Erzbischof Koch und die Segnung von LGBT-Paaren. Die Moraltheologie der Kirche liegt in Trümmern

4. September 2023 in Kommentar


Der Berliner Erzbischof Koch hat angekündigt, dass in seinem Erzbistum Priester und Laienseelsorger homosexuelle Paare, zivilrechtlich wiederverheiratete Geschiedene oder unverheiratete Paare segnen dürfen. Gastkommentar von Paweł Chmielewski


Berlin-Warschau (kath.net/Polonia Christiana 24) Papst Franziskus' Amoris laetitia ist das Dokument, auf dem die neue pastorale Praxis in Berlin von A bis Z basiert, in der homosexuelle Paare, Geschiedene und außereheliche Paare gesegnet werden sollen. Erzbischof Heiner Koch ist überzeugt, dass seine Entscheidung die Unterstützung des Vatikans finden wird. Wahrscheinlich hat er Recht, und die Segnung von LGBT-Paaren ist keineswegs das End – sie ist erst der Anfang.

Der Metropolit von Berlin, Erzbischof Heiner Koch, hat angekündigt, dass in seinem Erzbistum Priester – aber auch Laienseelsorger und Laienseelsorgerinnen – homosexuelle Paare, zivilrechtlich wiederverheiratete Geschiedene oder unverheiratete Paare segnen dürfen. Er begründete dies allein mit der Lehre von Papst Franziskus, vor allem mit seinem Schreiben Amoris laetitia. Als Franziskus dieses Dokument 2016 veröffentlichte, sprach der liberale Kardinal Walter Kasper schmeichelnd von einem großen „Paradigmenwechsel”, und der konservative österreichische Philosoph Josef Seifert warnte vor einer „theologischen Atombombe”, die die gesamte bisherige Morallehre der Kirche umstürzen könnte. Die polnischen kirchlichen Mainstream-Medien sahen zwar ein Problem in einer der Fußnoten, kühlten aber die Stimmung mit dem Argument ab, es handele sich nur um eine kleine Fußnote und sei nicht von großer Bedeutung.

Doch Amoris laetitia war nie nur „eine Fußnote”. Das Schreiben von Franziskus ist voll von Passagen, die Seiferts „Sprengstoff“ ausmachen. Ich habe darüber ausführlich in meinem Buch „Die Deutsche Revolution” (polnischer Titel: „Niemiecka rewolucja”), das 2019 von der Piotr-Skarga-Gesellschaft veröffentlicht wurde. Das päpstliche Dokument schlägt der Kirche eine Situationsethik und eine Abkehr von der Lehre der objektiven Normen vor, die niemals verletzt werden dürfen. Es steht in direktem Widerspruch zur Tradition der Kirche; es nimmt genau jene Ansichten für bare Münze, die Johannes Paul II. erst 1993 in der Enzyklika Veritatis splendor als irrig verworfen hat.

Gerade deshalb konnte Erzbischof Heiner Koch Amoris laetitia nutzen, um die Segnung sündiger Lebensgemeinschaften zu rechtfertigen. Nicht nur und nicht einmal in erster Linie Geschiedene; schließlich geht es in dem Schreiben, das auf den 21. August dieses Jahres datiert ist, vor allem um homosexuelle Paare. Als Amoris laetitia 2016 veröffentlicht wurde, warnten nur wenige Kreise, dass die Frage der Geschiedenen erst der Anfang sei. Dies ist tatsächlich geschehen.

Die wichtigste Passage von Amoris laetitia ist der Paragraph 301, den Erzbischof Heiner Koch in dem Schreiben auszugsweise zitiert. Die Schlüsselsätze lauten: „Daher ist es nicht mehr möglich zu behaupten, dass alle, die in irgendeiner sogenannten irregulären Situation leben, sich in einem Zustand der Todsünde befinden und die heiligmachende Gnade verloren haben. Die Einschränkungen haben nicht nur mit einer eventuellen Unkenntnis der Norm zu tun. Ein Mensch kann, obwohl er die Norm genau kennt, große Schwierigkeiten haben »im Verstehen der Werte, um die es in der sittlichen Norm geht«, oder er kann sich in einer konkreten Lage befinden, die ihm nicht erlaubt, anders zu handeln und andere Entscheidungen zu treffen, ohne eine neue Schuld auf sich zu laden”.

Mit anderen Worten: Ein geschiedenes Paar in einer neuen Beziehung/ein homosexuelles Paar/ein zusammenlebendes Paar weiß sehr wohl, dass seine Situation objektiv sündhaft ist. Sie glauben jedoch, dass es keinen „Wert“ in der Norm gibt, den sie anstreben sollten. Außerdem glauben sie, dass in ihrer besonderen Lebenssituation die Aufgabe des Partners oder die Beibehaltung der Keuschheit eine „neue Schuld” hervorrufen würde. Was sollen sie tun?

Das Wichtigste ist, sie in die Kirche „einzubeziehen“, schreibt Erzbischof Heiner Koch und zitiert aus Paragraph 297 von Amoris laetitia: „Es geht darum, alle einzugliedern; man muss jedem Einzelnen helfen, seinen eigenen Weg zu finden, an der kirchlichen Gemeinschaft teilzuhaben, damit er sich als Empfänger einer »unverdienten, bedingungslosen und gegenleistungsfreien« Barmherzigkeit empfindet”.

Um das Ziel der „Inklusion“ von Paaren „in einer irregulären Situation“ zu verwirklichen, muss man von der Verfolgung einer „allgemeinen Norm“ abrücken. Man müsse erkennen, dass diese Norm diese besondere Lebenssituation einfach nicht umfasse. Heiner Koch zitierte erneut Amoris laetitia, Absatz 304: „Es ist wahr, dass die allgemeinen Normen ein Gut darstellen, das man niemals außer Acht lassen oder vernachlässigen darf, doch in ihren Formulierungen können sie unmöglich alle Sondersituationen umfassen”.

Die endgültige Entscheidung muss von der betroffenen Person im Einzelfall getroffen werden. Wie Erzbischof Koch schreibt – er zitiert aus Amoris laetitia 37: „Wir sind berufen, die Gewissen zu bilden, nicht aber dazu, den Anspruch zu erheben, sie zu ersetzen”.

Aus all dem leitet der Metropolit die potenzielle Möglichkeit ab, homosexuelle Paare zu segnen. Dabei beruft er sich auch auf eine andere Ermahnung von Franziskus, Evangelii gaudium aus dem Jahr 2013, wo es heißt: „Die Eucharistie ist, obwohl sie die Fülle des sakramentalen Lebens darstellt, nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen”. Wenn die Eucharistie keine Belohnung für die Vollkommenen, sondern eine Nahrung für die Schwachen ist, dann gilt das auch für die anderen Sakramente und damit für den Segen, so Erzbischof Koch. Daher stehe nichts im Wege, homosexuellen Paaren, geschieden/wiederverheirateten oder unverheirateten Paaren den Segen zu erteilen.

Hätte Erzbischof Heiner Koch seine Argumentation noch stärker untermauern wollen, hätte er aus dem Paragraphen 303 von Amoris laetitia zitieren können, in dem Franziskus noch einmal die Idee äußert, die allgemeine Norm durch Berufung auf „besondere Umstände“ zu umgehen. Der Papst schrieb dort: „Doch dieses Gewissen kann nicht nur erkennen, dass eine Situation objektiv nicht den generellen Anforderungen des Evangeliums entspricht. Es kann auch aufrichtig und ehrlich das erkennen, was vorerst die großherzige Antwort ist, die man Gott geben kann, und mit einer gewissen moralischen Sicherheit entdecken, dass dies die Hingabe ist, die Gott selbst inmitten der konkreten Vielschichtigkeit der Begrenzungen fordert, auch wenn sie noch nicht völlig dem objektiven Ideal entspricht”.

In Anbetracht all dessen hat der Metropolit von Berlin wie folgt entschieden: Wenn Pfarrer und pastorale Mitarbeiter in seinem Erzbistum homosexuelle Paare, Geschiedene oder Konkubinatspaare segnen, steht es ihnen frei, dies zu tun – er wird keine disziplinarischen Maßnahmen gegen sie ergreifen. Wichtig ist nur, dass die Segnung nach einem vorherigen Gespräch mit dem Paar erfolgt, das auf eine Gewissensentscheidung abzielt und diese dann akzeptiert.

Wird der Heilige Stuhl auf die Entscheidung von Erzbischof Heiner Koch reagieren? Im September 2022 veröffentlichten die Bischöfe von Belgisch-Flandern ein Dokument, in dem sie eine besondere Liturgie in Verbindung mit einem Segen für LGBT-Paare vorschlugen. Die Bischöfe reisten im November zu einem Besuch Ad limina Apostolorum, bei dem sie ihre Lösung mit Vertretern der römischen Kurie und dem Papst selbst erörterten. Bischof Johan Bonny von Antwerpen erklärte später, dass der Papst ihr Dokument akzeptiert habe. Und warum? Laut Bonny, weil die Belgier mit einer Stimme sprachen und keiner von ihnen Einwände hatte. Aber es gibt noch ein weiteres Element: Das Dokument der Flamen, wie auch der Brief von Erzbischof Koch, basierte auf der Ermahnung Amoris laetitia. Die Belgier zitierten die entsprechenden Passagen des päpstlichen Textes und rechtfertigten damit ihre „pastorale Lösung“. Hätte der Papst sie verurteilt, hätte er feststellen müssen, dass ihre Lesart von Amoris laetitia falsch war. Sie war aber doch richtig: Obwohl Amoris laetitia der Lehre der Kirche der vergangenen Jahrhunderte und Jahre widerspricht, legitimiert der Text selbst die Segnung von LGBT-Paaren. Das Gleiche gilt für den Metropoliten von Berlin. Wenn der Vatikan dazu „nein” sagt, wird er auch zum Dokument von Franziskus „nein” sagen. Das wäre absurd.

In der Zwischenzeit hat Erzbischof Heiner Koch genau das getan, was der Heilige Vater erwartet hat: Er hat einen Hirtenbrief veröffentlicht, der sich auf seine, Franziskus', Lehre stützt. Am 1. Juli dieses Jahres schickte der Papst einen Brief an den neuen Präfekten des Dikasteriums für die Glaubenslehre, Erzbischof Victor Manuel Fernández. Darin schrieb er u.a.: „[...] Ihre Aufgabe ist es auch, besonders darauf zu achten, dass die Dokumente Ihres eigenen Dikasteriums und der anderen einen ausreichenden theologischen Hintergrund haben, dass sie mit dem reichen Hintergrund der ewigen Lehre der Kirche übereinstimmen und gleichzeitig das jüngste Lehramt berücksichtigen”. Mit anderen Worten: Alles, was aus der Kurie kommt, muss mit dem „Duft des Franziskus” versehen sein. Erzbischof Fernández kündigte in einem Interview mit der Presse an, nachdem der Papst ihn zum Präfekten des Glaubensdikasteriums ernannt hatte, dass er dem vatikanischen Dokument von 2021, das die Segnung von LGBT-Paaren verbietet, einen solchen „Duft“ verleihen werde. „Ich denke, es ist immer noch möglich, diese Aussagen zu klären, zu vervollständigen und zu verbessern – um sie besser mit der Lehre von Papst Franziskus zu beleuchten“, sagte er. Zur Begründung seiner Offenheit für solche Segnungen verwies Erzbischof Heiner Koch auf die „Ankündigungen“ von Erzbischof Fernández und deutete an, dass er den Pfarrern und pastoralen Mitarbeitern die Freiheit zum Handeln lassen könnte – weil die betreffende Angelegenheit ohnehin bald zugunsten der deutschen Vision entschieden würde.

Das Verhalten von Erzbischof Heiner Koch steht im Übrigen ganz im Einklang mit einem weiteren Grundsatz, den Erzbischof Fernández nach der Weisung von Franziskus als Präfekt des Glaubensdikasteriums befolgen soll. Der Papst hat ihn angewiesen, dafür zu sorgen, dass sich in der Kirche „verschiedene Denkströmungen in Philosophie, Theologie und pastoraler Praxis“ entwickeln, die, sofern sie „vom Geist in Respekt und Liebe versöhnt“ werden, „der Kirche zum Wachstum verhelfen“. Die Entscheidung des Metropoliten von Berlin erfüllt zweifellos alle notwendigen Kriterien: Sie ist pastoral, sie stützt sich auf Amoris laetitia, sie bringt die Vielfalt der Denkströmungen zum Ausdruck, sie appelliert an den Primat der Barmherzigkeit... Es ist nicht vorstellbar, dass der Vatikan sie aufhalten könnte, es sei denn, andere Kreise in der römischen Kurie würden plötzlich in den Vordergrund treten und Fernández würde plötzlich in Ungnade fallen.

Die Segnung von LGBT-Beziehungen ist natürlich nicht das Ende der Revolution von Amoris laetitia, genauso wenig wie die Genehmigung der Austeilung der Heiligen Kommunion an Geschiedene das Ende war. Auf der Grundlage der in diesem Schreiben dargelegten Grundsätze kann sehr, sehr viel geändert werden. Es geht zum Beispiel um die Empfängnisverhütung – wohl nichts eignet sich besser, um zu einer Plattform für die Anwendung der „Umgehung allgemeiner Normen“ zu werden. Es geht auch um den Umgang mit Nichtkatholiken – warum sollte man sie nicht in der Seelsorge zulassen, warum ihnen die Sakramente verweigern? Eine allgemeine Norm, ja, aber in dieser Situation... Die verschiedenen Anwendungen können endlos vervielfältigt werden. Letztlich handelt es sich, wie Seifert schrieb, um eine theologische Bombe. Diese Bombe ist bereits explodiert – und nun beobachten wir die weitere „Zerstörung“, die sie angerichtet hat.

Ob es uns nun gefällt oder nicht – das sind die Tatsachen; die Moraltheologie der Kirche liegt einfach in Trümmern.


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