in Kommentar
„Gerade in der Kirche braucht kein Homosexueller generalisierte ‚Angst‘ vor Diskriminierung zu haben; immerhin war sie es, die als erste gesellschaftliche Institution Ausgrenzung sexueller Minderheiten verbot…: im Katechismus.“ Von Joachim Heimerl
Linz (kath.net/joh) Was ist ein „Narrativ“? Zunehmend taucht dieser Begriff auf, zuletzt auch im kirchlichen Bereich. Eine „sinnstiftende Erzählung“ muss ein „Narrativ“ nach literaturwissenschaftlicher Definition dabei gar nicht sein. Im Grunde reicht es, wenn es ein Slogan ist. Der muss nicht einmal wahr sein und auch keinen Sinn ergeben; Hauptsache ist, er bedient ein Vorurteil oder erfüllt einen propagandistischen Zweck. Das Ziel ist, dass sich solche „Narrative“ als „Topoi“ verfestigen, das heißt als fixe Formeln oder als feststehende Bilder; man könnte einfacher auch von einem „Gemeinplatz“ sprechen. Ein solcher Topos ist inzwischen das Narrativ geworden, demzufolge die Kirche kein „Ort der Angst“ sein dürfe.
An sich sind derlei Aussagen natürlich richtig, und gerade deshalb verfangen sie sich auch so gut. In der Tat hat die Angst in der Kirche nichts verloren, außer der Angst, Gott zu missfallen und sich gegen ihn zu versündigen. Allerdings ist diese Angst gerade jenen fremd, die nur zu gern das Angst-Narrativ bemühen. Ihnen geht es keineswegs um eine religiöse Angst und auch nicht um Religion; ihnen geht es um Politik und zwar um Politik gegen die Kirche. Dass der DBK-Vorsitzende Bischof Georg Bätzing dieses Narrativ ebenso gern verwendet wie sein Vorgänger Kardinal Reinhard Marx, erstaunt wohl niemand – mit der Kirche, wie sie Christus gestiftet hat, haben beide Würdenträger nichts mehr am Hut. Kein Wunder also, dass sie zu Narrativen greifen, die gerade aus dem Milieu stammen, das die Kirche zerstören – pardon: natürlich „reformieren“ will.
Ursprünglich ist das Narrativ vom „Ort der Angst“ im Zuge der Missbrauchsfälle entstanden. In letzter Zeit wird es dagegen ausschließlich von jenen verwandt, die meinen aufgrund ihrer Homosexualität in der Kirche „Angst“ zu erleben, vor allem dann, wenn sie kirchliche Angestellte sind. Dabei steht es jedermann frei, seinen Arbeitgeber zu wählen und ihn bei Bedarf zu wechseln, auch kann man jederzeit zivilrechtliche Schritte erwägen, wo sie eben notwendig sind. Um all dies geht es hier jedoch nicht. Das Narrativ dient einem anderen Zweck: Auf Biegen und Brechen soll Homosexualität volle kirchliche Anerkennung finden, noch mehr: Man fordert eine „Heiligsprechung“ der Genderideologie, eine Abkehr vom christlichen Menschenbild. Ebenso gut könnte die Kirche sich selbst aufgeben. Willfährt sie dem nicht, bleibt sie „böse“ und „finster“, und genau dies suggeriert das Narrativ vom „Ort der Angst“. Es lässt sich trefflich gegen die Kirche ausspielen und bestätigt automatisch alle antikirchlichen Ressentiments.
Natürlich übersieht man dabei, dass Angst immer eine subjektive Empfindung ist und nur sehr selten eine allgemein gültige Kategorie. Insofern bedeutet das Angst-Narrativ zunächst einmal nichts. Es ist eine Verallgemeinerung und wie jede Verallgemeinerung ist es vor allem falsch.
Gerade in der Kirche braucht kein Homosexueller eine generalisierte „Angst“ vor Diskriminierung zu haben; immerhin war sie es, die als erste gesellschaftliche Institution die Ausgrenzung sexueller Minderheiten verbot, und zwar in verbindlicher Weise: im Katechismus.
Wenn es dennoch zu Diskriminierung kommt, ist dies immer dem Handeln von Einzelnen geschuldet. Im konkreten Umfeld kann dies gewiss eine Form von Angst begründen; es macht aber nie die Kirche als solche zu einem „Ort der Angst“. Wer sich hier bekehren muss, ist deshalb nicht die Kirche, sondern derjenige, der sich im Einzelfall nicht an ihre Lehre hält und Homosexuelle diskriminiert. Dies gilt im Übrigen für die Gesellschaft als solche.
Gleiches zeigen die Missbrauchsfälle. Weder ist die Kirche „Missbrauchstäterin“ noch begünstigt sie Missbrauch in irgendeiner Weise. Das Gegenteil ist der Fall: Derlei steht der kirchlichen Morallehre diametral entgegen. Die Kirche ist gerade deshalb keine „Täterorganisation“!
Stattdessen ist Missbrauch ein gesamtgesellschaftliches Problem, und so nachlässig wie die Gesellschaft bis heute mit diesem Thema umgeht, haben es lange auch kirchliche Amtsträger getan. Gewiss haben sie dadurch das Zeugnis der Kirche verdunkelt, sie haben aber die Kirche nicht als solche „dunkel“ oder zu einem „Ort der Angst“ gemacht. Dies zeigt schon ein Blick auf die Zahl der Missbrauchstäter. Unter den Priestern zählen 1,5 bis 3 Prozent dazu; mindestens 97 Prozent haben im Umkehrschluss aber nichts mit Missbrauch zu tun! Wieder erweist sich das Narrativ als das, was es ist: Es ist falsch und es ist vor allem demagogisch. Mit ihm wird ein Kesseltreiben heraufgeführt, das vor allem den Weiheämtern gilt, und das doch nur einen schalen Zweck verfolgt: die Abschaffung des Zölibats und die Zulassung der „Frauenweihe“.
Wer das Narrativ von der Kirche als einem „Ort der Angst“ gebraucht, hat ihr inneres Wesen nicht erfasst. Das gilt insbesondere für Marx und Bätzing und leider für andere Bischöfe mehr. Sie alle bemühen nur noch die Narrative einer neuen Reformation, richten die frohe Botschaft aber längst nicht mehr aus; dies am wenigsten dort, wo es am meisten nottäte. Was ihnen nicht mehr gelingt, formulierte Papst Johannes Paul II. in nur einem Satz: „Habt keine Angst! Öffnet die Tore weit für Christus!“ Für diese Botschaft braucht man keine Narrative. Für sie braucht man Größe, Glaube und Heiligkeit. Und nur solche Hirten braucht die Kirche! Auf alle anderen kann sie getrost verzichten.
Der Autor Dr. Joachim Heimerl ist Priester und Oberstudienrat.
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