Der Paradigmenwechsel im Lebensschutz wird immer dringender

9. Jänner 2023 in Kommentar


Es war ausgerechnet der Tag der Beerdigung von Papst Benedikt XVI., als die deutsche Bundesministerin für (alles außer) Familie ihre Absicht bekräftigte den §218 endgültig aus dem Gesetzbuch zu streichen - Der Montagskick von Peter Winnemöller


Linz (kath.net)

Es war ausgerechnet der Tag der Beerdigung des von vielen schon als Kirchenlehrer angesehenen Papst Benedikt XVI., als die deutsche Bundesministerin für (alles außer) Familie ihre Absicht bekräftigte den §218 endgültig aus dem Gesetzbuch zu streichen. Es war die Beerdigung des Mannes, der am 22. September 2011 die seit Jahrzehnten einzige Oppositionsrede im Deutschen Bundestag gehalten hatte. Das Christentum, so führte der Papst damals aus, habe dem Staat nie direkte Vorgaben aus einer Offenbarung gemacht. Vielmehr habe es „stattdessen auf Natur und Vernunft als die wahren Rechtsquellen verwiesen“. Benedikt XVI. weiter: „Das positivistische Konzept von Natur und Vernunft, die positivistische Weltsicht als Ganze ist ein großartiger Teil menschlichen Erkennens und menschlichen Könnens, auf die wir keinesfalls verzichten dürfen.“ Der Papst entwickelte im Laufe der Rede eine Ökologie des Menschen.

Die Fraktion der Partei „Bündnis 90 / Die Grünen“ war der Rede ferngeblieben. Nicht nur, dass das einen Eklat darstellt, es zeigt sich auch, dass Sitzungsschwänzen nichts anderes als das pseudoerwachsen fortgesetzte pubertäre Schulschwänzen mit häufig folgender Ausbildungs(abschluss)verweigerung durchaus konkrete Folgen zeigt. Mit der Weigerung dem klügeren zuzuhören, ist die Abnahme der Vernunft evident. „Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande“, zitierte der Papst in seiner damaligen Rede den Heiligen Augustinus. Der konkrete Plan, die Tötung menschlichen Lebens in den ersten Lebensmonaten aus dem Strafrecht zu streichen, ist dem Grunde nach nichts als ein weiterer Schritt unseres Staates hin zu einer Räuberbande. Da sich insbesondere die Grünen durch unbeirrtes, von keiner Vernunft gestörtes Festhalten an ihren Ideologien auszeichnen, verwundert es nicht, dass die tiefgreifenden Gedanken des Pontifex spurlos an ihnen vorüber gegangen sind. Auch der Natur steht sie selbsternannte Ökopartei immer dann fremd gegenüber, sobald sich eine Frage der Natur des Menschen auftut. Ja mehr noch, der Selbsthass dieser Ideologie verneint sogar, dass der Mensch eine Natur hat.

Schnittmengen gibt es – besonders in Fragen der Dekonstruktion der natürlichen Familie, der natürlichen Fortpflanzung des Menschen und last not least in Fragen der Natur des Menschen selbst – über alle derzeitigen Regierungsparteien hinweg. Das vorübergehende Zurückzucken der FDP, den seinerzeit mühsam gefundenen Kompromiss aller damals im Bundestag maßgeblichen Parteien aufzugeben, sollte man nicht als Bemühungen um den Schutz des menschlichen Lebens werten. Nach wie vor ist der Schutz des Lebens ein – wenn auch abkühlendes – Lagerfeuer, welches die Unionsparteien mit der Kirche teilen. Mit einer allzu liberalen Haltung zum Lebensrecht würden sich die Liberalen als spätere Koalitionspartner der Union in eine schlechtere Position bringen. Man mache sich bitte keine Illusionen. Das liberalpropagandistische Blendwerk des Justizministers würde die erste Lesung Liberalisierung der Abtreibung nicht überleben.

Realpolitisch gesehen ist die Abschaffung des §218 und damit die Freigabe aller ungeborenen Kinder zur straffreien Tötung noch nie so nahe gewesen. Bei allem Respekt vor dem politischen Kampf der Lebensrechtsbewegungen, hier ist besonders der Dachverband, der Bundesverband Lebensrecht zu nennen, gilt es den politischen Realitäten ins Auge zu sehen. Mag es vielleicht diesmal noch einmal gelingen, eine Abschaffung zu verhindern. Angesichts der politischen Wirklichkeit in Deutschland ist es möglich aber wenig wahrscheinlich. Gleichwohl möge bitte niemand davon ausgehen, dass in zehn Jahren der §218 in der heutigen Form noch im Strafgesetzbuch steht. Im Übrigen sollte angesichts von jährlich 100.000 Abtreibungen in Deutschland niemand, dem der Schutz des Lebens ein Anliegen ist, den jetzigen §218 um jeden Preis verteidigen. Auch ein kleineres Übel ist ein Übel. Gerade ein kleineres Übel kann, wie man an der stets lavierenden Haltung deutschen Kirchenstrukturen sehen kann, der slippery slope zum weitaus größeren Übel werden, wenn der Kampf erlahmt und die Haltung aufweicht. Der kirchliche Versuch am Beratungsscheinunwesen mitzuwirken, musste erst durch eine direkte Anordnung von Papst Johannes Paul II. beendet werden. Das war Entweltlichung auf päpstliche Anordnung. Das war der vorgezogene Beweis für die Entweltlichungsprophetie von Papst Benedikt XVI. in Freiburg. Entweder die Kirche löst sich aus weltlichen Strukturen oder sie wird dazu gezwungen.

Niemand mache sich etwas vor, eine Abschaffung des §218 würde die Barbarei der Abtreibung, die schon jetzt in unserem Land grassiert, nur vermehren. Die absoluten Zahlen, so sie überhaupt noch erhoben würden, würden merklich steigen. Doch es geht nicht um Zahlen. Es ging nie um Zahlen und es darf nicht um Zahlen gehen. Es geht um Menschen. Es geht um Menschen, denen ihr Grundrecht auf ihre Geburt streitig gemacht wird. Der Kampf um das Recht auf Leben des Menschen ist ein Grundrechtekampf. Es ist ein Kampf, den nur die Geborenen führen können, weil die Ungeborenen keine Stimme haben. Wenn wir von Kinderrechten reden, dann ist auch das Recht eines ungeborenen Kindes auf seine Geburt ein Kinderrecht. Es ist, nimmt man die päpstliche Rede von Natur und Vernunft als den wahren Rechtsquellen, ein Makel unseres Rechts, wenn wir den Schutz des menschlichen partiell nur durch Strafgesetz geregelt haben und das Recht auf Leben in jeder Phase des Lebens nicht dezidiert Verfassungsrang hat.

Damit verschiebt sich der Blick erheblich. Längst ist es obsolet, den geltenden grottenschlechten §218 und alles rundherum zu verteidigen, da nach Streichung von §219a ohnehin schon munter für die Tötung menschlicher Kinder im Mutterleib geworben werden darf. Es ist ein Kampf um Potemkin’sche Dörfer hinter deren Fassaden längst der Krieg gegen die Ungeborenen tobt. Die höchstrichterlichen Auflagen, die Schutzfunktion des 218 zu evaluieren, wird ebenso munter ignoriert, wie von einem frei erfundenen Recht auf Abtreibung fabuliert wird. Da ist nichts mehr zu verteidigen, da sind die Bastionen längst geschliffen. Wir brauchen einen Perspektivwechsel, den die Lebensrechtsbewegung in großen Teilen übrigens längst vorweggenommen hat.

Da ist zunächst einmal der Kampf um den einzelnen Menschen. Seit Bestehen der Lebensrechtsbewegung und -verbände gibt es einen engen Zusammenhang zwischen dem politischen Kampf und der persönlichen Hilfe. Fast alle Lebensrechtsorganisationen sind außer Lobbyisten auch Hilfsorganisationen. Das ist eine Stärke der Lebensrechtsbewegung, die nach Abschaffung des §218 erst mal richtig sichtbar werden wird. Egal zu welchen Gruselmaßnahmen sich der Gesetzgeber versteigt, die Verbände haben sich einen über die Politik hinaus gehenden Auftrag erteilt. Selbst wenn man Gehsteigberatung und Gehsteig- Gebete verbieten sollte, selbst wenn man die Verbände in den Untergrund zwingen würde. Es gibt auch dann immer noch Möglichkeiten der Hilfe.

Zwei Punkte werden nach Abschaffung des §218 vor allem anderen im Fokus stehen müssen: der Beginn des Kampfes um ein Grundrecht auf seine Geburt für jeden Menschen und der Ausbau der schon vorhandenen Hilfe. Jede Abtreibung hat zwei Opfer: Das verstorbene Kind und die verwaiste Mutter. Es geht primär um Prävention, das heißt Mütter zu helfen, mit ihren Kindern vor und nach der Geburt leben zu können. Es geht bei der Hilfe dann sekundär um den Ausbau von Hilfsprogrammen für Frauen nach Abtreibung. Staat und Abtreibungsorganisationen lassen die Mütter nämlich mit ihrer Tat allein oder reden ihnen die Folgen aus. Nicht nur die Hilfe anzubieten gilt es, es gilt auch über die Hilfsangebote zu reden.

Der Kampf um das Grundrecht auf Geburt lässt sich dem Grunde nach leicht formulieren: GG Art. 3 Abs.3 Jeder Mensch hat das Recht auf seine Geburt. Sowie: GG Art. 3 Abs. 3 Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung oder weil er noch nicht geboren ist benachteiligt werden.

Das umzusetzen, wird ein Kampf über Jahrzehnte werden. Vielleicht finden sich Juristen, die die erwünschten Grundgesetzartikel besser formulieren können als ein Journalist.

Haben wir solche Sätze im Grundgesetz, so ist hinsichtlich des Schutzes ungeborener Menschen und ihrer Mütter Vernunft und Natur genüge getan und die Ökologie des Menschen hätte einen weiteren großen Schritt in die Verfassung hineingetan. Natürlich ist es ein Grausen, was die gegenwärtige Regierung den Menschen zumutet, doch die hier aufgeschriebenen Gedanken mögen zeigen, wie ein entweltlichtes Christentum sich in einer entchristlichten Welt manifestieren kann: „Mami, bist Du in Not, ist Dein ungeborenes Kind bedroht, dann geh zu den Christen, die helfen Dir.“


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