„Der ‚Synodale Weg‘ ins deutsche Schisma“. Eine kritische Beleuchtung

29. März 2023 in Aktuelles


Kardinal Gerhard Ludwig Müller: „Die Beschlüsse des ‚Synodalen Weges‘ nehmen den gläubigen Katholiken ‚die Wahrheit des Evangeliums‘ (Gal 2, 5) weg.“ kath.net-Interview von Lothar C. Rilinger


Vatikan (kath.net) Mit der letzten Vollversammlung haben die Verhandlungen und demokratischen Abstimmungen des sogenannten „Synodalen Weges“ ihren Abschluss gefunden. Die mit Mehrheit beschlossenen Entscheidungen sollen nunmehr exekutiert werden. Allerdings stoßen die Beschlüsse nicht auf die ungeteilte Zustimmung Roms und des Papstes, die beide die Weltkirche und damit 1.300 Millionen römische Katholiken repräsentieren und die beide zuständig sind, um die Einheit der zweitausendjährigen Kirche in der Wahrheit Christi zu garantieren, ja, die Beschlüsse wurden nicht nur von deutschen Katholiken, sondern auch weltweit kritisiert. Die Entscheidungen dieses Reformprozesses, die für sich Rechtswirksamkeit reklamieren, sind geeignet, vom Einheitsprinzip, das den Bestand der Kirche seit zweitausend Jahren garantiert hat, Abstand zu nehmen. Die Aufgabe des einigenden Prinzips hat weitreichende Folgen. Hierüber haben wir mit Kardinal Gerhard Ludwig Müller, dem emeritierten Präfekten der Glaubenskongregation, einem Dogmatiker und Dogmenhistoriker, gesprochen.

Lothar C. Rilinger: Viele Texte wurden beim Synodalen Weg in Frankfurt vor wenigen Tagen verabschiedet. Wir können nur auf einige eingehen. Zunächst aber einmal grundsätzlich: Wie viel von der überlieferten Lehre, etwa zum Priestertum oder zur Homosexualität, darf ein Katholik in Frage stellen, bevor er aufhört, katholisch zu sein?

Kardinal Gerhard Ludwig Müller: Das in seinem Ursprung und Wesen eine Sakrament der Weihe (in den drei Stufen des Bischofs, Presbyters und Diakons) hat seine Grundlage in der Berufung und Bevollmächtigung der Apostel durch Jesus Christus, dem Sohn Gottes selbst. Gegen den Einwand spiritualistischer Gruppen bis hin zur protestantischen Reformation im 16. Jh., dass das Weihesakrament nicht zur Substanz der Kirche gehöre, hat das bischöflich-päpstliche Lehramt (besonders in den Konzilien von Trient und dem II. Vatikanum) den christologischen Ursprung und den ekklesiologischen Ort dieses Sakramentes herausgearbeitet. In ihm ist auch die „hierarchische, d.h. sakramentale, Verfassung der Kirche begründet (vgl. II. Vatikanum, Lumen gentium 18- 29).

Wer also die wesentlichen Elemente dieses von Christus in die Kirche ein-gestifteten Weiheamtes als bevollmächtigter Dienst an Wort und Sakrament leugnet und wer die Bischöfe und Priester nicht als die vom Heiligen Geist bestellten Hirten anerkennt, der kann sich nicht mehr katholisch nennen (vgl. II. Vatikanum. Lumen gentium 14). Was konstitutiv katholisch ist, wird also nicht vom staatlichen Standesamt oder vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken oder sonst einer kirchlichen Organisation rein menschlichen Rechtes festgestellt, sondern in letzter Instanz nur von der Gesamtheit der katholischen Bischöfe mit dem Papst als dem immerwährenden Prinzip der Einheit der Kirche in der Wahrheit der endgültigen Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Der häretische Widerspruch zur Offenbarung und ihrer begrifflichen Fassung im verbindlichen Glaubensbekenntnis der Kirche tarnt sich, wie schon bei den alten Gnostikern, als eine Weiterentwicklung des eigentlich Gemeinten oder als notwendige Anpassung an das begrenzte oder zeitbedingte Fassungsvermögen der Adressaten – wie bei den sog. Modernisten des vorletzten Jahrhunderts. Man könne gegen den Mainstream der westlichen Welt nicht mehr sagen, was der Sinn der von Gott zweigeschlechtlich geschaffenen Menschennatur sei. Und man dürfe sexuelle Betätigung außerhalb der legitimen Ehe von Mann und Frau nicht mehr Sünde nennen, ohne sich der gesellschaftlichen Ächtung auszusetzten oder sich die vermeintlich gerechte Strafe seitens der Justiz zuzuziehen, die totalitaristisch über das gesellschaftlich erlaubte Denken, Sprechen und Handeln zu wachen hat. Banal gesagt: Es handelt sich um nichts anderes als um die Diktatur des Relativismus.

Rilinger: Was das Weiheamt angeht, gibt es drei Stufen – Diakon, Priester, Bischof –, aber es handelt sich um ein einziges Sakrament. Es wäre also tatsächlich Diskriminierung, wie Bischof Rudolf Voderholzer in Frankfurt warnte, wenn man Frauen nur als Diakone zulassen wolle, nicht aber als Priester oder Bischof. In welche Probleme verstrickt man sich, wenn man ein Diakonat für Frauen fordert?

Kard. Müller: In der Tat gibt es nur ein einziges und unteilbares sakramentales Amt in den drei Stufen von Bischof, Presbyter und Diakon. Darum gelten seine wesensgebenden Elemente für alle drei Weihegrade. Diese Erkenntnis ist in der Glaubenstradition der Kirche gewachsen, hat sich auch gegenüber häretischen Einwänden durchgesetzt und ist deshalb bis zur lehramtlichen Definition, die jeden Katholiken im Gewissen bindet, gereift.

Rilinger: Beim letzten Mal wurde ein Text beschlossen, wonach außereheliche Sexualität positiv bewertet werden soll. Nun wurde ein weiterer Text angenommen, der Segensfeiern für sexuelle Kontakte aller Art, aber auch für zivil geschiedene und wiederverheiratete Menschen, die im Widerspruch zu ihrer unauflöslichen sakramentalen Ehe leben, ermöglichen soll. Erst vor zwei Jahren hatte die Glaubenskongregation genau diese Segnungen nicht-ehelicher Sexualkontakte für unmöglich erklärt. Was sagt dieses Verhalten über die Kirche in Deutschland, über die deutschen Bischöfe, aber auch über Rom, wenn da nicht sofort eingeschritten wird?

Kard. Müller: Die Glaubenskongregation hat im Auftrag des Papstes die katholische Lehre von der Zweigeschlechtlichkeit des Menschen klar herausgestellt. In seinem jüngsten Interview (März 2023) mit der argentinischen Zeitung „La Nación“ hat Papst Franziskus luzide unterschieden zwischen der Seelsorge für Personen mit Schwierigkeiten in der erotischen Anziehung durch das andere Geschlecht und der gefährlichsten Kolonisation der Welt durch die völlig unwissenschaftliche Gender-Ideologie, die von der entsprechenden milliardenschweren Lobby allen, auch armen Ländern, aufgenötigt werden soll. Im Weigerungsfall droht man mit der Kappung der Entwicklungshilfe und nimmt damit Hunger und Verelendung bewusst in Kauf.

Das zeigt sich schon an dem pseudowissenschaftlichen Gerede von einem „biologischen Mann“. Als ob die Geschlechtlichkeit des Menschen etwas anderes wäre als ein biologisches Faktum, das jedoch in der leib-seelischen Einheit des Menschen auch moralisch zu bewältigen ist in Bezug auf das sittlich Gute, das in der Liebe zur Vollkommenheit kommt.

 In der Tat ist die katholische Kirche die weltweit einzige Institution, die bedingungslos an der Würde des Menschen festhält, weil sie nach Gottes Gebot sowohl die Schädlichkeit der Sünde beim Namen nennt, als auch jedem Sünder die Gnade der Reue und Umkehr vermittelt und ihm damit ein neues Leben in der Liebe Gottes in Aussicht stellt.

Über die ursprünglichste und damit fortschrittlichste und förderlichste Definition des Menschen hinaus, die uns Jesus, der Sohn Gottes, als den Willen des himmlischen Vaters und Schöpfers von Welt und Mensch, endgültig offenbart hat (vgl. Mt 11, 25-27), gibt es keine menschliche Erkenntnis, die sein Wort relativieren könnte: „Habt ihr nicht gelesen, dass der Schöpfer die Menschen am Anfang [der Grund, in dem sich der Sinn des Schöpferwillens zeigt] als Mann und Frau geschaffen hat und dass er gesagt hat: Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden, und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins.“ (Mt 19, 4-6). Auch mit sophistischsten Wortverdrehungen können zeitgeistaffine Exegeten die geoffenbarte Wahrheit nicht verdecken, dass die Folge der Gottesleugnung die Lüge ist über das rechte Verhältnis von Mann und Frau und dass folglich der sexuelle Verkehr von Menschen gleichen Geschlechtes miteinander der zwei-geschlechtlichen Naturanlage des Menschen widerspricht und somit eine schwere Sünde darstellt (vgl. Röm 1, 18- 32; 1 Kor 6, 9f). Daran können auch die Shitstorms in den Mainstreammedien oder die Geld- und Gefängnis-Strafen gegenüber gläubigen Christen in Gesinnungsdiktaturen nichts ändern, selbst wenn sich die entsprechenden Gesetze einen formaldemokratischen Anstrich geben.

Rilinger: Ein weiterer Text forderte die Ermöglichung von Laienpredigt, Laientaufe und Assistenz bei der Eheschließung durch Laien. Abgesehen davon, dass dies bereits in manchen deutschen Bistümern bestenfalls halblegal der Fall ist: Wozu braucht es da noch Ständige Diakone?

Kard. Müller: Diese Optionen haben ihren Grund nicht in einem Mangel an Priestern und Diakonen in Europa oder in einer besonderen Notlage des gefährdeten Seelenheils, sondern im Drang von hauptamtlichen Laien im pastoralen Dienst, priesterähnliche Funktionen auszuüben, um das eigene Sozialprestige zu erhöhen. Der eigentliche Spender der Taufe ist der Bischof oder Priester und auch, wenn sie nicht anwesend sein können, der Diakon.

Ein Laie kann nur im Notfall, wenn es um das individuelle Seelen-Heil des Taufkandidaten geht, die Nottaufe spenden – aber nicht die feierliche Taufe in der sichtbaren Gottesdienstgemeinde. Bischöflich beauftragte und theologisch ausgebildete Laien können in nicht-eucharistischen Gottesdiensten ein geistliches Wort sagen und somit in der Verkündigung aufgrund des gemeinsamen Priestertums, sollte ein qualifiziertes Zeugnis vorliegen, mitwirken.

In der westlichen Theologie – was näher zu diskutieren wäre – sind es die Eheleute, die sich das Sakrament der Ehe spenden. Der Bischof oder Priester als Repräsentant Christi und Vertreter der Kirche bestätigt in ihrem Namen den Ehebund. „Für Männer und Frauen ziemt es sich, ihre Vereinigung mit Zustimmung des Bischofs einzugehen, damit die Ehe dem Herrn [vgl. 1 Kor 7, 39: „Ehe im Herrn“] entspreche und nicht der Begierde. Alles soll zur Ehre Gottes geschehen!“, schreibt schon am Beginn des 2. christlichen Jahrhunderts Ignatius von Antiochien an seinen bischöflichen Amtsbruder Polycarp von Smyrna (Kap. 5, 2). Es geht also in die falsche Richtung, wenn aus der Liturgie der Trauung die Priester herausgedrängt werden.

Rilinger: Bischof Georg Bätzing sagte den Gegnern der Reformen bei der Pressekonferenz zum Abschluss des Synodalen Wegs: „Was nehmen wir Ihnen durch die Beschlüsse, die wir treffen?“ Und weiter: „Bitte leben Sie doch, was Ihnen wichtig ist, und das nehmen wir Ihnen nicht weg.“ Wie würden Sie darauf antworten, indem sie sozusagen für normale Katholiken sprechen?

Kard. Müller: Das ist blanker Zynismus gemäß der Parole „Haltet den Dieb.“ Die gläubigen Katholiken lassen sich nicht als Gegner von „Reformen“ diffamieren, schon gar nicht von Bischöfen, die – im vollen Widerspruch zum Bischofsideal des II. Vatikanums – ihre antikatholische Propaganda nicht anderen um die Ohren schlagen sollten. Gläubige Katholiken richten sich nach dem Wort des Apostels von der Reform des Denkens in Christus: „Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern reformiert euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist.“ (Röm 12, 2). Die Beschlüsse des „Synodalen Weges“ nehmen den gläubigen Katholiken „die Wahrheit des Evangeliums“ (Gal 2, 5) weg, um sie durch das billige Linsenmus einer sexfixierten Ideologie, dem wahren Gravitationszentrum des Deutsch-Synodalen Weges, zu ersetzen – einem nihilistischen Materialismus, der eine Verhöhnung Gottes ist, der den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis als Mann und Frau geschaffen hat.

Rilinger: Wie erklären Sie sich, dass jeweils mehr als zwei Drittel der Bischöfe Texten zugestimmt haben, die augenscheinlich im Widerspruch zur überlieferten Lehre der Kirche stehen? Wie kann ein Bischof zustimmen oder sich enthalten – eine Enthaltung wurde wie eine nicht abgegebene Stimme gewertet –, wenn er nur einige positive Stellen in den Texten sieht, andere aber als problematisch betrachtet? Einige Bischöfe haben ja erklärt, genau dies zu tun.

Kard. Müller: Es handelt sich um eine schwerwiegende Verletzung und einen unentschuldbaren Missbrauch der bischöflichen Amtsautorität, so wie im östlichen Römischen Reich die Mehrheit der Bischöfe gewaltsam die arianische Häresie, d.h. die Leugnung der göttlichen Natur Christi, durchsetzte oder wie in Nordafrika zur Zeit des hl. Augustinus die donatistischen Bischöfe, die eine von Rom abweichende Sakramententheologie entwickelt hatten, die Zahl der katholischen Bischöfe übertraf. Zu ihrer Entschuldigung kann man nicht auf Unwissenheit oder Angst vor der Verfolgung durch kirchenfeindliche Diktaturen oder die Verführung durch die hirnwaschende Propaganda verweisen. Die anthropologische Lehre des II. Vatikanums zur Ehe, Familie und Sexualität, besonders auch zur leib-seelischen Einheit des Menschen in seiner Person (mit Selbstbewusstsein und Freiheit) muss ihnen bekannt sein. Sie sind auch vom Papst selbst und von den beiden zuständigen Präfekten der Glaubens- und der Bischofskongregation, den Kardinälen Luis Ladaria und Marc Ouellet auf ihre schwerwiegenden Irrtümer öffentlich hingewiesen worden.

Rilinger: Diejenigen Bischöfe, die gegen die beschlossenen Reformen gestimmt haben, stehen jetzt massiv unter Druck. Dieser Druck ist von den Reformern einkalkuliert, wie man auch den Ausführungen von Bätzing bei der Pressekonferenz entnehmen konnte. Sie waren einst selbst Bischof von Regensburg. Was empfehlen Sie Ihren Mitbrüdern? Wie würden Sie in dieser Lage vorgehen?

Kard. Müller: Die letzten Jahre hindurch wurde dieses Spiel der Mediendiktatur aufgeführt, was ja schon an sich die Gottlosigkeit dieser Kampagnenbetreiber bis in die von den Bischöfen bezahlten Institutionen beweist, die sich in den unmenschlichen und unchristlichen Hetzjagden gegen anständige und kompetente Vertreter, seien es Bischöfe, Priester und Laien, verrät. Immer nach dem Prinzip: Wenn es keine Argumente gibt, versuche man es mit persönlicher Beleidigung.

Rilinger: Die Sakramente sind weiterhin gültig, auch wenn ein Priester oder Bischof voll hinter den Beschlüssen des „Synodalen Weges“ steht. Ist es aber für Gläubige empfehlenswert, die Sakramente regelmäßig von solchen Geistlichen zu empfangen, oder sollte man eventuell weitere Wege auf sich nehmen, um sonntags an einem anderen Ort die heilige Kommunion zu empfangen, etc.?

Kard. Müller: Ja, die Sakramente sind gültig, auch wenn sie von einem schismatischen oder häretischen Bischof gespendet werden – allerdings nur dann, wenn er lediglich beabsichtigt, das zu tun, was die Kirche unter diesen Sakramenten versteht. Aber man soll auch diese Personen meiden, die so viele der ihnen anvertrauten Schäflein Christi auf den falschen Weg führen. Viele Kirchenväter sind übrigens auch von den Häretikern schwer verfolgt worden, wie Athanasius der Große, Johannes Chrysostomos, Papst Martin I. u.a. Die sogenannte Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren ist ein Etikettenschwindel. Dem Schein des Segensgestus entspricht keine Wirklichkeit der von Gott mitgeteilten helfenden Gnade. Es ist eine schwere Sünde, den Namen Gottes anzurufen, um das frivole Übertreten von Gottes Geboten, die uns immer vor dem Unheil der Sünde bewahren, mit der Liebe Gottes zu rechtfertigen. „Denn die Liebe Gottes besteht darin, dass wir seine Gebote halten. Seine Gebote sind nicht schwer. Denn alles, was von Gott stammt, besiegt die Welt. Und das ist der Sieg, der die Welt überwindet: unser Glaube.“ (1Joh 5, 3f)

Rilinger: Im Rahmen des „Synodalen Weges“ ist – wie in einer politischen Partei – mit Mehrheit beschlossen worden, was die deutschen Katholiken zu glauben haben und was die Katholiken weltweit glauben sollen. Ist es mit der Bibel sowie mit der Lehre und der Tradition der Kirche vereinbar, dass Glaubensentscheidungen per Abstimmung nach politischen Vorgaben mit Mehrheit verbindlich festgelegt werden, zumal ein Großteil der Mitglieder theologisch nicht oder nur ansatzweise ausgebildet ist?

Kard. Müller: Diese Versammlung, die sich usurpatorisch „Synodaler Weg“ nennt, obwohl es nicht im Ansatz eine offene und am Wort Gottes orientierte Diskussion gab, hat kein Fundament in der sakramentalen Verfassung der Kirche. Es handelt sich nur um ein Forum des – allerdings missglückten - Meinungsaustausches. Der „Synodale Weg“ ist keineswegs – wie es in völliger theologischer Ignoranz gesagt wurde – anstelle Gottes der Souverän der nationaldeutschen Kirche, der den Bischöfen den Auftrag erteilen kann, die geoffenbarten Wahrheiten zugunsten eines materialistischen Weltbildes aufzugeben oder ihnen sogar diametral zu widersprechen. Auf die Bischöfe, die im vollen Widerspruch zu ihrer göttlichen Mission, nämlich den katholischen Glauben in seiner ganzen Wahrheit und Fülle vorzulegen und zu verteidigen, diesen unbiblischen Texten zustimmten oder sich feige der Stimme enthielten, trifft das Wort des Evangelisten zu, dass die „führenden Männer“ wohl zum Glauben an Jesus kamen, sich aber nicht offen zu ihm bekannten, bloß aus der Angst, aus der Synagoge [heute: der political correctnes der woken Barbarei] ausgestoßen zu werden. „Denn sie liebten das Ansehen bei den Menschen mehr als das Ansehen bei Gott.“ (Joh 12, 43).

Rilinger: Der „Synodale Weg“ nimmt für sich in Anspruch, die deutschen Katholiken rechtsverbindlich zu vertreten und dabei zu suggerieren, dass ihm diese Legitimität zusteht. Kann ein außerkirchliches Gremium, das demokratisch nicht legitimiert ist, für alle deutschen Katholiken Entscheidungen treffen?

Kard. Müller: Der „Deutschsynodale Weg“ gehört nicht zur sakramentalen Kirchenverfassung, sondern ist nichts weiter als ein informelles Gremium. Von einer rechtsverbindlichen Vertretung der Katholiken kann nicht die Rede sein. Die vom ZdK entsandten oder auch von den Bischöfen dahin berufenen Mitglieder dieses Gremiums vertreten die Kirche weder dem Staat noch der Gesellschaft oder der Geschichte gegenüber und schon gar nicht die Katholiken in ihrem Glaubensgehorsam Gott gegenüber. Sie vertreten niemand anderen als sich selbst. Auch wenn sie in einer Art allgemeiner und freier Wahl als Vertreter von der Mehrheit der deutschen Katholiken in dieses Gremium entsandt worden wären, käme ihnen keine Autorität zu, welche die einzelnen deutschen Katholiken oder ihre Gesamtheit in ihrem Glaubensgewissen verpflichten könnte. Selbst die numerische Mehrheit der Bischöfe kann niemand zum Gehorsam gegenüber glaubenswidrigen Aussagen oder sittenwidrigen Anordnungen verpflichten. Im Unterschied zu den Aposteln sind die Bischöfe nicht unfehlbare Träger der Offenbarung, die mit dem Ende der apostolischen Zeit abgeschlossen ist und die in der Hl. Schrift und der Apostolischen Tradition vollständig vorliegt. Ihnen kommt in ihrer Gesamtheit unter der Führung des römischen Papstes nur dann Unfehlbarkeit (als authentische Interpretation des depositum fidei) zu, wenn sie sich an die „Lehre der Apostel“ (Apg 2. 42) halten (II. Vatikanum, Dei verbum 7-10).

Rilinger: Das Zentralkomitee der Katholiken (ZdK) gibt vor, die Interessen der katholischen Laien in ihrer Gesamtheit zu vertreten – allerdings, ohne dass die Mitglieder des ZdK von den deutschen Katholiken in dieses Gremium gewählt sind. Das ZdK kann also nur als eine Scheinvertretung angesehen werden. Hat dieses Gremium deshalb die Legitimation, die Interessen aller deutschen katholischen Laien zu vertreten?

Kard. Müller: Allein schon der arrogante Anspruch, Interessen der Katholiken zu vertreten, zeigt die horrende theologische Unbildung der Verfasser dieser monströsen Synodaltexte. Bei wem wollen denn die getauften Glieder des Leibes Christi Interessen anmelden und durchsetzen, falls es ihnen um das Heil der Welt in Christus geht, statt um ihre rein irdischen Machtgelüste. Im Übrigen hat die pilgernde Kirche überhaupt keine weltlichen Interessen (II. Vatikanum, Lumen gentium 8). Denn sie bestimmt „kein irdischer Machtwille, sondern nur dies eine: unter der Führung des Geistes, des Trösters, das Werk Christi selbst weiterzuführen, der in die Welt kam, um der Wahrheit Zeugnis zu geben; zu retten, nicht zu richten; zu dienen, nicht sich bedienen zu lassen.“ (II. Vatikanum, Gaudium et spes 3).

Rilinger: Eminenz, wir danken Ihnen für Ihre Argumente, die in der Dogmatik der Römisch-Katholischen Kirche gründen und deshalb die lange theologische Tradition der römischen Kirche berücksichtigen.

Archivfoto: Kardinal Müller im Presseraum des Vatikans (c) kath.net/Michael Hesemann


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