Pater Kraschl: „Christus lehrte seine Jünger den Weg einer Liebe, die allen Hass überwindet“

9. Oktober 2022 in Spirituelles


Frag den Theologen – „Es kann durchaus berechtigt sein, fremde Überzeugungen oder Handlungen abzulehnen oder gegen sie anzugehen. Das sollte jedoch nicht dazu führen, Hassgefühle gegen andere zu hegen oder den Stab über sie zu brechen.“


Salzburg (kath.net/Antonius) kath.net übernimmt den Beitrag von Pater DDr. habil. Dominikus Kraschl OFM aus dem „Antonius“ in voller Länge und dankt der Zeitschrift der österreichischen Franziskaner für die freundliche Erlaubnis zur Weiterveröffentlichung.

Lieber P. Dominikus,
der Fall einer Ärztin in Österreich, die sich nach Anfeindungen aus der corona-kritischen Szene das Leben genommen hat, hat auch unter Gläubigen tiefe Betroffenheit ausgelöst. Wäre es nicht geboten, dass sich die Kirche deutlicher gegen solchen Hass positioniert?
Klaudia R., Wien

Man sollte eigentlich meinen, es verstünde sich von selbst: Anfeindungen, Beleidigungen oder Bedrohungen anderer Personen sind verwerflich und bisweilen sogar strafbar.

Dennoch ist nicht zu übersehen: Die digitalen Kommunikationsmittel können schneller als man denkt dazu verführen, dem eigenen Frust, Ärger und Zorn unbesehen Luft zu machen – sehr oft gegenüber Andersdenkenden.

Was tun?

Wie soll die Kirche sich dazu verhalten? Wie soll ich mich als Christ dazu verhalten? Bringt es etwas, den moralischen Zeigefinger zu erheben oder an der Empörungsspirale zu drehen? Oder stünde es uns als Christen besser an, mit gutem Beispiel voranzugehen?

Eine der ältesten Bezeichnungen des christlichen Glaubens ist „der Weg“ (Apg 22,4). Christus lehrte seine Jünger den Weg einer Liebe, die allen Hass überwindet. Die Kirche ist gerufen, auf dem Weg Christi voranzuschreiten und ihn anderen zu bezeugen.

Dieser Weg besteht darin, an demjenigen Maß zu nehmen, von dem Christus sagt, er sei der allein Gute (Mk 10,18): „Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist“ (Mt 5,48), der die Sonne aufgehen lässt über Bösen und Guten und der es regnen lässt über Gerechten und Ungerechten (Mt 5,45).

Unterscheiden!

An Gott und seiner Güte Maß zu nehmen bedeutet konkret, die Wertschätzung anderer Personen nicht an die Wertschätzung ihrer Überzeugungen oder Handlungen zu knüpfen. Es kann durchaus berechtigt sein, fremde Überzeugungen oder Handlungen abzulehnen oder gegen sie anzugehen. Das sollte jedoch nicht dazu führen, Hassgefühle gegen andere zu hegen oder den Stab über sie zu brechen.

Von Gott wird gesagt, dass er die Sünde hasst (Ps 5,5), den Sünder hingegen liebt. Er liebt ihn, weil er ihn nach seinem Bild und Gleichnis erschaffen, ihm eine einzigartige Würde verliehen und zur Teilhabe an seiner freudvollsten Liebe berufen hat (Gen 1,26f; Joh 15,9).

Auch Jesu Aufruf zur Feindesliebe gründet in der Berufung, an Gott und seiner Güte im Denken, Urteilen und Handeln Maß zu nehmen. Aber wie kann es in der Praxis gelingen, mit unseren negativen Emotionen anderen gegenüber gut umzugehen und nicht Kränkung mit Kränkung zu vergelten (1 Petr 3,9)? Folgende neun Punkte können dabei eine Hilfe sein:

9 Tipps für die Praxis
1.    Gestehe dir Gefühle wie Ärger, Wut oder Abneigung ein und nimm sie vorurteilsfrei wahr!
2.    Benenne die vorfindlichen Gefühlsregungen! Was wir beim Namen nennen können, beginnt an Macht über uns zu verlieren.
3.    Vergiss nicht, dass Gefühle immer auch Ausdruck von Lebendigkeit sind; sie wollen eine Quelle von Lebensenergie sein!
4.    Gefühle kommen und gehen: Mach dir deshalb bewusst, dass du Gefühle hast, aber nicht deine Gefühle bist!
5.    Lass dir im Umgang mit negativen Gefühlen Zeit, «denn im Zorn tut der Mensch nicht das, was vor Gott recht ist.» (Jak 1,20)
6.    Sobald die Zeit reif ist, triff eine bewusste Entscheidung – beispielsweise, indem du ein klären-des Gespräch suchst!
7.    Gib deinen Gefühlen eine angemessene Gestalt!
8.    Lerne zu unterscheiden, was äußere Ursache (z. B. ein Unrecht) und was «nur» innerer Auslöser negativer Emotionen ist (z. B. eine Wunde)!
9.    Habe mit dir selbst Geduld und lerne aus deinen Fehlern!

Wer diese Punkte in seinem Umgang mit anderen, aber auch im Umgang mit den sozialen Medien beherzigt, wird in den Tugenden der Besonnenheit, Selbstbeherrschung und Selbsterkenntnis ebenso wie in der Kunst respektvoller Kritik wachsen. Die christliche Berufung besteht darin, den Weg zu gehen, den Christus uns gewiesen und mit seinem Leben bezeugt hat. Mit bloßen Appellen kommt man dabei nicht sehr weit. Nachhaltiger dürfte es sein, die Schönheit der Nachfolge Christi für alle Menschen guten Willens sichtbar zu machen; denn die Schönheit des Guten hat ihre eigene Anziehungskraft.


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