„Frankfurt“ – und nun? Eine kirchliche Perspektive. Das Modell für die „kleine Herde“ der Zukunft

20. April 2023 in Aktuelles


Bei fortdauerndem Versagen der Institutionen gegenüber der eigentlichen Sendung der Kirche liegt es bei den Gläubigen, dem Spuk ein geräuschloses Ende zu bereiten. Von Walter Kardinal Brandmüller


Rom (kath.net/wb/as) „Ein Blick auf die Lage der Kirche in Deutschland zeigt einen bisher nie gekannten Schwund des Interesses der Öffentlichkeit, der Medien an der Kirche“. Der römische Blick ist scharf, geschärft durch Erfahrung und eine Phänomenologie der teilweise absurden Geschehnisse in der Kirche in Deutschland (und nicht nur) besonders der vergangenen fünf Jahre. Geschehnisse, die das verletzende und ein „crimen“ zum Ausdruck bringende Wort „Schisma“ ins Spiel gebracht haben, dies alles vor und zusammen mit  einem nicht definierten Begriff: „synodal“. Umso mehr lohnt es sich, aufmerksam zuzuhören und seine Schlussfolgerungen zu treffen. Was in diesen Jahren deutlich wurde: es geht bei der „synodalen Diskussion" nicht um „die Kirche“, „Ecclesia Una Sancta et Apostolica, „Mater Sancta“ und“ „Mysticum Corpus Christi“. Es geht um „Kirche“, um irgendeine soziale Veranstaltung also, gerade um das also, wovor Papst Benedikt XVI. in seinem universalen Lehramt stets gewarnt hatte. Der Verlust des Artikels ist nunmehr enthüllend. Von Armin Schwibach

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Ein Blick auf die Lage der Kirche in Deutschland zeigt einen bisher nie gekannten Schwund des Interesses der Öffentlichkeit, der Medien an der Kirche. Nur die Skandale in ihren Mauern erregen hämische Aufmerksamkeit. Das gilt selbst für die „Frankfurter Synodalen“ und ihren Weg. Das sind Symptome für zunehmenden Bedeutungsverlust, den die Kirche in den letzten Jahren zunehmend erleidet.

Wen interessiert noch, was eine abgehobene, vor allem an sich selbst und ihren kirchensteuerfinanzierten Gehältern interessierte Laienfunktionärs“elite“ sich unter „Kirche“ vorstellt?

Umso absurder ist deren Anspruch, über die Kirche zu verfügen, für die Kirche zu sprechen. Ist ihnen nicht bewusst, wie weit sie sich von jenen 5-10 % der treuen Katholiken, denen die Sonntagsmesse noch selbstverständlich ist, entfernt haben? Landauf, landab ist denn auch zu hören, dass das Frankfurter Unternehmen der Funktionäre weitab von der katholischen Bevölkerung sich im Niemandsland verläuft.

In schroffem Gegensatz dazu steht die Anmaßung der „Frankfurter“ Mehrheit, als Repräsentation der deutschen Katholiken aufzutreten, ja sich der kirchlichen Institutionen zu bemächtigen, gar als „die deutsche Kirche“ aufzutreten.

Ganz offensichtlich will man überhaupt, endlich die Kirchen-zügel ergreifen und auch den Bischöfen die Marschroute vorgeben. Wie konnte es soweit kommen?

Der antiautoritäre, emanzipatorische Impuls, der seit den 1968er-Zeiten gemeingesellschaftlich wirksam war, hat vor allem seit dem Essener Katholikentag dieses Jahres unter jenen Katholiken Raum gewonnen, die als Laien in kirchlichen Diensten die Unterordnung unter die Priester nur schwer ertrugen. Insbesondere mochten nicht wenige der in immer größerer Zahl auf theologische Lehrstühle berufenen Laien die Bindung an das kirchliche Lehramt als Einschränkung ihrer akademischen Freiheit empfinden. Es kann nicht verwundern, wenn Theologen nun glaubten, ihre denkerische Unabhängigkeit und Originalität mit gewagten Spekulationen beweisen und, natürlich, Aufsehen erregen zu können. Die Folgen sind offenkundig.

Die solide Unterweisung der Theologiestudenten in der Glaubens- und Sittenlehre der Kirche blieb in der Folge vielfach auf der Strecke. Wen wundert es, dass, anderes kam hinzu, diese Art von Priesterausbildung zu einem immer offenkundigeren Niveauverlust von Katechese und Predigt, der Seelsorge insgesamt, führte? Besonders sichtbar war dieser Verfall in der Liturgie, die vielfach zur Spielwiese „kreativer“ Geister wurde.

Kein Wunder, dass das Kirchenrecht als Einschränkung der individuellen Freiheit empfunden wurde. Manch einer tat und ließ darum, was ihm beliebte. Es ist leicht vorzustellen, welche Verwirrung sich daraus ergab!

Da sollte sich nun ein normaler, gutwilliger Katholik noch auskennen, wenn so manches in der einen Pfarrei gesagt und getan wurde, was in der Nachbargemeinde verpönt war! Hinzu kam – natürlich gab und gibt es immer positive Ausnahmen – der Verfall des Religionsunterrichts. Da wurde nun nicht mehr Bibel und Katechismus vermittelt, sondern „Aktuelles“ besprochen: Umwelt, Gender, sexuelle Vielfalt…

Folge von alldem war – und ist -, dass viele Katholiken ohne solide Kenntnis dessen aufwuchsen, was tatsächlich Inhalt des katholischen Glaubens ist. Ist es zu kurz gegriffen, wenn man in all dem die Ursache für die seit Jahrzehnten lawinenartig wachsende Kirchenflucht erkennt?

Dennoch klappert immer noch der deutsche Kirchenapparat und fließen die Gelder – quousque tandem – wie lange noch?

II

All das aber ist – Gott sei Dank – nicht die ganze Wirklichkeit. Gleichsam im Windschatten des „Frankfurter Fortschritts“ gab und gibt es – wo immer Glaubenstreue und eifrige Priester und Gläubige am Werk sind – Pfarreien, in denen ein solider Katholizismus lebendig ist. Würdige Liturgie, gewissenhafte Sakramentenpraxis sind hier immer noch – oder schon wieder – selbstverständlich Glaubensvermittlung, Predigt folgen treu dem Lehramt, und all das mündet in soziales, caritatives Engagement.

Keine Frage: in „modernen“ Diözesen führen solche Pfarreien eher ein verborgenes Leben, und ihre Priester gehören nicht zu den „Tonangebenden“. Dass ausgerechnet sie häufig ein hohes Spendenaufkommen verzeichnen ,und da und dort immer wieder ein Abiturient das Priestertum anstrebt, wird von der „Behörde“ eher mit Missvergnügen zur Kenntnis genommen. Es sind keineswegs vereinzelte Inseln im Mainstream – sie machen jedoch wenig von sich reden. Und – von „Synodalen Wegen“ spricht da kaum jemand.

Hingegen versuchten Priester und Gläubige, selbst unter den durch die Pandemie bedingten Einschränkungen, mit viel Phantasie Gottesdienst und Seelsorge aufrechtzuerhalten. Da wäre manches zu berichten. Solche Erfahrungen, Beobachtungen zeigen, dass die Kirche außerhalb des Rätesystems und der diözesanen Apparate kraftvoll am Leben ist.

Hier sammeln sich die gerade noch fünf bis höchstens zehn Prozent der standesamtlich registrierten Katholiken, die als Gottesdienstbesucher (welch ein dummes Wort) gezählt werden.

III

Gar mancher stellt sich nun die Frage, wie es denn weitergehen solle. Eine nüchterne Bestandsaufnahme eröffnet keine rosigen Aussichten. Denn das kirchliche „Establishment“ hat nur so lange Überlebenschancen, wie die Kirchensteuer fließt. Das aber tut sie noch trotz den Massen-Kirchenaustritten. Doch irgendwann schlägt die Stunde der Wahrheit – und die kann in der Tat sehr bald schlagen, wenn die Austrittszahlen einen kritischen Punkt erreicht haben werden – oder aber dann, wenn eine grün-gelbe, muslimische Mehrheit im Bundestag das Konkordat mit dem Heiligen Stuhl ohne formale Kündigung einfach in den Papierkorb wirft. Wie weit sind wir von diesem Zeitpunkt noch entfernt? Wann schlägt die Stunde für den deutschen Katholizismus?

Dieser Augenblick würde auch dann kommen, wenn die Bereitschaft der treuen Katholiken, den ganzen Bischofskonferenz–Zentralkomitee-Verbände-Apparat zu finanzieren, endgültig erschöpft wäre.

Wie die Geduld der Kirchensteuerzahler werden dann das ganze System in eine Krise geraten und der kirchliche Apparat radikal in Frage gestellt. Tatsächlich bedeutet das, dass bei fortdauerndem Versagen der Institutionen gegenüber der eigentlichen Sendung der Kirche es an den Gläubigen liegen könnte, dem Spuk ein geräuschloses Ende zu bereiten. Kirchenaustritt der Getreuen also? „Austritt“ aus dem Kirchensteuersystem ist wahrlich kein Abfall vom Glauben, auch wenn die Bischofskonferenz schon seit Jahr und Tag darauf insistiert, dass der „Kirchenaustritt“ die Exkommunikation nach sich ziehe – mit all ihren Folgen. Hat sie hiermit ihr Konto nicht beträchtlich überzogen?

Wie dem nun auch sei: Wie einst Israel, so steht auch der Kirche, den Christen, in einer zunehmend atheistischen und amoralischen Welt der Abschied von den Fleischtöpfen Ägyptens und der – wer weiß wie lange – Weg durch die Wüste bevor. Darauf gilt es – endlich – sich gefasst zu machen, und entsprechende Folgerungen daraus zu ziehen.

IV

Dabei könnte, sollte man von jenen nicht wenigen Gemeinschaften lernen, die in den letzten Jahrzehnten außerhalb des Kirchensteuer-finanzierten Establishments entstanden sind. Sie können hier nicht einzeln genannt werden. Wohl aber mag gesagt sein, dass eine von ihnen in diesem Jahr 34 junge Männer aufnehmen konnte, die das Priesteramt anstreben.

Solche Institute etc. sind von „der Kirche“ finanziell völlig unabhängig, entfalten aber dennoch ein erstaunliches Apostolat – und erfreuen sich eben darum der Hochschätzung und Unterstützung der Nicht-Zentralkomitee-Katholiken.

Ein Beispiel nur: das Benediktinerkloster zu Norcia-Nursia, dem Geburtsort des heiligen Benedikt, wo eine dem traditionellen monastischen Ritus folgende Kommunität von 17 Mönchen lebt. Ihr Kloster wurde durch ein Erdbeben im Jahre 2016 zerstört. Unverzüglich schufen die Mönche außerhalb des Ortes eine Behelfsunterkunft und begannen zugleich einen für dreißig Mönche berechneten Neubau, den sie im kommenden Jahr beziehen wollen.

Woher aber kamen die Mittel, die der Neubau bisher verschlang? Die Antwort: Wo immer der Glaube authentisch verkündet und gelebt, wo Liturgie ehrfürchtig und gewissenhaft gefeiert und christliche Bruderliebe gelebt wird – dahin fließen die Gaben der Gläubigen – ohne fund-raising Management. Ist das nicht ein Modell für die „kleine Herde“ der Zukunft?

Erinnern wir uns auch: Vor nun genau 105 Jahren wurde – die Wunden des Ersten Weltkriegs waren noch keineswegs verheilt – die Katholische Universität Lublin – heute nach dem hl Johannes Paul II. benannt – mit den Spendengroschen der unter den Kriegsfolgen leidenden katholischen Bevölkerung gegründet. Heute ist sie ein längst anerkannter Wissenschaftsstandort, an dem etwa 20.000 Studenten ausgebildet werden und nahezu 2000 Professoren etc. forschen und lehren.

Was einmal möglich war – und außerhalb der „Kirchensteuer-Oase“ auch heute noch gelingt, mögen die deutschen Katholiken beherzigen, wenn, anders als der nie versiegende Ölkrug des Propheten Elias, die Quelle der Kirchensteuer nicht mehr sprudeln wird.

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Ich danke Seiner Eminenz für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung seiner eindringlichen Erwägungen und Mahnungen.

 


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