EKD-Mißbrauchskandal - und kein Aufschrei

22. Dezember 2022 in Deutschland


EKD und Landeskirche Berlin-Brandenburg antworten auf kath.net-Presseanfrage – Die Vorwürfe des Zwischenberichts an evangelische Strukturen und Einrichtungen werden in vielen Medienberichten nicht genannt!


Berlin (kath.net) Im Zwischenbericht der Universität Hildesheim „Helmut Kentlers Wirken in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe – Aufarbeitung des organisationalen Verfahrens und Verantwortung des Berliner Landesjugendamtes“ finden sich aussageschwere Sätze nach der Zusammenfassung von Opferberichten: „Erzählungen wie diese machen deutlich, dass das Anliegen der Aufarbeitung nicht reduzierbar ist auf die Betrachtung von Kinder- und Jugendhilfestrukturen. Es wird deutlich, dass jene Netzwerke in Strukturen der evangelischen Kirche, u. a auch in Strukturen von Bildungseinrichtungen, hineinreichen und diese Stränge nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können.“ „Die Hinweise der betroffenen Person im Interview“ bezögen sich dabei nicht nur auf eine evangelische Kirchengemeinde, „sondern gehen darüber hinaus“ (siehe kath.net-Artikel mit Link zum Zwischenbericht).

kath.net stellte daraufhin Presseanfrage an die Evangelischen Kirche in Deutschland, an die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg und an die Evangelische Landeskirche in Württemberg (die Württembergische Landeskirche wurde von uns zu Unrecht angefragt, wie sich in der Antwort herausstellte). Wir danken für die Antworten und dokumentieren sie im Wortlaut:

Für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) antwortete eine Sprecherin: „In den 1960er bis 1990er Jahren trugen Personen wie Helmut Kentler sowie andere im Rahmen von reform- und sexualpädagogischen Diskursen zur Verharmlosung von Pädosexualität bei. Diese Diskurse wurden auch im Raum der evangelischen Kirche rezipiert und Diskursräume bereitgestellt. Die evangelische Kirche hat diese Problematik im Blick. Die EKD, die Landeskirchen und das Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt haben bereits über weitere Schritte beraten. Die Verharmlosung von Pädosexualität in evangelischen Diskursen durch entsprechende Personen ist Teil der institutionellen Aufarbeitung sexualisierter Gewalt der evangelischen Kirche und der Diakonie. Aufarbeitung von und wirksamer Schutz vor sexualisierter Gewalt haben für die evangelische Kirche und ihre Diakonie Priorität. Wirksame Maßnahmen zur Prävention, Intervention, Aufarbeitung und Hilfe sind eine zentrale, bleibende Aufgabe für die EKD und für die 20 Landeskirchen. Weitere Informationen finden Sie unter www.ekd.de/missbrauch“

Für die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg antwortete die Pressereferentin Charlotte von Kielmansegg: „Uns liegen keine Vorwürfe dieser Art vor. Weitere Informationen finden Sie auf unserer Homepage: https://www.ekbo.de/service/hilfe-bei-missbrauch-und-missbrauchsverdacht/anerkennungskommission.html – Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz hat eine Anerkennungskommission zur Unterstützung für Betroffene von sexueller Gewalt und zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt eingerichtet. Wir unterstützen jegliche wissenschaftliche Aufarbeitung und sind an den Ergebnissen interessiert. Jederzeit können sich Betroffene an die Anerkennungskommission wenden und um Unterstützung bitten.“

Für die Evangelische Landeskirche in Württemberg antwortet der Sprecher der Landeskirche, Kirchenrat Dan Peter: „Selbstverständlich haben wir von den Vorwürfen gegenüber Helmut Kentler und seinen vielfältigen Vernetzungen quer durch Deutschland gelesen und gehört. Aber uns ist bis dato keine Beziehung zur Evangelischen Landeskirche in Württemberg bekannt. Kann es sein, dass Sie aufgrund der Namensähnlichkeit einer Verwechslung erlegen sind? Martin Bonhoeffer, nicht der Evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer(1906-1945), ist Namensgeber der (reformpädagogischen) Einrichtung in Tübingen, die inzwischen kit jugendhilfe heißt. https://www.kit-jugendhilfe.de/einrichtung/martin-bonhoeffer-in-der-kritik - [Zitat ebenda:] Nach langer Krankheit und Tod von Martin Bonhoeffer, der von 1976 an Leiter der Einrichtung war, wurde diese 1991 in „Martin-Bonhoeffer-Häuser“ umbenannt. Nach wiederholt kritischen Anfragen an die Person Martin Bonhoeffers hinsichtlich seines Wirkens im Kontext der Missbrauchsskandale an der Odenwaldschule fand eine aktive Auseinandersetzung im Verein statt. In Folge hat die Mitgliederversammlung im Jahr 2019 beschlossen, den Namen abzulegen. Seit 1.10.2020 trägt die Einrichtung den Namen kit jugendhilfe. – Aber vielleicht irren wir und es gibt doch evangelische Bezüge. Dann bitten wir um Hinweise oder Aufklärung.“

Das Rauschen im Blätterwald über den aufschlussreichen Zwischenbericht der Uni Hildesheim blieb übrigens bequem überschaubar, die Rolle der (ausschließlich!) evangelischen Kirche allzu gern nicht benannt, siehe beispielhaft den Bericht in der „Süddeutschen Zeitung“: „Kriminalität – Berlin:Kentler-Missbrauchskandal: Studie bringt neue Erkenntnisse“ (Link zur SZ). Es stellt sich hier – übrigens nicht zum ersten Mal – die Frage, ob „katholischer Missbrauch“ mit deutlich strengerem Maßstab gemessen und medial gejagt wird als „evangelischer Missbrauch“, mit besonderer Steigerung bei lehramtstreuen katholischen Bischöfen (der Kölner Kardinal Rainer Woelki wird deutlich mehr gejagt als der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode, obwohl sich ausgerechnet gegen Bode die Vorwürfe stapeln).

Abschließend unser Praxistipp an „wohlmeinende“ Journalistenkollegen: Falls Sie doch nicht umhinkommen sollten, über die  schwerwiegenden Vorwürfe des Zwischenberichts an evangelische Einrichtungen zu berichten, dann können Sie statt „Strukturen der evangelischen Kirche“ einfach auch nur „kirchliche Strukturen“ schreiben. Der brave, breit vor-„informierte“ Leser wird bereitwilligst „katholische“ Strukturen assoziieren.


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