Die Kirche und die Inklusion

2. August 2023 in Kommentar


Die Bischofssynode 2023/2024 fordert von der Kirche die Inklusion von Menschen, die Gottes Gebote ablehnen. Kirchliche Inklusion geschieht jedoch durch Reue und Umkehr. Ein Gastkommentar von Martin Grichting


Chur-Vatikan (kath.net) Das «Instrumentum laboris» (IL) zur Bischofssynode 2023/2024 klagt die Kirche an. Manche fühlten sich von ihr nicht akzeptiert: die «Geschiedenen und Wiederverheirateten», Menschen in polygamen Ehen oder «katholische LGBTQ+» (IL, B 1.2). Und es wird gefragt: «Wie können wir Räume schaffen, in denen diejenigen, die sich von der Kirche verletzt und von der Gemeinschaft nicht er-wünscht fühlen, sich anerkannt, aufgenommen, nicht verurteilt und frei fühlen, Fragen zu stellen? Welche konkreten Schritte sind im Licht des Nachsynodalen Apostolischen Schreibens Amoris laetitia notwendig, um auf Menschen zuzugehen, die sich aufgrund ihrer Affektivität und Sexualität von der Kirche ausgeschlossen fühlen (z. B. wiederverheiratete Geschiedene, Menschen in polygamen Ehen, LGBTQ+ usw.)?».

Die Kirche soll also, so wird insinuiert, daran schuld sein, dass sich Menschen «verletzt», «ausgeschlossen» oder «nicht erwünscht» fühlen. Aber was tut denn die Kirche? Sie lehrt nichts aus eigener Erfindung, sondern sie verkündet das, was sie von Gott empfangen hat. Wenn sich also Menschen durch zentrale Inhalte der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre «verletzt», «ausgeschlossen» oder «nicht erwünscht» fühlen, dann fühlen sie sich von Gott «verletzt», «ausgeschlossen» oder «nicht erwünscht». Denn sein Wort legt fest, dass die Ehe aus einem Mann und einer Frau besteht und dass das Eheband unauflöslich ist. Und sein Wort hat bestimmt, dass gelebte Homosexualität Sünde ist.

Das will man aber offensichtlich nicht so deutlich sagen. Deshalb zielt man auf die Kirche und versucht, einen Keil zwischen sie und Gott zu treiben. Denn Gott nimmt ja alle an. Es ist die Kirche, die ausschließt. Jesus Christus sagte allerdings: «Wer einem von diesen Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen würde» (Mk 9, 42). Es ist psychologisch interessant, dass die Synodenmacher aus-gerechnet dieses nicht inklusive Wort Jesu vergessen zu haben scheinen. Und so erscheint es dann, dass allein die Kirche diejenige ist, die «verletzt» und Menschen dazu bringt, sich «nicht will-kommen» oder «ausgeschlossen» zu fühlen.

Diese These hat jedoch gravierende Konsequenzen: Wenn sich die Kirche in wesentlichen Fragen der Glaubens- und der Sittenlehre seit 2000 Jahren grundlegend anders verhalten hat, als es Gott gewollt hat, kann sie in keiner Frage mehr Glauben finden. Denn was ist dann noch sicher?

Was das IL zu verstehen gibt, hebt die ganze Kirche aus den Angeln. Aber damit ist auch die Gottesfrage gestellt: Wie soll man es sich vorstellen, dass Gott die Kirche schafft – der auf dieser Welt fortlebende Leib Christi, dem Gott seinen Geist der Wahrheit als Beistand schenkt –, wenn er zugleich diese Kirche und Millionen von Gläubigen während 2000 Jahren in wesentlichen Fragen in die Irre hat gehen lassen? Was soll man einer solchen Kirche noch glauben? Ist dann nicht alles, was sie äußert, vorläufig, reversibel, irrtumsbehaftet und damit irrelevant?

Ist aber die Kirche wegen ihres Verhaltens, das sie in den angesprochenen Fragen seit 2000 Jahren gezeigt hat, tatsächlich «exklusiv», also ausschließend? Nein, sie lebt seit 2000 Jahren die Inklusion. Sonst wäre sie heute nicht über die ganze Welt verbreitet und würde nicht 1.3 Milliarden Gläubige umfassen. Aber die kirchlichen Instrumente der Inklusion sind nicht – wie es im IL gefordert wird – die «Anerkennung» oder die «Nicht-Verurteilung» von dem, was Gottes Gebot wider-spricht. Sondern die Instrumente, mit denen die Kirche inkludiert, sind das Katechumenat und die Taufe, die Bekehrung und das Bußsakrament. Deshalb spricht die Kirche von den Geboten Gottes und vom Sittengesetz, von der Sünde, vom Bußsakrament, von der Keuschheit, von der Heiligkeit und von der Berufung zum ewigen Leben. Das sind alles Begriffe, die man im IL auf 70 Seiten kein einziges Mal antrifft.

Man findet jedoch im IL die Begriffe der Busse (3 Mal) und der Umkehr (11 Mal). Aber wenn man den jeweiligen Kontext einbezieht, bemerkt man, dass sich diese beiden Begriffe im IL kaum je auf die Abkehr des Menschen von der Sünde beziehen, sondern strukturelles, also kirchliches Handeln meinen. Nicht der Sünder soll sich bekehren, nein, die Kirche soll sich – «synodal» – bekehren, zur «Anerkennung» derer, die ihr und ihren Lehren sowie Geboten – und damit Gott – erklärtermaßen nicht folgen wollen.

Dass die Synodenmacher nicht mehr von Sünde, Reue und Bekehrung der Sünder sprechen, lässt vermuten, dass sie nun glauben, einen Weg gefunden zu haben, die Sünde der Welt hinwegzunehmen. Es erinnert an Vorgänge, wie sie der vor 400 Jahren geborene Blaise Pascal ge-schildert hat in seinen «Briefen in die Provinz» (Les Provinciales, 1656/1657). Pascal befasste sich darin mit der Jesuitenmoral seiner Zeit, die mit sophistischer Kasuistik die Sittenlehre der Kirche unterminierte und teilweise in ihr Gegenteil zu verkehren versuchte. Er zitierte in seinem 4. «Brief in die Provinz» einen Kritiker von Etienne Bauny, der über diesen Jesuitenpater sagte: «Ecce qui tollit peccata mundi»: Seht, dieser nimmt hinweg die Sünden der Welt – indem er deren Existenz sophistisch wegerklärte. Solche Exzesse von Jesuiten wurden später vom päpstlichen Lehramt mehrfach verurteilt. Denn es sind nicht sie, welche die Sünde der Welt hinwegnehmen. Es ist das Lamm Gottes. So und nicht anders ist es auch heute.

Die Art und Weise, wie in der Kirche getrickst und manipuliert wurde, hatte für Blaise Pascal etwas Erschreckendes – und damit auch etwas Gewalttätiges. Er hat uns in seinem 12. «Brief in die Provinz» Zeilen hinterlassen, die auch in der heutigen Lage tröstlich sind: «Wenn Macht gegen Macht kämpft, dann vernichtet die stärkere die schwächere; wenn Rede gegen Rede steht, dann wird die wahrheitsgetreue und überzeugende die zuschande machen, die nur Eitelkeit und Lüge ist. Gewalt und Wahrheit aber vermögen nichts gegeneinander. Jedoch ist daraus nicht zu folgern, sie seien einander ebenbürtig. Es besteht vielmehr zwischen ihnen die große Verschiedenheit, dass die Gewalt nur begrenzte Dauer hat, da Gottes Ordnung ihre Wirkungen zum Ruhme der an-gegriffenen Wahrheit lenkt, während die Wahrheit ewig währt und schließlich den Sieg über ihre Feinde davonträgt, weil sie wie Gott selber ewig und allmächtig ist».  

Martin Grichting war Generalvikar des Bistums Chur und beschäftigt sich publizistisch mit philosophischen sowie theologischen Fragen.


© 2023 www.kath.net