13. Oktober 2022 in Prolife
USA: Biden und Harris treten für sogenannte „abortion rights“ ein. Aber „zu einem Rechtsstaat gehört auch der Schutz der Rechte derer, die selbst keine Stimme haben, die sich nicht wehren können.“ Gastkommentar von Dr. Friederike Hoffmann-Klein
Washington D.C./Freiburg i.Br. (kath.net) U.S.-Präsident Biden ist dafür bekannt, dass er für „abortion rights“ eintritt. Jedoch ist das „Recht auf Abtreibung” in großer Gefahr, jedenfalls, wenn man die Äußerungen maßgeblicher demokratischer Politiker in den Vereinigten Staaten zugrunde legt. Sie nehmen dabei auch auf die in jüngster Zeit in einigen US-Bundesstaaten, darunter Texas und Idaho, erlassenen restriktiven Abtreibungsgesetze Bezug. So sprach die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, diese Woche davon, dass das aufgehobene Supreme Court Urteil Roe v. Wade aus dem Jahr 1973 fast 50 Jahre lang Frauen geschützt habe. Eine Diskussionsrunde, zu der NARAL Pro-Choice, eine Non-Profit Organisation, diese Woche nach Texas eingeladen hatte, gab Vizepräsidentin Kamala Harris Gelegenheit, ihre (extreme) Position zu dem Thema darzulegen (https://www.youtube.com/watch?v=PJby8iUrAuQ).
Dabei erkennt sie durchaus an, dass dies „schwierige Entscheidungen” seien, die Frauen zu treffen hätten. Allerdings ist das hier nicht die entscheidende Frage. Die Notlage und die Schwierigkeit der Situation sind keine Gesichtspunkte, die das, was die objektive Dimension der Abtreibung ausmacht, beseitigen, die das Unrecht geringer machen. Sie glaubt, dass allein Frauen diese Entscheidung treffen können, dass ihnen das niemand vorschreiben darf. Sie scheint das Problem überhaupt nicht zu sehen und deshalb wird die Motivation der Republikaner missdeutet, unter Extremismusverdacht gestellt. Wie könne jemand überhaupt auf den Gedanken kommen, für eine Gesetzgebung einzutreten, die den Zugang zu „sicherer und legaler Abtreibung“ einschränkt? Die Einseitigkeit, mit der hier argumentiert wird, ist zwar nicht neu, als regierungsamtliche Position eines Landes, dem historisch und politisch eine Vorbildfunktion für den Schutz der Menschenrechte zukommt, aber doch befremdend und gekennzeichnet von einer extremen Ausblendung der Fakten.
Eine andere Pro-Choice Aktivistin in der Diskussion spricht von „unthinkable attacks on our freedoms”, also einem ungeheuerlichen Angriff auf unsere Freiheit. Nein, hier ist nicht 9/11 gemeint, sondern der Versuch, ungeborene Kinder besser zu schützen. Was für ein Narrativ! Sie spricht von anti-choice extremism, reiht es damit ein in die Gruppe anderer Fälle von Extremismus. Sie macht es zu einem Kampf für Wahrheit und Freiheit. Nichts könnte von beidem entfernter sein. Vizepräsidentin Harris antwortet auf die Frage, wie sie denn zu diesem Thema kam: „Ich bin quasi damit geboren.“ Die darin liegende Ironie entgeht ihr. Systemische Ungerechtigkeit gegenüber Frauen, so erzählt sie, sei ein Thema gewesen, das ihre Mutter beschäftigt und unter dem sie gelitten habe. So weit so gut. Auch der Paraphrase, die Harris dann gibt, dass es ihrer Mutter um die Würde von Frauen gegangen sei, kann man uneingeschränkt zustimmen, solange man nicht weiß, was sie darunter versteht.
Aber: Abtreibung verletzt die Würde einer Frau. Nicht nur unter dem Gesichtspunkt, dass es ein objektives Unrecht ist. Es berührt auch das, was zu den tiefsten Bereichen ihres Wesens gehört. Eine schwangere Frau verdient den Respekt und die Achtung ihrer Umgebung, nicht den Verweis auf eine Abtreibung. Wie die Vizepräsidentin selbst hervorhebt, sei auch in ihrer Karriere als Staatsanwältin dieses Thema im Vordergrund gestanden, der Schutz der reproductive rights von Frauen und der Schutz von Kindern! Auch bei dieser Äußerung ist sie sich der Ironie (oder vielmehr Tragik) nicht bewusst, die darin liegt, in diesem Zusammenhang von Kindern zu sprechen.
VP Harris verweist auf die Ungeheuerlichkeit, dass der U.S. Supreme Court, das höchste Gericht in den USA, mit seiner Entscheidung ein lange garantiertes, verfassungsmäßiges Recht genommen, einfach beseitigt habe. Tatsächlich ist es so, dass die Begründung eines solchen Rechts aus der Verfassung, wie sie in Roe v. Wade enthalten ist, noch nie richtig war. Aus dem Schutz der Privatsphäre, mit dem diese Entscheidung begründet wurde, folgt kein Recht, ungeborene Kinder zu töten. Welch eine Verkennung der Tatsachen stellt es dar, zu behaupten, das höchste Gericht sei darauf aus, verfassungsmäßige Rechte zu kippen.
Ja, ein Zusammenhang mit Demokratie besteht tatsächlich, aber nicht in der Art und Weise, wie Sie es darstellen, Ms. Harris! Zu einem Rechtsstaat gehört auch der Schutz der Rechte derer, die selbst keine Stimme haben, die sich nicht wehren können. Sie fürchtet jedoch (ernsthaft), durch die Aufhebung von Roe v. Wade und durch restriktivere Abtreibungsgesetze könnten die USA ihren Status als role model verlieren.
Und noch einmal wählt sie eine Formulierung, der man isoliert betrachtet nur zustimmen kann, die aber gerade mit dem kontrastiert, was hier so selbstverständlich befürwortet, ja vorausgesetzt wird, nämlich dass es so etwas wie ein Recht auf Abtreibung gibt: Es gehe darum, die Rechte aller Menschen zu verteidigen (Betonung nur hier). Gerade nicht, ungeborene Kinder sind damit nicht gemeint, sie kommen in der Vorstellung von VP Harris und der anderen Diskussionsteilnehmer gar nicht mehr vor. Indem sie daraus ein Thema von Freiheit und Recht (oder vielmehr „freedom and liberty“, aber diesen Hendiadyoin können wir in unserer Sprache nicht nachbilden) macht, gibt sie dem ganzen einen Anstrich, der irreführend ist. Für jemanden, der wie sie betont, dass er sein ganzes Berufsleben dem Kampf gegen Gewalt gegen Frauen und Kinder gewidmet hat, ist das eine erstaunliche Blindheit. So schwer ist es heute nicht mehr, sich das Bild eines ungeborenen Kindes zu vergegenwärtigen, wo neue wissenschaftliche Erkenntnisse und nicht zuletzt eine moderne Ultraschall-Technik den Graben überwinden können, der durch die fehlende Sichtbarkeit des Kindes vor der Geburt entsteht.
Harris argumentiert auch, wie alle Pro-Choice-Aktivisten, mit dem Extrembeispiel der Vergewaltigung. Und wieder liefert sie sozusagen selbst das Stichwort. Ein extremer Akt der Gewalt, den eine Frau erfahren hat, könne doch nicht den Verlust ihrer Autonomie zur Folge haben, der in einem Verbot der Abtreibung enthalten sei. Sie dramatisiert diese Aussage, und vergisst auch hier, die Sache zuende zu denken. Die Gewalt gegenüber den ungeborenen Kindern sieht sie nicht.
Irreführend ist auch ihre Aussage, der Staat dürfe das nicht anstelle der Frau entscheiden. Hier verkennt sie, eine ehemalige Staatsanwältin, die Rolle des Strafrechts. Dessen Funktion ist es nicht, sich in private Entscheidungen einzumischen, sondern Rechtsgüter zu schützen. Da aber das Rechtsgut, das Leben des ungeborenen Kindes, in ihrem Narrativ nicht mehr vorkommt, kann sie sich und anderen diese Geschichte von justice and equality, für die sie angeblich kämpft, erzählen.
„Fair is foul, and foul is fair” – das berühmte Zitat aus Shakespeares Macbeth, der Ausspruch der Hexen in der Eingangsszene – wird hier sehr anschaulich illustriert.
Die Autorin Dr. Friederike Hoffmann-Klein ist Juristin.
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