Diplomat: Militärische Unterstützung der Ukraine unverzichtbar

5. November 2022 in Aktuelles


Direktor der Diplomatischen Akademie Wien, Brix, im Interview mit der Kooperationsredaktion der heimischen Kirchenzeitungen über Grenzen der Diplomatie und unterschiedliche demokratische Voraussetzungen in der Ukraine und in Russland.


Salzburg (^kath.net/ KAP)

"Je mehr es uns gelingt, die Ukraine in ihrem Verteidigungskampf um die eigene Identität zu unterstützen, desto rascher können wir den Krieg beenden." - Das betont der Direktor der Diplomatischen Akademie Wien, Emil Brix, im Interview mit der Kooperationsredaktion der österreichischen Kirchenzeitungen (aktuelle Ausgaben). "Es ist auch für mich nicht sehr erfreulich zu sagen, je mehr Waffen wir einem Land zur Verfügung stellen, desto schneller können wir einen Krieg beenden. Aber das ist auch aus meiner Sicht die jetzige Situation", so Brix. Diplomatie funktioniere nur, "wenn es zwei Seiten gibt, die verhandeln wollen". Das sei auf russischer Seite nicht ernsthaft der Fall. Daher sei die militärische Unterstützung der Ukraine neben der humanitären Unterstützung unverzichtbar.

Brix war als Botschafter der Republik Österreich in Moskau eingesetzt, bevor er vor fünf Jahren Direktor der Diplomatischen Akademie wurde. Scharf kritisierte der Diplomat im Interview das Konzept von ethnisch einheitlichen Staaten. Das habe schon im 20. Jahrhunderts nicht funktioniert "und wir sehen gerade, dass es auch jetzt nicht funktioniert". Wichtiger als die sprachliche Zugehörigkeit sei die Identität. Das sei ein viel breiterer Begriff, "der alles umfasst von Glauben und Weltanschauung bis zur Frage, wem gegenüber man loyal ist". In der Ukraine wünsche sich offensichtlich auch eine Mehrheit der russischsprachigen Bevölkerung eine geeinte Ukraine, so Brix und weiter: "Auf der anderen Seite herrscht das alte, ethnische Modell. Das macht mir Sorge auch davor, dass Putin da nicht stehenbleiben möchte. Denn es gibt ethnische Russen auch in den baltischen Staaten, in Zentralasien, in Moldau, im Kaukasus ... Sie sehen schon: Da steckt mehr dahinter als nur die Frage, wo die Grenze der Ukraine in Zukunft verlaufen soll."

Während seiner Zeit als Botschafter Österreichs in Moskau hätten ihm im Blick auf die Demokratie im Land viele Menschen ein Hauptproblem vermittelt: "Dass das Modell der Demokratie, das nach dem Ende der Sowjetunion eingeführt wurde, diskreditiert ist, weil es in den 1990er-Jahren unter Boris Jelzin einen Kapitalismus sondergleichen gebracht hat, sodass man nicht argumentieren kann mit der Erfahrung, dass Demokratie das bessere und wirtschaftlich erfolgreichere Modell für die einzelnen Russen ist." Das habe ihm damals auch der zweithöchste Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche, Metropolit Hilarion (Alfejew), so gesagt.

Gleichzeitig müsse man auch sagen: "Es gibt die Institutionen der Demokratie in Russland. Das macht mir Hoffnung. Sie sind zwar ausgehöhlt, die Justiz ist nicht unabhängig, und auch das Parlament ist nicht eigenständig, wie wir es uns in einer Demokratie wünschen würden, aber die Institutionen sind da."

Allerdings sei die Situation nicht mit der Entwicklung in der Ukraine vergleichbar: "Die Orange Revolution, die Revolution am Maidan - das hat schon gezeigt, dass es hier eine viel stärkere Zivilgesellschaft gibt". Die Ukrainer wollten mehr Demokratie und mehr Europa. Das fehle in Russland, "weil Putin genau weiß, dass beides sein Regime zerstören könnte, und daher alles durchsetzte, was mehr Europa und Demokratie verhindert".

Vorschläge, wonach die Ukraine neutral werden soll, beurteilte der Diplomat sehr skeptisch: "Die Frage der Neutralität ist von der Zeit und der geographischen Lage abhängig. Die Lage in der Ukraine ist gänzlich anders als in Österreich." Eine ukrainische Neutralität müsste von anderen Großmächten garantiert sein und sie müsste von der Regierung und den Menschen in der Ukraine gewollt sein. Er habe nicht den Eindruck, so Brix, "dass das im Moment eine Option ist. Die Angst vor dem Verhalten Russlands ist zu groß."

Brix äußerte sich im Interview im Vorfeld einer Tagung des Katholischer Akademiker/innenverbands Österreichs (KAVÖ). Unter dem Motto "Mut und Zuversicht" wird am 25. November im Wiener Kardinal-König-Haus die psychologische und politische Bewältigung der zahlreichen Gegenwartskrisen im Fokus stehen. Botschafter Brix diskutiert dabei mit dem Wiener Geschäftsführenden Caritasdirektor Klaus Schwertner. Hauptreferentinnen sind die Philosophin Marie-Luisa Frick von der Universität Innsbruck und die Psychologin Brigitte Lueger-Schuster von der Universität Wien. (Infos unter www.kavoe.at)

 

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