9. Dezember 2022 in Kommentar
Der Mainzer Bischof Kohlgraf hat sich energisch von Kritikern des deutschen Synodalen Wegs distanziert – Auch Papst Franziskus gehört zu den Kritikern des deutschen Synodalen Wegs. Gastkommentar von Thorsten Paprotny
Mainz (kath.net) Der Mainzer Bischof Dr. Peter Kohlgraf hat sich in einer Predigt (siehe Link) über die „katholische Identität“ Gedanken gemacht – und sich dabei auch energisch von Kritikern des deutschen Synodalen Wegs distanziert. Die Identitätsdebatte selbst ist eine Signatur dieser Zeit. Stellen Sie sich die Frage nach Ihrer Identität, liebe Schwestern und Brüder im Glauben? Ich nicht. Lassen Sie uns aber über Identität nachdenken.
Wer von Armut und sozialen Nöten betroffen ist, stellt sich nicht die Frage nach Identität, sondern nach dem konkreten Überleben. Wer – ob in der Ukraine oder in Syrien – im Krieg lebt, sucht nach einem sicheren Obdach, stellt sich aber nicht die Frage nach seiner Identität. Wer schwer erkrankt ist, hofft auf Genesung, die mitfühlende Nähe geliebter Mitmenschen und den Trost der heiligen Sakramente, stellt sich aber nicht müßige philosophische Fragen nach seiner Identität. Auch die Gottesmutter Maria und der Pflegevater Jesu hatten gewiss keine Zeit und kein Interesse an solchen Erwägungen.
Wer heute das Sakrament der Taufe empfangen hat, mag entweder gelegentlich mit Zweifeln ringen oder fest im Credo der Kirche verwurzelt sein, aber er gehört als getaufter, ganz normaler Katholik der Kirche des Herrn an, im Leben und im Sterben, jener Kirche, die Jesus Christus selbst gestiftet hat und die alle Zeiten und Orte umschließt.
Bischof Kohlgraf indessen stellt fest: „Die 68-Generation hatte längst den klerikalen Mief verdammt, die Praxis der meisten Katholikinnen und Katholiken entsprach längst nicht mehr der Morallehre in Hinblick auf Sexualität und Partnerschaft. … 50 Jahre später gehen wir in Deutschland den Synodalen Weg, der genau diese Themen neu aufgreift und zu lösen versucht. Nach manchen unerträglichen Enthüllungen der letzten Jahre über Verbrechen in der Kirche an Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen haben wir auf dem Tisch, welche fatalen Konsequenzen diese systemisch ungelösten Fragen haben.“
Die Forderungen der 1968er-Generation verbindet der Mainzer Bischof etwa nicht mit dem offensiv vorgebrachten Verlangen nach einem Recht auf Abtreibung oder allen möglichen hedonistischen Lustbarkeiten, sondern mit einer Abgrenzung vom „klerikalen Mief“, anders gesagt: von einer dezidierten Abkehr von der lebensfreundlichen kirchlichen Morallehre. Bischof Kohlgraf grenzt sich deutlich von den Kritikern des Synodalen Wegs ab und beschreibt „bestimmte Gruppen“ wie folgt: „Katholisch ist, wer den Papst in allen Glaubens- und Lebensfragen anerkennt, gleichgültig, ob er sein unfehlbares Lehramt wahrnehmen will oder nicht; katholisch ist, wer einzig und allein die die gelebte Sexualität in einer heterosexuellen Beziehung akzeptiert; katholisch ist, wer die Weihe von Frauen ablehnt, katholisch ist, wer als Amtsträger klare Grenzziehungen zwischen Klerikern und Laien vornimmt. … Ich gestehe, dass mich diese Positionen mittlerweile nicht nur ermüden, sondern geradezu wütend machen. … In allen den polemischen und kritischen Kommentaren auch zu den Themen des Synodalen Weges kommt Christus als Freund, als Lehrer, als Vorbild auch nicht vor. Das kann nicht katholisch sein.“
Papst Franziskus, der auch zu den Kritikern des deutschen Synodalen Wegs gehört, hat 2019 in seinem Brief an die Katholiken in Deutschland (siehe Link) den Wunsch nach Neuevangelisierung bekräftigt – und die Neuausrichtung auf Christus, als zentrale Frage, hat die Mehrheit der Teilnehmern des Synodalen Wegs abgelehnt.
In diesem Sinne lässt sich also sagen: Die Frage nach Gott und die Erneuerung in Christus bleibt entgegen der Meinung von Bischof Kohlgraf auf dem Synodalen Weg außen vor. Zwar sagt er auch: „Sich der Gottesfrage zu entziehen, kann eine sträfliche Bequemlichkeit sein.“ Doch wo auf dem Synodalen Weg spielt die Frage nach Gott eine Rolle? Wissen Sie eine Antwort darauf, liebe Schwestern und Brüder im Glauben?
Bischof Kohlgraf äußert sich zur „katholischen Identität“. Dies bedeutet für ihn: „Liebe zu allen Menschen, Interesse an der Welt und ihren Herausforderungen, Unterschiede und Vielfalt wertzuschätzen, für etwas oder jemanden klar einzustehen, nicht beliebig zu sein, Schwache zu fördern, Menschen nicht aufzugeben; kurzum: Katholiken sollten einen wachen Verstand und ein weites Herz haben.“
Mein ganzes Leben hindurch hat mich die Frage nach Identität nicht beschäftigt. Ich bin römisch-katholisch, das genügt. Und mir genügt, was der Kirchenvater Ambrosius gesagt hat: „Ubi Petrus, ibi ecclesia.“ Wo der Papst ist, ist die Kirche. Wer zu diesem Wort steht, ist, scheint mir, weder anmaßend noch selbstgerecht ober überheblich. Dieses Wort ist eine Einladung an alle, ein Aufruf zur Umkehr – zur gläubigen Hinwendung zu Christus und Seiner heiligen Kirche.
Zitat aus der Predigt von Bischof Kohlgraf:
"Wenn wir heute das Jubiläum der Katholischen Hochschule feiern, dann stehen wir vor der Herausforderung, zu beschreiben, was genau katholisches Profil ausmacht. Für die Kirche insgesamt haben bestimmte Gruppen dazu klare Ansagen. Katholisch ist, wer den Papst in allen Glaubens- und Lebensfragen anerkennt, gleichgültig, ob er sein unfehlbares Lehramt wahrnehmen will oder nicht; katholisch ist, wer einzig und allein die die gelebte Sexualität in einer heterosexuellen Beziehung akzeptiert; katholisch ist, wer die Weihe von Frauen ablehnt, katholisch ist, wer als Amtsträger klare Grenzziehungen zwischen Klerikern und Laien vornimmt.
Ich habe nicht die Lösungen für die Fragen, aber was ist denn katholische Identität?
Ich gestehe, dass mich diese Positionen mittlerweile nicht nur ermüden, sondern geradezu wütend machen. Ich habe nicht die Lösungen für die Fragen, aber was ist denn katholische Identität? In allen den polemischen und kritischen Kommentaren auch zu den Themen des Synodalen Weges kommt Christus als Freund, als Lehrer, als Vorbild auch nicht vor. Das kann nicht katholisch sein. Katholische Hochschule heißt doch nicht: Wir schreiben klassische Geschlechterrollen fest, wir teilen Kirche und Welt in Oben und Unten, in Richtig und Falsch, in Schafe und Hirten."
Der Autor, Dr. Thorsten Paprotny (siehe Link), lehrte von 1998-2010 am Philosophischen Seminar und von 2010 bis 2017 am Institut für Theologie und Religionswissenschaft der Leibniz Universität Hannover. Er publizierte 2018 den Band „Theologisch denken mit Benedikt XVI.“ im Verlag Traugott Bautz und arbeitet an einer Studie zum Verhältnis von Systematischer Theologie und Exegese im Werk von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI.
kath.net-Buchtipp
Theologisch denken mit Benedikt XVI.
Von Thorsten Paprotny
Taschenbuch, 112 Seiten
2018 Bautz
ISBN 978-3-95948-336-0
Preis 15.50 EUR
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