Heede: Ein Geheimnis für den Papst

8. Jänner 2023 in Chronik


Geheime Marienbotschaft an Pius XII. – „So nahm ich 2021 die Gelegenheit wahr, im Archiv der Glaubenskongregation nach einer ‚Heede-Akte‘ zu suchen, und wurde tatsächlich fündig.“ Gastbeitrag von Michael Hesemann


Heede (kath.net) Vor 85 Jahren, als die Nazis Deutschland in den Abgrund zu führen drohten, erschien die Gottesmutter vier Mädchen im nach wie vor katholischen Emsland. Doch erst jetzt wurde ihr größtes Geheimnis enthüllt: eine prophetische Botschaft an Papst Pius XII., die sich auf verblüffende Weise bewahrheitete und die bis jetzt in den Vatikanarchiven verborgen blieb.

Deutschland zu Allerheiligen 1937. Während die Massen mit Hitler in den Abgrund marschierten, gab es auch Christen, die ihrem Glauben treu geblieben und nicht den Parolen der braunen Rattenfänger auf den Leim gegangen waren. Das galt auch für Heede, ein Dorf im Emsland, wo auch im vierten Jahr nach der Machtergreifung der Nazis die Menschen in die Kirche am Friedhof strömten, um für die Toten zu beten. Noch im März hatte Papst Pius XI. mit seiner Enzyklika „Mit brennender Sorge“ mahnende Worte an die Deutschen gerichtet und sie vor den Wahnideen Hitlers gewarnt. Jetzt aber ergriff der Himmel selbst das Wort.

Irgendwann am Abend dieses Feiertages unterbrachen die beiden Schwestern Grete (11) und Maria (13) Ganseforth ihr Gebet, um auf dem Kirchplatz ein wenig Luft zu schnappen. Als sich Grete umsah, bemerkte sie auf dem Friedhofsgelände, etwa 30 Meter von ihr entfernt, zuerst einen hellen Lichtschein und bald darauf eine leuchtende Gestalt, die zwischen zwei Bäumen schwebte. Erschrocken lief sie zu ihrer Schwester, erzählte ihr: „Ich glaube, da stand die Muttergottes!“ Maria schüttelte nur ungläubig den Kopf: „Du bist wohl verrückt, Du denkst wohl, Du bist hier in Lourdes!“ Dann drängte sie Grete, wieder zurück in die Kirche zu kommen und weiter für die Verstorbenen zu beten.

Sie ahnte nicht, dass auch Anni Schulte (12), die mit einigen Dorfbewohnern hinter den Schwestern stand, das Gespräch mit angehört hatte. Als auch sie wieder in der Kirche war, fehlte es ihr an der rechten Andacht. Immer wieder musste sie an das denken, was Grete Ganseforth gesagt hatte. Schließlich beschloss sie, selber nachzuschauen. Sie ging hinaus, schaute in Richtung des Friedhofs und sah ebenfalls eine leuchtende Frauengestalt, die ein Kind zu tragen schien. Noch immer starrte sie auf die Erscheinung, als Grete und Maria gerade die Kirche verließen. Schnell lief sie den Ganseforth-Mädchen hinterher, trifft auch noch die Schwestern Susi (13) und Adele (15) Bruns, überzeugte sie, mit ihr zum Friedhof zu gehen. Kaum waren sie dort angekommen, sahen alle fünf die leuchtende Erscheinung, die sie freundlich anzublicken schien. Trotzdem verspüren sie Minuten später den Drang zu gehen. Als sie sich noch einmal umschauten, war die weiße Frau verschwunden.

Zuhause erzählten sie ihren Eltern davon, die ihnen natürlich nicht glaubten. Nur Mutter Ganseforth ging noch am selben Abend zum Pfarrer und berichtete ihm von der Behauptung der Mädchen, die auch er ungläubig zurückwies. Doch als vier der fünf Mädchen - Adele war zuhause geblieben, ihr war die Sache unheimlich - am nächsten Tag aus der Abendmesse zum Allerseelenfest kamen, war die Frau wieder da; erneut schwebte sie, umgeben von einem Lichtschein, an derselben Stelle, diesmal ohne Kind, die Hände gefaltet. Zwölf Tage lang wiederholte sich die Erscheinung, die von den Mädchen wie folgt beschrieben wurde:

„Etwa einen Meter über der Erde steht die Mutter Gottes auf einer blauweißen Wolke. Auf dem Haupt trägt sie eine reichverzierte, goldene Krone ohne Edelsteine. Sie ist bekleidet mit einem langen, weißen Gewand, das um die Hüften mit einer etwa ein Zentimeter dicken Kordel gegürtet ist. Ein weißer, von der Krone teilweise verdeckter, undurchsichtiger Schleier fällt vom Kopf zu beiden Seiten in einigen Falten bis auf die Wolke hinab. Das Haar ist nicht sichtbar. Die Ärmel des Kleides gehen in doppelter Armbreite bis zum Handgelenk... Die Gestalt der Mutter Gottes steht in einem hellen, ovalen Schein, der die Erscheinung in einer Breite von 30-40 cm umgibt.“

Der Kampf der Nazis gegen die Gottesmutter

Die Kunde von den wundersamen Visionen der vier Kinder verbreitete sich schnell in der ganzen Region. Schon nach ein paar Tagen strömten erst Hunderte, dann Tausende nach Heede, um an gemeinsamen abendlichen Rosenkranzgebeten teilzunehmen. Sie alle erlebten, wie die Mädchen plötzlich, ohne dass eines dem anderen ein Zeichen gegeben hätte, auf die Knie fielen und etwa eine Viertelstunde lang starr auf einen Punkt schauten. Auf äußere Reize schienen sie in dieser Zeit nicht zu reagieren.

Natürlich stieß diese plötzliche religiöse Begeisterung auf den Unwillen der Nazis. Zunächst erschien die Gestapo bei den Familien der Seherkinder, stellte peinliche Fragen, sprach Drohungen aus. Dann, am 11. November, veranlasste der Regierungspräsident von Osnabrück eine Untersuchung der Kinder durch den Schulrat des Kreises Aschendorf, Regierungsrat Dr. Schmidt, und den stellvertretenden Amtsarzt, Medizinalrat Dr. Jonas. Jeder Versuch, die Mädchen durch Suggestivfragen in Widersprüche zu verwickeln, scheiterte. Es gab keinen Hinweis darauf, dass sie von anderer Seite beeinflusst worden waren, ihre Aussagen deckten sich in allen Punkten, sie schienen unstreitig subjektiv die Wahrheit zu sagen. Alle vier schienen geistig und körperlich völlig gesund zu sein.

„Was wir in vier Jahren mühsam aufbauten, das haben vier Kinder in einem Augenblick zerstört!“, brüllte der braune Gauleiter Röver am nächsten Tag in Leer der Bericht von Dr. Schmidt und Dr. Jonas war ihm gerade vorgelegt worden. Die Nazis handelten schnell; von einer „Gefahr für die Volksgemeinschaft“ war die Rede. Noch in derselben Nacht um 1.00 Uhr früh tauchte eine 80 Mann starke Verfügungstruppe in Heede auf und errichtete Absperrungen rings um die Ortschaft. Ab sofort galt der Ausnahmezustand. Einheimische wie Auswärtige wurden wie Vieh weggetrieben, mit Gewehrkolben geschlagen, mit der Waffe bedroht. Fremde wurden fortan nicht mehr in den Ort hineingelassen, die Einheimischen durften nur zu zweit auf die Straße. In der Nacht zum 14. November umstellten Soldaten die Häuser der Seherkinder. Im 6.00 Uhr früh weckte ein Oberwachtmeister die Eltern mit der Nachricht, ihre Kinder würden zur Untersuchung nach Osnabrück gebracht. Allen Protesten zum Trotz geschah dies noch am selben Tag. Als sich das Krankenhaus in Osnabrück weigerte, die Mädchen aufzunehmen, ging die Fahrt weiter nach Göttingen. Dort wurden die Vier spät abends müde und hungrig in eine Nervenklinik eingeliefert. Erst nach sechs Wochen, einen Tag vor Weihnachten, entließ man sie wieder. Die Bedingung dafür war, dass ihre Familien die Kosten für den erzwungenen Anstaltsaufenthalt trugen und die Kinder noch einige Wochen außerhalb Heedes unterbringen ließen. Der Bischof von Osnabrück bot dazu das katholische Marien-Hospital in seiner Stadt an, wo sich die Mädchen vier Wochen lang von der erfolglosen Gehirnwäsche erholen konnten.

Trotz massiver Drohungen und Bestrafungen war es den Psychiatern nicht gelungen, die Kinder von ihrem festen Glauben an die Echtheit der Erscheinungen abzubringen. Auch der Versuch, sie in Widersprüche zu verwickeln, war gescheitert. Weder eine Geisteskrankheit noch eine nervliche Störung konnte diagnostiziert werden. Stattdessen handelte es sich offensichtlich um „geistig ganz bewegliche lebendige Kinder von natürlicher Art“, wie der Anstaltsleiter in einem erst nach dem Krieg veröffentlichten Gutachten einräumen musste. Sein offenkundiges Bemühen „die Vorgänge in Heede auf Beeinflussung der Kinder, auf Phantasievorstellungen und auf besondere eidetische Anlagen zurückzuführen“, war „zu keinem bestimmten Ergebnis“ gekommen. Später erzählte das jüngste der Mädchen, Grete Ganseforth, ihr sei in diesen Tagen erstmals ihr Schutzengel erschienen und habe sie getröstet und ermutigt.

In Osnabrück dagegen wurden sie von Nonnen liebevoll betreut. Dabei waren die Ordensschwestern eher erstaunt, wie normal und nüchtern die Vier waren. „Wir können auf Grund unserer Beobachtungen nur versichern, dass sich die Kinder während dieser Zeit sehr natürlich benommen haben“, schrieben sie später in ihrem Bericht an den Bischof, „im Hinblick auf unsere jahrzehntelange Berufstätigkeit in der Krankenpflege glauben wir sagen zu dürfen, dass während unseres Zusammenseins mit den Kindern keinerlei hysterische oder sonstige abnorme Zustände wahrnehmbar waren; dass wir auch keine außergewöhnlichen Beobachtungen gemacht haben, die auf eine evtl. Veranlagung in dieser Richtung schließen ließen. Wir können nur bezeugen, dass die Kinder sehr nüchtern waren, und ihr Benehmen nicht irgendwie unter dem Deckmantel einer religiösen Haltung zu verbergen suchten.“

Die Königin des Weltalls gegen das tausendjährige Reich

Als sie am 19. Januar 1938 nach Heede zurückkehrten, wurde ihnen bei schwerster Strafe verboten, die Erscheinungsstätte noch einmal zu betreten. Doch in dem Dorf war es unmöglich, nicht zumindest in die Nähe des Friedhofes zu kommen. Und so sah Grete schon am 1. Februar vom Garten ihrer Tante aus wieder die Gottesmutter: sie schwebte an der gewohnten Stelle, jetzt 250 Meter von ihr entfernt. Fortan trafen sich die Mädchen jeden Abend hinter den Gärten, von wo aus sie einen freien Blick auf den höher gelegenen Friedhof hatten, aber von den Wachtposten nicht gesehen werden konnten. Insgesamt 105 mal zeigte sich die Madonna den Kindern, meist nur ein paar Minuten lang und ohne ein Wort zu sagen. Meist blickte sie ernst oder traurig, segnete die Mädchen, schwebte auf die zu, nickte oder winkte ihnen, hob und senkte die Augenlider, schüttelte den Kopf verneinend hin und her oder vergoss Tränen. Erst am 7. April, als Anni fragte, ob sie beten sollten, rief sie ihnen, „mit einer ganz lieblichen Stimme“, zu: „Kinder, betet noch viel!“

Ein Jahr später, am 5. April 1939, fragte Maria: „Mutter, als was möchtest Du noch verehrt werden?“ „Als Königin des Weltalls und als Königin der Armen Seelen“, war die Antwort. „In welchem Gebet willst Du verehrt werden?“, fragte das Mädchen weiter: „In der Lauretanischen Litanei.“ Fortan kam es immer wieder zu Antworten auf die Fragen und Bitten der Kinder, wurde erklärt: „Offenbaret alles, was ich euch gesagt habe, den Geistlichen.“ Am 26. Januar 1940 liefen ihr Tränen die Wangen herunter. „Mutter, was hast Du?“, fragte Maria Ganseforth. Die Antwort war kurz: „Kinder betet!“ Zu diesem Zeitpunkt bereitete Hitler seinen Einmarsch in Frankreich vor, der dann mehrfach aus Wettergründen verschoben werden musste. Sogar Geheimnisse wurden den Mädchen anvertraut. Eines davon war nur für den Papst bestimmt („Erzählt dies nur dem Heiligen Vater“), ein anderes sollten sie für sich erhalten. Dann, am 3. November 1940, erschien die Madonna zum letzten Mal in Heede. Mit den Worten „Nun, liebe Kinder, zum Abschied noch den Segen! Bleibt Gott ergeben und brav! Betet oft und gern den Rosenkranz! Nun ade, liebe Kinder. Auf Wiedersehen im Himmel!“ entschwebte sie ihren Blicken. Seitdem, bis auf den heutigen Tag, ist Heede ein Ort des Gebetes geblieben. Dabei fanden die Erscheinungen ihre Fortsetzung bis in die jüngste Vergangenheit durch die mystischen Visionen des jüngsten Sehermädchens Grete Ganseforth, die bis zu ihrem Tod im Jahre 1996 die Wundmale Christi trug.

Das Urteil der Kirche

Die Kirche stand den Ereignissen von Heede reserviert aber nicht ablehnend gegenüber. Wie in Fatima, so rief Maria auch in Heede an einem historischen Wendepunkt zum Gebet des Rosenkranzes auf, der allein die Schrecken des Krieges noch hätte aufhalten können; Heede jedenfalls überstand den Zweiten Weltkrieg praktisch unbeschadet. Es ist, als habe die Gottesmutter praktisch „in letzter Sekunde“ die Deutschen noch einmal zur Umkehr aufgerufen. Der Marientitel „Königin des Weltalls“, lat. „Regina Universorum“, der den Kindern offenbart wurde, war dabei keineswegs neu. Schon auf dem Vierten Marianischen Weltkongress 1906 in Einsiedeln/Schweiz hatten führende Theologen den Papst aufgefordert, den Zusatz „Maria, Königin des Weltalls, bitte für uns“ in die Lauretanische Litanei mit aufzunehmen; ein Umstand, der natürlich den vier Landmädchen aus dem Emsland nicht bekannt war. Nur zwei Jahre nach dem Abschluss der Erscheinungen von Heede, am 31. Oktober 1942, pries Papst Pius XII. in seiner Weihe der Welt an das Unbefleckte Herz Mariens die Gottesmutter als „unsere Mutter und Königin des Weltalls“. Auch als er am 8. Dezember 1954 das hundertjährige Jubiläum des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis Mariens feierte, benutzte der Papst den Titel „Königin des Weltalls“.

Trotzdem erfolgte bislang noch keine definitive Stellungnahme der kirchlichen Behörden zu den Erscheinungen der vier Kinder. „Gegen die Muttergottes-Erscheinungen in Heede ist nichts einzuwenden. Es fehlt mir aber der Beweis“, erklärte Bischof Dr. Wilhelm Berning 1947. Dem Pfarrer von Heede schrieb er, er könne getrost daran glauben und privat dafür eintreten; er selbst aber warte auf einen letzten Anstoß, ein Wunder. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Als er mit Hunderten Gläubigen am 25. März 2000 in Heede das Fest Mariae Verkündigung feierte, erklärte der neue Bischof von Osnabrück, Dr. Franz-Josef Bode, er wolle die Erscheinungsstätte als „Ort des Gebetes und des Glaubens fördern, ohne dabei notwendiger Weise die Ereignisse der Vergangenheit noch einmal ins Rampenlicht zu zerren“. Nicht das Gestern, sondern das Heute und Morgen stünden im Mittelpunkt des geistlichen Interesses. Am 26.10.2005 stellte Bischof Bode in Heede fest: „Im Laufe der Jahre hat sich hier Pilgerschaft, Anbetung und Versöhnung entwickelt. Heede ist ein Ort, Heede bedeutet: durch Maria zu Christus. Die Heeder Gebetsstätte kennzeichnet Besinnung, Ruhe, Anbetung, Umkehr. Die Gebetsstätte ist ein Schatz für unzählige Menschen aus nah und fern.“ Nach wie vor aber gelte das Urteil der Kirche: „non constat de supernaturalitate“ – es gibt keinen Beweis für die Übernatürlichkeit der angeblichen Erscheinungen.

Das enthüllte Geheimnis

Das galt zumindest bis vor kurzem. Erst im März 2020 gab Papst Franziskus alle Akten und Dokumente des Heiligen Stuhls aus dem Pontifikat Pius XII. (1939-1958) für die historische Forschung frei. So nahm ich im Oktober 2021 – die Verzögerung ist der Corona-Situation zu verdanken – die Gelegenheit wahr, im Archiv der Glaubenskongregation nach einer „Heede-Akte“ zu suchen – und wurde tatsächlich fündig. Immerhin 89 Seiten umfasst die Dokumentensammlung, zu der ein zehnseitiger Bericht von Bischof Berning vom 3. Februar 1943 über „die Erscheinungen der Muttergottes in Heede“ (ACDF, DEV.V. 1943,9, p. 9-13) sowie eine kritische Auswertung des Berichtes durch den aus Münster stammenden Jesuitenpater Wilhelm Hentrich, dem Privatbibliothekar Pius XII., gehören. Doch der sicherlich bemerkenswerteste Teil der Akte sind die vier Niederschriften des Geheimnisses an Papst Pius XII., das den Sehermädchen von Heede am 19.10.1940 offenbart wurde. Ein Brief des Apostolischen Nuntius in Berlin, Msgr. Cesare Orsenigo, vom 30. November 1942 schildert die Begleitumstände ihrer Entstehung: „Die Kinder hatten am 19. Oktober (1940) eine Erscheinung, bei der die Selige Jungfrau ihnen eine Botschaft übermittelte, die allein für den Heiligen Vater bestimmt war. Jedes Kind, so versicherte Seine Exzellenz Msgr. Berning, schrieb dann unabhängig voneinander die Worte, die es gehört hatte, nieder und verschloss das Geschriebene in einem Umschlag. Der Pfarrer von Heede brachte die Briefe dann zu Seiner Exzellenz, dem Bischof, und die Kinder, erklärte der Bischof, gaben ihm dann persönlich die Erlaubnis, die Briefe zu öffnen, bevor er sie an den Heiligen Vater weiterleiten würde.“ (ACDF, DEV.V. 1943, 9, p.3) Eine direkte Übersendung erschien Bischof Berning jedoch offenbar als zu heikel, wurde doch die Post von den Nazis überwacht. So wandte er sich an den Nuntius, um die Geheimbotschaft mit der Diplomatenpost nach Rom zu schicken. Doch zunächst weigerte sich Orsenigo und verlangte von Berning einen Untersuchungsbericht und eine Bewertung der Erscheinungen durch die Diözesanbehörden, bevor er dem Papst die Worte Mariens zuleiten wollte, und so blieben die vier Niederschriften ganze zwei Jahre lang im Safe der Nuntiatur. Offenbar hatte Papst Pius XII. zwischenzeitlich von Heede erfahren, jedenfalls war es Kardinalstaatssekretär Maglione, der den Nuntius mit Schreiben vom 18.11.1942 aufforderte, die vier Briefe mit dem Text des Geheimnisses unverzüglich nach Rom zu schicken. Am 27. Februar 1943 trafen sie endlich im Vatikan ein. 78 Jahre später hielt ich sie als wahrscheinlich erster Historiker in den Händen.

Es sind vier Zettel unterschiedlicher Größe, einer auf den 5. November, die drei anderen auf den 6. November 1940 datiert. Auf jedem von ihnen schrieb eines der Kinder in säuberlicher Süterlin-Schönschrift die Worte Mariens nieder:

„Sagst dem hl. Vater er soll sich keine so schweren Sorgen um Deutschland machen. Ich werde ihn und die ganze Geistlichkeit in dieser schweren Zeit unter meinen besonderen Schutz nehmen. Und Deutschland wird für den Unglauben und die Unsittlichkeit gezüchtigt werden. Erzähle dieses nur dem Hl. Vater.“ (ACDF, DEV.V. 1943, 9, p. 5-8)

Während die Interpunktion in den vier Niederschriften variiert – mal beginnt mit „Ich“ ein neuer Satz, ein anderes Mal nur ein Satzteil – ist der Wortlaut der Marienbotschaft absolut identisch, was an sich schon bemerkenswert ist. Doch noch erstaunlicher ist die Botschaft selbst.

Halten wir uns vor Augen, dass sie am 5./6. November 1940 niedergeschrieben wurde, zu einem Zeitpunkt also, als ganz Europa Hitler fürchtete, dessen Armee noch zwei weitere Jahre (bis zur Schlacht von el-Alamein) als praktisch unbesiegbar galt, weil es in den ersten drei Jahren des Krieges praktisch keine einzige Niederlage erlitten hatte. Die Vorstellung, dass der Größenwahn der Nationalsozialisten einmal bestraft, dass Deutschland „gezüchtigt“ und einen Krieg verlieren würde, ja dass große Teile des Landes in ein Trümmerfeld verwandelt würden, muss damals als geradezu absurd erschienen sein. Genau das aber, die fatale Niederlage Nazi-Deutschlands, sagte die Gottesmutter viereinhalb Jahre vor Kriegsende in Heede voraus. Doch damit endete ihre Prophetie nicht. Sie versicherte den Kindern und durch sie dem Heiligen Vater, dass es Hitler nicht gelingen würde, die katholische Kirche in Deutschland zu zerschlagen, auch wenn er genau das für die Zeit nach dem „Endsieg“ plante, wie er in seinen Tischreden unverhohlen ankündigte. Im Sommer 1943 erteilte der braune Diktator sogar Befehl, den Vatikan zu stürmen und den Papst entweder zu töten oder nach Deutschland zu verschleppen, sollte dieser offen gegen die Ermordung von Millionen Juden protestieren. Doch so bedrohlich die Lage der Kirche in Deutschland auch erschien, sie überstand den Zweiten Weltkrieg nahezu unbeschadet. Sogar von den 2579 im KZ Dachau inhaftierten katholischen Priestern – darunter 1780 Polen und 447 Deutsche und Österreicher – überlebte ein Großteil die brutalen Haftbedingungen. Kein einziger deutscher Bischof wurde Opfer der Verfolgung und auch Pius XII. und der Vatikan überstanden die neun Monate, die Rom von den Deutschen besetzt war, unbeschadet. Damit erfüllte sich auch die zweite Prophezeiung von Heede.

Noch beeindruckender aber ist, wie präzise der kurze Text die größte Sorge von Papst Pius XII. beschreibt. Eugenio Pacelli, der zwölf Jahre lang in München und Berlin als Nuntius gedient hatte, liebte Deutschland und litt zutiefst darunter, dass sich dieses Land, das ihm zur zweiten Heimat geworden war, jetzt in den Händen skrupelloser Verbrecher befand. Seine Sorge um Deutschland ging so weit, dass er sogar seit Oktober 1939 mit dem deutschen Widerstand kollaborierte, jenen Offizieren also, die nicht weniger als einen Staatsstreich planten und Hitler notfalls sogar töten wollten (was dann leider am 20. Juli 1944 misslang). Wenn er trotzdem 1940 Hitlers Außenminister Ribbentrop im Vatikan empfing, so geschah dies allein aus der Sorge, dass ohne diplomatische Beziehungen die Katholiken im Reich ganz der Brutalität Hitlers ausgesetzt gewesen wären. Eben diese Zwickmühle, diese große Sorge, die ihm den ganzen Krieg über schlaflose Nächte bereitete und der zu dieser Zeit seine meisten Gebete galten, fand in der Heeder Marienbotschaft ihre präzise Antwort.

Dabei ist undenkbar, dass vier naive Landmädchen aus dem Emsland auch nur ahnen konnten, was den Papst in diesen Tagen so sehr bewegte; die Nazi-Zeitungen bemühten sich allzu eifrig, den Katholiken im Reich vorzugaukeln, dass der Papst das Regime billige, ein Eindruck, den Ribbentrops Besuch im Vatikan im März 1940 zu bestätigen schien. Zudem war die Botschaft hochbrisant; wäre sie den Nazis in die Hände gefallen, hätte dies unabsehbare Folgen für die vier Seherkinder gehabt. Insofern ist das „Geheimnis für den Papst“ das bislang eindrucksvollste Indiz für einen übernatürlichen Ursprung der Ereignisse von Heede. Seine Veröffentlichung sollte Anlass zu ihrer Neubewertung auch durch die diözesanen Behörden sein.

Wollte die Gottesmutter nicht nur die deutschen Katholiken in der dunkelsten Stunde ihrer Geschichte trösten und ihnen versichern, dass der Himmel sie nicht allein ließ? Hat sie auch Papst Pius XII. auf diesem Weg Trost spenden wollen? Weitere Forschungen in den Vatikanarchiven sollten klären, ob und wann die Briefe der Kinder dem Heiligen Vater vorgelegt wurden – und inwiefern sie seine Entscheidungen ab dem Frühjahr 1943 beeinflusst haben könnten.

Archivfoto: Die Seherkinder von Heede


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