Die Kirche: der Weinstock, die Reben und die Reblaus

10. November 2022 in Aktuelles


Benedikt XVI. – Licht des Glaubens: ‚und schwörn könnt ich, dass ich eine Reblaus gwesn bin’. Das große und schöne Mysterium der Kirche. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Die Bischöfe Deutschlands  werden zu ihrem Ad-Limina-Besuch in Rom erwartet. Aus diesem Anlass hatte der Bischof von Eichstätt Gregor Hanke zu einer Gebetsnovene für den Besuch aufgerufen. Dies deutet zweifellos auf die kritische Situation hin, in der sich die Kirche in Deutschland (nicht die „deutsche Kirche“, die es nicht gibt) befindet.

22.-25. September 2011: Benedikt XVI. besucht zum letzten Mal Deutschland. Nicht nur die Ansprache im Reichstag vor dem Bundestag oder die „entweltlichende Konzerthausrede“ in Freiburg fanden große Beachtung. Vor allem auch die heilige Messe im Olympiastadion von Berlin nutzte der Papst, um in seiner Predigt wegweisende Angaben zum Sein der Kirche zu geben, zum Weg, den die Kirche in Deutschland trotz allem gehen sollte. Und der Papst stellte das Gleichnis vom Weinstock und den Reben in den Mittelpunkt.

„Die Kirche als Verkünderin des Wortes Gottes und Spenderin der Sakramente verbindet uns mit Christus“, so Benedikt XVI., „dem wahren Weinstock. Die Kirche als ‚Fülle und Ergänzung des Erlösers’, wie Pius XII. sie genannt hat (Pius XII. , Mystici corporis, AAS 35 [1943] S. 230: „plenitudo et complementum Redemptoris“), ist uns Unterpfand des göttlichen Lebens und Vermittlerin der Früchte, von denen das Gleichnis des Weinstocks spricht. So ist die Kirche das schönste Geschenk Gottes“.

Im Jahr 2018 führte dann Papst Franziskus aus Anlass des 50. Jahrestages der Einrichtung der Bischofssynode den neuen Begriff der „Synodalität“ ein. Ein Begriff, dessen Bedeutung nicht geklärt wurde. Jahre später wurde dies in Deutschland dazu genutzt, um auf einem „synodalen Weg“ Kirche-Sein neu zu definieren. Dieser „Synodale Weg“ stand sich dann vor der von Papst Franziskus gewollten Realität einer mehrjährigen „Synode über die Synodalität“. Diese Begriffe sind bis heute nicht geklärt.

Der Weinstock und die Reben. Die Kirche ist nur eine: die von Christus gewollte. Diese steht nicht in einem freien Interpretationsrahmen. Papst Benedikt XVI. erklärte: „Mmnche bleiben mit ihrem Blick auf die Kirche an ihrer äußeren Gestalt hängen. Dann erscheint die Kirche nur mehr als eine der vielen Organisationen innerhalb einer demokratischen Gesellschaft, nach deren Maßstäben und Gesetzen dann auch die so sperrige Größe ‚Kirche’ zu beurteilen und zu behandeln ist. Wenn dann auch noch die leidvolle Erfahrung dazukommt, dass es in der Kirche gute und schlechte Fische, Weizen und Unkraut gibt, und der Blick auf das Negative fixiert bleibt, dann erschließt sich das große und schöne Mysterium der Kirche nicht mehr“.

Anders ausgedrückt: Benedikt XVI. fordert die Gläubigen in gewisser Weise auf, eine „Reblaus“ zu sein. Diese wurde ja schon 1940 vom österreichischen Schauspieler Hans Moser besungen (die Älteren werden sich erinnern, die Jüngeren können googeln). An und für sich... ja, warum in der Kirche sein? Weil man eine Reblaus ist:

„I muaß im frühern Lebn eine Reblaus gwesen sein. Ja, sonst wär die Sehnsucht nicht so groß nach einem Wein. Drum tu den Wein ich auch nicht trinken sondern beißen. I hob den Rotn grod so gearn als wie den Weißn. Und schwörn könnt ich, dass ich eine Reblaus gwesn bin“.

Benedikt XVI., 22. September 2011: Eucharistiefeier im Olympiastadion Berlin

Liebe Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt!  

Liebe Schwestern und Brüder!

Der Blick in das weite Olympiastadion, das ihr in großer Zahl heute füllt, weckt in mir große Freude und Zuversicht. Sehr herzlich grüße ich euch alle – die Gläubigen aus dem Erzbistum Berlin und den Diözesen Deutschlands wie auch die vielen Pilger aus den benachbarten Ländern. 15 Jahre ist es her, daß erstmals ein Papst in die Bundeshauptstadt Berlin gekommen ist. Der Besuch meines verehrten Vorgängers, des seligen Johannes Paul II., und die Seligsprechung des Berliner Dompropstes Bernhard Lichtenberg – zusammen mit Karl Leisner – eben hier an diesem Ort ist uns allen, auch mir persönlich, in sehr lebendiger Erinnerung.

Wenn wir an diese Seligen und an die Schar der Heiligen und Seligen insgesamt denken, können wir begreifen, was es heißt, als Rebzweige des wahren Weinstocks Christus zu leben und Frucht zu tragen. Das heutige Evangelium hat das Bild neu vergegenwärtigt, dieses im Orient üppig rankenden Gewächses und Sinnbilds von Lebenskraft, eine Metapher für die Schönheit und Dynamik der Gemeinschaft Jesu mit seinen Jüngern und Freunden mit uns.

Im Gleichnis vom Weinstock sagt Jesus nicht: „Ihr seid der Weinstock“, sondern: „Ich bin der Weinstock – ihr seid die Reben“ (Joh 15,5). Das heißt: „So wie die Rebzweige mit dem Weinstock verbunden sind, so gehört ihr zu mir! Indem ihr aber zu mir gehört, gehört ihr auch zueinander.“ Und dieses Zueinander- und Zu-ihm-Gehören ist nicht irgendein ideales, gedachtes, symbolisches Verhältnis, sondern – fast möchte ich sagen – ein biologisches, ein lebensvolles Zu-Jesus-Christus-Gehören. Das ist die Kirche, diese Lebensgemeinschaft mit Jesus Christus und füreinander, die durch die Taufe begründet und in der Eucharistie von Mal zu Mal vertieft und verlebendigt wird. „Ich bin der wahre Weinstock“, das heißt doch eigentlich: ‚Ich bin ihr und ihr seid ich‘ – eine unerhörte Identifikation des Herrn mit uns, mit seiner Kirche.

Christus selber hat damals vor Damaskus den Kirchenverfolger Saulus gefragt: „Warum verfolgst Du mich?“ (Apg 9,4). Damit drückt der Herr die Gemeinsamkeit des Schicksals aus, die sich aus der innigen Lebensgemeinschaft seiner Kirche mit ihm, dem Auferstandenen, ergibt. Er lebt in seiner Kirche in dieser Welt fort. Er ist bei uns und wir mit ihm. – „Warum verfolgst du mich?“ – Es ist letztlich Jesus, den die Verfolger seiner Kirche treffen wollen. Und zugleich heißt das, daß wir, wenn wir um unseres Glaubens willen bedrängt werden, nicht allein sind. Jesus Christus ist bei uns und mit uns.

Im Gleichnis sagt der Herr Jesus noch einmal: „Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Winzer“ (Joh 15,1), und er führt aus, daß der Winzer zum Messer greift, die dürren Reben abschneidet und die fruchttragenden reinigt, so daß sie mehr Frucht bringen. Gott will – um es mit dem Bild des Propheten Ezechiel zu sagen, das wir in der ersten Lesung gehört haben – das tote, steinerne Herz aus unserer Brust nehmen, und uns ein lebendiges Herz aus Fleisch geben (vgl. Ez 36,26), ein Herz der Liebe, der Güte und des Friedens. Er will uns neues, kraftvolles Leben schenken. Christus ist gekommen, die Sünder zu rufen. Sie brauchen den Arzt, nicht die Gesunden (vgl. Lk 5,31f). Und so ist, wie das Zweite Vatikanische Konzil sagt, die Kirche das „universale Heilssakrament“ (LG 48), das für die Sünder, für uns da ist, um uns den Weg der Umkehr, der Heilung und des Lebens zu eröffnen. Das ist die immerwährende große Sendung der Kirche, die ihr von Christus übertragen ist.

Manche bleiben mit ihrem Blick auf die Kirche an ihrer äußeren Gestalt hängen. Dann erscheint die Kirche nur mehr als eine der vielen Organisationen innerhalb einer demokratischen Gesellschaft, nach deren Maßstäben und Gesetzen dann auch die so sperrige Größe „Kirche“ zu beurteilen und zu behandeln ist. Wenn dann auch noch die leidvolle Erfahrung dazukommt, daß es in der Kirche gute und schlechte Fische, Weizen und Unkraut gibt, und der Blick auf das Negative fixiert bleibt, dann erschließt sich das große und schöne Mysterium der Kirche nicht mehr.

Dann kommt auch keine Freude mehr auf über die Zugehörigkeit zu diesem Weinstock „Kirche“. Es verbreiten sich Unzufriedenheit und Mißvergnügen, wenn man die eigenen oberflächlichen und fehlerhaften Vorstellungen von „Kirche“, die eigenen „Kirchenträume“ nicht verwirklicht sieht! Da verstummt dann auch das frohe „Dank sei dem Herrn, der mich aus Gnad’ in seine Kirche berufen hat“, das Generationen von Katholiken mit Überzeugung gesungen haben.

Aber kehren wir zum Evangelium zurück. Der Herr fährt so fort: „Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch. Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so könnt auch ihr keine Frucht bringen, wenn ihr nicht in mir bleibt, … denn getrennt von mir – wir könnten auch übersetzen: außerhalb von mir – könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh 15,4).

Vor diese Entscheidung ist jeder von uns gestellt. Wie ernst sie ist, sagt uns der Herr wiederum in seinem Gleichnis: „Wer nicht in mir bleibt, wird wie die Rebe weggeworfen, und er verdorrt. Man sammelt die weggeworfenen Reben, wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen“ (Joh 15,6). Dazu kommentiert der heilige Augustinus: „Eines von beiden kommt der Rebe zu, entweder der Weinstock oder das Feuer; wenn sie nicht im Weinstock ist, wird sie im Feuer sein; damit sie also nicht im Feuer sei, möge sie im Weinstock sein“ (In Ioan. Ev. tract. 81,3 [PL 35, 1842]).

Die hier geforderte Wahl macht uns eindringlich die grundlegende Bedeutung unserer Lebensentscheidung bewußt. Aber zugleich ist das Bild vom Weinstock ein Zeichen der Hoffnung und der Zuversicht. Christus selbst ist durch seine Menschwerdung in diese Welt gekommen, um unser Wurzelgrund zu sein. In aller Not und Dürre ist er die Quelle, die das Wasser des Lebens schenkt, die uns nährt und stärkt. Er selbst nimmt alle Sünde, Angst und Leid auf sich und reinigt und verwandelt uns schließlich geheimnisvoll in gute Reben, die guten Wein bringen. Manchmal fühlen wir uns in solchen Stunden der Not wie in die Kelter geraten, wie Trauben, die völlig ausgepreßt werden. Aber wir wissen, mit Christus verbunden werden wir zu reifem Wein. Auch das Schwere und Bedrückende unseres Lebens weiß Gott in Liebe zu verwandeln. Wichtig ist, daß wir am Weinstock, bei Christus „bleiben“. Der Evangelist verwendet das Wort „bleiben“ in diesem kurzen Abschnitt ein dutzendmal. Dieses „In-Christus-Bleiben“ prägt das ganze Gleichnis. In unserer Zeit der Rastlosigkeit und Beliebigkeit, wo so viele Menschen Orientierung und Halt verlieren, wo die Treue der Liebe in Ehe und Freundschaft so zerbrechlich und kurzlebig geworden ist, wo wir in unserer Not wie die Emmausjünger rufen wollen: „Herr bleibe bei uns, denn es ist Abend (vgl. Lk 24,29), es ist Dunkel um uns!“ In dieser Zeit schenkt uns der Auferstandene eine Bleibe, einen Ort des Lichtes, der Hoffnung und der Zuversicht, der Ruhe und der Geborgenheit. Wo den Rebzweigen Dürre und Tod drohen, da ist in Christus Zukunft, Leben und Freude. Da ist immer Vergebung und Neubeginn, Verwandlung in seine Liebe hinein.

In Christus bleiben heißt, wie wir bereits gesehen haben, auch in der Kirche bleiben. Die ganze Gemeinschaft der Gläubigen ist in den Weinstock Christus fest hineinverfügt. In Christus gehören wir zusammen. In dieser Gemeinschaft trägt er uns und zugleich tragen alle Glieder sich gegenseitig. Wir halten gemeinsam Stand gegen den Sturm und geben einander Schutz. Wer glaubt ist nicht allein. Wir glauben nicht alleine, wir glauben mit der ganzen Kirche aller Orten und Zeiten, mit der Kirche im Himmel und auf der Erde.

Die Kirche als Verkünderin des Wortes Gottes und Spenderin der Sakramente verbindet uns mit Christus, dem wahren Weinstock. Die Kirche als „Fülle und Ergänzung des Erlösers“, wie Pius XII. sie genannt hat (Pius XII. , Mystici corporis, AAS 35 [1943] S. 230: „plenitudo et complementum Redemptoris“), ist uns Unterpfand des göttlichen Lebens und Vermittlerin der Früchte, von denen das Gleichnis des Weinstocks spricht. So ist die Kirche das schönste Geschenk Gottes. Daher konnte Augustinus sagen: „In dem Maß, wie einer die Kirche liebt, hat er den Heiligen Geist“ (In Ioan. Ev. tract. 32, 8 [PL 35, 1646]). Mit der Kirche und in der Kirche dürfen wir allen Menschen verkünden, daß Christus die Quelle des Lebens ist, daß er da ist, daß er das Große ist, nach dem wir Ausschau halten und uns sehnen. Er schenkt sich selbst und schenkt uns damit Gott, das Glück, die Liebe. Wer an Christus glaubt, hat Zukunft. Denn Gott will nicht das Dürre, das Tote, das Gemachte, das am Ende weggeworfen wird, sondern das Fruchtbare und das Lebendige, das Leben in Fülle und er gibt uns Leben in Fülle.

Liebe Schwestern und Brüder! Das wünsche ich euch allen, uns allen, daß ihr immer tiefer die Freude entdeckt, in der Kirche mit allen ihren Nöten und Dunkelheiten mit Christus verbunden zu sein, daß ihr in allen Nöten Trost und Erlösung findet, daß wir alle immer mehr zum köstlichen Wein der Freude und der Liebe Christi für diese Welt werden. Amen.

 


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