„Benedikt XVI. bleibt uns auch als Beter ein Vorbild“

25. Mai 2023 in Spirituelles


In der Gegenwart Gottes verweilen. Gastbeitrag von Thorsten Paprotny


Hannover (kath.net) Verborgen vor der Welt wünschte der am 31. Dezember 2022 verstorbene emeritierte Papst Benedikt XVI. nach seinem Amtsverzicht zu leben. Auch als Beter bleibt er uns ein Vorbild. Zu den kostbaren geistlichen Schätzen seines lichtreichen Pontifikates gehören auch die Worte, die er bei seinen Besuchen in Klöstern vorgetragen. Aus diesen Ansprachen können auch wir heute schöpfen, bedrängt von einer so oft geistlosen Unruhe, die bis weit in den Raum der Kirche hineinreicht.

Am 9. September 2011 besuchte Benedikt XVI. die Kartause San Bruno in Serra, in Kalabrien. Dort sprach er in der Vesper (siehe Link)  über die „kontemplative Berufung in der Kirche“. Heute erscheint uns dies oft wie verdeckt und überlagert zu sein, wenn medial versierte Laienfunktionäre, antirömisch gesinnte Theologieprofessoren und bedauerlicherweise auch einige Bischöfe fragwürdige Thesen aufbringen, die im Gegensatz zur Lehre der Kirche und damit zum Evangelium Jesu Christi stehen, und das Licht der Öffentlichkeit suchen. Die Kirche Gottes, das einstige Haus voll Glorie, scheint in der Kirchenprovinz Deutschland in ein aus Kirchensteuermitteln bestens finanziertes Haus der ungehemmten Schwatzhaftigkeit umgewandelt worden zu sein. Doch wir brauchen keine deutsch-synodale Kirchenpolitik, sondern die Treue zum lebendigen Gott und zu der Kirche des Herrn. Notwendig ist es gerade heute, sich zu besinnen, geistlich erneuern zu lassen und in allem vertrauensvoll auf Christus zu schauen.

Es gelte, so Benedikt XVI. in San Bruno in Serra unter Bezugnahme auf Rodolphe, den Gründer des Kartäuserordens, die flüchtigen Wirklichkeiten aufzugeben und zu versuchen, das Ewige zu ergreifen. Nichts möchten auch wir lieber, als in die „lebendige Vereinigung mit Gott einzutreten“ und uns von der „unendlichen Liebe Gottes ergreifen“ zu lassen, um allein von dieser Liebe zu leben. Benedikt XVI. fährt fort: „Jedes Kloster – Männer- wie Frauenkloster – ist eine Oase, in der unablässig der tiefe Brunnen ausgehoben wird, um daraus das »lebendige Wasser« zur Stillung unseres tiefsten Durstes zu schöpfen. Aber die Kartause ist eine besondere Oase, wo das Schweigen und die Einsamkeit mit besonderer Sorgfalt gehütet werden, gemäß der vom hl. Bruno begonnenen und durch die Jahrhunderte hindurch unverändert gebliebenen Lebensform.“ Der Papst setzt die monastische Existenzweise einer Lebenspraxis entgegen, in der alles der Fortbewegung und dem Fortschritt unterworfen ist. Die Städte seien fast immer laut, die Virtualität drohe nun den Menschen ganz zu beherrschen: „Die Menschen tauchen, ohne sich dessen bewußt zu werden, durch audiovisuelle Botschaften, die ihr Leben von früh bis abends begleiten, immer tiefer in eine virtuelle Dimension ein. Die Jüngeren, die bereits in diese Situation hineingeboren wurden, scheinen jeden leeren Moment mit Musik und Bildern füllen zu wollen, gleichsam aus Angst, eben diese Leere zu fühlen. Es handelt sich um eine Tendenz, die es besonders unter den Jugendlichen und in den entwickelteren städtischen Lebensräumen immer gegeben hat, die aber heute ein Niveau erreicht hat, so daß man von einer anthropologischen Mutation sprechen kann. Einige Menschen sind nicht mehr fähig, länger in Stille und Einsamkeit zu verweilen.“ Wir dürfen auch uns fragen: Gelingt es uns, still zu werden? Vielleicht in der Anbetung des Allerheiligsten Sakrament des Altares? Oder beim Rosenkranzgebet? Verfügen wir über die innere Ruhe, uns still in der Natur zu bewegen und uns dankbar an der Schönheit von Gottes Schöpfung zu erfreuen? Oder fürchten wir uns vor der Stille? Benedikt XVI. legt dar: „Wenn sich der Mensch in die Stille und Einsamkeit zurückzieht, setzt er sich in seiner Nacktheit sozusagen der Wirklichkeit, jener scheinbaren »Leere« aus, um statt dessen die Anwesenheit Gottes, die Fülle der realsten Wirklichkeit, die es geben kann und die jede sinnlich wahrnehmbare Dimension übersteigt, zu erleben. Eine Anwesenheit, die in jedem Geschöpf wahrnehmbar ist: in der Luft, die wir einatmen, im Licht, das wir sehen und das uns wärmt, im Gras, in den Steinen… Gott, »Creator omnium«, Schöpfer aller Dinge, durchdringt alles, steht aber darüber und ist eben deshalb der Grund von allem.“

Es genüge aber nicht, so Benedikt, „das Verweilen in der Gegenwart Gottes“ an besonderen Orten zu lernen und einzuüben. Interessanterweise wählt er einen Vergleich mit der Ehe: „Wie es bei der Hochzeit nicht genügt, das Sakrament zu feiern, um tatsächlich eins zu werden, sondern es gilt, die Gnade Gottes wirksam werden zu lassen, um gemeinsam durch den Alltag des Ehelebens zu gehen, so erfordert das Mönchwerden Zeit, Übung, Geduld, »indem man in einem dauernden Wachsein für das Göttliche« – wie der hl. Bruno sagte – »auf die Wiederkunft des Herrn wartet, um ihm sogleich die Tür zu öffnen« (Brief an Rodolphe, 4); und gerade darin besteht die Schönheit jeder Berufung in der Kirche: Gott Zeit zu geben, durch seinen Geist zu wirken, und dem eigenen Menschsein Zeit zu geben, sich zu formen, nach dem Maßstab der Reife Christi in jenem besonderen Lebensstand zu wachsen.“

Gott nimmt sich Zeit für uns. Er möchte uns formen. Lassen wir uns von ihm gestalten, darauf hoffe, dafür bete ich. So dürfen müssen auch wir uns heute uns vielleicht von den deutsch-synodalen Winden und Konfusionen gar nicht so sehr irritieren lassen. Natürlich ist dieses säkulare Trauerspiel lästig und traurig. Doch vergessen wir nicht: Gott ist immer größer und Gott hat in allem das letzte Wort. Wir können und dürfen auf die Schönheit des Glaubens und die Schönheit jeder einzelnen Berufung zu einem Leben im Glauben schauen – und ein jeder von uns kann an seinem Platz, im Gebet, durch Zeugnis und Beispiel, für die Welt wirken.

Was für die Kartäuser in San Serra gilt, ist auch jedem Einzelnen von uns gesagt. Hören wir Benedikts Worten genau zu: „Bisweilen scheint es den Augen der Welt unmöglich zu sein, das ganze Leben in einem Kloster zu verbringen; in Wirklichkeit aber reicht ein ganzes Leben kaum aus, um in diese Vereinigung mit Gott, in jene wesentliche und tiefe Wirklichkeit einzutreten, die Jesus Christus ist. … Keine Berufung im Volk Gottes ist nebensächlich: Wir sind ein einziger Leib, in dem jedes Glied wichtig ist und dieselbe Würde besitzt und untrennbar vom Ganzen ist. ... »Stat Crux dum volvitur orbis« [Das Kreuz steht, solange sich der Erdkreis dreht]. Das Kreuz Christi ist der ruhende Pol inmitten der Veränderungen und Umwälzungen der Welt.“ Vielleicht gelingt es uns, immer mehr in der Gegenwart Gottes zu verweilen und dankbar auch in unruhigen, stürmischen Zeiten spüren, dass Er uns trägt und hält, in Zeit und Ewigkeit.

Dr. Thorsten Paprotny (siehe Link) lehrte von 1998-2010 am Philosophischen Seminar und von 2010 bis 2017 am Institut für Theologie und Religionswissenschaft der Leibniz Universität Hannover. Er publizierte 2018 den Band „Theologisch denken mit Benedikt XVI.“ im Verlag Traugott Bautz und arbeitet an einer Studie zum Verhältnis von Systematischer Theologie und Exegese im Werk von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI.

kath.net-Buchtipp
Theologisch denken mit Benedikt XVI.
Von Thorsten Paprotny
Taschenbuch, 112 Seiten
2018 Bautz
ISBN 978-3-95948-336-0
Preis 15.50 EUR


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