Das Gewissen und seine medialen Mitwisser

26. April 2023 in Kommentar


„Es ist offensichtlich gar nicht so einfach auf Ungeheuerlichkeiten zu reagieren zu Zeitpunkten, als man sie einfach – so oder so – nicht glaubte.“ Gastkommentar von Helmut Müller


Trier, Mainz, Freiburg (kath.net) „Ich gehe jetzt fischen“, sagte Simon Petrus „Wir kommen mit“, meinten die anderen (Joh. 21,3) heißt es im gestrigen Sonntagsevangelium. Was war vorher? Ungeheuerliches: Ihr Herr und Meister war am Kreuz, dem Galgen der Antike, gestorben. Und damit nicht genug. Er wurde Tage später wieder gesehen. Das konnten Petrus und die anderen offenbar einfach nicht glauben. Deshalb gingen sie fischen. It's business as usual. Alles geht wie gewohnt weiter Sie haben den Schuss offenbar nicht gehört.

Seit einer Woche werden wir im Bistum Trier Tag für Tag im Trierer Volksfreund und der Koblenzer Rheinzeitung auch mit Ungeheuerlichem konfrontiert: Mit dem (verborgenen) Leben des Ehrendomherrn Edmund Dillinger und schon seit Monaten nun auch mit dem Verhalten von Nachfolgern o. g. Apostel, etwa dem verstorbenen Kardinal Karl Lehmann von Mainz oder jetzt dem ehemaligen Erzbischof Robert Zollitsch von Freiburg. Sie machten alle offenbar auch business as usual. Wir sind darüber heute fassungslos. Wären wir das genauso vor Jahren gewesen, als das alles geschehen ist und es auch Mitwisser gegeben hätte? Jeder sollte sich einmal selbst fragen, wie er sich verhalten hätte, wenn er damals Bischof gewesen wäre.

Das Aachener Gutachten von 2020 bescheinigte jedenfalls einem der Nachfolger der o. g. Apostel, dem Aachener Bischof Klaus Hemmerle, dass er vor gut 30 Jahren Opfer von Missbrauch aktiv und persönlich aufgesucht hat – übrigens gegen bistumsinterne Kritik – wie das Gutachten festhält. Was Bischof Hemmerle tat, war offensichtlich unter damaligen Gesichtspunkten nicht business as usual in Ordinariaten. Und machen wir uns nichts vor, auch nirgendwo sonst, weder in Sportvereinen, Musikschulen und ebensolchen Verbänden. In Aachen hat wirklich jemand den Schuss gehört und ist seinem Meister gefolgt ohne von Mitwissern getrieben zu werden oder mit reichem Fischfang belohnt zu werden.

Was reicher Fischfang bedeutete, wusste allerdings schon Ambrosius von Mailand, der übrigens aus der Trierer Gegend stammte, zu deuten: Die 153 großen Fische aus dem Fang standen für die damals bekannten Arten. So reich wurde Bischof Hemmerle vor 30 Jahren öffentlich nicht für sein Handeln belohnt. Sein Handeln machte aber mit dem Auferstehungsglauben Ernst: Er begegnete der Ungeheuerlichkeit des Missbrauchs mit der einzig angemessenen Geste: Er begegnete den Opfern Auge in Auge, ohne dass das damals wie heute förmlich als Ritual eingefordert wurde, ja sogar gegen bistumsinternes Kopfschütteln. Aber der Lohn für dieses Handeln ist spärlich. Es ist kaum bekannt geworden, nur ein Dementi, dass katholischen Priestern oder Bischöfen, Missbrauch nicht an der Soutane klebt wie beim Backen Teig an den Händen.

Es ist offensichtlich gar nicht so einfach auf Ungeheuerlichkeiten zu reagieren zu Zeitpunkten, als man sie einfach – so oder so – nicht glaubte. Es gab damals keinen Donnerball der Presse, der zu allgemeiner Aufmerksamkeit aufrüttelte und demzufolge pflichtgemäße Empörung einforderte. Das eigene Empfinden muss allein aufrütteln, auf Ungeheuerlichkeiten zu reagieren, nicht erst wenn mediale Empörungswellen das Gewissen aufschrecken und uns daran erinnern, dass wir überhaupt eins haben. Denn ein Gewissen ist tot, wenn es nur aus Angst reagiert, weil es noch einen Mitwisser um die Schuld gibt.

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Hineingenommen in die Liebe – aber spüren wir sie auch im orbis catholicus?
Von Helmut Müller
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