17. Mai 2023 in Spirituelles
Der historische Charakter der Auferstehung und Himmelfahrt Christi hilft uns, das transzendente und eschatologische Sein der Kirche zu erkennen und zu begreifen - Gedanken von Benedikt XVI. zum Fest Christi Himmelfahrt
Rom (kath.net)
»Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde« (Apg 1,8). Mit diesen Worten verabschiedet sich Jesus von den Aposteln, wie wir in der ersten Lesung gehört haben. Unmittelbar darauf fügt der biblische Autor hinzu: »Als er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken« (Apg 1,9). Das ist das Geheimnis von Christi Himmelfahrt, das wir heute feierlich begehen. Was aber wollen uns die Bibel und die Liturgie mitteilen, wenn es heißt, daß Jesus »emporgehoben« wurde? Der Sinn dieses Ausdrucks ist nicht allein einem einzigen Textabschnitt zu entnehmen, ebensowenig einem einzigen Buch des Neuen Testaments, sondern einem aufmerksamen Hören auf die Heilige Schrift insgesamt. Der Gebrauch des Verbums »emporheben« stammt nämlich aus dem Alten Testament und ist auf die Einsetzung in die Königswürde bezogen. Die Himmelfahrt Christi bedeutet also an erster Stelle die Einsetzung des gekreuzigten und auferstandenen Menschensohnes in das Königtum Gottes üb er die Welt.
Es gibt allerdings einen tieferen, nicht unmittelbar wahrnehmbaren Sinn. In der Apostelgeschichte heißt es zunächst, daß Jesus »emporgehoben « wurde (V. 9), und unmittelbar folgend wird hinzugefügt, daß er »aufgenommen wurde« (V. 11). Das Ereignis ist nicht so beschrieben, als handle es sich um eine Reise in die Höhe, sondern als ein Wirken der Kraft Gottes, die Jesus in den Raum der göttlichen Nähe einführt. Die Gegenwart der Wolke, die »ihn ihren Blicken entzog « (V. 9), bezieht sich auf ein sehr altes Bild der alttestamentlichen Theologie und fügt den Bericht über die Himmelfahrt in die Geschichte Gottes mit Israel ein, von der Wolke des Sinai und über dem Bundeszelt in der Wüste bis hin zur leuchtenden Wolke auf dem Berg der Verklärung. Dadurch, daß der Herr in die Wolke gehüllt dargestellt wird, wird schließlich auf dasselbe Geheimnis Bezug genommen, das auch im Symbol des »zur Rechten Gottes Sitzens« zum Ausdruck gebracht wird. Im zum Himmel aufgefahrenen Christus ist der Mensch in einer unerhörten und neuen Weise in die Vertrautheit mit Gott eingetreten, der Mensch findet nunmehr für immer Raum in Gott. Der »Himmel« verweist auf keinen Ort über den Sternen, sondern auf etwas viel Kühneres und Erhabeneres: Er verweist auf Christus selbst, die göttliche Person, die voll und für immer das Menschsein in sich aufnimmt, auf ihn, in dem Gott und Mensch für immer untrennbar vereint sind. Und wir nähern uns dem Himmel, ja wir treten in den Himmel in dem Maß ein, in dem wir uns Jesus nähern und in Gemeinschaft mit ihm treten. Das heutige Hochfest Christi Himmelfahrt lädt uns daher zu einer tiefen Gemeinschaft mit dem gestorbenen und auferstandenen Jesus ein, der unsichtbar im Leben eines jeden von uns gegenwärtig ist.
Aus dieser Perspektive begreifen wir, warum der Evangelist Lukas sagt, daß die Jünger nach der Himmelfahrt »in großer Freude« nach Jerusalem zurückkehrten (24,52). Der Grund ihrer Freude besteht in der Tatsache, daß das, was sich ereignet hatte, in Wahrheit keine Trennung war: im Gegenteil, sie hatten nunmehr die Gewißheit, daß der Gekreuzigte und Auferstandene lebendig war und in ihm der Menschheit für immer die Türen zum ewigen Leben geöffnet worden sind. Mit anderen Worten brachte seine Himmelfahrt nicht seine vorübergehende Abwesenheit von der Welt mit sich, sondern leitete vielmehr die neue, endgültige und unzerstörbare Form seiner Gegenwart ein, dies aufgrund seiner Teilhabe an der königlichen Macht Gottes. Gerade ihnen, den Jüngern, ermutigt durch die Kraft des Heiligen Geistes, wird es zukommen, seine Gegenwart durch das Zeugnis, die Verkündigung und den missionarischen Einsatz wahrnehmbar zu machen. Das Hochfest der Himmelfahrt des Herrn sollte auch uns mit Freude und Begeisterung erfüllen, gerade wie es den Aposteln geschah, die vom Ölberg »in großer Freude« aufbrachen. Wie sie sollen auch wir die Einladung der »zwei Männer in weißen Gewändern« annehmen und nicht dastehen und zum Himmel emporschauen; unter der Leitung des Heiligen Geistes müssen wir vielmehr überall hingehen und die heilbringende Botschaft vom Tod und von der Auferstehung Christi verkünden. Es begleiten uns und gereichen uns zum Trost dessen eigene Worte, mit denen das Evangelium nach Matthäus schließt: »Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28,20).
Liebe Brüder und Schwestern, der historische Charakter der Auferstehung und Himmelfahrt Christi hilft uns, das transzendente und eschatologische Sein der Kirche zu erkennen und zu begreifen; sie ist nicht entstanden und sie lebt nicht, um ein Ersatz für die Abwesenheit ihres »entschwundenen « Herrn zu sein, sondern sie findet vielmehr den Grund ihres Seins und ihrer Sendung in der unsichtbaren Gegenwart Jesu, der mit der Macht seines Geistes wirkt. Mit anderen Worten könnten wir sagen, daß die Kirche nicht die Aufgabe erfüllt, die Wiederkehr eines »abwesenden « Jesus vorzubereiten; sie lebt und wirkt dagegen vielmehr, um seine »glorreiche Gegenwart « auf eine geschichtliche und existentielle Weise zu verkünden. Seit dem Tag der Himmelfahrt schreitet jede christliche Gemeinde auf ihrem irdischen Weg hin zur Erfüllung der messianischen Verheißungen, genährt vom Wort Gottes und gespeist vom Leib und Blut ihres Herrn. Das ist das Sein der Kirche – so erinnert das II. Vatikanische Konzil –, während sie »zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes auf ihrem Pilgerweg [dahinschreitet] und […] das Kreuz und den Tod des Herrn [verkündet], bis er wiederkommt« (Lumen gentium, 8).
Brüder und Schwestern dieser geliebten Diözesangemeinde, das heutige Hochfest ermahnt uns dazu, unseren Glauben an die wirkliche Gegenwart Jesu zu stärken; ohne ihn vermögen wir nichts Wirksames in unserem Leben und in unserem Apostolat zu vollbringen. Er ist es, wie der Apostel Paulus in der zweiten Lesung in Erinnerung ruft, der »den einen das Apostelamt [gab], andere setzte er als Propheten ein, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, um die Heiligen für die Erfüllung ihres Dienstes zu rüsten, für den Aufbau des Leibes Christi« (Eph 4,11–12), das heißt die Kirche. Und dies, um »zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes« (Eph 4,13) zu gelangen, da die gemeinsame Berufung aller darin besteht, »ein Leib und ein Geist zu sein, so wie uns durch die Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist« (vgl. Eph 4,4). Unter dieser Perspektive steht mein heutiger Besuch, der es, wie euer Bischof in Erinnerung gerufen hat, zum Ziel hat, euch zu ermutigen, immerfort eure Diözesangemeinschaft auf Christus zu bauen, zu gründen und neu zu errichten. Wie? Das zeigt uns der hl. Benedikt, der in seiner Regel ans Herz legt, Christus nichts vorzuziehen: »Christo nihil omnino praeponere« (LXXII,11)
Ich danke daher Gott für das Gute, das eure Gemeinschaft unter der Leitung ihres Hirten, des Abtes Dom Pietro Vittorelli, verwirklicht. Ihn grüße ich herzlich und danke ihm für die freundlichen Worte, die er im Namen aller an mich gerichtet hat. Mit ihm grüße ich die Klostergemeinschaft, die hier anwesenden Bischöfe, Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen. Ich grüße die zivilen Obrigkeiten, vor allem den Bürgermeister, dem ich für seine Worte des Willkommens danke, mit denen er mich bei der Ankunft auf dieser Piazza Miranda empfangen hat, die ab heute meinen Namen tragen wird. Ich grüße die Katecheten, die in der Pastoral Tätigen, die Jugendlichen und alle, die auf verschiedene Weise für die Verbreitung des Evangeliums in diesem geschichtsträchtigen Land Sorge tragen, das während des Zweiten Weltkrieges Augenblicke großen Leides erfahren hat. Stille Zeugen dafür sind die vielen Friedhöfe, die eure neu erstandene Stadt umgeben, unter denen ich besonders an den polnischen, den deutschen und den Friedhof des Commonwealth erinnere. In meinen Gruß schließe ich dann alle Einwohner von Cassino und der Nachbarorte ein: Jeden, vor allem die Kranken und Leidenden, möge die Versicherung meiner Zuneigung und meines Gebetes erreichen.
Liebe Brüder und Schwestern, wir hören, wie in dieser unserer Feier der Aufruf des hl. Benedikt erklingt, das Herz fest auf Christus ausgerichtet zu halten, ihm nichts vorzuziehen. Das lenkt uns nicht ab, es spornt uns im Gegenteil noch mehr dazu an, uns für den Aufbau einer Gesellschaft einzusetzen, wo die Solidarität in konkreten Zeichen zum Ausdruck gebracht wird. Aber wie? Die euch wohl bekannte benediktinische Spiritualität schlägt ein dem Evangelium folgendes Programm vor, das im Leitspruch »ora et labora et lege« zusammengefaßt ist: Gebet, Arbeit, Kultur. Vor allem das Gebet, das das schönste Erbe ist, das der hl. Benedikt seinen Mönchen, aber auch eurer Teilkirche hinterlassen hat: eurem Klerus, der zu einem Großteil im über Jahrhunderte in der Abtei von Montecassino untergebrachten Diözesanseminar ausgebildet worden ist, den Seminaristen, den Vielen, die in den benediktinischen Schulen und »Recreatorien« und in euren Pfarreien ausgebildet und erzogen worden sind, euch allen, die ihr in diesem Landstrich lebt. Wenn ihr an jedem Ort und in jedem Bezirk der Diözese den Blick erhebt, könnt ihr jenen ständigen Hinweis auf den Himmel bewundern, den das Kloster von Montecassino darstellt, zu dem ihr jedes Jahr anläßlich der Pfingstvigil in Prozession emporsteigt. Das Gebet, zu dem die Glocke des hl. Benedikt jeden Morgen die Mönche mit ihrem erhabenen Klang einlädt, ist der stille Weg, der uns direkt in das Herz Gottes führt; es ist der Atem der Seele, der uns in den Stürmen des Lebens neuen Frieden schenkt. Darüber hinaus haben die Mönche in der Schule des hl. Benedikt stets eine besondere Liebe zum Wort Gottes in der Lectio divina gepflegt, die heute gemeinsames Erbe vieler geworden ist. Ich weiß, daß sich eure Diözesankirche die Weisungen der Italienischen Bischofskonferenz zu eigen gemacht hat und daher der Vertiefung der Bibel große Sorgfalt zukommen läßt und auch einen Studienkurs der Heiligen Schrift eingeführt hat; er ist dieses Jahr dem Evangelisten Markus gewidmet und wird in den kommenden vier Jahren fortgesetzt werden, um seinen Abschluß, so Gott will, mit einer Diözesanwallfahrt ins Heilige Land zu finden. Das aufmerksame Hören des göttlichen Wortes möge euer Gebet nähren und euch zu Propheten der Wahrheit und der Liebe in einem gemeinsamen Einsatz für die Evangelisierung und die Förderung des Menschen machen.
Eine weitere Grundlage der benediktinischen Spiritualität ist die Arbeit. Die Humanisierung der Arbeitswelt gehört zur Seele des Mönchtums, und dies ist auch die Anstrengung eurer Gemeinde, die versucht, den zahlreichen Arbeitnehmern der großen in Cassino ansässigen Industrie sowie der mit ihr verbundenen Unternehmen zur Seite zu stehen. Ich weiß, wie kritisch die Situation vieler Arbeiter ist. Ich bringe meine Solidarität all denen zum Ausdruck, die in einer besorgniserregenden Prekarität leben, den Lohnausgleichsempfängern sowie jenen, die sogar entlassen wurden. Die Wunde der Arbeitslosigkeit, die diesen Landstrich plagt, möge die öffentlichen Verantwortungsträger, die Unternehmer und alle, in deren Möglichkeit es steht, veranlassen, mit dem Beitrag aller wirksame Lösungen für die Beschäftigungskrise zu finden, indem neue Arbeitsplätze zum Schutz der Familien geschaffen werden. Wie sollte diesbezüglich nicht in Erinnerung gerufen werden, daß die Familie heute dringend eines besseren Schutzes bedarf, da sie an ihren Grundfesten erschüttert wird? Ich denke dann an die Jugendlichen, denen es schwerfällt, eine würdige Arbeit zu finden, die es ihnen gestattet, eine Familie zu gründen. Ihnen möchte ich sagen: Verliert nicht den Mut, liebe Freunde, die Kirche läßt euch nicht im Stich! Ich weiß, daß 25 Jugendliche eurer Diözese am letzten Weltjugendtag in Sydney teilgenommen haben: Laßt diese außerordentliche Erfahrung Früchte tragen und seid Sauerteig des Evangeliums unter euren Freunden und Altergenossen; seid mit der Kraft des Heiligen Geistes die neuen Missionare dieses Landes des hl. Benedikt!
Zur eurer Tradition gehört schließlich auch die Aufmerksamkeit gegenüber der Welt der Kultur und der Erziehung. Das berühmte Archiv und die Bibliothek von Montecassino sammeln unzählige Zeugnisse des Einsatzes von Männern und Frauen, die darüber nachgedacht und geforscht haben, wie das geistliche und materielle Leben des Menschen zu verbessern sei. In eurer Abtei berührt man gleichsam mit Händen das »quaerere Deum«, das heißt die Tatsache, daß die europäische Kultur die Suche nach Gott und die Bereitschaft dazu gewesen ist, auf ihn zu hören. Und dies gilt auch für unsere Zeit. Ich weiß, daß ihr in diesem Geist an der Universität und in den Schulen wirkt, damit sie Werkstätten der Erkenntnis, der Forschung, der Leidenschaft für die Zukunft der neuen Generationen werden. Ich weiß ebenso, daß ihr zur Vorbereitung meines Besuches vor kurzem eine Tagung abgehalten habt, in deren Mittelpunkt das Thema der Erziehung stand, um in allen die lebendige Entschlossenheit anzuspornen, den jungen Menschen die unverzichtbaren Werte unseres menschlichen und christlichen Erbes weiterzugeben. Bei der heutigen kulturellen Anstrengung mit dem Ziel der Schaffung eines neuen Humanismus und in Treue gegenüber der benediktinischen Tradition ist es zu Recht eure Absicht, auch die Aufmerksamkeit gegenüber dem gebrechlichen und schwachen Menschen, den Behinderten und den Immigranten hervorzuheben. Und ich bin euch dankbar, daß ihr mir die Möglichkeit gebt, heute die »Casa della Carità« (das »Haus der Nächstenliebe«) einzuweihen, wo mit Fakten eine dem Leben gegenüber offene und aufmerksame Kultur geschaffen wird.
Liebe Brüder und Schwestern! Es fällt nicht schwer wahrzunehmen, daß eure Gemeinde – dieser Teil der Kirche, der bei Montecassino lebt – Erbe und Hüter der vom Geist des hl. Benedikt durchdrungenen Sendung ist, zu verkünden, daß in unserem Leben nichts und niemand Jesus den ersten Platz nehmen darf; die Sendung, im Namen Christi eine neue Menschlichkeit im Zeichen der Aufnahmebereitschaft und der Hilfe für die Schwächsten zu schaffen. Euer heiliger Patriarch stehe euch bei und begleite euch, zusammen mit seiner Schwester, der hl. Scholastika; die heiligen Patrone und vor allem Maria, Mutter der Kirche und Stern unserer Hoffnung, mögen euch behüten. Amen!
(Predigt von 2009, Benedikt XVI.)
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