15. Juni 2023 in Spirituelles
Zehntausende strömen zur Aachener Heiligtumsfahrt, um unbeschwert vom Synodalen Weg Kirche in Deutschland so zu erleben, wie sie eigentlich sein sollte: Fromm und fröhlich und dabei ganz auf Jesus und Maria zentriert. Gastbeitrag von Michael Hesemann
Aachen (kath.net) Alle sieben Jahre wird die alte Kaiserstadt Aachen zum wichtigsten Pilgerziel des deutschen Westens – und das seit dem Hochmittelalter. Als Karl der Große, der ein Jahr später vom Papst in Rom zum Kaiser gekrönt wurde, wohl 799 seine von einem armenischen Architekten entworfene Pfalzkapelle einweihte, staunte sein ganzes Reich über den unglaublichen Reliquienschatz, den der Frankenherrscher angesammelt hatte. Ob der Papst in Rom, die oströmische Kaiserin Irene, der Kalif von Bagdad, Harun ar-Rashid, oder der Patriarch von Jerusalem – wer immer seine Beziehung zum neuen starken Mann des Westens verbessern wollte, wusste, dass man mit kostbaren Reliquien sein frommes Herz gewann. So wurde der Aachener Dom, diese steingewordene Vision des himmlischen Jerusalems, der schon baulich die Brücke zwischen West und Ost, aber auch zwischen Himmel und Erde schlägt, zu einem Reliquienschrein, der es durchaus mit seinem „Konkurrenten“, dem Dom der alten römischen Kaiserstadt Trier, aufnehmen konnte. Der Papst tat seinen Teil dazu, dass der Pilgerstrom zum Oktagon nie abriss, als er allen, die zum jährlich gefeierten Kirchweihfest am 17. Juli nach Aachen kamen, einen Ablass gewährte.
Zu einem großen, überregionalen Pilgerfest wurde die „Heiligtumsfahrt“ – der Begriff ist seit 1239 bezeugt – dann unter Friedrich II. Hatte man Reliquien im Frühmittelalter noch eingemauert, wurden sie im Hochmittelalter aus ihren Verstecken geholt und zu solch besonderen Anlässen den Gläubigen gezeigt, was auch für Aachen galt. Um sie auch außerhalb dieser Anlässe würdig zu verwahren, wurde damals der große, goldene Marienschrein, ein Meisterwerk gotischer Goldschmiedekunst, geschaffen. Fand die Heiligtumsfahrt ursprünglich in unregelmäßigen Abständen zwischen einem und fünf Jahren statt, beschloss man 1349, einen siebenjährigen Turnus einzuführen, der mit wenigen Ausnahmen bis 2014 eingehalten wurde. 2021 musste die Heiligtumsfahrt pandemiebedingt ausfallen, weshalb der Aachener Bischof Dr. Helmut Dieser sie heuer auf den 9.-19. Juni 2023 verschob.
So strömen seit letzten Freitag wieder zehntausende Pilger nach Aachen, um einmal unbeschwert vom synodalen Weg Kirche in Deutschland so zu erleben, wie sie eigentlich sein sollte: Fromm und fröhlich und dabei ganz auf Jesus und Maria zentriert. Selten genug, dass eine moderne Universitäts- und Großstadt einmal ganz im Zeichen eines religiösen Ereignisses steht, einer Art Kirchentag der Gläubigen mit oft genug erfrischendem Weltjugendtags-Flair. Fröhlich-katholisch war der Rheinländer schon immer und so ist die Heiligtumsfahrt auch ein großes Glaubensfest zu dem nicht nur deutsche Bischöfe, sondern auch Persönlichkeiten der Weltkirche bis hin zu dem als „Papabile“ gehandelten ungarischen Primas Kardinal Peter Erdö anreisen. Sie feiern mit den Gläubigen die großen Pilgermessen um 11.00 und 18.00 Uhr auf dem Karschhof, dem Innenhof der karolingischen Kaiserpfalz, der alle sieben Jahre zu einer Freiluftkirche im Schatten des Doms mutiert. Für den Sonntagmorgen hat sich sogar der Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki in Aachen angekündigt.
Doch das eigentliche Ziel der Pilger, das Herzstück der Heiligtumsfahrt, ist natürlich der 1225jährige Aachener Dom, der Gottesmutter Maria geweiht. Dort durchschreitet man das karolingische Oktagon mit seinen herrlichen, wenngleich historistischen Goldmosaiken im byzantinischen Stil, in dessen Obergeschoß noch heute der Thron Karls des Großen steht, tausend Jahre lang (bis 1812) zugleich der Krönungsstuhl aller deutscher Kaiser. Vorbei an der herrlichen Aachener Madonna und dem goldenen Predigtstuhl und jenseits des zentralen Altars gelangt der Pilger in die filigrane gotische Chorhalle, deren herrliche blaurote Glasfenster ihr den Spitznamen „Aachener Glashalle“ eintrugen. Dort, zwischen dem goldenen Marienschein und dem ebenfalls goldenen, deutlich kleineren Karlsschrein stehen sie während dieser zehn Tage, die vier „großen Heiligtümer“, die Hauptreliquien der Karlsstadt:
• Das große Mariengewand, das der Überlieferung nach die Gottesmutter bei der Geburt des Herrn in Betlehem trug;
• Die Windeln Jesu aus Kamel- oder Ziegenhaar, nach Aachener Deutung aus den „Hosen des hl. Joseph“ gefertigt;
• Das Enthauptungstuch Johannes des Täufers;
• Das Lendentuch, das Jesus am Kreuz trug.
Zur Frage des Alters oder der Echtheit im historischen Sinn schweigt sich das Bistum Aachen aus. Angebote wissenschaftlicher Untersuchungen werden konsequent zurückgewiesen. Pilgern ist ohnehin Glaubenssache. Dass fromme Christen seit über einem Jahrtausend in diesen Tüchern kostbare Reliquien sahen, steht jedenfalls außer Frage, und schon das rechtfertigt ihre Verehrung.
In gotischen Turmreliquiaren stehen zudem die drei „kleinen Heiligtümer“ bereit, nämlich
• Der Gürtel der Gottesmutter;
• Der Gürtel Jesu;
• Der Geißelstrick Christi.
Doch es gibt noch einen zweiten Reliquienschatz, nur 9,5 Kilometer vom Aachener Dom entfernt Richtung Süden, zur Eifel hin. Dort, im Tal der Inde, gründete Kaiser Ludwig der Fromme, einer der Söhne Karls des Großen, im Jahr seiner Thronbesteigung, 814, ein Benediktinerkloster. Dort wird nicht nur ein großer Teil des Schädels des hl. Papstes Cornelius verehrt – der dem Kloster und dem umliegenden pittoresken Örtchen seinen Namen gab - sondern, gewöhnlich in einer großen, schwarzen, schmiedeeisernen Truhe verwahrt, drei bedeutende Tuchreliquien:
• Das Linteum Domini, das Schürztuch, mit dem Jesus bei der Fußwaschung im Abendmahlssaal den Jüngern die Füße getrocknet hat;
• Das Sindon Mundi, ein festes, teppichartiges Gewebe, das aus dem leeren Grab Jesu stammen soll (nicht zu verwechseln mit dem Turiner Grabtuch, in das der Leichnam des Herrn gehüllt war);
• Das Sudarium Domini aus feinster alexandrinischer Muschelseide, in das nach der Reinigung der Leichnam des Herrn gewickelt werden sollte (ob auch das Muschelseidentuch von Mannopello aus diesem kostbaren, 3,52 x 6,15 Meter großen Schleiertuch herausgeschnitten wurde, müsste geklärt werden).
Die Reliquien von Kornelimünster können noch bis Sonntagabend aufgesucht und verehrt werden.
Wer es in diesen Tagen nicht nach Aachen und Kornelimünster schafft, braucht auf die nächste Gelegenheit keine sieben Jahre zu warten. Um an den ursprünglichen, nur durch die Corona-Jahre unterbrochenen Turnus wieder anzuknüpfen, hat Bischof Dieser beschlossen, die nächste Heiligtumsfahrt wieder „regulär“ im Juni 2028 abzuhalten. Doch ob heuer oder in fünf Jahren: Die Aachener Heiligtümer, die es uns erlauben, mit Jesus und Maria auf Tuchfühlung zu gehen, sind immer eine Pilgerreise wert!
Foto (c) Michael Hesemann
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