17. Jänner 2023 in Kommentar
Bundesregierung will Ablösung der Staatsleistungen durchsetzen und damit den atheistischen und laizistischen Versuch unternehmen, eine totale Trennung von Staat und Kirche herbeizuführen.“ Gastbeitrag von Rechtsanwalt Lothar C.Rilinger
Hannover (kath.net) Als Jesus Christus der Welt den Auftrag erteilt hat, zu missionieren und alle Menschen zu seinen Jüngern zu machen, hat er bewusst darauf hingewiesen, dass „alle“ Menschen zu ihm bekehrt werden sollen. Ein Mittel, um dieser fast übermenschlichen Aufgabe nachzukommen, liegt in der Barmherzigkeit, in einer tätigen und helfenden Barmherzigkeit. Diese erschöpft sich nicht in der Sorge um die Seelen aller Menschen, sondern umfasst auch die Sorge um deren leibliches Wohl und Gesundheit – um deren Körper. Aus diesem Grund sind die Aufgaben der Kirche vielfältig, und sie übersteigen bei Weitem die Feier der sonntäglichen Messe. Seelsorge wird nicht nur in der Hl. Messe als dem Zentrum der Begegnung mit Gott praktiziert, diese Sorge ist seit eh und je ausgeweitet auf soziale Bereiche. Immer schon hat sich die Kirche um die Armen, Verfolgten, Flüchtlinge, Kranke, Obdachlose und Benachteiligte gekümmert. In dieser sozialen Sorge transzendiert die Kirche jegliche konfessionalistischen Grenzen und öffnet sich allen Menschen, um diesen das Eigentliche der Kirche Jesu Christi aufzuzeigen: die Barmherzigkeit. Allein die christliche Orientierung der katholischen sozialen Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser oder Altersheime, um nur einige zu nennen, üben eine auf den ersten Blick seltsame Anziehungskraft auch auf kirchenferne Personen aus – eine Kraft, die in der besonderen Atmosphäre dieser Einrichtungen, im Anhauch der Metaphysik, begründet ist. Es ist das Kreuz, dieses Symbol der Christenheit, das in jedem Zimmer aufgehängt ist und die Lebenseinstellung und damit auch den genius der Einrichtung repräsentiert, den Geist, der im Kreuz angelegt ist und in ihm seinen sichtbaren Ausdruck findet. Es wird ein Menschenbild vorgelebt, das in der christlichen Lehre als biblische Nächstenliebe beschrieben wird. Diese ist mehr als das soziale Moment, sie ist nichts Anderes als Menschenliebe – als Liebe dem Menschen an sich, dem Geschöpf Gottes, nicht einem als Folge eines Vertragsverhältnisses zur Nummer verkommenen Menschen gegenüber. Diese Menschenliebe drückt sich in der Behandlung der Nutzer der kirchlichen Einrichtungen aus. Die Angestellten in den kirchlichen Einrichtungen sehen – gerade in den Krankenhäusern – die Nutzer nicht als zahlende Kunden, denen man eine Gegenleistung zu erbringen habe. Im Patienten, um ein Beispiel zu nennen, wird jeder leidende Mensch als Kind Gottes gesehen, das geliebt werden muss. Diese innere Einstellung, die dem Nutzer der Einrichtung ein Gefühl des Angenommenseins vermittelt und die Fremdheit, die der Nutzung einer Einrichtung immer vorausgeht, schnell vergessen lässt, dieses Verhältnis dem Nächsten gegenüber ist Ausfluss des Glaubens an die Vorstellung, dass jeder Mensch als imago Dei von Gott gewollt ist, unabhängig davon, wie oder wer er ist. Diese Geisteshaltung zieht die Menschen magnetisch an, ja, sie vermittelt dem Nutzer eine Geborgenheit, nach der er sich sehnt.
Doch diese Einrichtungen benötigen eine finanzielle Basis, ohne die sie nicht betrieben werden können. Für Gottes Lohn und ein „Vergelt´s Gott!“ können vielleicht Angehörige von kirchlichen Orden diese Aufgaben erfüllen, nicht jedoch Personen, die ihren Lebensunterhalt und denjenigen ihrer Familie finanzieren müssen. Ihnen muss eine Entlohnung gezahlt werden, ansonsten müssen sie sich, der Not gehorchend, einen anderen Arbeitsplatz suchen. Auch müssen die Einrichtungen unterhalten werden, was gerade im Bereich der Krankensorge mit immensen Kosten verbunden ist.
Nachdem auf Grund des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 kirchliches Vermögen, einschließlich kirchlicher Staaten säkularisiert, also entschädigungslos enteignet worden ist, verfiel die Kirche in bitterste Armut. Mangels finanzieller Ressourcen war die Kirche gezwungen, sich aus ihrer sozialen Verantwortung den Menschen gegenüber zurückzuziehen. Es war ihr finanziell nicht mehr möglich, soziale Einrichtungen zu betreiben. Allerdings war auch der Staat nicht in der Lage, diesen herben Verlust mit seinen Mitteln zu kompensieren. Es trat deshalb in den deutschen Staaten ein sozialer Notstand auf, den die Staaten aber nicht hinnehmen konnten und wollten. Deshalb wurden der Kirche und weiteren religiösen Institutionen finanzielle Mittel als Entschädigung zur Verfügung gestellt – Mittel, die als wiederkehrende „Staatsleistungen“ bezeichnet werden. Dadurch konnte die Kirche den Betrieb der sozialen Einrichtungen wieder aufnehmen. Diese Mittel benötigt die Kirche allerdings nach wie vor, um ihren vielfältigen sozialen Aufgaben nachkommen zu können. Allerdings will die Bundesregierung die Ablösung der Staatsleistungen durchsetzen und damit den atheistischen und laizistischen Versuch unternehmen, eine totale Trennung von Staat und Kirche herbeizuführen. Dadurch würde der Kirche zwar im Rahmen der Ablösung Geld zufließen, doch dann nicht mehr.
Die Kirche benötigt auch die Kirchensteuer, die zwangsweise gezahlt werden muss, um ihren vielfältigen Aufgaben nachkommen zu können. Sollte die zwangsweise Zahlung der Kirchensteuer wegfallen, würde zwar auch dem Staat, der sich die Eintreibung gut bezahlen lässt, eine eigene Einkunftsquelle abhandenkommen, doch die Kirche würde, was viel gravierender wäre, in ein finanzielles Loch stürzen. Ein Blick nach Frankreich zeigt die Konsequenzen der Abschaffung der Kirchensteuer auf. Die Kirche dort ist auf freiwillige Zahlungen angewiesen ist. Sie ist deshalb kaum in der Lage, ihren Bediensteten, also Priestern und Arbeitnehmern, ein angemessenes Salär zu zahlen. Die Priester, die im Limousin, im Südwesten Frankreichs, ihren seelsorgerischen Dienst erbringen, verdienen noch nicht einmal den gesetzlichen Mindestlohn und müssen am Ende des Jahres bei finanziell besser gestellten Gemeindemitgliedern um Almosen betteln.
Wenn man also die Staatsleistungen ablöst und wenn auch noch die Kirchensteuer aufgehoben wird, wären wir der gewollten vollständigen Trennung von Staat und Kirche, einem Traum atheistischer und laizistischer Denker, einen Schritt nähergekommen und die Kirche würde weiter in den privaten Bereich abgedrängt werden – dorthin, wo sie nach Auffassung der Atheisten hingehören soll. Der nächste Schritt wäre dann die Forderung, die katholischen theologischen Fakultäten an den Universitäten aufzulösen; denn, so lautet die Begründung, aus welchem Grund sollte es dem Staat obliegen, den priesterlichen Nachwuchs mit den Steuern atheistischer und kirchenferner Staatsbürger zu finanzieren.
Auch wenn der Staat aus dem Sozialstaatsprinzip heraus verpflichtet ist, Institutionen, also auch die Kirche, finanziell zu unterstützen, die sich sozial engagieren – was eine totale Trennung vor Staat und Kirche logischerweise unmöglich macht –, würde die Kirche aber nicht mehr in der Lage sein, ihren bisherigen sehr umfangreichen sozialen Verpflichtungen nachzukommen, wobei nicht vergessen werden darf, dass die Kirchen die größten Arbeitgeber in Deutschland sind. Ein Kappen des Geldflusses hätte deshalb auch für sehr viele Arbeitnehmer die Entlassung und damit Arbeitslosigkeit zur Folge. Wenn man diese Entwicklung als Entweltlichung bezeichnet, dann hätte man dieses Ziel erreicht – um den Preis sozialer Verwerfungen. Eine arme Kirche könnte nur noch Seelsorge betreiben, aber fast keine soziale Sorge mehr. Sie würde dann weiter marginalisiert werden, so dass sie kaum noch in die Gesellschaft hineinwirken könnte. Die Entwicklung im 19. Jahrhundert hat gezeigt, wohin eine arme, eine bitterarme Kirche führt. Die bittere Armut der Kirche ist aber nicht Ausdruck einer Entweltlichung. Diese soll die Kirche und die Gläubigen erfassen und nicht mehr das Heil im hinter-dem-Zeitgeist-Herlaufen sehen, sondern in der Lehre Jesu Christi. Entweltlichung ist als Rekurs auf das Eigentliche des Glaubens zu verstehen – auf die frohe Botschaft –, die sich im seelsorgerlichen und auch im sozialen Bereich zeigen muss. Wenn man sich für die Ablösung der Staatsleistungen und für die Aufhebung der Kirchensteuer einsetzt, entspricht es der intellektuellen Redlichkeit, auch die Konsequenzen aufzuzeigen, wohin dieser Weg führen wird. Diese Folgen muss man vor Augen haben – auch deshalb, um die Kirche weiterhin als bedenkenswerte Beraterin der Politik und des Staates im Spiel zu belassen.
kath.net-Buchtipp
Lothar C. Rilinger: Deutschsprachige Theologen in Rom
Eine Begegnung mit ihren Gedanken
Taschenbuch, 310 Seiten
2021 Mainz Verlagshaus Aachen; Patrimonium
ISBN: 978-3-86417-169-7
Preis Österreich: 17.30 Euro
Lothar Rilinger (siehe Link) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht i.R. und stellvertretendes Mitglied des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes a.D.
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