17. November 2022 in Aktuelles
Benedikt XVI. – Licht des Glaubens: durch den Dienst an den Aussätzigen wird das, was ih vorher bitter vorkam, in Süßigkeit der Seele und des Leibes verwandelt. Von Armin Schwibach
Rom (kath.net/as) Wie ein Schilf: „wir sind wie ein Schilf, das am Flussufer wächst. Schwillt der Fluss, so beugt sich das Schilf; sinkt das Wasser, so richtet es sich wieder empor und wächst in seiner Kraft fröhlich und erquickt weiter. So müssen auch wir uns bisweilen beugen und demütigen, um uns dann froh und erquickt wieder aufzurichten“. Elisabeth von Ungarn wurde 1207 als Tochter von Andreas, dem König von Ungarn, geboren. Noch als Kind wurde sie mit Ludwig IV., dem Landgrafen von Thüringen, verheiratet, dem sie drei Kinder gebar. Sie widmete sich der Betrachtung himmlischer Dinge und führte nach dem Tod ihres Mannes ein Leben in Armut, indem sie ein Hospital errichtete, in dem sie selbst den Kranken diente. 1231 starb sie.
Benedikt XVI., Generalaudienz vom 20. Oktober 2010
Liebe Brüder und Schwestern!
Heute möchte ich über eine Frau des Mittelalters sprechen, die höchste Bewunderung hervorgerufen hat: die hl. Elisabeth von Ungarn, auch Elisabeth von Thüringen genannt.
Sie wurde 1207 geboren; über den Ort sind sich die Historiker uneinig. Ihr Vater war Andreas II., der reiche und mächtige König von Ungarn. Um die politischen Verbindungen zu festigen, hatte er die deutsche Gräfin Gertrud von Andechs-Meranien geheiratet, die Schwester der hl. Hedwig, Gemahlin des Herzogs von Schlesien. Elisabeth verbrachte nur die ersten vier Jahre ihrer Kindheit am ungarischen Hof, zusammen mit einer Schwester und drei Brüdern. Sie liebte Spiel, Musik und Tanz, sprach treu ihre Gebete und zeigte schon damals besondere Aufmerksamkeit gegenüber den Armen, denen sie mit einem guten Wort oder einer liebevollen Geste half.
Ihre glückliche Kindheit wurde jäh unterbrochen, als Ritter aus dem fernen Thüringen kamen, um sie auf ihren neuen Sitz in Mitteldeutschland zu bringen. Den damaligen Sitten entsprechend hatte ihr Vater nämlich bestimmt, daß Elisabeth Prinzessin von Thüringen werden sollte. Der Landgraf dieser Region war einer der reichsten und einflußreichsten Herrscher Europas zu Beginn des 13. Jahrhunderts, seine Burg war ein Zentrum der Pracht und der Kultur. Aber hinter den Festlichkeiten und der scheinbaren Herrlichkeit verbargen sich die ehrgeizigen Bestrebungen der Feudalfürsten, die oft im Krieg miteinander und im Konflikt mit den königlichen und kaiserlichen Autoritäten standen. Vor diesem Hintergrund begrüßte Landgraf Hermann die Verlobung zwischen seinem Sohn Ludwig und der ungarischen Prinzessin sehr. Elisabeth verließ ihre Heimat mit reicher Mitgift und großem Gefolge, zu dem auch ihre Kammerfrauen gehörten. Zwei von ihnen sollten ihr bis zum Ende treue Freundinnen bleiben. Sie haben uns wertvolle Nachrichten über die Kindheit und das Leben der Heiligen hinterlassen.
Nach einer langen Reise kam sie in Eisenach an, um dann zur Wartburg hinaufzugehen, zur mächtigen Festung oberhalb der Stadt. Hier wurde die Verlobung von Ludwig und Elisabeth gefeiert. In den folgenden Jahren lernte Ludwig den Beruf des Ritters, während Elisabeth und ihre Gefährtinnen in Deutsch, Französisch, Latein, Musik, Literatur und Stickerei unterwiesen wurden. Obwohl die Verlobung aus politischen Gründen entschieden worden war, entstand zwischen den beiden jungen Menschen eine aufrichtige Liebe, die beseelt war vom Glauben und von dem Wunsch, den Willen Gottes zu tun. Im Alter von 18 Jahren übernahm Ludwig die Herrschaft über Thüringen. Elisabeth wurde jedoch Gegenstand verhaltener Kritik, weil ihre Lebensweise nicht dem höfischen Leben entsprach. Auch die Hochzeitsfeier war nicht prunkvoll, und die für das Mahl vorgesehenen Ausgaben wurden teilweise den Armen zugewendet. In ihrer tiefen Sensibilität erkannte Elisabeth die Widersprüche zwischen dem Glauben, den man bekannte, und der christlichen Praxis. Sie duldete keine Kompromisse. Einmal nahm sie, als sie am Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel die Kirche betrat, die Krone ab, legte sie vor dem Kreuz nieder und warf sich mit verhülltem Gesicht zu Boden. Als ihre Schwiegermutter sie deswegen tadelte, antwortete sie: »Ferne sei mir, im Angesicht meines Gottes und Königs Jesus Christus, den ich mit Dornen gekrönt erblicke, selbst ein geringes und aus Erde gebildetes Geschöpf, mit eitler Überheblichkeit gekrönt zu erscheinen!« (Elisabeth von Thüringen. Herausgegeben und eingeleitet von Walter Nigg, Düsseldorf 1963, S. 116). So wie sie sich vor Gott verhielt, verhielt sie sich auch gegenüber den Untertanen. Im Büchlein über die Aussagen der vier Dienerinnen finden wir folgendes Zeugnis: »Sie griff [bei Tisch] nur zu, wenn sie wußte, daß die Speisen von den rechtmäßigen Gütern ihres Gemahls kamen… Sie verzichtete nicht nur auf unrechtmäßige Einkünfte, sondern sorgte auch nach Möglichkeit dafür, daß den ungerecht Behandelten Ersatz geleistet wurde« (ebd., S. 74 und 76). Ein wahres Vorbild für alle, die Führungsrollen bekleiden: Die Autorität muß auf jeder Ebene als Dienst an der Gerechtigkeit und an der Liebe ausgeübt werden, im unablässigen Streben nach dem Gemeinwohl.
Elisabeth übte unermüdlich Werke der Barmherzigkeit: Sie gab allen, die an ihr Tor klopften, zu trinken und zu essen, sie beschaffte Kleidung, beglich Schulden, sorgte für die Kranken und begrub die Toten. Oft stieg sie von ihrer Burg herab und ging mit ihren Dienerinnen in die Häuser der Armen, brachte ihnen Brot, Fleisch, Mehl und andere Nahrungsmittel. Sie übergab die Speisen persönlich und überprüfte aufmerksam die Kleidung und Bettstatt der Armen. Als dieses Verhalten ihrem Gemahl hinterbracht wurde, mißfiel es diesem jedoch ganz und gar nicht, sondern er antwortete den Anklägern sogar: »Laßt sie Gutes tun und für Gott geben, was sie mag! Erhaltet meiner Herrschaft nur die Wartburg und Neuenburg!« (ebd., S. 128). In diesem Zusammenhang ist das Wunder vom Brot, das zu Rosen wird, anzusiedeln: Als Elisabeth mit der Schürze voll Brot für die Armen die Straße hinunterging, begegnete sie ihrem Gemahl, und er fragte sie, was sie bei sich trug. Sie öffnete die Schürze, und anstelle des Brotes kamen wunderschöne Rosen zum Vorschein. Dieses Symbol der Nächstenliebe findet sich oft in den Darstellungen der hl. Elisabeth.
Ihre Ehe war zutiefst glücklich: Elisabeth half ihrem Gemahl, seine menschlichen Eigenschaften auf eine übernatürliche Ebene zu erheben, und er schützte im Gegenzug seine Gemahlin in ihrer Freigebigkeit gegenüber den Armen und in ihren Frömmigkeitsübungen. Ludwig bewunderte den großen Glauben seiner Ehefrau immer mehr und sagte in bezug auf ihre Fürsorge für die Armen zu ihr: »Liebe Elisabeth, es ist Christus, den du gewaschen und gespeist und für den du Sorge getragen hast.« Dies ist ein klares Zeugnis dafür, daß der Glaube und die Liebe zu Gott und zum Nächsten das Familienleben stärken und den Ehebund noch tiefer machen.
Das junge Paar fand geistlichen Beistand durch die Minderbrüder, die sich ab 1222 in Thüringen verbreiteten. Unter ihnen wählte Elisabeth Bruder Rüdiger als geistlichen Leiter. Als er ihr von der Bekehrung des jungen und reichen Händlers Franz von Assisi berichtete, erwachte in Elisabeth noch größere Begeisterung für ihren christlichen Lebensweg. Von jenem Augenblick an folgte sie mit noch größerer Entschlossenheit dem armen und gekreuzigten Christus nach, der in den Armen gegenwärtig ist. Auch als ihr erstes Kind geboren wurde, auf das später noch zwei weitere folgten, vernachlässigte unsere Heilige nie ihre Liebeswerke. Außerdem half sie den Minderbrüdern, in Halberstadt ein Kloster zu gründen, dessen Oberer Bruder Rüdiger wurde. So übernahm Konrad von Marburg Elisabeths geistliche Leitung.
Eine harte Prüfung war der Abschied von ihrem Gemahl Ende Juni 1227, als Ludwig IV. sich dem Kreuzzug Kaiser Friedrichs II. anschloß. Er erinnerte seine Gemahlin daran, daß dies eine Tradition der Herrscher von Thüringen war. Elisabeth antwortete: »Ich halte dich nicht zurück. Ich habe mich ganz Gott hingeschenkt, und jetzt muß ich auch dich hergeben«. Das Fieber raffte jedoch die Truppen hinweg, und auch Ludwig wurde krank und starb, bevor er an Bord gehen konnte, im September 1227 in Otranto im Alter von 27 Jahren. Als Elisabeth die Nachricht überbracht wurde, war sie davon so schmerzlich getroffen, daß sie sich in die Einsamkeit zurückzog. Dann aber, gestärkt vom Gebet und getröstet durch die Hoffnung, ihn im Himmel wiederzusehen, begann sie wieder, sich um die Herrschaftsbelange zu kümmern. Aber es erwartete sie eine weitere Prüfung: Ihr Schwager riß die Herrschaft über Thüringen an sich, indem er sich zum wahren Erben Ludwigs erklärte und Elisabeth anklagte, eine fromme Frau zu sein, die nicht fähig sei, die Herrschaft zu führen. Die junge Witwe wurde zusammen mit den drei Kindern von der Wartburg vertrieben und machte sich auf die Suche nach einer Unterkunft. Nur zwei ihrer Dienerinnen blieben bei ihr, begleiteten sie und vertrauten die drei Kinder der Obhut von Ludwigs Freunden an. Elisabeth zog von einem Dorf zum anderen. Sie arbeitete, wo immer sie Aufnahme fand, pflegte die Kranken, spann und nähte. Während dieses Leidensweges, den sie mit großem Glauben, Geduld und Gottvertrauen auf sich nahm, wurde sie durch einige Verwandte, die ihr treu geblieben waren und die Herrschaft des Schwagers als unrechtmäßig betrachteten, rehabilitiert. So bekam Elisabeth Anfang 1228 angemessenen Unterhalt und konnte sich auf den Sitz der Familie in Marburg zurückzuziehen, wo auch ihr geistlicher Leiter Konrad lebte. Er teilte Papst Gregor IX. folgendes mit: »Am Karfreitag … legte sie ihre Hände auf den Altar einer Kapelle ihrer Stadt, die sie den Minderbrüdern übergeben hatte, und verzichtete in Gegenwart einiger Brüder auf Eltern und Kinder und auf den eigenen Willen, auf allen Glanz der Welt. … Als sie nun auch auf ihren Besitz verzichten wollte, hielt ich sie zurück … wegen der Armen, denen sie … Almosen spenden sollte… Dort erbaute sie in der Stadt [Marburg] ein Hospital und gewährte darin Kranken und Schwachen Aufnahme. Die Elendsten und Verachtetesten setzte sie an ihren eigenen Tisch, und als ich sie deshalb tadelte, erwiderte sie mir, sie empfange von ihnen sonderliche Gnade und Demut« (Epistula magistri Conradi, 14–17; in ebd., S. 63).
Wir können in diesen Worten eine gewisse mystische Erfahrung erkennen, die der des Franz von Assisi ähnlich ist: Der »Poverello« von Assisi sagte nämlich in seinem Testament, daß durch den Dienst an den Aussätzigen das, was ihm vorher bitter vorkam, in Süßigkeit der Seele und des Leibes verwandelt wurde (Testamentum, 1–3). Elisabeth verbrachte die letzten drei Jahre in dem von ihr gegründeten Hospital, wo sie den Kranken diente und bei den Sterbenden wachte. Sie versuchte stets, die niedrigsten Dienste und abstoßende Arbeiten zu verrichten. Sie wurde das, was wir als geweihte Frau in der Welt (»soror in saeculo«) bezeichnen könnten und bildete zusammen mit einigen Freundinnen, die grau gekleidet waren, eine Schwesterngemeinschaft. Nicht ohne Grund ist sie die Patronin der Regulierten Franziskaner-Tertiaren (TOR) und der Franziskanischen Gemeinschaft (OFS).
Im November 1231 bekam sie hohes Fieber. Als sich die Nachricht von ihrer Krankheit verbreitete, kamen sehr viele Menschen, um sie zu sehen. Nach etwa zehn Tagen bat sie darum, die Tore zu schließen, um allein zu bleiben mit Gott. In der Nacht auf den 17. November entschlief sie sanft im Herrn. Aufgrund der zahlreichen Zeugnisse von ihrer Heiligkeit sprach Papst Gregor IX. sie nur vier Jahre später heilig, und im selben Jahr wurde die schöne Kirche geweiht, die ihr zu Ehren in Marburg erbaut wurde.
Liebe Brüder und Schwestern, in der Gestalt der hl. Elisabeth sehen wir, wie der Glaube, die Freundschaft mit Christus den Sinn für Gerechtigkeit, für die Gleichheit aller Menschen, für die Rechte der anderen hervorbringen, wie sie Liebe, Nächstenliebe hervorbringen. Und aus dieser Liebe entsteht auch die Hoffnung, die Gewißheit, daß wir von Christus geliebt werden und daß die Liebe Christi uns erwartet. Sie macht uns fähig, Christus nachzuahmen und Christus in den anderen zu sehen. Die hl. Elisabeth lädt uns ein, Christus neu zu entdecken, ihn zu lieben, Glauben zu haben und so die wahre Gerechtigkeit und die Liebe zu finden, ebenso wie die Freude, daß wir eines Tages hineingenommen werden in die göttliche Liebe, in die Freude der Ewigkeit bei Gott. Danke.
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