„Pandemie der Ungeimpften“? – Vorwurf: Politische Maßnahmen ignorierten wissenschaftliche Studien

2. Dezember 2022 in Deutschland


Erstaunliche Töne aus dem (öffentlich-rechtlichen) Sender MDR: „Rechtfertigten diese Indizien tatsächlich die verbale Ächtung der Ungeimpften und die massiven Einschränkungen der Grundrechte?“


Berlin (kath.net/pl) Offenbar beginnt eine kritische Aufarbeitung der Regierungsmaßnahmen während der Corona-Pandemie. Diesen Schluss lässt ein lesenswerter Kommentar im öffentlich-rechtlichen Sender MDR zu. Christiane Cichy, die zur Wirtschaftsredaktion des MDR gehört, schreibt: „Der sogenannte Fremdschutz der Corona-Impfung war Grundlage zahlreicher politischer Maßnahmen, aber auch Diffamierungen der Ungeimpften. Doch auf welcher wissenschaftlichen Grundlage basierten diese?“

Studien hätten zwar zunächst „starke Indizien geliefert, dass zumindest für die Alphavariante auch ein Fremdschutz gegeben war“, dies bejaht auch Cichy. Allerdings fragt sie dann weiter: „Doch rechtfertigten diese Indizien die Behauptungen vieler Politiker, aber auch Ärzte und Wissenschaftler? Ebenso die verbale Ächtung der Ungeimpften sowie deren Ausschluss aus dem sozialen Leben während Geimpfte, die zu jener Zeit auch ansteckend sein konnten, auf Großveranstaltungen feiern konnten? Statt jede Kritik zurückzuweisen, ist es vielmehr Zeit für eine Aufarbeitung.“ Sie weist dann darauf hin, dass der Virologe Alexander Kekulé das Versprechen einer Herdenimmunität von Anfang an als nicht halbar eingestuft habe. Denn bei Atemwegsinfektionen gebe es kein einziges Beispiel, dass dies gelungen sei. Allerdings sei diese frühe Einschätzung Kekulés „ vor allem auf Kritik gestoßen“, so Cichy.

Die MDR-Redakteurin führt weiter aus: „Der Druck auf all jene, die sich nicht impfen lassen wollten, nahm im Herbst 2021 als Deutschland von der vierten Coronawelle überrollt wurde, erheblich zu. Obwohl mittlerweile mehr als zwei Drittel aller Erwachsenen geimpft waren, kletterten die Inzidenzen sogar schneller und höher als im Jahr zuvor. Auch die Intensivstationen füllten sich wieder. Das Virus hatte Deutschland erneut im Griff.“ Doch was passierte nun? Es gab keine „politische Maßnahmen wie beispielsweise eine grundsätzliche Testpflicht für alle, auch für Geimpfte und Genesene“, kritisierte Cichy. Sondern man habe „sich auf die Gruppe der Ungeimpften“ gestürzt. Diese „seien schuld am erneuten Pandemiegeschehen. Gäbe es nicht so viele Menschen, die sich dem Pieks verweigert hätten, wäre längst die Rückkehr zur Normalität möglich, so die Behauptungen einiger Politiker, aber auch Ärzte und Wissenschaftler.“

Im MDR-Kommentar sind einige entsprechende Politikerzitate aus dieser Zeit aufgelistet:

- Weltärztebund-Vorsitzende Prof. Frank Ulrich Montgomery: „Momentan erleben wir ja wirklich eine Tyrannei der Ungeimpften, die über das zwei Drittel der Geimpften bestimmen und uns diese ganzen Maßnahmen aufoktroyieren.“ (8.11.2021)

- Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): „Ungeimpfte dürfen nicht als Minderheit die Mehrheit terrorisieren“ (15.11.2021)

- Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD): Kontakte zu Ungeimpften meiden (11.11.2021)

- Noch-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU): „Wenn Du irgendwie mehr tun willst, als Dein Rathaus oder Deinen Supermarkt besuchen, dann musst Du geimpft sein“ (November 2021)

- Olaf Scholz (SPD): „Das heute uns alle beeinträchtigende Infektionsgeschehen rührt von den Ungeimpften her. Darüber gibt es gar keinen Zweifel!“ (7.12.2021)

Dabei sei doch bereits „vor rund einem Jahr“ klargewesen: „Nach wie vor schützte die Impfung zwar gut vor einem schweren Verlauf, doch die Behauptung, allein die Ungeimpften belasteten unser Gesundheitssystem konnte so nicht stimmen“, kritisierte Cichy. Allerdings habe die Politik „weitgehend die damals aktuellen wissenschaftlichen Studien“ ignoriert, die „alle zu dem gleichen Ergebnis“ gekommen seien: „Seitdem die Deltavariante vorherrscht, ist auch die Zahl der Impfdurchbrüche angestiegen, darüber hinaus weisen die infizierten Geimpften eine annähernd so hohe Virenlast auf wie Ungeimpfte. Diese Erkenntnisse hielten deutsche Politiker nicht davon ab, Geimpfte zu privilegieren und Ungeimpfte teilweise vom öffentlichen Leben auszusperren – aus Schwimmbädern, Restaurants und großen Teilen des Einzelhandels.“

Erneut verweist Cichy auf den Virulogen Kekulé, der die 2G-Regelung „sogar Teil des Problems und nicht der Lösung“ gewesen sei. Kekulé habe „schon im November 2021“ „ausdrücklich vor einer unsichtbaren Welle der Geimpften“ gewarnt, „die in Deutschland zu dieser Zeit nahezu nie getestet wurden und so das Virus unbemerkt weitertrugen, immer in der Annahme sie seien ja geimpft und könnten niemanden mehr anstecken“. Außerdem stufte Cichy das 2G-Modell auch als „juristisch problematisch“ ein.

Cichy setzte sich dann auch kritisch mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht auseinander. Sie schreibt: „Trotz des fehlenden Fremdschutzes hielt der zuständige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach an der einrichtungsbezogenen Impfpflicht fest.“ Erst „letzte Woche“ sei dann „völlig überraschend“ die Wende gekommen, als sich Lauterbach „plötzlich“ für ein Ende der Impfpflicht in der Pflege ausgesprochen habe. Die Redakteurin kommentiert: „Nun muss man sich fragen, warum diese Erkenntnis dem Minister erst jetzt kommt? Denn dass die Impfung nicht vor Ansteckung schützt, ist spätestens mit Omikron klar gewesen.“

Abschließend formuliert die MDR-Mitarbeiterin: „Statt Fehler zu analysieren oder gar zuzugeben, beruft man sich nach wie vor darauf, dass Studien Hinweise gegeben hätten, die auf einen effektiven Fremdschutz hoffen ließen. Doch rechtfertigten diese Indizien tatsächlich die verbale Ächtung der Ungeimpften und die massiven Einschränkungen der Grundrechte?“

 


© 2022 www.kath.net