24. Mai 2023 in Kommentar
"‚Anderskatholische‘, d.h. unkritische Anpassung an zeitgeistige Sexuallehren" – "Trotz fehlender Mehrheiten kündigte Bischof Bätzing an, die Grundzüge eines abgelehnten Dokuments in seiner Diözese umzusetzen". Gastkommentar von Hubert Hecker
Bonn (kath.net) Als die frühe Kirche mit den vielfältigen Geistesströmungen des Hellenismus konfrontiert war, ging sie nach dem Grundsatz vor: Alles prüfen nach den Grundsätzen des Evangeliums, das Gute behalten, das Schlechte ablehnen. In diesem Sinne wurde Platons Wahrheitslehre und die Naturrechtslehre der Stoa in die christliche Lehre integriert. Dagegen verwarfen die frühen Christen den Relativismus der Sophisten sowie die libertäre Lustphilosophie von Epikur und Lukretz. Die Maxime der „kritischen Enkulturation“ im Lichte des Evangeliums hat die Kirche seither auch gegenüber anderen Kulturräumen und Entwicklungsströmungen angewandt – bis heute.
‚Anderskatholische‘, d.h. unkritische Anpassung an zeitgeistige Sexuallehren
Doch die Verantwortlichen des deutsch-synodalen Wegs wenden sich erstmals von diesem bewährten christlichen Grundsatz ab, die (Zeit-)Geister zu unterscheiden. Bischof Bätzing sagte in einem Interview vom 21. 3. 2021, dass die katholische Sexuallehre (allein) im Lichte der seit Jahrzehnten vorliegenden humanwissenschaftlichen Erkenntnisse geändert werden müsste. Nach dieser Vorgabe richtet sich das Synodalforum IV in erster Linie an libertären sexualwissenschaftlichen Theorien aus.
Eine Prüfung der diversen sexologischen Ansätze im Lichte des Evangeliums, der christlichen Anthropologie oder der Lehre der Kirche lehnt das Forum ausdrücklich ab.
Das Ergebnis dieses unkritischen Anpassungsvorgangs an den Zeitgeist ist in dem Grundlagentext des Forums IV zusammengefasst. Bei der Abstimmung auf der Vollversammlung des Synodalen Wegs im Oktober 2022 erreichte dieser Text zwar nicht die erforderliche Mehrheit der Bischöfe, war also durchgefallen.
Trotzdem kündigte Bischof Bätzing an, die Grundzüge dieses abgelehnten Dokuments in seiner Diözese umzusetzen.
Tatsächlich findet man sie in den für das Bistum Limburg inzwischen verbindlichen ‚Leitlinien sexualpädagogische Kompetenz in der Pastoral / in kirchlichen Handlungsfeldern‘. Federführend bei der Texterstellung war der Münchener Dozent Dr. Holger Dörnemann, zugleich Angestellter im Limburger Ordinariat und Mitglied im synodalen Sexualforum IV. Das Limburger Laiengremium ‚Diözesansynodalrat‘ hatte die Leitlinien schon im Frühjahr 2022 beschlossen, also bevor der Forumstext IV auf dem Synodalen Weg zur Abstimmung und Ablehnung kam. Bischof Bätzing setzte sie anschließend mit seiner Unterschrift in Kraft.
Mit diesem Vorgang ist faktisch auch die neue laiendominierte Leitungsstruktur im Bistum Limburg eingeführt worden. Auf der 5. Vollversammlung des Synodalen Wegs konnte zwar die Vorlage, in allen deutschen Diözesen „Synodale Räte“ als Leitungsmacht zu installieren, wegen drohender Abstimmungsniederlage noch nicht verabschiedet werden. Aber im geplanten ‚Synodalen Ausschuss‘ wird man versuchen, die unrechtmäßigen Pläne durchzusetzen. Im Vorgriff darauf hat Bischof Bätzing in seiner Limburger Diözese das Statut der neuen Leitungsstruktur schon in Kraft gesetzt. Die funktioniert wie folgt:
Laiengremien beschließen substantielle kirchliche Lehr- und Grundsatzdokumente; der Bischof verzichtet auf seine durch die Bischofsweihe übertragene apostolische Lehrautorität und verzwergt sein episkopales Amt auf die Rolle des Unterschreibens.
Einführung des Theorems kindlicher Sexualität durch Kinsey und Kentler…
Schon der erste Satz der Leitlinien offenbart die sexualitätsfixierte Tendenz des Textes: „Der Mensch ist von Beginn seines Lebens an ein sexuelles Wesen“ (S. 4 und 13 des Papiers). Diese Meinung geht auf den amerikanischen Sexualwissenschaftler Alfred C. Kinsey zurück. Der behauptete in seinem Report von 1948, von 317 männlichen Säuglingen und Kindern wäre ein Drittel zum Orgasmus gekommen. Die sexuelle Erregung der Kleinkinder hatte er durch stimulierende Manipulationen von pädophilen Mitarbeitern erreicht. Das pädokriminelle Vorgehen rechtfertigte Kinsey damit, dass sexuelle Aktivitäten zwischen jungen und erwachsenen Menschen aus biologischer Sicht normal seien. Kindern würde daraus kein Schaden erwachsen – es sei denn durch nachträgliche moralische und juristische Hysterie von prüden Erwachsenen.
Kinseys zynische und menschenfeindliche Kindersex-Ideologie wurde durch die sexuelle Revolution der 68er in Deutschland salonfähig gemacht. Ihr Hauptvertreter war der umstrittene Sexualwissenschaftler Helmut Kentler. Der war mit seiner gerichtlichen Gutachtertätigkeit maßgeblich daran beteiligt, dass in Westdeutschland Kindesmissbrauch 1973 gesetzlich vom Status des Verbrechens auf Vergehen herabgestuft wurde – u. a. mit Kinseys These von der Unschädlichkeit von intergenerativem Sex für Kinder. Der homosexuelle Professor adoptierte selbst pubertierende Jungen und ließ über staatliche Jugendämter andere Heranwachsende an ephebophile Knabenschänder überweisen. In seinen Vorträgen und Texten predigte er die frühsexuelle Stimulierung von Kindern sowie frühestmöglicher Geschlechtsverkehr als Akt der emanzipatorischen Erziehung. Die Kriminologin Regine Pfeiffer nannte Kentler einen „wissenschaftlichen Scharlatan, der mit Fälschungen und Lügen Sex mit Kindern schönredet“.
… fortgeführt durch Sielert und Dörnemann
Uwe Sielert entwickelte die hedonistische Sexualerziehungstheorie seines „väterlichen Freundes Helmut Kentler“ weiter zu der sogenannten neo-emanzipatorischen „Sexualpädagogik der Vielfalt“. Danach werden Kinder und Erwachsene angehalten, ihre sexuellen Triebenergien zur größtmöglichen Luststeigerung auszuschöpfen. Die Geschlechterdualität von Mann und Frau soll in das Konstrukt der Gendervielfalt aufgelöst werden. Sielerts libertäre Sexualerziehung wurde über die Publikationskanäle der ‚Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung‘ sowie die einflussreiche ‚Gesellschaft für Sexualpädagogik‘ (gsp) vorherrschend für die staatlich propagierte Frühsexualisierung in Kindergärten sowie in schulischen Lehrplänen.
Der Leitlinien-Autor Holger Dörnemann ist Mitglied im gsp, orientiert sich an dem sogenannten Ethik-Ansatz der sexualpädagogischen Gesellschaft und publizierte in einem Sielert-Buch.
Schon im Positionspapier der deutschen Diözesan-Präventionsbeauftragten vom Januar 2021 zur „sexuellen Bildung“ kann man vielfältige Bezüge zu der Sexualtheorie der Kentlerschule erkennen. Das aktuelle Limburger Papier orientiert sich ebenfalls an den Grundpositionen von Uwe Sielert. Der oben zitierte Einleitungssatz, dass der Mensch von Geburt an ein sexuelles Wesen sei, ist auch in einem Sielert-Vortrag von 2005 zu finden.
Oktroyierung von Frühsexualisierung für katholische Kindergärten …
Der Theorieansatz von vermeintlich sexuell empfindenden und empfänglichen Kindern entspringt der Hermeneutik von Erwachsenen. Dörnemann spricht in einer Publikation von „lustvoller Körpererfahrung und sinnlicher Neugierde“ von Kleinkindern. Das sind offensichtlich Begriffe von sexuellem Empfinden Erwachsener, das unangemessen auf kindliches Verhalten projiziert wird.
Kleinstkinder entdecken und spielen gelegentlich mit ihrem Geschlechtsorgan wie mit ihren Fingern; das als erste sexuelle Erfahrungen auszugeben, ist entwicklungspsychologisch unhaltbar! Wenn Kinder in die Hände klatschen oder streicheln, tun sie das vielfach mit Lust, aber eben nicht aus oder mit sexueller Lust. Genauso sind Umarmungen oder Kuscheln eher Zeichen von Freundschaft und kindlicher Zuneigung wie etwa zu den Eltern, als dass sie „sexuelle Aktivitäten“ wären.
Jedenfalls wird von der Sielert-Schule wie auch den vorliegenden Leitlinien der entscheidende Unterschied zwischen hormonell induzierter sexueller Lust bei Erwachsenen und der spontanen Lebens- und Handlungslust von Kindern nicht beachtet bzw. gezielt verwischt. Das ist der substantielle Fehler aller Frühsexualitätstheorien.
Aus der sexualisierten Überinterpretation von kindlichem Handeln folgern die Limburger Leitlinien eine Pädagogik der Frühsexualisierung: In katholischen Kindergärten soll künftig das vermeintliche Sexualverhalten der Kinder, die „kindliche Sexualität“ (S. 13) gefördert und „gebildet“ werden. Sielert fordert gar, dass die Eltern aktiv ihre Kinder zu Selbstbefriedigung anleiten, um kindliche Lusterfahrung zu fördern. Aber auch in Kitas sollen Kinder dazu animiert werden, „die Lust an sich selbst zu entdecken“ – etwa durch luststimulierende Gesprächsimpulse und Bilder.
… und das Scheitern wegen unlösbarer Widersprüche
Neben dieser proaktiven Frühsexualisierung steht die indirekte Methode, die Kinder in Kuschelecken oder „Rückzugsräumen“ zu sexuellen Aktivitäten zu animieren. Doch auch in diesem Fall verrät die Sprache der Erwachsenen, wie sie ihre Sexualitätserwartungen den Kindern überstülpen: Sie „sollen“ möglichst unzensiert und einvernehmlich Intimkontakte mit anderen Kindern aufnehmen dürfen, fordert Sielert in einem Aufklärungsbuch. Und ein sexualpädagogisches Konzept im Bistum Münster echot das schamlose Erlaubnissignal an die Kinder, sich gegenseitig auszuziehen, sich zu betrachten, zu streicheln und Doktorspiele zu machen – einschließlich des gegenseitigen Untersuchens der Genitalien. Kürzlich kündigte der katholische Kindergarten „Maria Königin“ in Tennenbronn (Baden-Württemberg) an, die Kinder sollten in einem „Rückzugsraum ihren eigenen Körper und den Körper anderer Kinder entdecken können“ (kath.net hat berichtet).
Doch dann passiert in der Kuschelecke das Gleiche wie manchmal im Sandkasten: Die Kinder halten sich nicht an die Erwachsenenregeln der gegenseitigen Achtsamkeit. Es kommt zu Übergriffen, Wegnehmen, Hauen, Geschrei und Tränen. Bei derart grenzverletzender Ausartung von kindlichen „Intimkontakten“ sind die Erzieherinnen gehalten, den zerstrittenen Kindern die Sozialregel der Einvernehmlichkeit zu erklären. Doch dieser Appell an die kindliche Einsicht kann nur misslingen, weil die Kleinen zu entsprechenden Überlegungen kognitiv nicht in der Lage sind. Schließlich sehen sich die ansonsten libertären Sexualpädagogen gezwungen, für die Kuschelecke Verbotsregeln aufzustellen nach dem Muster: ‚Es ist nicht erlaubt, in Körperöffnungen wie Po oder Scheide Gegenstände oder Stöckchen einzuführen.‘
An diesem Punkt wird endgültig klar: Die Sexualpädagogik der Vielfalt – und damit auch die Limburger Leitlinien – führen auf dem Pfad der Frühsexualisierung zu heillosen Widersprüchen mit Kollateralschäden für Kinder durch scham- und grenzverletzende Übergriffe. Dagegen sind mit Recht noch viele Elternproteste zu erwarten – wie kürzlich in Tennenbronn.
Die Fehler dieser Praxis bestehen einerseits in der Projizierung von sexuellen Bedürfnissen auf Kinder, die diese einfach nicht haben; andererseits in der proaktiven Animation zu sexuellem Verhalten, womit die Kinder entwicklungspsychologisch überfordert sind.
Die grundlegende Fehlleitung der Frühsexualisierungspädagogik ist jedoch in der anthropologischen Engführung der Sielert‘schen Sexualerziehung mit ihrer Fokussierung auf sexuelle Lust zu suchen. Dagegen wird eine humanwissenschaftlich fundierte und damit auf ganzmenschliche Entwicklung zielende Erziehung darauf hinwirken, dass menschliche Körper- und Lusterfahrungen stets altersangemessen eingebettet werden in die Werte von Bindung, Beziehung und Liebe. Dieser Ansatz, der von den Päpsten Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus jeweils unterschiedlich betont wurde, würde man insbesondere in katholischen Erziehungseinrichtungen erwarten.
Stattdessen orientiert die bischöfliche Synodalwegsmehrheit unter der fatalen Führung von Bischof Bätzing die Kindergartenpädagogik auf anthropologisch defizitäre Ansätze und wissenschaftlich einseitig-fehlerhafte Sexualtheorien.
Oberstudienrat em. Hubert Hecker hat bereits ein Buch über den Kölner Klinikskandal veröffentlicht und schreibt für kath.net regelmäßig Hintergrundkommentare zu aktuellen Vorgängen (siehe Link).
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