„Benedikt XVI. wird als einer der ganz großen Denker unseres Zeitalters in die Geschichte eingehen“

1. Jänner 2023 in Chronik


„In seiner priesterlichen Spiritualität war Joseph Ratzinger nie ein Mann der Macht, sondern immer ein demütiger Diener Christi im Weinberg des Herrn.“ Von Gerhard Ludwig Kardinal Müller


Vatikan (kath.net) Joseph Ratzinger war ein großer Gelehrter im Sinn der klassischen deutschen Universitätstradition. Das sollte aber nicht assoziativ das Stereotyp des weltfremden Professors auf den Plan rufen.

Als bedeutendem Augustinuskenner war er mit dessen Geschichtstheologie in „De Civitate DEI“ vertraut, wo alle Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten des altrömischen Imperialismus zur Sprache kamen. Er erlebte selbst noch als junger Mann, wie in einem totalitären Denken, der atheistischen Nazi-Ideologie, der Mensch unter die Räder kommt. Der „Humanismus ohne Gott“ (Henri de Lubac) ist mit dem Projekt eines angeblichen Paradieses auf Erden ohne den Glauben an der göttlichen Schöpfer und Erlöser von vornherein zum Scheitern verurteilt. Kommunistischer Sozialismus, nationalistischer Faschismus und der gegenwärtige Posthumanismus mit seiner lebensfeindlichen Ideologie der Kindestötung (Abtreibung) und Euthanasie sind die Ursachen für all das Unglück und die Verzweifelung des modernen Menschen.

Deshalb rief uns Papst Benedikt in seinem geistlichen Testament dazu auf, dem Glauben an Jesus Christus, den einzigen und wahren Retter der Welt, treu zu bleiben.

Ohne Gott gibt es kein sinnvolles und erfülltes Menschsein. Die Beschränkung unseres Horizontes auf das bloß Irdische ist ein Verbrechen an der geistigen Natur des Menschen, der über sich hinaus nach dem ungeschaffenen Grund seiner kontingenten Existenz fragt.

Der Theologe und bischöfliche Hirte Joseph Ratzinger wusste aber, dass die Sendung der Kirche über das Irdische und Politische weit hinaus reicht und von Gott her auf das ewige Heil des ganzen und aller Menschen zielt.

Und erst von daher wird aus dem christlichen Glauben eine zivilisatorische und humanisierende Kraft auf das Zusammenleben der Menschen in den Staaten und der Völkergemeinschaft ausgehen. Der universale Heilswille Gottes steht gegen den egoistischen und zügellosen „Willen zur Macht“ (Nietzsche).

Aber die geistliche Autorität in der Kirche Gottes ist von ganz anderer Natur als die politische Macht selbst in demokratischen Rechtsstaaten und erst recht natürlich in den autokratischen Diktaturen, die sich eine absolute Macht über das Denken, Sprechen und Fühlen der Menschen anmahnen.

Die Kirche, die der Sohn des lebendigen Gottes auf Petrus und seine Nachfolger in Rom baut, ist im Namen Christi, des Guten Hirten, Dienst am Heil der Menschen im Wort des Evangeliums und in den heiligen Sakramenten, die uns die Gnade Christi real vermitteln.

Es wäre Missbrauch der geistlichen Vollmacht, sie im politischen Sinn als Kampf um Einfluss und Vorteil einzusetzen. Es gibt nichts Schlimmeres als Karrierismus und Favoritismus in der Kirche (d.h. die Berufung ungeeigneter Kandidaten in geistliche Ämter zur Sicherung der eigenen Macht und Kontrolle).

In seiner priesterlichen Spiritualität war Joseph Ratzinger nie ein Mann der Macht, sondern immer ein demütiger Diener Christi im Weinberg des Herrn. Die geistige Auseinandersetzung war stets auf dem Niveau intellektueller Redlichkeit und ohne Starallüren.

In seiner Jesus-Trilogie und den drei Enzykliken über die Liebe, die Hoffnung und den Glauben hat er uns den Schlüssel zum Verständnis seines Gesamtwerkes gegeben, das ich in den 16 Bänden der Gesammelten Schriften im Regensburger Papst Benedikt Institut ediert habe.

Die Wahrheit ist nicht ein Sachverhalt, zu dem wir im Verhältnis des Besitzens stehen, sondern die Person Christi, in der sich uns die ungeschaffene Wahrheit Gottes erschließt als Heil und Leben.

Papst Benedikt XVI. wird als einer der ganz großen Denker unseres Zeitalters in die Geschichte eingehen und als der Gelehrtenpapst auf der Cathedra Petri.


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