Weltweite Christenverfolgung wird in Österreich oft "übersehen"

20. Jänner 2023 in Weltkirche


"Open Doors"-Pressekonferenz: Fachleute beklagen Indifferenz gegenüber dem Leid der als "Mainstream" empfundenen Christen - Religionsfreiheit ist guter Indikator für Menschenrechtslage insgesamt


Wien (kath.net/KAP) Christenverfolgung kann in autokratischen Staaten ein Ausmaß an Gewalt und Schikanen annehmen, das man sich hierzulande kaum vorstellen kann. Auf zwei markante Fälle machte der deutsche Mitarbeiter des Hilfswerks "Open Doors", Thomas Müller, am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Wien aufmerksam: Im Mai 2022 wurde im Nordwesten Nigerias die christliche Studentin Deborah Samuel von muslimischen Studenten nach einem als beleidigend empfundenen Post gesteinigt, ihre Leiche danach verbrannt. Ihr "Vergehen": Sie hatte sich nach bestandenem Examen via WhatsApp bei Gott für dessen Beistand bedankt. Und in China wurde der Betreiber eines christlichen Buchladens 2022 zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, seine Kunden bekamen wegen teils Jahre zurückliegender Bestellungen Polizeibesuch.

Mit Verletzungen der Religionsfreiheit und der Menschenrechte wie diesen ist "Open Doors" seit der Gründung 1955 befasst - der anfängliche Fokus auf osteuropäische, kommunistisch regierte Länder hat sich mittlerweile auf den gesamten Erdball ausgeweitet, informierte der Geschäftsführer von "Open Doors Österreich", Kurt Igler. Und nach Verbesserungen der Verfolgungslage in den 2000er-jahren habe sich im vergangenen Jahrzehnt die Situation für viele Christen wieder dramatisch verschlechtert, wie auch aus dem am Mittwoch veröffentlichen Weltverfolgungsindex 2023 - der mittlerweile 30. Auflistung dieser Art - hervorgeht.

Wie Experte Müller sagte, ist dieser hochdifferenzierte Index eine gute Quelle für Einschätzungen der gesamten Menschenrechtssituation in einem Land: Religionsfreiheit sei dafür ein guter Indikator, denn ihre Einschränkung verletze u.a. auch das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit, jenes auf Bildung und Versammlungsfreiheit. Vielfach gebe es jedoch in westlichen Demokratien wie Österreich wenig Aufmerksamkeit für Christenverfolgung, war sich Müller mit den anderen Fachleuten am Podium einig. Der katholische Publizist Hans Winkler meinte gar, das Thema sei Medienvertretern "peinlich"; Christen würden viel eher mit dem "Mainstream" assoziiert - auch in Ländern, wo sie eine kleine Minderheit bilden. Als schützenswerte Minderheit würden hierzulande eher Gruppen wie die Palästinenser in Nahost oder die Rohingya in Myanmar gelten.

Christen leiden in Nigeria und China

In der Rangliste der 50 Länder mit der stärksten Christenverfolgung nehmen die eingangs genannten Staaten Nigeria (Platz 6) und China (16) vordere Plätze ein. Ganz Subsahara-Afrika werde aktuell - ausgehend von Nigeria - von einer Welle religiös motivierter Gewalt heimgesucht. Im bevölkerungsreichsten afrikanischen Staat sei die Zahl der religiös motivierten Tötungen von 4.650 im letzten Jahr auf 5.014 gestiegen - das sind 89 Prozent der internationalen Gesamtzahl. Viel werde vom Ausgang der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen Ende Februar abhängen, sagte "Senior Persecution Analyst" Thomas Müller. Er befürchtet nichts Gutes für die Zukunft, denn das ehedem geltende Übereinkommen, dass Muslime und Christen abwechselnd das Staatsoberhaupt stellen, sei mittlerweile für die sich radikalisierenden Muslime obsolet.

In China habe Covid-19 die Lage für die Christen verschlechtert, die Kontrolle über die Religionsfreiheit wurde weiter verschärft, so Müller. Für die Verbreitung christlicher Inhalte brauche man nun eine Lizenz, der Online-Kauf von gedruckten Bibeln sei verboten, Bibel-Apps und damit verbundene christliche Online-Ressourcen wurden gesperrt. Und die technischen Methoden in China zur Kontrolle der Bevölkerung - durch Iriserkennung, Fingerprints oder Handyortung - haben sich laut dem Menschenrechtsexperten vervielfacht, Gemeindezusammenkünfte seien unter dem Deckmantel der Pandemiebekämpfung massiv erschwert worden.

Intoleranter Islam schreckt ab

Auf eine bemerkenswerte Entwicklung im muslimischen Einflussbereich machte Geschäftsführer Igler aufmerksam: Es gebe deutlich mehr Konversionen vom Islam zum Christentum, aus Schutz der Personen oft verdeckt und "inoffiziell". Eine Rolle spiele dabei die gerade unter jungen Gläubigen verbreitete Vision einer für Liebe und Frieden stehenden Lichtgestalt, die mit Jesus - im Koran Isa - identifiziert wird. Igler hält es für plausibel, dass die in den vergangenen Jahrzehnten im Islam gestiegene Intoleranz gegenüber Andersgläubigen und radikale Gruppen wie der IS oder Boko Haram moderate Muslime abschrecken und deren Interesse am Christentum schüren.

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