Kirchenhistoriker empfiehlt Umstellung des Kirchenbeitragssystems

3. Oktober 2022 in Aktuelles


Grazer emeritierter Kirchenhistoriker Höfer: Mit Steuerwidmung wie in Italien "könnten Austritte rapide gesenkt werden".


Graz (kath.net/ KAP)

Der emeritierte Grazer Kirchenhistoriker und Kirchenbeitrags-Experte Prof. Rudolf K. Höfer sieht im aktuellen Kirchenbeitragssystem einen Hauptgrund für hohe Austrittszahlen. Wenn weiterhin gelte, was die Bischofskonferenz bereits vor über 20 Jahren angab, nämlich dass für zwei Drittel der Austretenden der Kirchenbeitrag ausschlaggebend gewesen sei, so könne mit einer Veränderung dieses Systems eine rasche Kehrtwende gelingen, zeigte sich Höfer in einer Stellungnahme gegenüber Kathpress zuversichtlich. "Mit Steuerwidmung wie in Italien statt des Kirchenbeitrages auf realistischer Höhe könnten Austritte rapide gesenkt werden."

Die Steuerwidmung in Italien ("otto per mille") stelle dabei nicht wie häufig fälschlich behauptet eine "Kultursteuer" dar, da sie den Einzelnen nicht zusätzlich belaste und nur eine Widmung für die Kirchen oder den Staat bedeute. Für Kultur, Soziales und Umwelt gebe es einen zweiten Budgettopf ("cinque per mille") - eine Vermischung beider Widmungen sei nicht möglich, so Höfer. "Anerkannte Religionsgemeinschaften können so aus der Steuerleistung der Bürger mit Blick auf Pluralisierung religionsneutral finanziert werden." Der Vorschlag ist dabei nicht neu und wurde bereits 1993 erstmals vom inzwischen verstorbenen Grazer Kirchenhistoriker Prof. Maximilian Liebmann eingebracht.

 

Höfer: Heiliger Stuhl trägt Mitverantwortung

Ein anschauliches Beispiel für die Austritts-mindernde Wirkung biete der Vergleich von Süd- und Nordtirol: Seien in Nordtirol im vergangenen Jahr über 5.000 Menschen ausgetreten, so seien es in der Südtiroler Diözese Bozen-Brixen gerade einmal 70 Menschen gewesen.

Anlass der Wortmeldung Höfers war die Bekanntgabe der jüngsten hohen Austrittszahlen in Nordrhein-Westfalen, wo im ersten Halbjahr 2022 über 111.000 Menschen aus der katholischen und evangelischen Kirche ausgetreten sind. Da auch Österreich im vergangenen Jahr mit über 72.000 die zweithöchsten Austrittszahlen seit 1945 zu verzeichnen hatte, müsse dringend darüber nachgedacht werden, wie sich dieser Trend stoppen lasse, wolle die Kirche nicht, wie Höfer den deutschen Kirchenrechtler Thomas Schüller zitierte, "in den Abgrund ihrer Bedeutungslosigkeit" sinken. Nehme man die Entwicklung der vergangenen zwanzig Jahre zum Maßstab, so müsse man "kein Prophet sein, wenn schon in zwanzig Jahren weitere 1,4 Millionen vom Zahlen abgemeldet sein dürften".

Nachsatz Höfers: "Dass der Heilige Stuhl 1960 im Vermögensvertrag mit der Republik Österreich den Satz 'Die Kirchenbeiträge werden weiter eingehoben' mitgetragen hat, lädt ihm zur Politik und den Bischöfen Mitverantwortung für den Niedergang der betroffenen Kirchen auf."

 

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