8. März 2023 in Kommentar
„Eine solche widersprüchliche, mangelhafte Textvorlage würde kein säkulares Gremium durchgehen lassen… Priester und Bischöfe der Synodalversammlung müssten das Dokument bei der Abstimmung zurückweisen.“ Gastkommentar von Hubert Hecker
Frankfurt a.M. (kath.net) Auf der anstehenden Vollversammlung des Synodalen Wegs wird gleich am ersten Verhandlungstag über den Grundtext des Synodalforums II abgestimmt: ‚Priesterliche Existenz heute‘. Darin legen die Synodalen die Axt an das sakramentale Priestertum an, indem sie die Plausibilität und „Notwendigkeit des Priestertums“ in Frage stellen (S.10). Das geschieht im Widerspruch zur gesamten Tradition der Kirche einschließlich des II. Vatikanums.
Skandalnarrativ über Kirche und Klerus
Als entscheidender Hebel für die Forderung nach grundstürzenden Veränderungen bezüglich des hierarchischen Priestertums wird der „Skandal des sexuellen Missbrauchs“ (S.16) benutzt. Mit diesem Begriff zeigen die Autoren an, dass sie sich nicht auf die nüchterne Bestandsaufnahme realer Daten von Missbrauchsvorkommen beziehen wollen, sondern auf die aufbauschende Skandalisierung, mit der die Medien seit 2010 auf die Kirche drangsalieren und im Besonderen die katholischen Geistlichen pauschal in Misskredit bringen.
Schon in der Einleitungspassage folgt der Text der Stimmungsmache des medialen Skandalnarrativs: Die hohe Zahl der unbescholtenen Priester (etwa 96 Prozent) wird über das Adjektiv „viele“ mit dem geringen Anteil von Missbrauchsklerikern (von 4 Prozent) gleichgesetzt. Auch im weiteren Text bauscht man die relativ niedrige Anzahl von übergriffigen Geistlichen zu einer „hohen Zahl von Priestern, die zu Tätern wurden“, wahrheitswidrig auf (S. 5).
Offenbar haben die synodalen Textautoren ein Interesse daran, einen überhöhten oder gar endemischen Missbrauch in der Kirche zu suggerieren, um dann von systemischen Ursachen und begünstigenden Strukturfaktoren zu phantasieren – dem bekannten Begründungsmärchen des Synodalen Wegs.
Bei einer realistischen Einschätzung auf der Basis der tatsächlichen Daten dagegen lautet das Resümee: Die Zahl von 96 Prozent unbescholtener Priester zeigt auf, dass die Rahmen- und Strukturbedingungen für den Klerus sexuellen Missbrauch minimieren. Die Professoren Kröber und Pfeiffer bestätigen dieses Ergebnis mit ihren evidenzbasierten Aussagen, nach denen die Gruppe der zölibatären Priester signifikant weniger häufig in Missbrauchsverhalten verstrickt ist als andere Männer der entsprechenden Altersgruppen. Die Missbrauchsquote bei katholischen Geistlichen liege 36 Mal niedriger als beim männlichen Durchschnitt der Bevölkerung. Jedenfalls sind die vorliegenden Daten zu anderen gesellschaftlichen Institutionen deutlich höher. Nach der wissenschaftlichen Studie zu ‚Safe Sport‘ beklagt 37 Prozent der Kaderathleten sexuelle Übergriffe verschiedener Art von Trainern und Mitsportlern. Im Breitensport hat ein Viertel der Sportler sexualisierte Grenzverletzungen im Rahmen des Vereinssports erfahren (FAZ 22.1.22).
Keine wissenschaftlichen Belege zu systemischen Ursachen für Missbrauch
Für ihre These von kirchlich-systemischen Bedingungen für Missbrauch führen die Synodalen die MHG-Studie an. Zwar war den Forschern diese Hypothese als Projektziel aufgegeben worden. Aber im 350seitigen Forschungsbericht konnte selbst die doppelt abgeschwächte Formulierung von ‚möglicherweise begünstigenden Strukturen‘ nicht verifiziert werden. Im Gegensatz zu diesem wissenschaftlichen Ergebnis beharrt die DBK-Führung bis heute auf der vorgefassten Falschbehauptung von systemischen Ursachen. Das bedeutet ein Missbrauch des Missbrauchs mit dem Ziel, „systemische Veränderungen“ in der Kirche und speziell für das Priestertum als „unausweichlich“ erscheinen zu lassen (S.6).
In den Einzeluntersuchungen fanden die MHG-Forscher empirische Belege dafür, dass kirchenspezifische Strukturen wie der Zölibat oder priesterliche Macht für Missbrauchshandlungen von Klerikern weitgehend irrelevant sind, jedenfalls nicht als ermöglichend oder gar verursachend identifiziert werden konnten.
Im Teilprojekt 3 werden anhand von Strafakten die Täterprofile von klerikalen und nicht-klerikalen Beschuldigten verglichen. Die MHG-Studie kommt hier zu dem Ergebnis, dass die beschuldigten Kleriker sich den „Typologien sexueller Missbrauchstäter außerhalb des kirchlichen Kontextes zuordnen lassen“.
Bei dem angeblichen Risikofaktor Zölibat resümieren die Forscher: Der Zölibat stellt für die beschuldigten Kleriker kein Problem dar – im Gegensatz zu den Nichtbeschuldigten (S. 111).
Nur bei einem kleinen Teil von übergriffigen Geistlichen konstatiert man Ausnutzung der priesterlichen Amtsautorität bei der Anbahnung von Missbrauch. Doch das Zunutzemachen von Amt und Amtsmacht ist kein kirchentypisches Phänomen, sondern in allen Institutionen mit pädagogischen Ermächtigungen nachweisbar – etwa bei Lehrern, Heimerziehern, Sozialarbeitern und Trainern. Der Wasserspringer Jan Hempel klagte kürzlich in einer ARD-Dokumentation, dass sein Trainer ihn seit seiner Pubertät 14 Jahre lang missbraucht habe.
Auch die Art der sexuellen Gewalt unterscheidet sich nicht darin, ob sie von Klerikern oder Sporttrainern und Familienvätern begangen wird. Diese Aussage bestätigte der MHG- Studienleiter Prof. Harald Dreßling in einem Deutschlandfunk-Gespräch vom 1.7.2019.
Das Phantom des Synodalen Wegs: die Klerikalismusthese
Der Synodaltext unterstellt weiter, dass die MHG-Studie den sogenannten Klerikalismus als „Fehlform des priesterlichen Weiheverständnisses“ aufgewiesen hätte (S.9). In der Zusammenfassung des Forschungsberichts ist zwar eine Passage zu „Klerikalismus“ eingefügt. Unter dem Begriff soll eine kirchenspezifische Interaktionsdominanz von Priestern aufgrund von Amt und Weihe verstanden werden. Aber die Studie bleibt bei einer spekulativen und hypothetischen Begriffsentfaltung stecken. Sie erwägt, dass ein klerikalistisches Amtsverständnis zu Missbrauch führen könnte, ohne diese theoretische Möglichkeit an empirischen Ergebnissen der umfangreichen Studie belegt zu haben.
Die mit Aplomb vorgetragene Klerikalismusthese entpuppt sich als ein bloßes Phantom des Synodalen Wegs, um mit großem Getöse die ‚Überwindung des Klerikalismus‘ zu fordern (S.9-10).
Aus der dubiosen Sakralisierungsfalle…
Schließlich steigert sich der Synodaltext zu einem professoralen Wortgeschwurbel, indem er das sakramentale Priestertum als ein „innenblindes Regime monopolisierter männlich-zölibatärer Sakralmacht“ zu denunzieren versucht.
Die Hypothese von der überhöhten Sakralmacht der katholischen Priester hatte erstmals der Salzburger Theologe Gregor Maria Hoff auf dem Studientag der Deutschen Bischofskonferenz am 19. März 2019 in Lingen aufgebracht. Seine zentrale Aussage lautet:
„Die katholische Kirche befindet sich angesichts ihres Missbrauchsproblems in einer Sakralisierungsfalle. Der sakramentale Code greift immer – das ist seine Stärke. Er kann alles bestimmen – aber er droht gegenüber der Sakralmacht, die er voraussetzt, blind zu bleiben, indem er sie beansprucht.“
Bei diesem begrifflichen Argumentationslabyrinth drängt sich die Frage auf, ob die Bischöfe damals verstanden haben oder verstehen sollten, was der Autor meinte. Keiner der Bischöfe und Forumsteilnehmer stellte die Realitätsfrage, ob denn diese spekulative Begriffsjonglage etwas mit der empirischen priesterlichen Lebenswirklichkeit zu tun hätte.
Später hat man Hoffs Erzählung von der verrätselten Sakraldialektik auf die Schuldformel reduziert: ‚Überhöhte Sakralisierung des Priesteramtes trägt zu Missbrauch bei‘. Damit glaubten die Synodalen einen weiteren Faktor für systemische Missbrauchsursachen gefunden zu haben.
…mit einer soziopolitischen Lösung herauskommen?
Als die Bischöfe während des Vortrags noch darüber rätselten, wie man sich aus dieser dubiosen „Sakralisierungsfalle“ herauswinden könnte, zeigte der eloquente Theologe selbst einen vermeintlichen Ausweg. Hoff präsentierte vor den staunenden Bischöfen wie eine Zauberformel aus dem Hut eine sozio-politische Lösung für das angeblich kirchliche „Systemproblem“: Man entkomme der Sakralisierungsfalle „nicht anders als durch Gewaltenteilung – durch Macht-Kontrolle von außen, durch kirchliche Gewaltenteilung von innen her. Mit kirchlicher Gewaltenteilung lässt sich sakralisierte Macht verflüssigen. Durch Teilen der Macht nimmt sie nicht ab, sondern gewinnt Autorität. Der sexuelle Missbrauch der Macht (was für eine Unsinnsformulierung!) in der katholischen Kirche bildet dafür das Momentum.“
(Die staatspolitische Formel: Gewaltenteilung und Machtkontrolle mit dem Ziel einer kirchlich-parlamentarischen Räterepublik sollte später die Grundlage für das Forum I werden unter dem Titel: Macht und Gewaltenteilung in der Kirche. So will man das „Momentum“ des Missbrauchs missbrauchen, um die hierarchisch konstituierte Kirche grundstürzend umzubauen.)
Keine Begründung für ein sakral überhöhten Priestertum in der MHG-Studie
Zurück zum hier behandelten Grundtext vom Forum II (Priesterliche Existenz), in dem die Behauptung von der überhöhten Sakralmacht der Priester angeführt wird, um das katholische Priestertum in Misskredit zu bringen. Doch dagegen sprechen weitere Ergebnisse der MHG-Studie.
Nach dem Teilprojekt 3 neigt eine kleine Gruppe von einem Siebtel der Beschuldigten dazu, „mit der Autorität des Priesteramts verbundene Macht für eine inakzeptable Befriedigung eigener (sexueller) Bedürfnisse zu Lasten anderer zu nutzen“ (S.128). Dieses Teilergebnis widerlegt die allgemeine These von der Sakralmacht des Priestertums als missbrauchsfördernd:
Denn erstens besteht diese Tätergruppe nur aus sechs Promille der Kleriker; für 99,4 Prozent der Geistlichen führt die angeblich überhöhte Amtsautorität nicht zu sexuellen Übergriffen. Zweitens bahnte der bezeichnete Tätertyp seinen Missbrauch gerade nicht mit Sakraldominanz an, sondern mit nicht-klerikalistischem Sozialverhalten – etwa Anbiederung. Deshalb empfiehlt die MHG-Studie drittens, dass nicht „generell die Autorität des Priesters überdacht oder in Frage gestellt werden muss, schon gar nicht, dass Menschen, die sich für den Kirchenberuf entschieden haben, unter einen Generalverdacht gestellt und kontinuierlich überwacht werden“ sollten (S. 128). Doch genau diese Vorurteilshaltung suggeriert der Synodaltext II. Die priesterliche Autorität und Vollmacht unter den Generalverdacht des Missbrauchs zu stellen fordert ausdrücklich der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer.
Fälschungen und Auslassungen bei der synodalen Konzilsrezeption
Im letzten Teil des synodalen Textes zur priesterlichen Existenz versuchen die Autoren, das besondere sakramentale Priestertum nivellierend einzuebnen zu den „vielen anderen Diensten und Geistesgaben in der Kirche“ (S.14). Der Angelpunkt ihrer Argumentation ist die Volk-Gottes-Theologie in der Konzilskonstitution Lumen Gentium (LG). Dabei scheuen sie nicht vor plumpen Fälschungen und dreisten Auslassungen zurück. So behaupten sie, „das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen drückt sich in Prophetie, Leitung und Zeugnis aus“ (S.14). Im Kap. 12 LG heißt es, dass das Volk Gottes in der Verbreitung seines lebendigen Zeugnisses vor allem durch ein Leben in Glauben und Leben am prophetischen Amt Christi teilnehme, aber nicht, dass sich das Gottesvolk selbst leiten könnte und würde. Sondern „im Glaubenssinn hält das Volk Gottes unter der Leitung des heiligen Lehramtes an dem überlieferten Glauben unverlierbar fest“.
Unterschlagen werden die Konzilsausführungen zum sakramentalen Weihepriestertum: Die Bischöfe stehen zusammen mit den Priestern und Diakonen „an Gottes Stelle der Herde vor, deren Hirten sie sind, als Lehrer in der Unterweisung, als Priester im heiligen Kult, als Diener in der Leitung“ (LG 20). Sie haben die durch die Weihe übertragenen Ämter der Lehre, Leitung und Heiligung auszuüben (LG 21).
Diese substantiellen Konzilsaussagen über das Wesen des hierarchischen Priestertums werden von den Synodalen offenbar bewusst verschwiegen. Das dreifache priesterliche Amt des Lehrens, Leiten und Heiligen in Rahmen der Vergegenwärtigung / repräsentatio Christi wird von dem Synodaltext als einseitig und restaurativ abgetan. Er reduziert die besondere priesterliche Vollmacht allein auf die Spendung der Sakramente. Außerhalb seiner sakramentalen Handlungen unterscheide sich der Priester nicht von allen Gläubigen (S.11,13,15).
Der Synodaltext unterschlägt ebenfalls die entscheidende Konzilsbestimmung von der wesentlichen Unterscheidung des allgemeinen vom besonderen Priestertum, nach der beide auf je besondere Weise am Priestertum Christi teilhaben: „Der Amtspriester nämlich bildet kraft seiner heiligen Gewalt, die er innehat, das priesterliche Volk heran und leitete es. Die Gläubigen hingegen wirken kraft ihres königlichen Priestertums an der eucharistischen Darbringung mit und üben ihr Priestertum aus im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe“ (LG 10). Gegenüber dieser eindeutigen Aufgabe der Priester, das gläubige Volk heranzubilden und zu leiten, verwässern und verwischen die Synodalen den Leitungsdienst als allgemeine „Ermöglichung der Partizipation vieler an den vielfältigen Aufgaben der Kirche“ (S. 13/16).
Die Synodalen vom Forum II behaupten apodiktisch: „Für Christen gibt es keinen Priester außer Jesus“, da nur einer (Christus) Mittler sei zwischen Gott und den Menschen. Diese These ist darauf gerichtet, die Legitimität des sakramentalen Priestertums infrage zu stellen. Gleichzeitig untergraben die Autoren aber auch ihre eigene Basisargumentation vom priesterlichen Volk Gottes. Jedenfalls ist nach den definitiven Aussagen von Bibel, Tradition und Lehramt das Gegenteil der obigen Synodalbehauptung richtig: Christus hat als Hohepriester das neue Volk Gottes „zu Priestern für Gott und seinen Vater gemacht“ (vgl. LG 10, Apk 1,6). Die sakramentalen Priester jedoch sind „geweiht nach dem Bilde Christi, des höchsten und ewigen Priesters, zur Verkündigung der Frohbotschaft, zum Hirtendienst an den Gläubigen und zur Feier des Gottesdienstes und in diesem Auftrag wirklich Priester des Neuen Bundes“ (LG 28).
Wie gesagt, lässt das Synodalpapier die klaren Ansagen und Aufgaben des sakramentalen Priestertums durch die Dogmatische Konzilskonstitution Lumen gentium unter den Tisch fallen. Stattdessen fabuliert der Text über diffuse priesterliche Aufgaben wie „Vermittlung des unverfügbaren Geheimnisses, das den Menschen unbedingt angeht“.
Die Synodalen machen ihre laienhaften Ansichten zum Maßstab von Akzeptanz des priesterlichen Handelns: Nur „wenn die dienende Proexistenz des Amtsträgers den Menschen effektiv befreit (sic!) und der befreite Mensch darin ein Gespür für die Heiligkeit Gottes wahrnimmt“, sei „das Tun des Priesters nachvollziehbar“ (S.11). Unter Befreiung versteht der synodale Orientierungstext nicht die biblische Befreiung von der Knechtschaft der Sünde zum Leben in Glauben und Liebe (vgl. Gal 5,1ff), sondern die säkulare Freiheit des beliebigen Tuns.
Der Grundtext ‚Priesterliche Existenz heute‘ ist in mehrfacher Hinsicht ein fehlerhaftes, unausgegorenes und tendenziöses Papier. Die in den Zwischenüberschriften angezeigten und in den Passagen nachgewiesenen Mängeln an wissenschaftlich seriöser und realitätsbasierter Argumentation machen die Schrift zu einem Durchfallexemplar. Als besonders schwerwiegend für einen kirchlich-theologischen Text sind die Fälschungen und Auslassungen zu den einschlägigen Konzilsdokumenten einzustufen. Sie zeigen die tendenziöse Richtung der Textautoren an, die Axt an das sakramentale Priestertum anzuschlagen.
Eine solche widersprüchliche und mangelhafte Textvorlage würde kein säkulares Gremium durchgehen lassen. Um wieviel mehr müssten die Priester und Bischöfe der Synodalversammlung das mangelhafte Dokument bei der Abstimmung zurückweisen, mit dem vorwiegend von Laien Druck aufgebaut wird, um die kirchlich-konziliare Basislegitimation der ‚priesterlichen Existenz‘ wegzuhauen.
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