16. April 2023 in Interview
Martin Lohmann im kath.net-Interview: Er kannte Joseph Ratzinger viele Jahrzehnte lang und war beindruckt „von seiner feinen Art, seiner zärtlichen Sprache und der vornehmen, fast zerbrechlich wirkenden Art des Auftretens“. Von Petra Lorleberg
Bonn (kath.net/pl) Am heutigen 16. April 2023 ist der 96. Geburtstag von Papst Benedikt XVI., der am Karsamstag 1927 als Joseph Aloisius Ratzinger in Marktl am Inn geboren und am selben Tag, also mit dem Blick auf die Auferstehung an Ostern, getauft wurde. Aus diesem Anlass sprachen wir mit dem Theologen und Publizisten Martin Lohmann (66), den eine mehr als 57-jährige Vertrautheit mit dem späteren Papst verbindet. Noch vier Monate vor dessen Tod kam es zu einer einstündigen intensiven Begegnung. kath.net sprach mit dem Ratzinger-Experten, der auch dessen Theologie sehr gut kennt.
kath.net: Herr Lohmann, Sie kannten Papst Benedikt XVI. nicht nur gut, sondern auch schon sehr lange, seit Ihrer Kindheit. Wie kommt es, dass Sie Joseph Ratzinger bereits als Siebenjähriger kennenlernten?
Martin Lohmann: Seine besten geistlichen Freunde, mit denen er bei Gottlieb Söhngen in München promovierte, waren die besten Freunde meiner leider längst verstorbenen Eltern. Die Freundschaft der beiden Geistlichen, die später Bischof wurden, übertrug sich auch auf mich und später auch auf meine Familie, wofür ich ebenfalls dankbar bin. Ich erinnere mich noch an Begegnungen im oberbayerischen Bad Adelholzen, wo wir nach dem allzu frühen Tod meiner Mutter 1964 und in den Jahren danach als Familie immer wieder sein durften zur Urlaubszeit.
kath.net: Wie wirkte Joseph Ratzinger auf Sie? Waren Sie bereits als Kind irgendwie beeindruckt?
Lohmann: Tatsächlich: Ja. Ich weiß, dass er mich beeindruckte, und zwar – wie es heute zu sagen verstehe – mit seiner feinen Art, seiner zärtlichen Sprache und der vornehmen, fast zerbrechlich wirkenden Art des Auftretens. Und mit seinem – sagen wir es so – zurückhaltenden Humor. Als er einmal im VW-Käfer meines Vaters saß auf dem kurzen Weg von Adelholzen nach Siegsdorf, hatte er einen besorgten Spaß daran, dass wegen des Platzmangels Hubert Luthe auf dem Dach lag und mit einer Lampe herumfuchtelte. Ich meine, er war sehr erleichtert, dass nach wenigen Kilometern dieser Spuk vorbei und nichts passiert war.
kath.net: Sie haben niemals davon gesprochen, dass Sie ja mit ihm befreundet waren. Warum?
Lohmann: Vielleicht aus purem Respekt ihm gegenüber. Er war stets vornehm und bei aller Vertrautheit immer auch zurückhaltend, irgendwie edel. Ich fand stets, dass es sich nicht ziemt, ihn, den großen Meister und Pontifex, als Freund zu bezeichnen oder zu sagen, man sei mit ihm befreundet. Aber das sehen andere möglicherweise anders. Unserer Vertrautheit in Geist und Herz hat das jedenfalls niemals einen Abbruch getan.
kath.net: In Bad Adelholzen haben Sie Ratzinger auch später mehrfach getroffen.
Lohmann: Richtig. Übrigens auch seinen Bruder Georg und seine Schwester Maria, die ihn ja auch nach Rom begleitete. Wenn er als Erzbischof von München und Freising dort Urlaub machte, genauer gesagt in der Villa Auli in Alzing, direkt neben Bad Adelholzen, konnte ich meistens auch dort sein. Die Generalschaffnerin des Ordens, Schwester Iphigenia, die aus der kleinen Quelle ein großes Mineralwasser-Unternehmen schuf, rief mich stets einige Wochen zuvor an und teilte mir mit, wann der Kardinal da sei. Ich könne auch kommen und hätte nur eine einzige Verpflichtung: Wenn Ratzinger irgendwohin müsse, solle ich ihn fahren mit dem dunkelblauen Volvo der Schwester. Sie können sich vorstellen, dass ich kein einziges Mal zögerte, auf diese „Bedingung“ freudig einzugehen. Ob auf der gemeinsamen Fahrt nach Altötting, ins Münchner Ordinariat oder nach Burghausen zu Augustin Kardinal Mayer: Wir hatten wunderbare Gespräche und ich habe es als junger Theologiestudent genossen, den weisen und klugen Theologenmeister viel zu fragen. Diese Chauffeurdienste betrachte ich nach wie vor als Geschenk.
kath.net: Können Sie sich noch an Einzelheiten erinnern?
Lohmann: Ja. Da mir mein leiblicher Vater viele Jahre zuvor Ratzingers „Einführung in das Christentum“ gegeben hatte, das mich schließlich dazu brachte, Theologie zu studieren, habe ich die Gelegenheiten natürlich genutzt, vieles im Gespräch mit dem Autor zu vertiefen. Heute weiß ich, dass Joseph Ratzinger mich im theologischen Denken, seiner Liebe zur Wahrheit und auch in meinem Glauben geprägt hat. Und zwar sehr. Aber Sie fragen ja nach Einzelheiten. Gerne nenne ich eines von vielen Gesprächen, die ich mit Joseph Ratzinger und später Papst Benedikt XVI. über das Verhältnis von Glaube und Vernunft führen konnte. Dieses Thema und die Versöhnung von Fides und Ratio, die letztlich in der sogenannten Aufklärung massiv attackiert und zerstört wurde, waren Ratzinger ein Herzensanliegen. Er hat mich damit regelrecht angesteckt. Während einer gemeinsamen Fahrt sagte der Kardinal mir einmal zusammenfassend: „Wenn Gott der Schöpfer und Urheber der Vernunft ist, was kann es dann Vernünftigeres geben, als Gott im Glauben zu begegnen und im Glauben Gott zu finden!“ Das hat sich, wie Sie sehen, mir tief eingeprägt.
kath.net: Sie haben ja auch mehrfach Gespräche mit ihm für das Fernsehen und für Zeitungen geführt.
Lohmann: Das stimmt. Er war zum Beispiel etliche Male in der von mir moderierten Live-Sendung des Bayerischen Fernsehens „MünchnerRunde“. Bewegend war aber auch das halbstündige Gespräch am 9. April 1998 für das Bayerische Fernsehen im Kloster St. Ottilien, wo ich ihn zum Schluss auch fragte, ob er Angst vor dem Tod habe und wie er sich Gott vorstelle. Das fiel mir selbstverständlich aus gegebenem Anlass um die Jahreswende 2022/2023 wieder ein und hat mich sehr bewegt. (https://www.br.de/fernsehen/ard-alpha/sendungen/alpha-forum/joseph-ratzinger-gespraech100.html)
kath.net: Wollen Sie etwas zitieren?
Lohmann: Gerne. Ich zitiere diese Schlusspassage unseres Austauschs, weil auch sie – wie viele andere wunderbare Formulierungen von ihm – sehr viel über Joseph Ratzinger aussagt. Wir sprachen über die Liturgie, was offenbar nichts an Aktualität verloren hat:
„Lohmann: Sie befassen sich auch immer wieder mit der Liturgie in der Kirche und sind, glaube ich, der Ansicht, dass die Liturgie, wie das Zweite Vatikanische Konzil sie wollte, im Grunde genommen gar nicht umgesetzt worden ist. Sie sagen, wir brauchen eine liturgische Bewegung, eine neue liturgische Bewegung. Warum?
Ratzinger: Es ist so, dass zunächst diese liturgische Reform als Abschied von der Tradition gewertet worden ist und diese Reform dann immer stärker von der Idee geprägt wurde, dass die Liturgie eigentlich in jeder Gemeinde neu erschaffen werden muss. Es gibt natürlich auch durchaus positive Anwendungen der Liturgiereform. Ich habe heute hier in St. Ottilien das festliche Hochamt erleben dürfen. Da kann man sehen, wie erneuerte Theologie wirklich eine Gabe sein kann. Aber die Vorstellung, dass Liturgie auf Kreativität beruht und dass jede Gemeinde sich die Liturgie selbst macht, hat sich dann doch in vielen Orten als eine Art von Buschbrand erwiesen. Man soll auch nicht verallgemeinern, aber diese Vorstellungen haben sich jedenfalls als etwas erwiesen, das eine Gefahr mit sich bringt. Denn wenn die Liturgie das ist, was die Gemeinde nur sich selbst macht und worin sie sich selbst spiegelt, dann kommt sie ja gerade nicht über sich selbst hinaus. Und dann erfährt sie das, worum es ihr geht, gerade nicht. Die Liturgie ist nicht der Ort, an dem man seine eigenen schöpferischen Begabungen darstellt, dafür gibt es andere Möglichkeiten innerhalb und außerhalb der Kirche. Die Liturgie ist gerade die Begegnung mit dem, was wir nicht gemacht haben und somit auch das Hineintreten in die ganz große Vorgabe der Geschichte, die nicht mumifiziert werden darf, die nicht erstarren darf, die aber auch nicht einfach abgebrochen werden darf, sondern als etwas Lebendiges weiterleben muss. Dieses Gefühl, dass Liturgiereform nicht bedeutet, jetzt machen wir es alle ganz anders, und jeder macht es so, wie es ihm einfällt, sondern dass sie bedeutet, wir leben lebendig in ihr, ordnen uns in ihr Großes ein – dadurch dass wir in ihr leben, wächst sie auch weiter –, diese Erkenntnis, was eigentlich Reform bedeutet, muss, glaube ich, in Teilen der Kirche neu vermittelt werden.
Lohmann: Ist Liturgie so eine Art Vorbereitung auf den Tod, auf das Sterben? Ganz konkret die Frage an Sie, wie bereiten Sie sich auf das Sterben und den Tod vor?
Ratzinger: Ich würde sagen, Liturgie ist zunächst einmal die Vorbereitung auf die Auferstehung. Die alten Mönche haben das ja so aufgefasst, dass man in der Liturgie sozusagen ein Stück vom Paradies vorwegnimmt, weil man nämlich bei dem mittut, was im Himmel geschieht, sich um den Herrn versammeln und mit ihm singen - und er zeigt sich uns selbst und gibt sich uns selbst. Insofern ist das also der Einbruch des Lebens und nicht des Todes. Aber man kann es auch von der anderen Seite her betrachten und sagen, damit werden wir auch reif dafür, sozusagen den jetzigen Status nicht als das Letzte anzusehen, sondern zu wissen, dass das Leben auf andere Weise weitergehen wird und dass wir es so leben müssen, dass wir uns darauf freuen können. Wie bereite ich mich selbst darauf vor? Nun, ich mache da keine besonderen Übungen. Früher gab es ja die Gut-Tot- Bruderschaften, und es gab sogar die Übung des guten Sterbens. Soweit bin ich noch nicht vorgedrungen. Ich versuche einfach, meine Aufgabe recht zu tun und die Beziehung zum lebendigen Gott nicht zu verlieren. Dann, denke ich, ist man auf dem richtigen Weg, wenn man nämlich auf dem Weg zum richtigen Leben ist, dann ist man auf dem richtigen Weg zum Sterben.
Lohmann: Haben Sie Angst vor dem Tod?
Ratzinger: Ja, irgendwie schon, weil natürlich das Bewusstsein, dass man vieles auch falsch gemacht hat, dass man Sünder ist, wie die Sprache der Kirche es ausdrückt, je älter man wird, umso stärker da ist, umso stärker sieht man auch das Versagen im eigenen Leben, um so realistischer erkennt man, wo man zurückgeblieben ist, gerade auch anderen Menschen gegenüber, denen man etwas schuldig war. Diese Negativseiten des eigenen Kontos können Furcht erregen. Aber ich halte mich dann an den heiligen Ambrosius, der gesagt hat, ich habe trotzdem keine Furcht vor dem Gericht, obwohl ich ein großer Sünder bin, denn ich weiß, dass wir einen sehr guten Herrn haben.
Lohmann: Wie stellen Sie sich Gott vor?
Ratzinger: Ja, ich mache mir kein Bild von ihm, aber ich stelle ihn mir in Christus vor und dann eben als den, in dem alles, was wir als Menschen wollen, uns wirklich geschenkt und erfüllt werden wird, indem wir dann endlich uns selbst verstehen werden und auch die Leiden dieser Welt ihren Sinn erhalten werden, als die große Antwort sozusagen.“
kath.net: Das ist ja irgendwie hochaktuell, oder?
Lohmann: Und ob! Tief in mein Herz fiel damals auch seine Antwort auf meine Frage, ob er ein Suchender sei. Ohne Zögern gaben er das zu, was mir, dem bis auf wenige Tage ziemlich genau dreißig Jahre Jüngeren viel Mut machte und bis heute – wie bei so vielen, die so etwas von ihm vernehmen konnten – in vielen Situationen trägt. Aber hören wir seinen O-Ton:
„Das würde ich schon sagen, ja. Denn auch wenn man gewiss ist, das Letzte gefunden zu haben, - dass es Gott gibt und dass er selbst sich in Christus gezeigt hat -, ist damit ja nicht einfach die Suche abgeschlossen, sondern es ist so, wie die Psalmen sagen: Ich suche dein Angesicht, Herr. Das muss man ja immer neu finden, sich immer tiefer hineinfinden. Ich glaube, wer selbst versucht, den Weg des Glaubens zu gehen, der kann sagen, dass die Furcht Jaspers verkehrt ist. Jaspers meinte: Wer gläubig ist, kann nicht mehr philosophieren, weil er ja schon die Gewissheit hat, er kann gar nicht mehr fragen. Augustinus, Gregor von Nyssa haben sehr tief aus ihrer eigenen Glaubenserfahrung gesagt, was ich aus der meinen auch sagen kann - dieses Finden ist ja ein Finden in einen unendlichen Abgrund hinein und gibt dem Suchen seine Richtung, aber es löscht es nicht aus, sondern gibt ihm überhaupt einen Sinn.“
kath.net: Weil Sie es ansprachen: Einige Ihrer Zeitungsgespräche haben wir auch in den Gesammelten Schriften Ratzinger/Benedikt gefunden. Da geht es auch immer wieder um Glaube und Vernunft. Was sind da die Kernaussagen?
Lohmann: Zum Beispiel diese Passage aus einem Gespräch, das zunächst in der Wochenzeitung „Rheinischer Merkur“ und später in meinem Buch „Maximum. Wie der Papst Deutschland verändert“ erschien: Auf meine Frage, ob die Aufklärung insgesamt heute noch sehr bruchstückhaft sei, antwortete er mir einmal: „Sie ist jedenfalls nicht auf den Weg gekommen, der ihr positives Wesen voll zur Erscheinung bringen könnte. Anders ausgedrückt: Es ist eine Reduktion der Vernunft erfolgt, weil sie zunächst einmal vom Glauben abgedrängt wurde und nur rein in sich selbst, ohne jeden Einfluss des Glaubens und der Offenbarung bestehen sollte. Das heißt, sie ist bewusst schwerhörig geworden gegenüber anderen Realitäten, eben gegenüber dem, was aus der Offenbarung, aus dem Glauben herauskommt. Sie darf es gar nicht hören, weil sie gar nicht mehr rein wäre, weil die Philosophie gar nicht mehr Philosophie wäre. So denkt man, und das führt dann dazu, dass schließlich nur noch gilt, was experimentell verifizierbar ist, dass also die Vernunft sich auf einen engen Sektor beschränkt, eben den naturwissenschaftlich ausweisbaren, und damit die großen Realitäten des Menschen ins Beliebige und Irrationale abschiebt. Dadurch entsteht eine Art Schizophrenie. Als vernünftig bleibt das Experimentierbare übrig. Alles andere, das heißt die großen eigentlichen Menschheitsfragen und Fragen jedes Einzelnen, werden ins Irrationale abgeschoben, und damit muss die Menschheit in ihrem Wesentlichen irrational werden.“
kath.net: Herr Lohmann, Sie sagten einmal, Ratzinger sei stets ein Mann der Wahrheit und der aufgeklärten Aufklärung gewesen. Was meinen Sie konkret?
Lohmann: Am besten sage ich es mit seinen Worten. In einem unserer Gespräche meinte er: „Wenn die Aufklärung nur immer den Weg, den sie eingeschlagen hat, weitergeht, dann zerstört sie sich selber, weil sie dann ihre Grundbegriffe – Freiheit, Vernünftigkeit et cetera – so radikalisiert, dass Freiheit als radikale Individualfreiheit zugleich Freiheitszerstörung wird, Vernunft sich verengt und von ihren Quellen abschneidet. Und insofern muss sie, gerade wenn sie ganz werden will, eine Selbstkritik betreiben, in der sie ihr eigentliches und richtiges Wesen findet.“ Und was die Wahrheit betrifft: Ratzingers Suche nach der Wahrheit hat mich stets fasziniert, nicht zuletzt auch sein bischöflicher Wahlspruch „Cooperatores Veritatis – Wir sind Mitarbeiter der Wahrheit“. Stimmt ja auch, denn die Wahrheit hat ebenso wie die Freiheit einen Namen: Jesus Christus. Und der beruft uns, jeden von uns, sein Mitarbeiter zu sein. Was für eine Gnade! Und was für ein Auftrag. Erst recht: Was für eine Aufgabe! Ratzingers Denken hat mich so geprägt, dass ich seit Jahrzehnten für mich das Wort aus dem Johannesevangelium (8,32) als Lebensmotto ausgewählt habe: Veritas Liberabit Vos – Die Wahrheit wird euch frei machen.
kath.net: Es ist bekannt geworden, dass Sie Ratzinger als Papst zumeist Vater Benedikt nannten. War er selbst damit einverstanden?
Lohmann: Er hat mir selbst einmal gesagt, ich solle ihn so nennen, weil er mich „schließlich geprägt habe wie ein Vater“. Das sind seine Worte, nicht meine. Aber es stimmt und macht mich sehr dankbar.
kath.net: Es gibt Zeugen, so wird erzählt, die sagen, Sie hätten zwei Tage vor seiner Wahl zum Petrusnachfolger im April 2005 vorhergesagt, er werde es werden und werde sich Benedikt XVI. nennen. Stimmt das?
Lohmann: Also, die Vorhersage war eher ein Wunsch meinerseits, weil es für mich auch logisch erschien nach dem Pontifikat von Johannes Paul II., das Joseph Ratzinger ja wesentlich mitprägte. Und was die Namenswahl angeht, so lag das für mich auf der Hand, weil ich seine mentale und spirituelle Nähe zu Benedikt von Nursia ja kannte und weil er ja wie Benedikt XV. die intellektuelle Weite und Sensibilität der Erkenntnis von geistigen Strömungen hatte. Als ich dann am 19. April 2005 unmittelbar unter der Loggia auf dem Petersplatz zufällig ganz vorne stand und die Ankündigung hörte, war mir vor Freude fast schwindelig und ich hatte Herzklopfen. Diesen Moment werde ich wohl nie mehr vergessen. Einzigartig. Wunderbar. Fast schon surreal. Unglaublich schön!
kath.net: Sie hatten dann aber nicht mehr die Möglichkeit wie früher, sich einfach so mit ihm in Rom zu treffen und ihn zum Mittagessen einzuladen.
Lohmann: Richtig. Aber wir haben uns dennoch gesehen und der Kontakt riss niemals ab. Auch brieflich nicht.
kath.net: Er hatte Ihnen als Präfekt der Glaubenskongregation das erste Interview für eine deutsche Zeitung gegeben. Wie kam das?
Lohmann: Wir hatten uns 1986 in Bad Adelholzen verabredet. Das war für mich und meine damalige Verlobte eine besondere Reise, denn ich hatte zuvor die Diagnose eines gutartigen, aber eben lebensbedrohenden Tumors im Kopf bekommen, weshalb mir das Gebetsversprechen von Kardinal Ratzinger viel bedeutete. Während meine Frau damals die Fotos machte, führten wir dann ein ausführliches Gespräch, das dann in der Wochenzeitung „Rheinischer Merkur“ erschien, und zwar in zwei Folgen. Übrigens: Später wusste ich, dass meine siebenstündige Operation, die nach zweimaligem Verschieben auf dem 8. Dezember landete und bestens verlief, auch von Gebeten Ratzingers begleitet wurde. Neben vielen anderen haben damals auch die schon erwähnten geistlichen Freunde von Ratzinger kräftig mitgebetet. Von meinem leiblichen Vater und meiner Verlobten ganz zu schweigen. Bis heute bin ich dafür sehr dankbar. Das hat mir buchstäblich Kraft verliehen. Mit Vater Benedikt, der bekanntlich ein ausgezeichnetes Gedächtnis hatte, habe darüber mehrfach gesprochen.
kath.net: Dem emeritierten Papst sind Sie im Kloster Mater Ecclesia und in den Vatikanischen Gärten später – auch mit Ihrer Familie – immer wieder begegnet. Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?
Lohmann: Vier Monate vor seinem Tod hatte ich mit unserer Tochter die Gelegenheit, ihm noch einmal eine gute Stunde lang zu begegnen. Es war sehr bewegend und sehr herzlich. Cor ad cor loquitur. Und wir konnten über vieles reden, auch über Privates und Familiäres. Ich bin für diese letzte irdische Begegnung unendlich dankbar und habe sie fest in mein Herz eingebrannt. Die Worte, mit denen er mich begrüßte, waren beschämend schön und sind als kostbares Geschenk unvergesslich. Aber auch unser Abschied und sein dreimaliges Winken bei meinem Verlassen seines Zimmers, sein gütiger Blick, sein Segen und sein Hinterherschauen – all das bleibt für mich ein wertvoller Schatz für Seele und Herz.
kath.net: Nun haben Sie eine Novene verfasst auf die Fürsprache von Vater Benedikt. Sie hatten ja auch 2005 eine Novene auf die Fürsprache von Johannes Paul verfasst, die eine sehr weite Verbreitung gefunden hat. Auch diesmal steht dem nichts im Wege, denn Sie bekamen sofort das kirchliche Imprimatur. Dürfen wir diese Novene hier dokumentieren?
Lohmann: Selbstverständlich. Der Text ist mir so aus dem Herzen in die Feder geflossen, und das Foto hat meine Frau bei einem unserer Besuche gemacht. Die Novene ist auch ein Dankeschön an und für Vater Benedikt. Ich wünsche sehr, dass sie viel Verbreitung findet und vor allem viel gebetet wird. Ich bin davon überzeugt: Vater Benedikt kann zu einem machtvollen Fürsprecher gerade für uns als Christen in Deutschland und Europa werden. Ich habe am Sterbetag angefangen, immer wieder zu rufen: Guter Vater Benedikt, bitte für uns.
Die Novene in voller Länge: siehe Link
Zitate oben:
vgl. Martin Lohmann, Maximum. Wie der Papst Deutschland verändert. Gütersloh 2007, 61; zuvor in: Rheinischer Merkur / Christ und Welt 3. September 1996; auch dokumentiert in: Joseph Ratzinger, Gesammelte Schriften, Band XIII/III, Im Gespräch mit der Zeit.
Die Novene kann bestellt werden bei .:
www.akademiefuerdasleben.de
Erhältlich bei Fatima-Aktion e.V., 88353 Kißlegg, Hauptstr. 22
Tel. 07563/6089980, www.fatima-aktion.de
Fotos © Martin Lohmann
© 2023 www.kath.net