„Brauchen wir eine weitere protestantische Modernisierungspastoral?“

29. November 2022 in Kommentar


„Die protestantische Moment-Kirche segnete eine flotte Dreier-Beziehung von Heiden“ – Aber auch „das von Papst Franziskus eingesetzte Synodensekretariat nennt polygame Beziehungen ‚Ehe‘“. Gastkommentar von Hubert Hecker


Köln (kath.net) Die Protestanten standen schon immer in der ersten Reihe, wenn es um die Anpassung des christlichen Glaubens an die herrschenden Zeitgeistströmungen ging.

Schleiermacher verdampfte das christliche Credo zum Menschheitsglauben …

Als zum Ende des 18. Jahrhunderts die Aufklärer Fundamentalkritik an Glauben, Religion und Kirche übten, war es der protestantische Theologe Friedrich Schleiermacher, der mit seiner Schrift „Über die Religion“ den christlichen Glauben „auf ein für die Aufgeklärten zumutbares Maß eindampfte“. Das erklärte kürzlich Martin Grichting in einem Tagespostartikel vom 6. 10. 2022. Schleiermacher reduzierte Religion auf „Sinn und Geschmack für das Unendliche, wobei Gott und die Unsterblichkeit nicht die Angel und Hauptstücke der christlichen Religion“ seien. In seiner Konzeption hatten

• „die Selbstoffenbarung Gottes,

• das Ein-für-allemal des Gottmenschen Jesus Christus sowie

• die bindende Gültigkeit der Heiligen Schrift keinen Platz mehr“.

Für den Aufklärer war es ein harter und unwürdiger Dienst, zu glauben und anzunehmen, was ein anderer gesagt und getan habe – und sei es Gott selbst und sein Sohn. Denn jeder aufgeklärt Denkende sei selbst ein neuer Priester, ein neuer Mittler, ein neues Organ und könne einen offenbarenden Beitrag leisten zu den Schätzen der Religion. Dagegen seien es dürftige Nachbeter, die sich hauptsächlich an die Heilige Schrift hielten. Denn jede heilige Schrift sei nichts als ein Mausoleum eines vergangenen großen Geistes und insofern eine tote Schrift.

Schleiermacher forderte nichts weniger als eine anthropologische Wende im theologischen Räsonieren: Statt der Gottesorientierung und einer den Menschen bindenden Offenbarung müsse der Mensch erst die Menschheit gefunden haben. Zur Menschheit also lasst uns hintreten, da finden wir Stoff für die Religion.

… und seine deutsch-synodalen Nachbeter folgen ihm

Der Schweizer Martin Grichting sieht die deutschen Kirchen- und Laienvertreter auf dem Synodalen Weg in Schleiermachers Fußstapfen zum Religions-Nirwana pilgern. Die Parallelen sind tatsächlich unübersehbar: Die Synodalen lassen sich ebenfalls nicht durch die scheinbar beengenden Aussagen der Heiligen Schrift und die als zeithistorisch abgewerteten Weisungen Christi binden. Ihre Maxime lautet: Was Offenbarung ist, das bestimmen wir selbst und sehen sie vor allem in den Zeitzeichen aktualisiert.

In diesem Fall arbeiten sich die katholischen Synodalen an einem 200 Jahre alten Rezept ab, um im Zeitalter der Postmoderne ihren Glauben an die Trends der vergangenen aufgeklärten Moderne anzupassen.

Bei den protestantischen Gemeinschaften im 19. Jahrhundert wurden die zeitgeistnivellierenden Ansichten Schleiermachers noch nicht breitflächig angenommen. Erst im 20. Jahrhundert setzte sich die anthropologische Wende in der protestantischen Theologie und Kirchenpraxis durch, die wegführt von Offenbarung und Gottesglauben.

Den Kundenwünschen angepasste Pastoral …

Aktuell gibt es hypermoderne Anpassungsprojekte an der protestantischen Pastoralfront, die den Menschenglauben Schleiermachers konsequent zu Ende führen. Schon seit einiger Zeit experimentieren evangelische Landeskirchen mit niederschwelligen Segensangeboten. In der bayrischen Landeskirche ist eine „Servicestelle Segen“ eingerichtet, in Berlin eine „Vermittlungsagentur für deine Segenswünsche“ und in der Nordkirche eine Stelle mit dem Namen „Segensreich“.

Mit diesen Projekten bemühen sich die Protestanten, die kirchlichen Angebote zu den sogenannten Passageriten wie Taufe, Trauung und Trauerfeiern attraktiver zu machen. Denn bei diesen kirchlichen ‚Kasualien‘ ist die Nachfrage der Kirchenmitglieder drastisch eingebrochen. Es gibt inzwischen einen wachsenden Ritualienmarkt, auf dem konkurrierende Dienstleister freie Trauungen, säkulare Trauerfeiern und weltliche Willkommensritualen für Neugeborene anbieten. Angesichts der professionellen Ritualienkonkurrenz sehen sich die Landeskirchen veranlasst, diesbezüglich ihre Kundenwunschorientierung zu optimieren. „Gemeinsam ist all diesen Projekten, dass sie den Wünschen nach einer individuellen Gestaltung von Kasualien entgegenkommen wollen“, heißt es in einem FAZ-Artikel vom 31. 10. 2022. Der Trend geht bei der Gestaltung der Passagefeiern hin zu dem Prinzip einer Wünsch-dir-was-Kirche. Die kirchlichen Dienstleister passen sich auch bei ihrer Aquisition von Kunden der weltlichen Konkurrenz an. Ihre Eingangsfragen lautet: Wie hätten Sie denn gerne ihre Taufe/Trauung/Trauerfeier? Oder: Was können wir für Sie tun?

Ein neues Projekt in Hamburg setzt den kundenorientierten Ansatz von Anfang an konsequent um. Schon für die Namensgebung wurde eine professionelle Marketingagentur eingeschaltet. Die hat nach Befragungen von potentiellen Nutzern die „googleoptimierte Idee“ zu dem Namen „St. Moment“ kreiert. Das mit dem ‚St. - Sankt‘ soll entfernte Anklänge an etwas Kirchliches vorgaukeln. Der Moment-Name spielt darauf an, die besonderen Lebensmomente der Kunden mit einer Feier nach eigenen Vorstellungen irgendwie einzurahmen oder zu dekorieren.

… als hemmungslose Eventisierung

Ein Hamburger Paar wollte ihre Tochter unbedingt im Freien mit Elbwasser taufen lassen, jedenfalls nicht in der Kirche.  Der Projekt-Pfarrer von St. Moment war offen dafür, die Gestaltung des Taufrituals den Wünschen der Klienten zu überlassen, selbstverständlich auch ohne ein religiöses Lied oder gar ein Kirchenlied, das die Taufe als christlich markiert.

Wird durch solche hemmungslose Eventisierung nicht die christliche Tradition ausverkauft, fragt der FAZ-Redakteur. Nein, antwortet die Event-Pfarrerin. Es sei eben ihr Job, wenn jemand zu der Taufe ein Hip-Hop-Song aussucht, irgendeinen Bezug zum Glauben herzustellen.

„Neben dem individualisierten Tagesgeschäft hat die Kasualagentur auch ein Eventgeschäft entwickelt“, heißt es in dem FAZ-Bericht. Bei einer nächtlichen Schifffahrt über die Alster zum Beispiel wird in zwangloser Atmosphäre Gelegenheit zu Taufen, Trauungen und Segnungen angeboten. „Das ist etwas Besonderes“, erläutern die beiden Event-Pfarrer ihr Ritualienentertainment. „Es funktioniert ohne viel Geld, fühlt sich aber nicht wie eine Arme-Leute-Trauung an“ – kirchliche Angebote im Discount.  

Der Einwand, dass man mit solchen Anbiederungsmethoden allenfalls Laufkundschaft erreicht, ist zwar richtig. Aber diese Kundenkategorisierung trifft schon lange für die meisten anderen kirchlichen Kasualien ebenfalls zu, bei der auf die Verbindlichkeit des Glaubens und die Bindung an die Kirche keinen Wert gelegt wird.  

„Und wo verläuft die Linie, hinter der die Flexibilität der Kirche zur Selbstverleugnung wird?“ Das sei schwer zu sagen, sinniert die progressive Kirchenfrau, die stolz ihren total tätowierten Arm Kamera und Kunden entgegenhält. Vor einigen Jahren hätte mal eine Frau bei ihr als Pfarrerin angefragt, „ob man die Trauung so gestalten könnte, dass der Ehemann vom kirchlichen Charakter nichts mitbekomme“. Sie habe damals abgelehnt. Das bedauert sie heute. Denn in St. Moment möchte sie über wirklich jeden Gestaltungswunsch der Anfrager sprechen und bei weitestgehender Akzeptanz auch die kirchliche Form opfern oder unkenntlich machen. Die Pfarrerin erklärte, dass sie eine Hochzeit für eine Dreierbeziehung gestaltet habe, bei der keiner der Beteiligten Kirchenmitglied war“.

Die beiden letzten Beispiele offenbaren den Trend der protestantischen Modernisierungspastoral:

• Aus der Logik der anthropologischen Wende der Theologie folgt, ‚des Menschen Willen als sein Himmelreich‘ zu akzeptieren und in der Bestärkung der menschlicheb Wünsche den Weg zum Heil zu erwarten.

• Bei diesem Ansatz sind die zentralen christlichen Lehrinhalte wie das Credo an Gott und Jesus Christus sowie die biblische Offenbarung und Sündenvergebung überflüssig bzw. störend geworden.

• Glauben und Glaubensbekenntnis zu Schöpfung, Erlösung, Auferstehung und Gericht, die konstitutiv sind für die Wirksamkeit der Taufe und das christliche Leben, werden entsorgt.

• Auch die christlichen Grundwerte wie die Einehe, eheliche Liebe und Treue hat man über Bord geworfen.

• Das Spezifische der christlichen Sakramente, mit äußeren Handlungen bzw. Worten eine innere Wandlung und Wirkung zum neuen Menschen in Christo anzuzeigen, ist zugunsten eines säkularen Bestätigungsrituals aufgegeben worden.

• Im Ergebnis bedeuten die Eventkirchen eine komplette Selbstauflösung der Kirche zugunsten einer säkularen Ritualienagentur mit Aktions-Angeboten aus der Insolvenzmasse der christlichen Tradition, die aber nur dekorativen Charakter haben.

Protestantischer Segen auch für Scheidung, Outing und Geschlechtsumwandlung

Wenn man glaubt, dass mit St. Moment und der Segnung einer amourösen Dreierbeziehung von Heiden der End- oder Tiefpunkt der protestantischen Säkularisierungspastoral erreicht sei, wird man von der Berliner „Vermittlungsagentur für deine Segenswünsche“ eines Besseren belehrt. Die drei Pfarrerinnen schreiben auf ihrer Homepage:

„Wir vom Segensbüro sind davon überzeugt, dass neben den großen Übergängen und Festen des Lebens auch alles dazwischen segenswert ist: …  die erste große Liebe, das Leben als Patchwork- und Bonusfamilie, Trennungen oder Scheidungen, die Menopause, ein geplantes Outing vor Familie und Freunden, eine bevorstehende oder durchgeführte Geschlechtsangleichung und das damit einhergehende neue Leben  …“

Bischof Bätzing hechelt auf dem Synodalen Weg den Protestanten hinterher

Wie schon oben gesagt, begannen in den letzten Jahrzehnten auch aufgeklärte katholische Kirchenleute, den bejammerten Modernisierungsrückstand zu den Protestanten aufzuholen. Die anthropologische Wende in der Theologie hatte schon der Jesuit Karl Rahner verkündet und praktiziert. Seit einigen Jahren versuchen nun Theologen, Bischöfe und Laien, nach protestantischem Modell die katholische Kirche in einer Wünsch-Dir-was-Institution umzumodeln. Den Anfang machte Bischof Bätzing im Bistum Limburg. 2019 ließ er auf mehreren Veranstaltungen geschiedene wiederverheiratete und homosexuelle Paare auftreten, die ihre Wünsche nach Akzeptanz und kirchlichem Segen für ihre sexuellen Paarbeziehungen einforderten. Bischof Bätzing zeigte sich beeindruckt von diesen arrangierten Wunschäußerungen: „Diesen Wünschen müssen wir uns als Kirche stellen.“ Er versprach den Betroffenen gleich welchen Geschlechts und ehelichem Status‘, sich für die Änderung der katholischen Lehre und Rechtspraxis einzusetzen. Und wo ein bischöflicher Wille ist, da findet man auch einen Synodalen Weg zur Wunscherfüllung. Das Forum IV und die Vollversammlung haben inzwischen mit großer Mehrheit beschlossen, gegen Schrift, Tradition und Lehramt die kirchliche Lehre zu Ehe und Familie radikal zu ändern, um sie an die moderne Lebenswirklichkeit und Wunschwelt anzupassen, damit alle lieben Liebenden (und auch die onanierenden Selbstliebenden) mit ihren sexuellen Wunschphantasien in einer inklusiven Kirche geliebt und gesegnet würden.

Dieser grundstürzende Lehrbeschluss ist zwar von einer satzungsgemäßen Sperrminorität der Bischöfe vorläufig zu Fall gebracht worden, das hindert aber Bischof Bätzing nicht daran, den abgelehnten Beschluss in seinem Bistum als kirchliche Lehrmeinung zu praktizieren sowie in den römischen synodalen Prozess einbringen zu wollen. Dazu gibt es sogar Anknüpfungspunkte.

Die römische Synode schickt sich an, die Protestanten links zu überholen

Bei der Vorstellung des Arbeitsdokuments für die erste Phase der römischen Bischofssynode für Synodalität ließ der Sekretariatsvorsitzende Kardinal Grech einige Grundsätze verlauten:

Die Kirche sollte durch Zuhören lernen. Wem zuhören? Allen Menschen, besonders aber denen, die sich durch Kirche und Bibel mit ihren Interessen und Wünschen „nicht ausreichend anerkannt fühlen“. Im Paragraf 39 des Arbeitsdokuments wird das konkretisiert: Die Kirche sollte zuhören, dialogisieren und einen einladenden Raum bieten für alle, deren „eigene liebevollen Beziehungen“ im Widerspruch zur kirchlichen Lehre stehen wie „Geschiedene, Wiederverheiratete, Alleinerziehende, Menschen, die in einer polygamen Ehe leben, LGBTQ-Personen usw.“.

Das von Papst Franziskus eingesetzte Synodensekretariat scheint von allen guten katholischen Geistern verlassen, wenn sie polygame Beziehungen „Ehe“ nennt. Die protestantische Moment-Kirche segnete eine flotte Dreier-Beziehung von Heiden. Der Vatikan will nun das protestantische Laissez-faire verdoppeln bzw. links überholen, indem die Bischofssynode ernsthaft über polyamouröse Ehen unter Christen dialogisieren soll. Und dann dies „usw.“ – etwa den Kinderliebenden in ihrem Streben nach Akzeptanz zuhören? Mit gleichgeschlechtlich Liebenden über deren Wünsche nach Kinderadoption durch Leihmutterschaft dialogisieren? Über die Menschlichkeit von Abtreibungskillern reden? Oder mit selbsterklärten Transmenschen über Geschlechtsverstümmlung wohlwollend sprechen? Anything goes – und die katholische Lehre in die Mülltonne?

Mit einem solchen irren Programm hat die römische Bischofssynode schon in der Anfangsphase jede katholische Seriösität verloren. Man kann nur hoffen, dass sich viele Bischöfe dem Protest des holländischen Weihbischofs Robert Mutsaerts anschließen und um Gottes Willen aus dem Synodalen Verirrungsprozess aussteigen.

Denn der weltlich-heidnische Ansatz, primär die Bedürfnisse und Wünsche der fernstehenden kirchlichen Laufkundschaft befriedigen zu wollen oder Erfüllungsgehilfe für den Willen und die Interessen der Menschen zu sein, steht im fundamentalen Gegensatz zum Auftrag der Kirche. Der biblisch-christliche Auftrag besteht darin, zuerst nach dem Willen Gottes zu fragen, auf sein Wort in der Schrift zu hören, Christi erlösendes Wirken zu betrachten und sich in der Nachfolge zu heiligen. Nur im Primat der (Selbst-)Evangelisierung, erfüllt und gedrängt von der Liebe Christi (2 Kor 5,14), werden Christen und Kirche den Menschen den Weg des Heils zeigen können.


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