30. November 2022 in Kommentar
"Diese fanatischen Aktivisten der „Letzten Generation“, die nachweislich keine Berührungsängste zu linksradikalen Strömungen und Netzwerken haben... und ganz offen einen Umsturz des politischen Systems fordern..." Ein Gastkommentar von Jürgen Henkel
Bonn (kath.net/Quartalsschrift "Auftrag und Wahrheit"/jh) Ja: Jesus hat Zöllner besucht und mit ihnen Tischgemeinschaft gepflegt, er hat sich mit Sündern und Aussätzigen abgegeben. Und ja: Es ist gut, wenn die Kirche sich Außenseitern gegenüber offen und gesprächsbereit zeigt und sich zur Stimme der Schwachen in der Gesellschaft macht. Was die EKD-Synode allerdings jüngst in puncto „Letzte Generation“ vorgeführt hat, hat mit dem Handeln Jesu Christi freilich nichts mehr zu tun. Denn Beifall für Straftäter fällt nicht unter die Nachfolge Christi. Zu den weltweiten Christenverfolgungen, zu den Abtreibungen in Deutschland und auf der ganzen Welt, zur Abschaffung des § 219 a) hört man wenig bis nichts vom evangelischen „Kirchenparlament“ in Deutschland. Tosender Jubel schallt dem staunenden Publikum aber aus dem Plenum entgegen, wenn die EKD-Synode Klimastraftätern – verharmlosend „Klimaaktivisten“ oder „Klimakleber“ genannt – ein Podium bietet und diese dort unter enthusiastischem Applaus der Synode ihre Straftaten und Rechtsverstöße von Sachbeschädigung über Nötigung bis zum gefährlichen Eingriff in den Straßen- und neuerdings auch Flugverkehr zur legitimen Form des Widerstands (v)erklären. Nur zur Erinnerung: Jesus hat Besessenen nicht applaudiert, sondern sie geheilt. Und politische Fanatiker sind Besessene.
Gegen wen oder was protestieren diese wohlstandsverwöhnten „Klimaaktivisten“ in ihrem spätpubertären Herostratentum eigentlich? Die GrünInnen bestimmen die politische Agenda in Deutschland seit gut 30 Jahren. Die frühere Kanzlerin und ehemalige FDJ-Sekretärin A. Merkel hat 18 Jahre lang die einst so stolze und erfolgreiche Union durch Vergrünung inhaltlich verschrottet und wahlprozentual verzwergt und 16 Jahre lang auf CDU-Ticket linksgrüne Politik im Kanzleramt betrieben. Mit dem Ergebnis, dass die Union heute im 20-Prozent-Keller festklebt und dafür die AfD im Bundestag und fast allen Landesparlamenten sitzt. Die Grünen wiederum mussten sich nach dem Regierungswechsel 2021 erst einmal daran gewöhnen, dass sie nicht mehr die Kanzlerin stellen…
Auch die Medien eignen sich seit bald 40 Jahren die Themen der Grünen an und betreiben Volksmission für deren Anliegen und Ansichten. Keine Partei in Deutschland wurde je medial so hofiert wie die Grünen. Bei einer Studie von 2020 bekannten sich 92,2 Prozent der Volontäre der mit den Zwangsgebühren aller finanzierten und heute krisengeschüttelten öffentlich-rechtlichen ARD zu Grünen, Linken und SPD, und zwar in dieser Reihenfolge: 57,1 Prozent würden grün wählen, 23,4 Prozent die Linken und 11,7 Prozent die SPD. Das ergäbe ein Dreiparteienparlament, denn alle anderen Parteien würden an der Fünfprozenthürde scheitern (z. B. Union 3,0 %; FDP 1,3%; Quelle: Journalist, Nr. 11/2020, S. 36-41). Noch Fragen zum ARD-Tendenzbetrieb? Die Zukunft der linksgrünen Meinungseinfalt ist damit nachhaltig gesichert; beim ZDF und auch im Print dürfte es derzeit nicht viel anders aussehen.
Die universitäre und akademische Landschaft hinwiederum ist ebenfalls gender-, queer-, migrations-, klima-, diversity- und ökoideologisch schon längst auf grüner Linie. Damit das alles auch „unten“ – wie eine BR-Moderatorin (und frühere Grünen-Politikerin) jüngst einmal das genderspracheresistente Volk nannte (Quelle: https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/sie-wollten-schueler-ueberzeugen-bayerischer-rundfunk-blamiert-sich-mit-gender-s-80835142.bild.html) – ankommt, dafür sorgen mit demnächst (ab dem Jahr 2023) 200 Millionen Euro jährlich über das Bundesfamilienministerium finanzierte staatliche (Um)Erziehungsprogramme unter den Labels „Demokratie leben“ und „Kampf gegen Rechts“ (und alles, was nicht links ist). Dies flankiert die einseitige öffentlich-rechtliche mediale politpädagogische Dauerberieselung. Selbst lokale Volkshochschulen bieten mittlerweile Workshops an, um die „richtige“ Gesinnung im Volk nachhaltig zu implementieren und allen die dazu notwendigen Sprachspiele und Sprechweisen beizubringen mit dem Ziel, vor allem „rechtspopulistische“ und verschwörungstheoretische – auf jeden Fall nicht-linke – Gesprächspartner in der Familie, im Freundes-, Bekannten- und Kollegenkreis, am Stammtisch und in der Nachbarschaft buchstäblich eines Besseren zu belehren und zu bekehren und deren Meinungen gekonnt zu widerlegen. Solche Blockwart-Kurse für betreutes Denken und Sprechen werden staatlich gesponsert. Also eigentlich alles „im grünen Bereich“ in unserer heutigen BRDDR.
Gegen wen richtet sich dann der Protest dieser Klimakleber und Verkehrslahmleger, Straßen- und Flughafenblockierer, dieser Wandbeschmutzer und Kunstbesudler überhaupt? Eigentlich müssten sich diese Pattex-Fans im Blick auf die Hauptverursacher der CO2-Emissionen vor den Einfahrten zu den Botschaften Chinas, der USA, Indiens und Russlands festkleben. Allein die drei erstgenannten verursachen die Hälfte der weltweiten CO2-Emissionen (Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/179260/umfrage/die-zehn-groessten-c02-emittenten-weltweit/). Aber dazu fehlt wohl der Mumm. So treffen die nicht nur selten dämlichen, sondern auch höchst infantilen Klebe- und Blockadeaktionen jedenfalls in erster Linie die arbeitende, steuerzahlende, werktätige Bevölkerung des eigenen Landes. Und damit die Menschen und Generationen, die Deutschland aufgebaut haben, den Staat Tag für Tag am Laufen halten und jenen Wohlstand erst geschaffen haben, von dem diese selbsternannte „Letzte Generation“ als Nachwuchs bis heute zehrt. Deren Selbstinszenierungen und die sich darin manifestierende apokalyptisch-messianische Vermessenheit und maßlose Selbstüberschätzung sind an Hybris jedenfalls kaum zu toppen.
Wenn die EKD-Synode und die Präses Anna-Nicole Heinrich sich nun im Rahmen einer offiziellen Sitzung nicht mehr nur mit der Umweltbewegung im Allgemeinen, sondern sogar mit diesen radikalen Gruppen solidarisieren und diesen kritiklos und begeistert zujubeln, wenn deren nachweislich straffällige „Aktionen“ als legitime und sogar zu unterstützende Formen des „zivilen Widerstands“ wahrgenommen, befürwortet und verteidigt werden, dann sind die Maßstäbe völlig verschoben. Unvergessen bleibt im Gegenzug die massive auch kirchliche Kritik an friedlichen Demonstrationen und Spaziergängen gegen die Corona-Restriktionen und die Beschimpfung jener Demonstranten und Spaziergänger als „Covidioten“. Hier wird je nach Thema mit zweierlei Maß gemessen. Im Falle der Klimastraftäter findet allerdings nicht mehr christliche (Sozial)Ethik in ökologischer Weltverantwortung statt, sondern nur noch Kuscheln und Kungeln unter Weltrettern und undifferenzierter Schulterschluss mit Gleichgesinnten nach dem Motto: „Der Zweck heiligt die Mittel!“ Ein solcher Debilutilitarismus sollte aber nie Grundlage kirchlich vertretener ethischer Positionen sein.
Längst sind es nicht mehr (nur) die Kirchensteuern, die Menschen zu hunderttausenden jährlich aus den beiden deutschen Großkirchen treiben, sondern auch jener massiv einseitige Politsprech, den die beiden großen deutschen Kirchen seit langem praktizieren und vorführen und auch immer mehr an die Stelle der Verkündigung des Wortes Gottes setzen. Eine Kirche macht sich allerdings selbst überflüssig, wenn sie nur noch als Arbeitskreis der Grünen im vorpolitischen Raum wahrgenommen wird; wenn sie nur noch die Welt retten will, aber nicht mehr die Seelen; wenn sie nur noch das Diesseits im Blick hat (und auch hier nur bestimmte Themen und Anliegen) und darüber das Jenseits aus dem Auge verliert. Politische Forderungen werden moralisch wie pathetisch überhöht und im pastoralen Tonfall tiefster Betroffenheit dem regulären demokratischen Diskurs und Prozess sowie der meist komplizierten Mehrheitsfindung mit hehrem Anspruch entrückt, um jede Kritik daran im Keim zu ersticken.
Die Kirche verliert darüber ihre geistliche Autorität und ihre spirituelle wie existenzielle Relevanz für die Menschen – und auch für die Gesellschaft. Wenn die Kirchen wie grüne NGOs daherkommen oder wie Parteien auftreten, dann werden sie ein austauschbarer Akteur und verwechselbarer Player unter vielen, dann verdrängen, verleugnen und verspielen sie vor allem den ganz besonderen – geoffenbarten und auch kerygmatisch so entscheidenden – Mehrwert ihrer Botschaft: die Transzendenz, das Reich Gottes, ja schlicht das Himmelreich und das „Evangelium“ im wahrsten Sinne des Wortes – die gute Nachricht von der Erlösung in Jesus Christus! Das Heil kommt für die Menschen wie für die nach Erlösung seufzende Schöpfung (vgl. Röm 8,18-22) nämlich von Christus allein, nicht von Asphaltklebern und Kunstschändern oder sonstigen „Aktivisten“ und „Influencern“. Auch das bedeutet „solus Christus“! 1968 sagte der Schweizer Theologe Karl Barth – so wird überliefert – zu seinem Freund Eduard Thurneysen in der Nacht vor seinem Tod: „Ja, die Welt ist dunkel. .... Nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn es wird regiert, nicht nur in Moskau oder in Washington oder in Peking, sondern … hier auf Erden, aber ganz von oben, vom Himmel her!“ Das war bereits 1968, vor über 50 Jahren. Lange ist’s her. Aber aktuell wie nie, auch im Blick auf die genannten Hauptstädte.
Bei kaum einem anderen Thema freilich feiert die vom Luthertum doch offiziell theologisch so geächtete „Werkgerechtigkeit“ überdies so „fröhliche Urständ“ wie beim Thema Umweltschutz und Klimarettung. Dabei war der Ruf Jesu Christi zu Buße und Umkehr kein politischer Ruf zu weltlichem Aktionismus, sondern zielte auf das Seelenheil und die Erneuerung der persönlichen Beziehung zum in Jesus Christus der Welt offenbarten Gott. Denn das Reich Christi und auch unser Reich sind nicht von dieser Welt: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir!“ (Hebr 13,14) In allem gilt der Ruf des Paulus: „Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist!“ (Kol 3,2)
Bei dieser kirchlichen Anbiederung an die sog. „Umweltaktivisten“ und Ökoapokalyptiker der „Letzten Generation“ ersetzt mittlerweile eine blinde Gesinnungsethik jede Form der – gesellschaftspolitisch und demokratiepraktisch sinnvollen und legitimen sowie im Sinne aller applizierbaren – Verantwortungsethik. Parteiübergreifend kritisieren Politiker diese Gruppen und Aktivisten auf das Schärfste, selbst Politiker wie die SPD-Innenministerin Nancy Faeser, die als dezidierte Parteilinke keineswegs rechter Gesinnung verdächtig ist. Und auch einige Medien, die diese nicht als Klimakleber verharmlosen, üben mittlerweile klare Kritik. Merken diese EKD-Synodalen eigentlich nicht, wie weit sie mittlerweile von der Lebenswirklichkeit, den Alltagssorgen und dem Denken der Normalbürger abgehoben, entfernt und entrückt schweben? Geradezu wollüstig stellt sich die evangelische Kirche wieder einmal gegen das gesunde Volksempfinden und die vox populi, wie schon bei den Themen Gendersprache und Zuwanderung. Und dann herrscht große Ratlosigkeit, warum jährlich hunderttausende aus dem Kirchenvolk der Kirche den Rücken kehren. Schauen diese Synodalen noch irgendwann „dem Volk auf‘s Maul“, wie dies einst Gevatter Luther für die Kirche so schön formuliert und gefordert hat – und das im Idealfall ungefiltert von der deutschen medialen Bundeseinheitsmeinungsindustrie?
Diese (g)eifernden Gruppen und fanatischen Aktivisten der „Letzten Generation“, die auch nachweislich keine Berührungsängste zu linksradikalen Strömungen und Netzwerken haben und seit Greta Thunbergs Schulschwänzer-Aktionen teilweise ganz offen einen Umsturz des politischen Systems fordern und ihre ganz persönliche Sicht auf den Klimawandel zum alleinigen Maßstab für gut und böse erklären, brauchen keine kirchlichen Claqueure und Standing Ovations für ihre Haltungen und Aktionen, sondern seelsorgerlichen Beistand, damit die verirrten Seelen wieder zurückfinden von ihrem Ego-Trip, der Menschen behindert, schadet und im Falle der Straßenblockaden sogar Menschenleben gefährdet, den CO2-Ausstoß durch unnötige Staus vergrößert und im Falle attackierter Kunstwerke und öffentlicher Gebäude schlicht und ergreifend altersunabhängig unreifen Vandalismus vorführt. Denn es gilt: Einsatz für Klimaschutz und Umweltschutz – jederzeit ja! Aber bitte immer und ausschließlich mit den Mitteln des Rechtsstaats.
Zum Autor: Der Theologe und Publizist Dr. Jürgen Henkel ist evangelisch-lutherischer Pfarrer in Selb (Bayern), Professor honoris causa an der Babes-Bolyai-Universität Klausenburg/Cluj-Napoca (Siebenbürgen/Rumänien) und Schriftleiter der Zeitschrift „Auftrag und Wahrheit. Ökumenische Quartalsschrift für Predigt, Liturgie und Theologie“, die im Schiller Verlag Bonn erscheint.
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