15. März 2023 in Kommentar
Eine Anmerkung zum Liturgieverständnis Joseph Ratzingers/Benedikts XVI. Gastkommentar von Dennis-Jens Ernst
Vatikan (kath.net) Als am Silvestertag des vergangenen Jahres Papst em. Benedikt XVI. sein Leben in die Hände des Schöpfers zurückgab, wurde schnell bekannt, was seine letzten Worte in dieser Welt waren. Nach einem langen Leben in akademischer Lehre und bischöflicher Hirtensorge, das durchzogen ist von unzähligen Akten der Schriftauslegung und der Abfassung bedeutender theologischer Werke, war es auf dem Sterbebett ein schlichtes Wort: „Signore ti amo“.
Diese Begebenheit ist wie ein Desiderat seines ganzen Lebens. Joseph Ratzinger, der Gelehrte auf dem Stuhl Petri, hatte die Fähigkeit, komplexe theologische Sachverhalte in ihrer ganzen breite und tiefe zu durchdringen, sie aber immer wieder auf einen inneren Wesenskern zurückführen zu können. Entfaltung und Konzentration kann als Leitlinie seines Denkens gelten. Diesen beiden Polen kann auch im Hinblick auf sein Verständnis von Liturgie nachgespürt werden. Die Kritiker sahen in den Zelebrationen Papst Benedikts meist nur die äußere liturgische Prachtentfaltung, das Wiedererscheinen von Brokat und Damast, goldener Ferula und Fanone. Folgende Zeilen des Liturgiewissenschaftlers Albert Gerhards sind beispielgebend:
„Im Lauf des Pontifikats von Papst Benedikt XVI. hatte man sich längst wieder an einen kurialen Stil gewöhnt, der ohne Brokat, Spitzen, Hermelinpelzchen und Schabraken nicht zu denken ist. Schon seit Beginn des langen Pontifikats seines Vorgängers Johannes Paul II. tauchte manches von dem, was in den sechziger und siebziger Jahren verschwunden war, aus der Mottenkiste der Geschichte wieder auf“.
Und der Journalist Daniel Deckers attestiert in seiner Biographie über Papst Franziskus:
„Das leicht Schwüle der Ära Benedikt, in der sich manche an Spitzenrochetts und anderen femininen Accessoires nicht genug ergötzen konnten, ist vorbei“.
Jenseits solch plakativer Beurteilungen, die Papst Benedikt als Anachronisten und geistlichen Restaurator barocker Paramente erscheinen lassen, übersahen die scharfzüngigen Kritiker aber den wesentlichen Punkt der theologischen Konzentration, das synchrone Element, nämlich die Hingabe Joseph Ratzingers/Benedikts XVI. in die Vorgaben liturgischer Rechtsetzungen, wie sie das II. Vatikanische Konzil für die Liturgie der Kirche statuiert hat und die er in Folge des Konzils in Wort und Tat authentisch zu entfalten suchte. Das liturgische Verständnis Joseph Ratzingers/Benedikts XVI. ist unter den Maßgaben der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium darauf ausgerichtet, in der Vielgestaltigkeit liturgischen Handelns zu einer Mitte hinzuführen: Zur Begegnung mit dem lebendigen Gott, denn schon „am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt“ (Deus caritas est, 1). Zahlreiche liturgietheologische Texte aus seiner Feder deuten diesen Kernpunkt aus.
Die äußere „edle Schönheit/nobilis pulchritudo“ (SC 124) entfaltet sinnenfällig die den liturgischen Handlungen innewohnende „edle Einfachheit/nobilis simplicitas“ (SC 34). Beides sind die Brennpunkte der Ellipse, auf deren Umlaufbahn sich liturgisches Agieren vollzieht. Das spannungsvolle Verhältnis von simplicitas und pulchritudo kann nicht zu einer Seite hin aufgelöst werden, sonst gerät die Liturgie aus dem Gleichgewicht. Das Postulat der Einfachheit darf nicht mit Gestaltlosigkeit verwechselt werden und die Schönheit ist nicht Pomp und Tand, sondern Ausfluss „aller Formen wahrer Kunst“ (SC 112). Diese Erkenntnis kommentiert Joseph Ratzinger:
„Die Liturgie ist für alle da. Sie muss ‚katholisch‘, d.h. kommunikabel für alle Glaubenden ohne Unterschied des Ortes, der Herkunft, der Bildung sein. Sie muss daher ‚einfach‘ sein. Aber das Einfache ist nicht das Billige. Es gibt die Einfachheit des Banalen, und es gibt die Einfachheit, die Ausdruck der Reife ist. In der Kirche kann es nur um diese zweite, die wahre Einfachheit gehen. Die höchste Anstrengung des Geistes, die höchste Reinigung, die höchste Reife, bringt die wahre Einfachheit hervor. Die Forderung nach dem Einfachen ist, recht gesehen, mit der Forderung nach dem Reinen und dem Reifen identisch, das es gewiss auf vielen Stufen, aber nie auf dem Weg der seelischen Anspruchslosigkeit geben kann“.
Ein letzter Blick auf die Totenbahre des Papa emerito: Keine Brokatkasel sondern ein schlichtes rotes Messgewand, von ihm getragen beim Weltjugendtag in Sydney, „wer es fassen kann, der fasse es!“ (Mt 19,12).
Dennis-Jens Ernst ist Mag. Theol. und Kirchenmusiker.
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