"Katholische Kirche Schweiz (KKS)"

24. Oktober 2022 in Schweiz


Die in der Schweiz vom Staat geschaffene Staatskirchenstruktur, die mit dem Geld der Gläubigen Kirchenpolitik macht, will sich immer mehr an die Stelle der eigentlichen Kirche setzen. Wo soll das enden? Gastkommentar von Martin Grichting


Chur (kath.net)

Die «Katholische Landeskirche von Graubünden», die Staatskirche jenes Kantons, hat in einem amtlichen Dokument etwas ausgeplaudert. Sie plant, ihre «Verfassung» einer Totalrevision zu unterziehen. Im entsprechenden «Entwurf der Verfassungskommission und der Verwaltungskommission für die Vernehmlassung» heisst es: «Neben der Zugehörigkeit zum Bistum Chur ist auch jene zur RKZ zu erwähnen. Diese beabsichtigt, künftig unter dem Namen ‘Katholische Kirche Schweiz’ (KKS) aufzutreten».

Mit «RKZ» ist die «Römisch-katholische Zentralkonferenz der Schweiz» gemeint. Dies ist ein zivilrechtlicher Verein, der von den einzelnen kantonalen «Landeskirchen» gebildet und finanziert wird. Die RKZ, deren Budget derzeit etwa CHF 13 Mio. beträgt, finanziert unter anderem die Schweizer Bischofskonferenz und im Wesentlichen das Portal kath.ch.

Nun hat es bekanntlich einmal einen Pfarrer Franz Sabo in Röschenz (Kanton Basel-Landschaft, Bistum Basel) gegeben. Dieser und dessen Kirchgemeinde führten dem Apostolischen Stuhl vor Augen, dass das staatskirchenrechtliche System in der Schweiz potenziell schismatisch, also kirchenspalterisch ist. Denn Sabo «amtete» auch als von Bischof Kurt Koch suspendierter Priester mit Unterstützung seiner Kirchgemeinde weiter. Daraufhin liess der Apostolische Stuhl im Jahr 2008 in Lugano einen Kongress zum Schweizer Staatskirchenrecht durchführen. Dieser hatte zur Folge, dass die Schweizer Bischofskonferenz eine Fachkommission einrichten musste. Von dieser stammt das «Vademecum für die Zusammenarbeit von katholischer Kirche und staatskirchenrechtlichen Körperschaften», das sich die Schweizer Bischofskonferenz 2013 zu eigen machte und zur Umsetzung verabschiedete.

Das Dokument blieb jedoch Papier. Denn die Bischöfe gingen sogleich in Deckung. Die RKZ publizierte eine Art von «Gegen-Vademecum». Aber um es mit der Figur des Möbius in Dürrenmatts Komödie «Die Physiker» zu sagen: «Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden». Deshalb sei an einen Kernpunkt des «Vademecum» erinnert: «Die staatskirchenrechtlichen Organisationen sind deshalb, auch aus der Sicht des staatlichen Rechts, nur dann legitim, wenn sie helfender sowie unterstützender Natur sind und auxiliaren Charakter haben. Es ist wichtig, dass diese grundsätzliche Einsicht sich auch in den Begriffen spiegelt. Denn bekanntlich prägen Begriffe das Bewusstsein und dann das Handeln. Es muss deshalb eine Terminologie verwendet bzw. geschaffen werden, die den zudienenden Charakter der staatskirchenrechtlichen Organisationen besser zum Ausdruck bringt und das Missverständnis zu vermeiden hilft, diese Organisationen seien selbst Kirche» (1.4). Deshalb gelte: «Im Bezug auf die Terminologie muss als Grundsatz gelten, dass staatskirchenrechtliche Körperschaften oder Einrichtungen nicht mit Begriffen bezeichnet werden, die in der Theologie oder im kirchlichen Recht bereits in anderem Sinne verwendet werden. Das grundlegende Beispiel dafür ist die Verwendung des Wortes ‘Kirche’ und seiner Ableitungen, die nur für Institutionen der Kirche zutreffen und daher für solche auf Seiten der Körperschaften durchgehend vermieden werden sollen» (2.2).

Nun möchte sich die RKZ trotz des «Vademecum» ein begriffliches Upgrade gönnen. Sie würde als «Katholische Kirche Schweiz» (KKS) mit der «Evangelischen Kirche Schweiz» (EKS) gleichziehen. Aber gleich ist nicht gleich. Die EKS ist nach deren Selbstverständnis «Kirche». Denn es gibt keine kanonische, theologisch begründete Struktur: Die reformierte Staatskirche ist die «Kirche». Anders bei der katholischen Kirche. Über sie lehrt das II. Vatikanische Konzil in der Dogmatischen Konstitution «Lumen Gentium» (Nr. 8): «Der einzige Mittler Christus hat seine heilige Kirche, die Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, hier auf Erden als sichtbares Gefüge verfasst und trägt sie als solches unablässig. (…). Dies ist die einzige Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen».

Wenn sich die RKZ nun «Katholische Kirche» nennt, gibt es fortan in der Schweiz zwei katholische Kirchen: Die von Jesus Christus gegründete Katholische Kirche I, sowie die von den staatlichen «Landeskirchen» gegründete Katholische Kirche II. Es dürfte niemandem, auch nicht dem Apostolischen Stuhl, entgehen, welches Selbstverständnis der staatskirchenrechtlichen Strukturen die geplante Umbenennung der «RKZ» in «Katholische Kirche Schweiz» spiegelt und was der neue Name für die öffentliche Wahrnehmung der Katholischen Kirche I bedeutet. Natürlich kann man auch dieser Entwicklung seitens der Katholischen Kirche I tatenlos zusehen und sich daran freuen, dass doch so schöne Ruhe herrsche. Aber alle Beteiligten wissen: Mit dem seit Jahrzehnten zugelassenen Ausbau der staatskirchenrechtlichen Strukturen betreibt man den Ausverkauf des sakramentalen und hierarchischen Wesens der Katholischen Kirche I. Man kauft sich als Verantwortliche durch Schweigen und Mitmachen Zeit, Ruhe und Akzeptanz. Aber das ist nichts anderes als palliative Kirchenpolitik.

Der frühere Geschäftsführer der RKZ, Moritz Amherd, hat schon im Jahr 1987 zugegeben, dass die staatskirchenrechtlichen Organismen «Tendenzen in Richtung einer ‘Selbstauferbauung’» förderten. Dies hat sich seither auf allen Ebenen bestätigt. In der geplanten «Katholischen Kirche Schweiz» (KKS) kann man den vorläufigen Abschluss dieser Entwicklung sehen. Was einmal der finanziellen Unterstützung der Katholischen Kirche I dienen sollte, will sich nun selbst den Titel «Kirche» zulegen und als Katholische Kirche II wahrgenommen werden. Ungeklärt bleibt dann nur noch eine Frage: Wer hat sich für die Katholische Kirche II kreuzigen lassen?

Martin Grichting war Generalvikar des Bistums Chur und beschäftigt sich publizistisch mit philosophischen sowie theologischen Fragen.


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