Gänswein: „Auch und gerade Benedikt XVI. ist ein Zeuge der barmherzigen Liebe Gottes“

24. April 2023 in Spirituelles


Erzbischof Gänswein in Altötting: „Nur wenn wir das bittere Leiden und Sterben Christi vor Augen haben, können wir die Barmherzigkeit Gottes verstehen“ – Die Predigt in voller Länge!


Altötting-Vatikan (kath.net) kath.net dokumentiert die Predigt von Erzbischof Dr. Georg Gänswein in Altötting, Basilika St. Anna, am zweiten Sonntag der Osterzeit, Sonntag der Göttlichen Barmherzigkeit (16.04.2023) in voller Länge und dankt S.E. für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung - Apg 2,42-47; 1 Petr 1,3-9; Joh 20,19-31

Liebe Mitbrüder im priesterlichen und diakonalen Dienst!
liebe Schwestern und Brüder!

Wir feiern heute den 2. Sonntag in der Osterzeit – und beschließen damit die Osteroktav. Der heutige Sonntag ist uns aber auch als der „Weiße Sonntag“ (dominica in albis) bekannt. Es war der Festtag, an dem in der jungen Kirche die in der Osternacht Getauften in weißen Gewändern festlich in die Kirche eingezogen sind und erstmalig die Heilige Kommunion empfangen haben. Daraus wurde im Laufe der Zeit der Tag der „Feierlichen Erstkommunion“, die heute noch in vielen Pfarreien am „Weißen Sonntag“ begangen wird.

    Seit dem Jahr 2000 trägt dieser 2. Sonntag in der Osterzeit noch einen anderen Namen: nämlich „Barmherzigkeitssonntag“ oder „Sonntag der Göttlichen Barmherzigkeit“. Das beruht auf einer Intuition von Johannes Paul II. Damit bezieht sich der heilige Papst auf eine Vision der von ihm selbst hochverehrten Schwester Maria Faustina Kowalska aus Polen. Sie wurde am Sonntag der Göttlichen Barmherzigkeit des Jahres 2000 heilig gesprochen. Ganz bewusst wurde die Jahrtausendwende gewählt, denn die Barmherzigkeit Gottes sollte Motto, ja Leitlinie für das neue Jahrtausend sein.

Und schon sind wir mitten drin im heutigen Evangelium, das uns von der Begegnung Jesu mit dem vielfach als „Ungläubiger“ gebrandmarkte Apostel Thomas berichtet.

Von einer Begegnung eines Mönches mit einem Zollbeamten an der Staatsgrenze im Südwesten Deutschlands wird folgende Szene berichtet. Der Mönch kommt in seinem nicht mehr ganz taufrischen Auto an die Grenze. Er wird gründlich gefilzt. Ein Grenzer stellt das Auto auf den Kopf, so dass der Mönch ihn verwundert fragt, ob er denn glaube, dass er ein falscher Mönch sei oder etwas zu verbergen habe. Der Beamte antwortet trocken: „Der Patron von uns Zöllnern ist der heilige Thomas. Was wir nicht sehen und berühren können, glauben wir nicht!“ Diese Antwort sitzt. Der Mönch schweigt.

Die Nachricht, da sei einer von den Toten auferstanden, bleibt zu allen Zeiten eine Herausforderung. Zu allen Zeiten stößt eine solch unglaubliche Vorstellung auch auf Zweifel, Skepsis, ja Ablehnung. Von den Toten auferstehen, das widersprach, das widerspricht zu allen Zeiten unserer nüchternen Erfahrung: tot ist tot. Hier gibt es kein Zurück mehr. Auf diesem Hintergrund sind die Zweifel des Apostels Thomas auch eine grundsätzliche Anfrage an die Zeugen, die davon berichten, dass Jesus lebe. Der Evangelist überliefert uns, dass Jesus diese Zweifel ernstgenommen habe. Bei der heutigen, am achten Tag nach der Auferstehung Jesu berichteten Begegnung, kommt dieser Zweifel auf den Tisch. Der Auferstandene zeigt ihm seine Seitenwunde und Thomas antwortet, wie vom Blitz getroffen, mit einem bewegenden Bekenntnis: „Mein Herr und mein Gott“ (Joh 20,28). Er bekennt Jesus Christus als seinen Herrn und seinen Gott. Damit legt er ein persönliches Zeugnis ab für die Auferstehung Jesu. Wir dürfen hinter diesem persönlichen Bekenntnis aber auch das Ringen der jungen Kirche vernehmen. Mit diesem kurzen, klaren, bewegenden Bekenntnis des Apostels Thomas, und damit der ganzen Kirche, soll jeder Zweifel an der Auferstehung ausgeräumt und mutig bezeugt und verkündet werden.

Darin steckt das große Wagnis des Glaubens. Der Zweifel ist ausgeräumt, Jesus ist wirklich von den Toten auferstanden, er lebt wirklich: gesehen, berührt und geglaubt von Thomas, dem anfänglichen Zweifler. Offenbar liegt hier der Grund dafür, warum Thomas als Patron der Grenzbeamten gewählt wurde. Es geht hier aber nicht ausschließlich um die Ausräumung der Zweifel an der Auferstehung als vielmehr auch um das Ringen nach einer wirklichen Nachfolge Jesu und wie diese gelebt werden kann. Offenbar kann dies nur im Wagnis des Glaubens gelingen. Die Antwort Christi gleich anschießend an das Bekenntnis des Thomas lautet: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20,29). Wie kann das große „Wagnis des Glaubens“ gelebt werden? Christus sagt von sich, dass er der Weg, die Wahrheit und das Leben sei. Und der gleiche Apostel – der heilige Thomas – fragt an anderer Stelle, was das bedeute. Im Klartext heißt das, er fragt nach den Bedingungen der Nachfolge: „Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir den Weg kennen?“ (Joh 14,5). Es geht darum, tiefer zu verstehen lernen, was der Herr für seine Jünger bedeutet. Das heutige Evangelium veranschaulicht an der Gestalt des heiligen Thomas: Glaube ist keine Theorie, keine bloße Hypothese – nein! Glaube muss greifbar, begreifbar sein – konkret und anschaulich werden, und zwar im praktischen Leben. Und genau das geschieht in den Werken der Barmherzigkeit.

Geübte Barmherzigkeit ermöglicht uns die Auferstehung zu leben in unserer eigenen Existenz und in der Gemeinschaft all derer, die mit uns diesen Weg des Glaubens gehen. Gott nimmt uns die Leiden, die uns plagen, nicht ab und er erspart uns auch nicht die täglichen Herausforderungen, die uns zu schaffen machen. Die Auferstehung seines Sohnes ist eine neue Wirklichkeit, die unser Leben in einem neuen, ganz anderen Licht erscheinen lässt. Auferstehung heißt, dass Gott in Jesus Christus unsere Wege mitgeht und uns in seine Nähe ruft. Daraus erwächst uns die stetige Aufgabe auf unsere Weise den Menschen in Not nahe zu sein, unsere Mitleidenschaft, unsere Barmherzigkeit zu leben. Die Tradition der Kirche lehrt uns die Werke der geistlichen und tätigen Barmherzigkeit: die Hungernden speisen, den Dürstenden zu trinken geben, die Nackten bekleiden, die Fremden aufnehmen, die Kranken und Gefangenen besuchen und die Toten begraben. Nicht weniger wichtig sind die Werke der geistlichen Barmherzigkeit: die Unwissenden lehren, den Zweifelnden raten, die Trauernden trösten, die Sünder zurechtweisen, den Beleidigern gerne verzeihe, die Lästigen geduldig ertragen sowie für die Lebenden und Toten beten.

Barmherzigkeit als Grundbegriff des Evangeliums wird so zum Schlüsselbegriff eines christlichen Lebens.

Liebe Schwestern und Brüder!
Der diesjährige Sonntag der Göttlichen Barmherzigkeit fällt auf den 16. April, den Geburtstag von Papst Benedikt XVI. Auch und gerade er ist ein Zeuge der barmherzigen Liebe Gottes. Sein Anliegen war es gewesen, bewusst zu machen, dass die Barmherzigkeit Gottes nicht als billige Gnade missverstanden werden darf. Sie ist auch keine nur „herablassende“ Güte, bei der das Böse verharmlost und alles toleriert wird – in dem Sinn: „Das war doch nicht so schlimm!“ Gott ist auch der Gerechte und der Heilige. Jede Sünde ist eine Verletzung der Heiligkeit Gottes. Gerade die Sünde ist es doch, durch die wir in das Elend hineingeraten. Nur wenn wir das bittere Leiden und Sterben Christi vor Augen haben, können wir die Barmherzigkeit Gottes verstehen. Christus trägt in seinem Leib und in seiner Seele die ganze Last des Bösen und dessen zerstörerische Kraft. Der auferstandene Christus erscheint dem Apostel Thomas. Jesus lädt ihn ein, seinen Finger und die Hand in seine Wundmale zu legen. Das tut Jesus immerfort. Jedem Verzweifelten und Mutlosen, jedem an Leib und Seele Verwundeten und auch jedem schuldig Gewordenen zeigt er seine Wunden, um ihm zu sagen, dass er auch für ihn gelitten hat. Jesus hat seine Wundmale in die Ewigkeit mitgenommen. Sie sind für uns stets Gewissheit und Trost seines Erbarmens. Wie viele Menschen haben schon Hilfe gefunden in der Anrufung des barmherzigen Jesus: „Jesus, ich vertraue auf dich.“

Liebe Schwestern und Brüder!
Schließlich begegnet uns hier und heute der Mann, dessen liturgischen Gedenktag wir am kommenden Freitag, dem 21. April feiern, der heilige Bruder Konrad. Unzähligen Menschen ist er buchstäblich zum Werkzeug der Barmherzigkeit Gottes geworden, auch für Joseph Kardinal Ratzinger, wie er selbst es in seinen Lebenserinnerungen beschreibt: „Altötting empfing gerade in jenen Jahren neuen Glanz, als der ehemalige Pförtner Konrad von Parzham selig und dann heiliggesprochen wurde. In diesem demütigen und grundgütigen Menschen fanden wir das Beste unseres Stammes verkörpert und durch den Glauben zu seinen schönsten Möglichkeiten geführt. Später habe ich oft nachgedacht über diese merkwürdige Fügung, dass die Kirche im Jahrhundert der Fortschritts- und Wissenschaftsgläubigkeit sich selbst am meisten dargestellt fand in ganz einfachen Menschen, in Bernadette von Lourdes etwa oder eben Bruder Konrad, die von den Strömungen der Zeit kaum berührt schienen: Ist das ein Zeichen, dass die Kirche ihre kulturprägende Kraft verloren hat und nur noch außerhalb des eigentlichen Geschichtsstroms angesiedelt ist? Oder ist es ein Zeichen, dass der helle Blick für das Wesentliche gerade heute den Geringsten gegeben ist, der den „Weisen und Verständigen“ so oft abgeht (vgl. Mt 11,25). Ich denke schon, dass gerade diese „kleinen“ Heiligen ein großes Zeichen an unsere Zeit sind, das mich umso mehr berührt, je mehr ich mit und in ihr lebe“ (Aus meinem Leben. Erinnerungen. Stuttgart 1998, S. 10-11).
Amen.

Archivfoto Erzbischof Gänswein (c) Martin Lohmann


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