiederspricht hier zuletzt und definitiv Papst Petrus II., indem er dem Antichristen, der sich auf dem Thron Gottes breit gemacht hat, das aus der Offenbarung des himmlischen Vaters sich ergebende christologische Bekenntnis entgegenschleudert: "Unser alleiniger Herr ist Jesus Christus, der Sohn des lebendigen Gottes." ( Mt 16, 16)
Infovaticana: Welche Zukunft wird Ihrer Meinung nach der katholischen Kirche auf universeller Ebene noch bevorstehen?
Kard. Müller: Wenn man den Größenwahn unserer Politiker und Ideologen von Peking bis Moskau und von Brüssel bis nach Washington sieht ( mit ihren sogenannten europäischen „Werten“, darunter das Recht auf die Ermordung ungeborener Kinder), dann kann man von diesen „Herrschern über ihre Völker“ (Mt 20, 25) nicht viel Gutes für die Zukunft der Menschheit erwarten. Eine wahre Zukunft für jeden Menschen im Leben und Sterben können wir nur von Gott allein erhoffen, der aus unendlicher Liebe seinen Sohn dahingab für das Heil der Welt (vgl. Joh 3, 16). In einer Welt, wo Menschen sich anmaßen Gott zu sein, sich selbst neu zu erschaffen und sich selbst zu erlösen (vgl. den Hauptberater der Neuen Weltordner: Yuval Noah Harari, Homo Deus) bleibt für uns Christen nur das Zeugnis des Wortes und notfalls auch des Blutes, dass nur der Gott und Vater unsres Herrn Jesus Christus unser Retter ist, weil er die Welt, ihre Arroganz, ihre Sünde und den Tod als Lohn der Sünde überwunden hat (Röm 6, 23).
Nur wenn wir "das Tier" aus dem Abgrund (der Gottlosigkeit), sein Standbild und seinen falschen Propheten nicht anbeten, gelangen wir zum Leben und zur Herrschaft mit Christus, die unsere zeitliche und ewige Zukunft umfasst. Denn der zeitliche und ewige Tod hat kein Macht mehr über uns (vgl. Offb 20, 6). Den Frieden des Herzens haben wir im Sohn Gottes, der zu seinen Jüngern sagt: "In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut. Ich habe die Welt besiegt." (Joh 16, 33).
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