Hinter der Brandschutzmauer lauert die Kontaktschuldfalle

31. Juli 2023 in Kommentar


Nicht, dass eine Abgeordnete der AfD einen theologischen Aspekt in eine ethische Debatte einbrachte, ist der Skandal. Der Skandal ist, dass Abgeordnete der Partei, die das „C“ im Namen tragen, schweigen - Der Montagskick von Peter Winnemöller


Linz (kath.net)

Zwei katholische Theologinnen, Kerstin Schlögl-Flierl und Kristina Kieslinger, hinterfragen in einem Artikel in „Christ in der Gegenwart“ die katholische Lehre zum Schutz des menschlichen Lebens. Das an sich wäre keine Schlagzeile. Ist es doch inzwischen durchaus üblich, den autoritär -patriarchalen Gott für alles mögliche zur Rechenschaft zu ziehen. Da erdreistet sich Gott den Menschen das Leben zu schenken und zwei Nihilist*glucks*Innen im Gewande und Sold der katholischen Theologie haben nur drei Worte dafür: How dare you? Polemik off.

In der Debatte um den sogenannten „assistierten Suizid“, der moralisch niemals erlaubt sein darf, war es ausgerechnet die Abgeordnete Beatrix von Storch, die in der Debatte die Lehre der Kirche einbrachte. „Es ist äußerst irritierend wahrzunehmen“, schreiben die Theologinnen, „dass scheinbar die einzige Partei, die theologische Deutungskategorien in der Debatte aufnimmt, die AfD ist.“ Beatrix von Storch sprach davon, in Freiheit und Verantwortung sein Leben zu führen – und dies vor Gott. Anfang und Ende des Lebens lägen allein in Gottes Hand, so von Storch in der Debatte. Nicht, dass eine Abgeordnete der AfD einen theologischen Aspekt in eine ethische Debatte einbrachte, ist der Skandal. Der Skandal ist, dass nicht einmal Abgeordnete der Partei, die das „C“ im Namen tragen, den christlichen Aspekt in die Debatte warfen.

Ein säkularer, demokratischer Staat ist kein Gottesstaat und soll das auch nicht sein. Dennoch ist auch der demokratische Staat dem Naturrecht verpflichtet. Dazu hat sich Papst Benedikt XVI. in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag sehr eindeutig geäußert, indem er in seine Rede eine Ökologie des Menschen entworfen hat. Allein der Bezug darauf hätte ausgereicht, um klarzustellen, dass ein verantwortungsvoller Parlamentarier in einer freiheitlichen, dem natürlichen Recht verpflichteten Gesellschaft der Beihilfe zum Suizid niemals positiv zustimmen kann.

Völlig zu Recht ist der Suizid keine Straftat und auch der Versuch ist nicht strafbar. Im Falle des erfolgreichen Suizides ist der Mensch tot und kann von keiner irdischen Macht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Im Falle des Versagens ist dem verzweifelten Menschen zu helfen und ein Weg zum Leben zu zeigen. Das mag nicht immer gelingen, doch es ist in jedem Falle zu versuchen. Dass man einem Suizidwilligen nicht unbedingt mit Gottes unbedingtem Ja zum Leben kommen muss, versteht sich von selbst. Doch in der grundsätzlichen Beurteilung ebenso wie als Hintergrund und Grundlage der gebotenen Hilfe ist genau dies das entscheidende Argument.

Für Schlögl-Flierl und Kieslinger ergebe sich hier allerdings aus theologischer Perspektive sich deutlich kritische Anfragen an ein solches Gottesbild, so die Theologinnen in „Christ in der Gegenwart“. „Ein souveräner Patriarch, der über Leben und Tod herrscht, passt nicht zur Vorstellung eines personalen Gottes, der mit Liebe im Dialog mit den Menschen ist. Das Anliegen, das Leben des Menschen in Beziehung zueinander und zu Gott zu denken, kann nur begrüßt werden, daraus abgeleitete autoritäre Normen müssen aber abgelehnt werden.“

Dieser Satz in die normale Sprache übersetzt ist nichts anderes als der Versuch das vom deutschen Bundesverfassungsgericht erfundene (und nicht existente) Recht auf selbstbestimmtes Sterben in einen theologischen Rahmen zu pressen. Die benutzten Kampfbegriffe „souveräner Patriarch“ und „autoritäre Normen“ sind sprechend. Tatsächlich existiert keine theologische Rechtfertigung für eine Hilfe zur Selbsttötung. Hier werden die Begriffe wie „personaler Gott“ und mit „Liebe im Dialog“ vollkommen unbiblisch verwendet und ein wesentlicher Zug Gottes, nämlich seine Gerechtigkeit ausgeblendet. Den personalen Gott, den es in der Theologie nur gibt, wenn man ihn gerade braucht, seiner Gerechtigkeit zu berauben und ihn nur irgendwie zum Menschen in Beziehung zu stellen, ist absurd angesichts der Tatsache, das Gott der Quell allen Lebens ist und damit wirklich absolut über alles Leben herrscht. Er tut dies aber eben nicht als Tyrann sondern in absoluter Liebe, die den Tod des eigenen Sohnes nicht scheut, den geliebten Menschen das Leben zu schenken. Man kommt nicht umhin, dass die Wirklichkeit der Liebe nichts anderes ist, als das absolute Ja zum Leben.

Dieses zu erklären und klarzustellen, wird nicht dadurch falsch, dass es der politische Gegner tut. Selbst wenn ein politischer Paria die Wahrheit sagt, wird die Wahrheit dadurch nicht unwahr. Weder politischer Whataboutiusmus (Die schützt ja nur dieses Leben, anderes ist ihr völlig egal) noch der Verdacht partieller Verfassungsfeindlichkeit machen eine wahre Aussage unwahr. Es ist ein Aspekt des politischen Anstands, die Wahrheit auch dann Wahrheit zu nennen, wenn man demjenigen, der wahr gesprochen hat, den politischen Anstand abspricht. Was in einigen Fällen leider wirklich nötig ist. Damit dürfte klar sein, wo unser Problem liegt: Es nennt sich Kontaktschuld. Es wird gecancelt, wer dem Falschen zustimmt. Und es liegt moralisch richtig, wer auf der richtigen Seite steht.

Was hier als eines von vielen Beispielen genannt wurde, zieht sich durch zahlreiche gesellschaftliche und politische Debatten unserer Tage, von denen die Kirche nicht unberührt bleibt. Wer moralische Brandmauern errichtet, dem droht just hinter selbstgebauten Mauer eben jene Kontaktschuldfalle, die den offenen – und so dringend nötigen – Diskurs nicht nur einengt, sondern sogar erstickt. Gerade würgt es den Vorsitzenden der deutschen CDU, der etwas ganz normales gesagt hat. Wer als Kommunalpolitiker die Zusammenarbeit mit einem Landrat verweigert, der von der falschen Partei ist, begeht unter Umständen sogar Rechtsbruch. Ist ein AfD- Mitglied Bürgermeister, tragt der Rat der Stadt unter seiner Leitung. Auch in Zeiten mit Moralinmörtel errichteten Brandmauern gilt das Recht weiter.

Wenn sich die Kirche fruchtbar in den gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurs einmischen wollte, gälte es, von den Kanzeln gegen Brandmauern zu predigen. Doch leider steckt man in der Kirche auch gerade in der Phase des Erbauens von Brandmauern. Der Synodale Weg von DBK und ZdK war eine einzige Brandmauer hinter der man seine „anderskatholische Kirche“ vorzubereiten versuchte. Es bleibt einem das Lachen im Halse stecken, wenn Theologen (m/w/d) von einem Erstarken des Rechtskatholizismus faseln. Dabei gilt es das Framing zu entschlüsseln und klarzustellen, was gemeint ist. Der Kampfbegriff „Rechtskatholizismus“ wird auf jeden angewandt der lehramtstreu ist. Man würde sich wünschen, sie hätten Recht und es wäre so, dann gäbe es eine Hoffnung, dass nicht alle Montagskicks ins Nichts geschrieben worden wären.

Was an dieser Stelle unbedingt zu vermeiden wäre: Brandmauern von welcher Seite auch immer zu unterstützen. Beim Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989 machte eine besondere Vogelart von sich reden: Die Mauerspechte. Es waren mutige Menschen, die mit Hammer und Meißel dem „Antifaschistischen Schutzwall“ zu Leibe rückten. Klar, dass dies nur symbolische Taten waren. Doch trotzdem! Lasst uns diskursive Brandmauerspechte sein.


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