Pater Kraschl: Der politischen Instrumentalisierung des Glaubens wehren

24. November 2022 in Kommentar


Frag den Theologen – „Die Versuchung, die Religion vor den Karren der Politik zu spannen, hat es zu allen Zeiten gegeben.“


Salzburg (kath.net/Antonius) kath.net übernimmt den Beitrag von Pater DDr. habil. Dominikus Kraschl OFM aus dem „Antonius“ in voller Länge und dankt der Zeitschrift der österreichischen Franziskaner für die freundliche Erlaubnis zur Weiterveröffentlichung.

Sehr geehrter P. Dominikus, im Sommer bezeichnete ein katholischer Publizist in den USA Gläubige, die offensiv den Rosenkranz beten, als "rechtsgerichtet". Vor einigen Jahren schwenkte ein Politiker in Italien bei einer Kundgebung ostentativ einen Rosenkranz und erntete dafür Kritik. Es sind gewiss nicht alle Rosenkranzbeter politisch bedenklich, aber wer definiert die Grenze zum Untragbaren, und wo liegt sie? Peter A. (64), Bruck a. d. M.

P. Dominikus: Sie sprechen die Problematik der Aneignung religiöser Symbole durch Vertreter der Politik und ihre Verzweckung für politische Interessen an. Allgemeiner gesprochen handelt es sich um die Versuchung, die Religion vor den Karren der Politik zu spannen. Diese Versuchung hat es zu allen Zeiten gegeben.

Sie stellen die Frage nach der Grenze zwischen berechtigter Kooperation und unverantwortlicher Instrumentalisierung. Eine differenzierte Antwort bedürfte einer Klärung der Aufgaben von Politik und Religion sowie des Verhältnisses beider.

Von der Theokratie bis hin zum Laizismus

Das Spektrum möglicher Verhältnisbestimmungen ist breit. Es reicht vom theokratischen bis hin zum laizistischen Staatsmodell. Theokratische Staaten (wie der Iran) erachten Religion und Politik als unauflösliche Einheit. Nach diesem Modell sind es religiöse Größen, die politische Herrschaft legitimieren. Hingegen verfolgen laizistische Staaten (wie Frankreich) eine strikte Trennung von Politik und Religion. Dabei wird der politische Raum als religionsfreier Raum aufgefasst. Man könnte sagen: Während im ersten Fall der Eigenlogik der Bereiche von Religion und Politik zu wenig Rechnung getragen wird, drohen im zweiten Fall die Wechselbeziehungen und Verflechtungen zwischen beiden unterbelichtet zu bleiben.

Der dritte Weg jenseits von Vermischung und Trennung

Es kommt deshalb nicht von Ungefähr, dass moderne Staaten in der Regel einen dritten Weg jenseits von Trennung und Vermischung eingeschlagen haben. Dieser Weg setzt geklärte Rollenverständnisse voraus. So bedingt die Eigenständigkeit der beiden Bereiche etwa, dass Politiker sich nicht in die Belange der Religionen einmischen und Geistliche auf der Kanzel nicht Wahlkampf betreiben sollen. Die Verflechtungen der beiden Bereiche bedingen hingegen, dass Staatsbürger auch religiös konnotierte Überzeugungen, Normen und Werte in den gesellschaftspolitischen Diskurs einbringen können.

Eine Schnittstelle zwischen Religion und Politik sind fundamentale Normen und Werte, wie sie in den Menschenrechten zum Ausdruck kommen. Sie bilden nicht nur die Grundlage unseres Zusammenlebens, sondern auch des demokratischen Verfassungsstaats westlicher Tradition. Dieser achtet und schützt sie als ihm vorausliegendes und ihn ermöglichendes Fundament. Wenn es um die Rechtfertigung der Normen und Werte geht, die in den Menschenrechten kodifiziert sind, dann können auch religiöse Denk- und Begründungsfiguren in den gesellschaftspolitischen Diskurs eingebracht werden.

Rollenklarheit

Die Frage ist so gesehen nicht, ob Politiker zu Fragen der Religion und Geistliche zu Fragen der Politik Stellung nehmen dürfen. Die Frage ist vielmehr, wie das im Rahmen der übernommenen Aufgabe und Rolle angemessen getan werden kann. Die Aufgabe von Politikern ist ja nicht etwa die Verkündigung des Evangeliums und die Aufgabe von Geistlichen nicht, Wahlpropaganda zu betreiben. Gleichwohl kann und darf Politik vom christlichen Glauben her inspiriert sein oder eine Predigt die Vereinbarkeit politischer Überzeugungen und Entscheidungen mit christlichen Glaubensüberzeugungen thematisieren.

Grenzüberschreitungen kritisieren

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Die Grenze zwischen berechtigter Kooperation und unverantwortlicher Instrumentalisierung ist nicht leicht zu ziehen. Sie ergibt sich nicht zuletzt aus der relativen Autonomie der Bereiche von Politik und Religion und ihrer Funktion innerhalb eines Staatswesens. Grenzüberschreitungen lassen sich in einem demokratischen Verfassungsstaat zwar nur schwer sanktionieren; gleichwohl lassen sie sich kritisieren. Und gewählte Repräsentanten des Volkes können in einer Demokratie Gott sei Dank auch wieder abgewählt werden.


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