„Ohne das Alte Testament kein Neues!“

2. November 2022 in Buchtipp


Rezension und Interview zur Neuerscheinung: „Die Bibel hat recht. Archäologen auf den Spuren des Alten Testaments“ (Michael Hesemann) – Gastbeitrag von Alexander Heumann


Jerusalem (kath.net) Um die Jahrtausendwende schien mit Israel Finkelsteins Buch „Keine Posaunen vor Jericho“, und dessen Behauptung, „die“ archäologische Wahrheit widerlege weite Teile des Alten Testaments, das letzte Wort gesprochen zu sein. Als auch das Königreich von Saul, David und Salomo zum „Mythos“ degradiert wurde, war die Begeisterung bei areligiösen Mainstreammedien groß. War Gott nicht längst durch Darwins Evolutionstheorie erledigt, und mußte dann nicht auch die Bibel früher oder später als hebräisches Ammenmärchen und frühpolitische Propaganda entlarvt werden? Doch in dem christlichen Historiker Dr. Michael Hesemann erwuchs Finkelstein und seinen archäologisch „minimalistischen“ Jüngern ein ebenbürtiger Gegner. Hesemann bereist schon seit 1994, sein halbes Leben lang, biblische Stätten im Nahen Osten und wurde durch Reiseberichte ein Peter Scholl-Latour der Bibelarchäologie. Zunächst konzentrierte er sich auf das Neue Testament. Sein 2012 bei Herbig erschienenes Werk „Jesus in Ägypten. Das Geheimnis der Kopten“ erinnerte nicht nur den naiv auf einen „Euro-Islam“ hoffenden Westen an aktuelle Verfolgungen der orientalischen Christen, sondern führt uns auch eine wichtige Wiege der ursprünglichen Christenheit vor Augen: die erste theologische Hochschule in Alexandria, erste Mönche, Kloster und Märtyrer etc. Und es rekonstruiert die im Matthäus-Evangelium überlieferte Reiseroute der Heiligen Familie von Bethlehem nach Oberägypten bei ihrer Flucht vor König Herodes.

Doch das Neue Testament fußt nun einmal auf dem Alten; vor allem auf dessen hundertfachen, nicht zuletzt durch Jesus erfüllten, Prophezeiungen – die sogar bis in unsere Gegenwart weisen, wie etwa die erst in unseren Tagen erfolgte Rückkehr der Israeliten ins Heilige Land. Daß das Alte Testament durch viele archäologische Funde bestätigt wird, hatte bereits 1955 Werner Keller einer nach dem Weltkrieg durchaus interessierten Öffentlichkeit mit seinem Jahrhundertwerk „Und die Bibel hat doch recht“ verdeutlicht. Dennoch sah man bald im Zuge von ´68er-Revolte, „kritisch-historischer“ Theologie und wachsender Glaubensfeindlichkeit in der Bibel überwiegend Mythen, wenn nicht Geschichten aus 1001 Nacht. Dankenswerterweise präsentiert nun Michael Hesemann in einer monumentalen Neuerscheinung („Die Bibel hat recht“) die Ergebnisse der seit 1955 im Nahen Osten akribisch fortgesetzten Forschung – und diese bestätigen Keller als frühen „Visionär“: Entgegen verbreiteter Annahme konnten die Erzväter Abraham, sein Urenkel Joseph (19. Jhd. v. Chr.) und Moses, mittlerweile in Grabungsberichten und außerbiblischen Quellen als historische Personen nachgewiesen werden. Selbst die Katastrophe von Sodom und Gomorrha, in die Abrahams Neffe Lot verwickelt war, hat tatsächlich stattgefunden, auch ihre Ursache wurde wissenschaftlich ermittelt: ein beim Eintritt in die Erdatmosphäre explodierter Eiskomet (wie der Komet 1908 in Sibirien).

Moses und der von ihm angeführte Auszug der Israeliten aus Ägypten fanden in Papyri- und Stelentexten deutlichen Niederschlag; hier wurde die Ausgrabung der alten Stadt Avaris im Nildelta zum entscheidenden Durchbruch. Bisher war alles relativ versteckt in der ägyptologisch wenig geklärten „Zwischenzeit“ zwischen mittlerem und neuem Reich (13. bis 17. Dynastie), in die auch die Fremdherrschaft der ominösen „Hyksos“ (1) fiel. Nur die genaue Zeit des Exodus ist noch umstritten, etwa um 1500 vor Chr., die Zeit der unweiten Vulkankatastrophe von Santorin/Thera im minoischen Griechenland.

Mit kriminalistischem Spürsinn konnten Wissenschaftler sogar die „zehn biblischen Plagen“, die „Teilung“ des Roten Meeres sowie die anschließenden Ereignisse am „Gottesberg“ Horeb (der im heutigen nordwestlichen Saudi-Arabien (2) gefunden wurde!) rekonstruieren, an dem Moses die zehn Gebote erhielt. Und schließlich wurde auch die von Finkelstein in Abrede gestellte Eroberung Jerichos sowie Davids und Salomos mächtiges Reich mit seinen weit bis nach Spanien verzweigten Handelsbeziehungen bestätigt.

Für Einzelheiten muss hier auf Hesemanns spannenden Bericht über jahrzehntelange Forschung verwiesen werden. Aufgrund seiner thematischen Breite – Hesemann schreitet 2000 Jahre Menschheits- und Bibelgeschichte ab –, aber gleichzeitig fachlicher Präzision und Detailverliebtheit hat diese allgemeinverständliche Neuerscheinung das Zeug zu einem Standard- und Nachschlagewerk, dem weltweite Übersetzungen zu wünschen sind.

Es folgt ein Interview mit dem Autor Michael Hesemann:

Alexander Heumann: Welche Bedeutung hat das Alte Testament heute noch für Christen?

Michael Hesemann: „Ohne das Alte Testament kein Neues! Die Propheten des AT kündigten Jesus als den Messias an, er selbst kam, wie es im Matthäus-Evangelium (5,18) heißt, "nicht... um das Gesetz und die Propheten aufzuheben... sondern um zu erfüllen." Er wurde gekreuzigt, weil er als Nachkomme des biblischen Königs David als Messias und damit als Thronprätendent galt. Insofern ist es geradezu ein Gebot für jeden Christen, sich mit dem Alten Testament zu befassen. Ich möchte sogar behaupten: Ohne Kenntnis des AT ist es unmöglich, das NT richtig und in seinem historischen und heilsgeschichtlichen Kontext zu verstehen.“

Heumann: Wie gehst Du als Christ mit der teils archaisch-kriegerischen Eroberung Kanaans durch die Israeliten des Alten Testaments um?

Hesemann: „Ich nehme sie als historische Tatsache zur Kenntnis. Manchmal sind Kriege notwendig, um einen negativen Verlauf der Geschichte zu verhindern. Das war bei den Kreuzzügen, als es galt, den Vorstoß des Islam aufzuhalten, der Fall oder im Zweiten Weltkrieg, als es galt, Hitler und seine mörderische Ideologie zu stoppen. Die Kanaaniter kannten Menschen-, ja sogar Kinderopfer. Es war also eine barbarische, grausame Kultur, die durch etwas Besseres ersetzt wurde.“

Heumann: Ist wissenschaftliche Bibelforschung ein zweischneidiges Schwert? Je mehr sie biblisches Geschehen (etwa archäologisch) bestätigt (z.B. Sodom) und seine Ursachen (z. B. Komet) klärt, desto weniger Raum bleibt für göttliches Handeln, oder?

Hesemann: „Ich sehe in der kosmischen Katastrophe, die zur Zerstörung von Sodom führte, sehr wohl das Wirken Gottes, denn ich glaube an keinen Zufall. Nur Gott hat von dieser Katastrophe im Vorfeld wissen können und Abraham und (durch die Engel) Lot und seine Familie rechtzeitig gewarnt. Gott ist der Herr der Schöpfung und so kann er sich auch der Natur bedienen, um etwa eine sündige Stadt zu bestrafen, genau wie er sich kriegerischer Mächte wie Assyrien und Babylon bedient, um Israel zu züchtigen, als es Irrwege ging.“

Heumann: Kann man überhaupt aufgrund archäologischer Befunde deklarieren, „die Bibel hat recht“, solange allfällige Widersprüche der Schöpfungsgeschichte mit vermeintlich naturwissenschaftlichen Wahrheiten ungeklärt sind (v.a. hohes Alter von Erde - 4 Mrd. Jahre – und Menschheit - 2 Mill. Jahre)?

Hesemann: „Ich unterscheide drei Phasen in der Bibel, eine "mythologische Phase" vor Abraham, eine "prähistorische Phase" bis König David und eine historische Phase gewissermaßen mit der Einführung von Chroniken und einer Hofkanzlei. Mein Buch beginnt bewusst erst mit der prähistorischen Phase. Natürlich sind Zeitangaben in der Schöpfungsgeschichte symbolisch zu verstehen, zudem gibt es ja große Lücken im Narrativ, etwa Hunderttausende von Jahren zwischen der Erschaffung des Menschen und der Geschichte von Adam und Eva im Garten Eden, der Vertreibung aus dem Paradies, die für die neolithische Revolution vor 12.000 Jahren steht. Dabei gibt es in der Reihenfolge der Ereignisse durchaus Parallelen zwischen der Schöpfungsgeschichte und der wissenschaftlichen Rekonstruktion der Erdgeschichte.“

Heumann: Aber kann man die präzise biblische Stammbaum-Liste zerschneiden? Immerhin sind Abraham und Lot etc. Nachfahren von Noah (und der wiederum von Adam/Gen. 5).

Hesemann: „Das behaupte ich ja gar nicht, dass alles vor Abraham fiktiv ist; Ahnentafeln etwa haben die Völker des Alten Orients immer schon sorgsam gehütet und als Sumerer hatte Abraham sicher auch schriftliche Quellen zur Verfügung. Allerdings ist halt alles vor Abraham aus der Retroperspektive berichtet und bedient sich heidnischer Quellen, da es ja noch kein Judentum gab; der Alte Bund wurde mit Abraham begründet. Diese heidnischen Quellen wurden später von Moses neu gedeutet, als bei den Israeliten der Monotheismus über den Polytheismus siegte.“

Heumann: Wie beurteilst Du den globalen „Sintflut“-Mythos (Gen. 6 f.)? Er muß zumindest einen harten Kern haben, da bei allen Völkern der Erde ähnliche Berichte/Narrative vorliegen, oder?  (Ähnlich wie bei der regionalen Sodom-/Gomorrha-Katastrophe gibt die Bibel auch hier Gottes Strafhandeln als Ursache an.)

Hesemann: „Auch das ist nicht Thema meines Buches, wobei ein Buch zu den Ereignissen vor Abraham geplant ist. Sicher ist: Es gab drei lokale Katastrophen, die den damaligen Menschen als global erschienen und durchaus Anlass für die Sintfluterzählung gegeben haben könnten: Die Flutung des Schwarzen Meeres um 6500 v.Chr., die Überflutung es Armenischen Hochlands etwas später und ein durch einen Meteoritenabsturz verursachter Tsunami in Mesopotamien um 2800 v.Chr. Die Geowissenschaftler bestreiten jedenfalls, dass es eine globale Flut gab, auch wenn es Sintflutberichte in allen Kulturen gibt; das kann von lokalen Katastrophen herrühren oder daher, dass mit der Wanderung der Völker auch deren Erinnerungen weitergetragen wurden.“

Heumann: Woher kamen die vorsintflutlichen Hochkulturen mit ihren gewaltigen Monolythen, Pyramiden und Riesengräbern? Werden Sie auch in der Bibel erwähnt, etwa in Genesis Kapitel 6?

Hesemann: „Das ist durchaus möglich, was immer die Bibel auch unter den "Anakim", den "Riesen", und den "Nefilim" verstand. Die Bibel erhebt ja nie den Anspruch, eine vollständige Welt- und Menschheitsgeschichte abzuliefern. Sie schildert Heilsgeschichte und damit die Geschichte des Volkes, das Gott sich für Seine Manifestation ausgesucht hat, samt seiner Ursprünge. Aber natürlich gibt es große Lücken, beginnend mit der Frage, woher die Frauen stammen, die Kain und Abel sich nahmen. Diese Fragen beantwortet die Bibel nicht, denn sie sind für die Heilsgeschichte irrelevant.“

Fußnoten:
1 Die (semitischen) „Hyksos“ stammen aus Kanaan, sind aber nicht mit den Israeliten identisch.
2 Unzutreffend also die bisher gängige Annahme, Gott hätte sich Moses auf der Sinai-Halbinsel offenbart (so noch „Die Bibel von A-Z, Das aktuelle Lexikon zur Bibel“, undatiert).

 


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