25. Juli 2023 in Chronik
„Natürlich zog das Papstamt mitunter ungeeignete Amtsinhaber an; Alexander VI. (1492-1503) wäre keineswegs das einzige Beispiel dafür.“ Kommentar von Joachim Heimerl
Linz (kath.net/joh) Wenn die Geschichte ein ferner Spiegel ist, in dem man die Gegenwart besser erkennt, gilt das am besten für das Papsttum. Einerseits lässt es sich als Geschichte unterschiedlicher Persönlichkeiten verstehen, andererseits versteht es sich selbst als Amt der Einheit und als Garant der Kontinuität. Natürlich ist es damit so eine Sache und so mancher Papst konnte der Versuchung nicht widerstehen, die Grenzen seines Amtes zu überdehnen, auch wenn dies vor allem politische Grenzen waren. Der Petrusdienst ist eben mit weltlicher Macht und geistlicher Vollmacht versehen, und auch wenn die irdische Macht der Päpste heute so gut wie verschwunden ist, steht das Papstamt wie kein anderes für absolute Machtfülle schlechthin. Natürlich zog es dadurch mitunter ungeeignete Amtsinhaber an; Alexander VI. (1492-1503) wäre keineswegs das einzige Beispiel dafür.
Die allermeisten Päpste gelangten aber nicht nur ohne ihr Zutun, sondern völlig unvermutet auf den Stuhl Petri, und auch wenn mancher seinerseits versuchte, einen Wunschkandidaten für seine Nachfolge ins Spiel zu bringen, ist dieses Vorhaben regelmäßig gescheitert; anders als die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches haben die Päpste eben keine Möglichkeit zur Designation, auch nicht zu einer indirekten, etwa durch die Erwählung entsprechender Kardinäle.
Trotz aller Macht bleibt eines erstaunlich: Fast alle Päpste blicken am Ende kritisch auf die eigene Amtszeit zurück, und besonders jene, die die Kirche eisern durchregierten, standen schlussendlich vor dem Nichts.
Die Kirche ist eben keine schnöde Monarchie und der Papst kein weltlicher Herrscher; auch dies machte ein schmerzlicher Lernprozess deutlich, der 1929 in die Lateranverträge mündete und den Vatikanstaat als Verzwergung päpstlicher Machtambitionen zurückließ; im Grunde könnte man ihn ein Mahnmal nennen, das daran erinnert, was Jesus Petrus und seinen Nachfolgern verheißen hat – und was eben nicht.
Als Machthaber waren die Päpste spätestens zu diesem Zeitpunkt gescheitert. – Kurz und gut: Das Papsttum hat viel hinter sich und schon die Tatsache, dass es heute noch immer existiert, weist es am offensichtlichsten als göttliche Stiftung aus; nach menschlichem Zutun wäre es ansonsten im Staub der Geschichte zerfallen, und nicht selten schien es, als stünden die Päpste unmittelbar vor dem Aus. Als Pius VI. 1799 als Gefangener Napoleons starb, hatte das Papsttum den äußersten Tiefpunkt erreicht; nicht wenige Zeitgenossen glaubten, es sei für immer erledigt.
Vielleicht aber muss das Papsttum als Ganzes und jeder Papst ganz persönlich jenes äußere Scheitern erfahren, dass einst dem ersten Papst widerfuhr: Sein Märtyrertod auf dem vatikanischen Hügel war nach menschlichen Maßstäben alles andere als ein Erfolg, und so wie Petrus Jesus ans Kreuz gefolgt ist, steht auf dem vatikanischen Hügel das Kreuz für jeden seiner Nachfolger bereit.
Einer der bedeutendsten Päpste hat dies sehr schmerzlich erfahren: Gregor VII. (1073-1085) erreichte den Zenit päpstlicher Macht und erlitt einen umso tieferen Fall: Im berühmten „Dictatus papae“ (1075) legte er nicht nur die Überlegenheit des Papsttums gegenüber jedem anderen Herrscher fest, sondern ging aus dem Investiturstreit sogar als Sieger über den König hervor. Der Gang Heinrichs IV. nach Canossa (1077) schien die Stellung des Papstes gegenüber dem Reich für immer zu sichern, als sich das politische Geschick jedoch alsbald wendete, musste Gregor Rom verlassen und starb im Salerner Exil: „Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und das Unrecht gehasst: deshalb sterbe ich in der Verbannung.“ Doch auch mit seinen letzten Worten erlangte der Papst die Deutungshoheit über sein Pontifikat nicht zurück. Erst 1606 wurde er heilig gesprochen, was in der Zeit der Gegenreformation vor allem als ein politischer Akt zu verstehen ist und wohl auch als ein sehnsuchtsvoller Versuch päpstlicher Selbstvergewisserung nach den Stürmen der Reformation. Gregors Vorstellung vom Papst als einem autokratischen Herrscher setzte sich dagegen schon unter seinen unmittelbaren Nachfolgern nicht mehr durch; der größte Papst des Hochmittelalters blieb im Grunde eine historisch isolierte Gestalt.
Sehr viel weniger gilt dies für Innozenz III. (1198-1216), der nicht nur das vierte Laterankonzil einberief, sondern der sein Amt vom „vicarius sancti Petri“ zum „vicarius Christi“ erhob. Das war nicht weniger als ein Quantensprung. Innozenz etablierte damit eine neue Vorstellung des Papstamts, die fatalerweise bis heute weiterwirkt und die natürlich falsch ist: „Geringer als Gott, aber größer als der Mensch“, so wollte Innozenz sein Amt verstanden wissen, und genauso missverstehen es bis heute kirchliche Reformer, wenn sie meinen, der Papst werde es schon richten, im Letzten liege alles bei ihm und wenn es hundertmal im Gegensatz zu allen Dogmen stünde. – Allerdings wäre Innozenz nie auf die Idee kommen, so viel Macht zu besitzen, um das Ehesakrament aufzuweichen, homosexuelle Paare zu segnen oder „Diakoninnen“ zu weihen. Derlei Irrtümer schreibt erst das glaubenslose 21. Jahrhundert der päpstlichen Machtbefugnis zu.
Dennoch blieb die Machtfrage immer mit dem Papstamt verbunden. Vor allem Bonifaz VIII. (1294-1303) setzte deshalb die Linie von Innozenz III. fort und versuchte sie wie Gregor VII. mit handfesten politischen Zielen zu verbinden: Ein Mix aus himmlischer Gewalt und irdischer Macht sollte eine päpstliche Weltherrschaft begründen und den französischen König als Rivalen beiseite schaffen. Natürlich schlug der Plan fehl und am Ende erfuhr gerade der Machtbewussteste von allen Päpsten jene unerhörte Demütigung, die als „Attentat von Anagni“ (1303) in die Geschichte einging und die das Papsttum für immer veränderte: Als Parteigänger des französischen Königs drang Sciarra Colonna mit einem Trupp Bewaffneter in den Papstpalast ein und versetze Bonifaz mit der gepanzerten Faust eine Ohrfeige, von der sich das Papsttum nie wieder erholte; die anwesenden Kardinäle retteten sich über einen Notausgang durch die Latrinen, Bonifaz selbst starb kaum einen Monat darauf. Im Anschluss gerieten die Päpste in Abhängigkeit von Frankreich und beschränkten sich künftig auf ihre Herrschaft über den Kirchenstaat und dank höherer Einsicht weitgehend auf ihre geistliche Gewalt.
Gemessen an der Macht der Päpste des Hochmittelalters ging es von nun an steil bergab: Jeder Papst, der seinem Amt und der Kirche einen persönlichen Stempel aufdrücken wollte, kam damit nicht durch. Schlussendlich blieben sie alle nur Stellvertreter und konnte die Kirche Christi nie zu ihrer eigenen machen und sie persönlichen Vorstellungen unterwerfen, ob dies politische waren oder religiöse, spielt dabei keine Rolle. Letztlich blieb es bei Akzentverschiebungen; man möchte hinzufügen: Und das ist auch gut so.
Geht man an die Ursprünge des Papsttums zurück, sind diesem eben keine Allmachtsphantasien eingestiftet. Im Gegenteil: Christus hat Petrus seinen Beistand trotz seiner menschlichen Schwäche zugesichert und auch trotz seines Verrats.
In der Geschichte der Päpste aber scheint dieses meist vergessene, durchaus zwielichtige Moment latent immer wieder auf: In autokratischen Päpsten und in glaubensschwachen, in besonders sündigen oder auch in solchen, die die Kirche nepotisch und im Geist Machiavellis regierten, in jenen also, die umgeben von Hofschranzen herrschten, Weggefährten in höchste Ämter hievten oder sich aus mittelmäßigen Karrieristen schwache Kreaturen zum eigenen Machterhalt erschufen, zumeist besessen von der Idee, das eigene Pontifikat im nächsten weiterzuführen oder zu „vollenden“.
Sie alle aber zeigen eins: Die Kirche war nie die Kirche der Päpste, sondern immer die Kirche des Herrn. Einzig und allein insofern ist die Geschichte der Päpste eine Geschichte der Hoffnung bis in unsere Zeit und gerade jetzt wäre es wichtig, sich daran zu erinnern. Offensichtlich ist das Papsttum nämlich nun in eine neue, reformorientierte Phase eingetreten, die mit dem „Reformpapsttum“ des Mittelalters allerdings nichts gemein hat, denn wenn heute von „Kirchenreform“ die Rede ist, meint man damit nichts anderes als „Kirchenzerstörung“, und die Feinde der Kirche suchen ihren Verbündeten dabei ausgerechnet im Papst. Mittlerweile ist der Geist des Relativismus, der Häresie und des Freimaurertums bis in die höchsten Ämter der Kirche vorgedrungen und höhlt sie vom Inneren her aus. Die Berufung des neuen Glaubenspräfekten stellt gegenwärtig zweifellos den Höhepunkt dieser besorgniserregenden Entwicklung dar.
Zweifellos sind Kirche und Papsttum damit in die Zeit jener letzten Prüfung eingetreten, die dem Kommen Christi vorausgeht, und in der der „Glaube vieler erschüttert wird (…)“. Wie der Katechismus ausführt, wird dann ein „ein religiöser Lügenwahn“ den Menschen eine „Scheinlösung ihrer Probleme“ bringen, dies aber um den „Preis des Abfalls vom Glauben“ (KKK 675). Genau darum geht es beim synodalen Irrweg der Deutschen und wohl auch in der Bischofssynode 2023/24: Verweltlichung der Kirche und Verwässerung der kirchlichen Doktrin unterwandern hier wie dort die Fundamente der Kirche und wollen sie zum Einsturz bringen.
In der Nachfolge Christi ist das Papstamt so nun gleichsam in die Agonie von Gethsemane eingetreten und durchleidet die Schwäche des Petrus von neuem und vielleicht auch noch einmal seinen Verrat: „Rom wird den Glauben verlieren und Sitz des Antichrists werden“ - so warnte die Gottesmutter ausdrücklich in der Botschaft von La Salette (1846) und gelegentlich scheint es, als stünde die Erfüllung dieser Prophezeiung in naher Zukunft bevor. Aber: Kirche und Papst gehen durch diese Erschütterung des „letzten Paschas“ (KKK 677) hindurch, „dem endgültigen Sieg Gottes im Endkampf mit dem Bösen“ (ebd.) entgegen. Bis dahin werden sie in der Weise vom Satan wie Weizen gesiebt, die der Herr selbst den Jüngern verheißen hat (vgl. Lk 22, 31), und die wir nun erleben. Der gegenwärtige Zustand der Kirche ist nur unter diesem Gesichtspunkt zu erklären und auch zu ertragen. Spätestens der Tod Benedikts XVI. bedeutet vor diesem Hintergrund eine historische Zäsur. Das Papsttum ist seitdem in seine vorletzte Phase getreten: Der Fels der Kirche wird erschüttert, ehe Christus triumphiert. Aber: Die Geschichte der Kirche und der Päpste neigt sich damit der Vollendung zu.
Dr. Joachim Heimerl ist Priester und Oberstudienrat.
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