„Der christliche Glaube ist in der heutigen Welt die am meisten verfolgte Religion“

15. Mai 2023 in Interview


Kurienkardinal Kurt Koch weist im KATH.NET-Interview über die 21 koptischen Märtyrer darauf hin, dass „80 Prozent aller Menschen, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden, Christen“ sind. Von Petra Lorleberg


Vatikan (kath.net/pl) „Ich kann mich gut an diese schreckliche Nachricht erinnern… Die demonstrative Abschlachtung der koptischen Männer in Libyen hat in mir damals Schmerz und Mitgefühl ausgelöst.“ Dies sagt Kurienkardinal Kurt Koch im Interview mit KATH.NET im Hinblick auf die gezielte Ermordung von 21 koptischen Christen durch Terroristen des „Islamischen Staates“ vor laufender Kamera. Papst Franziskus hat vor wenigen Tagen angekündigt, dass er diese koptischen Märtyrer in das Martyrologium Romanum aufnehmen werde, kath.net hat berichtet. Der vatikanische „Ökumeneminister“ erläutert weiter: „Der christliche Glaube ist in der heutigen Welt die am meisten verfolgte Religion. Achtzig Prozent aller Menschen, die heute wegen ihres Glaubens verfolgt werden, sind Christen. Es gibt in der heutigen Welt sogar mehr Märtyrer als während den Christenverfolgungen in den ersten Jahrhunderten. Es ist beschämend, dass dieser schmerzlichen Tatsache in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit und teilweise sogar in der Kirche nicht jene Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, die sie verdient.“

Kardinal Erzbischof Koch ist seit 2010 Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Er war 1996 zum Bischof von Basel geweiht worden und war von 1998 bis 2009 zunächst Vizepräsident, dann Präsident der Schweizer katholischen Bischofskonferenz. Er wurde 2010 zum Kardinal erhoben.

kath.net: Eminenz, erinnern Sie sich eventuell noch an Ihre ganz persönliche Reaktion, als damals die Nachricht über die gezielte, demonstrative Ermordung der 21 koptischen Märtyrer zu uns kam?

Kurt Kardinal Koch: Ich kann mich gut an diese schreckliche Nachricht erinnern. Wenn ein Mensch einen anderen Menschen umbringt, löst dies bei mir immer Trauer und Mitleid aus. Wenn dies aus so genannt „religiösen“ Gründen geschieht, kommt noch tiefe Scham hinzu. Die demonstrative Abschlachtung der koptischen Männer in Libyen hat in mir damals Schmerz und Mitgefühl ausgelöst.

kath.net: Die Heiligsprechung wurde in der koptischen Kirche ja sehr schnell vollzogen.

Kard. Koch: Was die Heiligsprechung und die Erklärung von Menschen zu Märtyrern betrifft, kennt die koptisch-orthodoxe Kirche andere Verfahren als die römisch-katholische Kirche. Auf diesem Hintergrund ist auch die schnelle Entscheidung der koptisch-orthodoxen Kirche zu verstehen.

kath.net: Ist die Aufnahme dieser Märtyrer in das Martyrologium Romanum eine ökumenische Überraschung? Gab es zuvor schon den Fall, dass Nichtkatholiken aus den getrennten Traditionen (Orthodoxe, Protestanten?) aufgenommen wurden und werden eventuell weitere Nichtkatholiken Aufnahme finden können?

Kard. Koch: Die Entscheidung von Papst Franziskus ist für mich keine ökumenische Überraschung gewesen. Sie steht vielmehr in der Linie der tiefen Sicht des heiligen Papstes Johannes Paul II. In seiner Enzyklika über den Einsatz für die Ökumene „Ut unum sint“ (1995) hat er einen ganzen Abschnitt der Ökumene der Märtyrer gewidmet. Er ist überzeugt gewesen, dass die Christenheit im vergangenen Jahrhundert erneut und in unvergleichbarem Masse Märtyrerkirche geworden ist.

Da Christen heute nicht verfolgt werden, weil sie einer bestimmten christlichen Glaubensgemeinschaft angehören, sondern weil sie Christen sind, ist das Martyrium heute ökumenisch. Für Papst Johannes Paul II. haben deshalb alle kirchlichen Gemeinschaften „Märtyrer des christlichen Glaubens“ und ist uns Christen bereits ein „gemeinsames Martyrologium“ gegeben. In dieser Ökumene der Märtyrer hat der Papst bereits auch eine grundlegende Einheit unter den Christen wahrgenommen und darauf gehofft, dass die Märtyrer der Christenheit uns helfen werden, die volle Gemeinschaft wiederzufinden.

Der Ökumene der Märtyrer hat Papst Johannes Paul II. sichtbaren Ausdruck verliehen, als er am 7. Mai im Jubiläumsjahr 2000 an dem historisch symbolträchtigen Ort vor dem Kolosseum in besonderer Weise der Märtyrer des 20. Jahrhunderts gedacht hat, wobei Glaubenszeugnisse des orthodoxen Metropoliten Seraphim, des evangelischen Pastors Paul Schneider und des katholischen Paters Maximilian Kolbe vorgetragen worden sind. Bereits der heilige Papst Paul VI. hat, als er am 18. Oktober 1964 die Märtyrer von Uganda heilig gesprochen hat, dabei auch die Anglikaner gewürdigt, die dasselbe Leiden wie ihre katholischen Brüder durchgemacht haben. In dieser Tradition steht auch Papst Franziskus, dem die „Ökumene des Blutes“ besonders am Herzen liegt.

kath.net: In welcher Beziehung stehen die koptische und die römisch-katholische Kirche aktuell zueinander? Was waren die jüngsten Entwicklungen, welche Hoffnungen hat man für die Zukunft?

Kard. Koch: Die guten Beziehungen zwischen beiden Kirchen in der neueren Zeit haben mit dem Besuch des koptisch-orthodoxen Papstes Shenouda III. bei Papst Paul VI. vor fünfzig Jahren, am 10. Mai 1973 begonnen. Dabei haben beide bezeugt, denselben Glauben an Jesus Christus zu teilen. Am vierzigsten Jahrestag dieser Begegnung ist der jetzige koptisch-orthodoxe Papst Tawadros II. nach Rom gekommen, um Papst Franziskus zu begegnen. Seither wird der 10. Mai als „Tag der Freundschaft zwischen Kopten und Katholiken“ begangen. Papst Franziskus seinerseits hat Papst Tawadros II. im April 2017 in Kairo besucht.

Aufgrund dieser gegenseitigen Besuche ist zwischen der Kirche des heiligen Petrus und der Kirche des heiligen Markus eine tiefe Freundschaft gewachsen; und Papst Franziskus versteht die Aufnahme der koptischen Märtyrer, die am 15. Februar 2015 in Libyen ermordet worden sind, in das „Martyrologium Romanum“ als „Zeichen der geistlichen Gemeinschaft, die unsere beiden Kirchen eint“. Damit ist die Hoffnung verbunden, auf solchen Wegen die volle Gemeinschaft auch an demselben Altar wieder zu finden.

kath.net: Diese 21 Märtyrer waren ja vermutlich „ganz normale“ Christen, mit ihren Stärken und Schwächen, wie wir alle eben. Was wissen wir eigentlich über ihren Glauben – und wie kam es, dass sie die Kraft für ihr beeindruckendes christliches Zeugnis fanden?

Kard. Koch: Es gibt kein größeres Zeugnis des Glaubens und der Liebe eines Menschen zu Christus als die Annahme des gewaltsamen Todes um dieses Bekenntnisses willen. In der Tradition wurde der Märtyrertod als Bluttaufe bezeichnet, und zwar in der Überzeugung, dass sie bei jenem Menschen, der noch nicht getauft ist, sogar die Wassertaufe ersetzt. Und die Tradition erblickte das Martyrium nicht bereits im Getötet-Werden, sondern in der Treue zum Glauben, wie der heilige Augustins klassisch formuliert hat: Nicht die Strafe oder der Tod an sich macht einen Christen zum Märtyrer, sondern der innere Grund, beziehungsweise seine Gesinnung: „Christi martyrem non facit poena sed causa.“ Da der Märtyrer nicht nur Wort-Zeuge, sondern auch Tat-Zeuge des Glaubens ist, wird er mit Recht zu den glaubwürdigsten Glaubenszeugen gezählt.

kath.net: Herr Kardinal Koch, es geht ja bei diesen Märtyrern auch konkret um das Thema „Christenverfolgung“. Nehmen wir dieses Thema in der Kirche im deutschsprachigen Raum eigentlich ausreichend wahr?

Kard. Koch: Der christliche Glaube ist in der heutigen Welt die am meisten verfolgte Religion. Achtzig Prozent aller Menschen, die heute wegen ihres Glaubens verfolgt werden, sind Christen. Es gibt in der heutigen Welt sogar mehr Märtyrer als während den Christenverfolgungen in den ersten Jahrhunderten. Es ist beschämend, dass dieser schmerzlichen Tatsache in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit und teilweise sogar in der Kirche nicht jene Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, die sie verdient.

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