9. Dezember 2022 in Deutschland
Politiker und Politikbeobachter üben scharfe Kritik an PR-Verhaftungsaktion von 25 Reichsbürger durch 3000 Polizisten in Deutschland - Otto Schily "Eher skurrile Spinner-Truppe, keine reale Bedrohung für Staat und Gesellschaft"
Berlin (kath.net/rn)
"Die Infos waren derart breit gestreut, dass es wie eine PR-Aktion wirkt. Die kann den zuständigen Behörden und Ministerien als Arbeitsnachweis dienen. Sie zeigt, dass die Politik nicht nur Aktionspläne gegen rechts verabschiedet, sondern gegen die Terrorgefahr auch erfolgreich vorgeht. Das steht aber mit dem Risiko, das dadurch für den Einsatz und die Einsatzkräfte entstanden ist, in absolut keinem Verhältnis." Mit klaren Worten hat Martina Renner, die Sprecherin für Antifaschistische Politik der Linken-Fraktion im Bundestag, gegenüber N-TV die medial stark begleitete Verhaftungsaktion von etwa 25 Reichsbürgern durch 3000 Polizisten kritsiert. Bei der Aktion waren zum Teil sogar TV-Kameras dabei. "Manche Pressevertreter wussten schon seit zwei Wochen von der Razzia", erzählt Renner. Dass die Infos im Vorfeld so breit gestreut wurden, hält die Extremismus-Expertin für unverantwortlich. Sogar die Namen der Beschuldigten waren bekannt, ihre Adresse und der geplante Zeitpunkt des Zugriffs.
Der Politik-Blogger Boris Reitschuster spricht über die AKtion in einem Beitrag von einem Fake-„Staatsstreich“ und warnt, dass hier eine "billige politische Seifenoper" Ablenkung und Rechtfertigung für noch schärferes Vorgehen gegen Andersdenkende bietet. Er zitierte dazu als Kronzeugen den langjährigen Innenminister Otto Schily (Grüne, SPD), der in der "Welt" zu den Reichsbürger-Razzien meint: "Eher skurrile Spinner-Truppe, keine reale Bedrohung für Staat und Gesellschaft". "Je mehr Details abseits des Mainstreams über die bundesweite Aktion mit mehr als 3.000 Polizisten in mehr als 130 Objekten ans Licht kommen, umso mehr wird klar: Hier wird eine Mücke zum Elefanten gemacht, und das Vorgehen von Behörden und Politik ist obskur. Und der eigentliche Skandal", betont Reitschuster. Auch er zeigt sich stark verwundert, dass so viel vorab von der Aktion wussten. "Wenn die vermeintlichen Verschwörer wirklich so gefährlich waren, wie uns Medien und Politik jetzt einreden wollen, wäre es zudem gemeingefährlich – denn jeder Mitwisser erhöht die Gefahr, dass die Verdächtigen gewarnt werden. Spätestens hier wird klar, dass es sich bei der Medien-Inszenierung der Razzia um eine Operette handelt. Eine höchst willkommene. Lenkt sie doch wunderbar von den gigantischen Problemen in unserem Land ab. Inklusive der Tötung einer 14-jährigen Schülerin durch einen Asylbewerber in Illerkichberg. Gab es bei der auch Sondersendungen in ARD oder ZDF?", fragt Reitschuster.
Roland Tichy spricht von einem "Operetten-Putsch", der zeigt, wie geschwächt die Demokratie in Deutschland ist. "Die kindische Inszenierung der Razzia, mit der ein „Staatsstreich“ gerade noch mal niedergeschlagen werden konnte, ist eigentlich eher zum Lachen. Dass Beamte, Behörden und Medien mitspielen, ist beschämend – und es zeigt, wie gefährdet unsere Demokratie wirklich ist." "Wo war die drohende Tat? Und warum werden für ein paar Weißköpfe 3000 Polizisten, darunter zahlreiche schwer bewaffnete Spezialkräfte in Gang gesetzt, während zugleich 50 Beamte fehlen, um den Flughafen München zu schützen?", fragt Tichy und kritisiert auch die beteiligten Medien. "Sie standen mit den Kameras bereit bei Verhaftungen von Menschen, die bislang nur Beschuldigte sind. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Es war das, was man eine Kampagne nennt, und die Medien haben sich dafür hergegeben. Sie haben nicht kritisch berichtet, sondern sich freiwillig dem Drehbuch untergeordnet und die erforderlichen Texte geplappert und geschrieben, wie sie von der Innenministerin gefordert werden, damit diesen „eingebetteten“ Journalisten auch weiter das Privileg der Hofberichterstattung gewährt wird." Das Dumme ist für Tichy jetzt allerdings, dass die beteiligten Medien nicht mehr aus dieser Rolle rauskommen. "Sie müssen den Putsch aufblasen, weil sie sich sonst selbst korrigieren müssten. Und das glauben sie sich nicht leisten zu können. So werden sie zu schreibenden Komparsen der Inszenierung und dröhnen das Land weiter in das Drama eines Operetten-Putsches."
Anna Schneider, Chef-Reporterin der "Welt" schreibt zu dem Spektakel: "Eine Truppe verstrahlter "Reichsbürger"-Rentner wurde Hops genommen, und gut so. Bei Lichte betrachtet allerdings schon eine äußerst eigenartige Hysterie und In-Szene-Setzung dieses Spektakels – wenn die Demokratie so bedroht wäre, wie viele ständig predigen, wäre sie längst tot." Im Cicero heißt es: "Bei Lichte besehen wirkt der Hype um das Umfeld zweier spinnerter Reichsbürger-Revolutionäre und ihrer Umsturzpläne allerdings reichlich grotesk." Und die "Junge Freiheit" schreibt: "36 Stunden nach der größten Razzia in der Geschichte der Bundesrepublik verdichten sich die Hinweise, daß die Ermittler offenbar nicht die erwarteten Waffenarsenale gefunden haben. Die Generalbundesanwaltschaft schweigt sich aus. Zweifel machen sich breit."
https://reitschuster.de/post/der-fake-staatsstreich-eine-billige-politische-seifenoper/
https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2022/reichsbuerger-razzia-waffen/
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