4. September 2023 in Kommentar
Ein Hochglanzheft zeigt die Lage der Kirche in Deutschland. Tut es das wirklich? Der Montagskick von Peter Winnemöller
Linz (kath.net)
Es gehört seit 2011 zu den jährlichen Ritualen: Die Veröffentlichung der Broschüre „Katholische Kirche in Deutschland - Zahlen und Fakten [Vorjahr]/[Jahr]“. Bis dato begnügte man sich mit einem kleinen Flyer, der die wichtigsten Daten und Fakten enthielt. Dann kam 2011, das Jahr nach dem Annus horribile 2010, als anfanghaft das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs von Klerikern an (zumeist) Knaben ruchbar wurde. Es war zugleich der Beginn des umstrittenen Dialogprozess. Es war auch das Jahr, in dem Papst Benedikt XVI. seine Heimat letztmalig als amtierender Papst besuchte. Die Krise der Kirche manifestierte sich schon damals in exorbitant hohen Austrittszahlen, die allerdings weit unter dem heute gekannten Maß liegen. Im Jahr 2010 traten 181000 Menschen aus der Kirche aus. Im vergangenen Jahr waren es über eine halbe Million. Diese Zahl konnte man 2011 noch gar nicht denken. Trotzdem hatten wir schon damals ein Phänomen, vor dem Kommentatoren ratlos standen und das dem damaligen Sekretär erkennbar peinlich war: Steigende Kirchenaustrittszahlen gingen einher mit steigenden Kirchensteuereinnahmen. Da wir damals keine nennenswerte Inflation hatten, stiegen die Einnahmen nicht nur nominell, sie stiegen real und führten in schwindelerregende Höhen.
Zwölf Jahre später ist die Hochglanzbroschüre auf das doppelte Maß angewachsen. Über 80 Seiten umfasst sie inzwischen. Die Kosten für die Herstellung dieser Publikation dürften nicht gering sein, denn die grafische Gestaltung ist aufwendig. Mit einem Video des Vorsitzenden Georg Bätzing, per QR-Code eingebunden, wird das Projekt auch crossmedial. Der Aufmacher ist ein lesenswerter Artikel von Andreas Lob-Hüdepohl zu KI. Danach kommt unter dem Leitwort „Kirche inmitten der Gesellschaft“ jede Menge Propaganda, wie toll die Kirche doch ist. Am Ende dieses Kapitels zählt die Kirche einige Preise auf, die sie vergibt. Darunter ist auch der umstrittene Medienpreis, der schon mehrfach zu veritablen Skandalen geführt hat. Nicht nur, dass ein Herr Relotius der katholischen Kirche preiswürdig war, das Preisgeld wanderte auch schon mal in die Kasse linker Abtreibungsprotagonisten. Dies ist ein Muster, welches sich durch die gesamte Broschüre zieht. In der Tat interessante Daten und Fakten, lesenswerte Informationen oder Meinungen wechseln sich ab mit Punkten über die man besser den Mantel des Schweigens hüllen sollte. Besonders schön ist der Satz, mit dem ein kurzer Absatz über das Nachrichtenportal der Fa. apg, welches diese im Auftrag der Bischöfe betreibt, eingeleitet wird: „Katholisch.de informiert, erklärt, unterhält.“ Danke! Jetzt wird einiges deutlicher. Man muss also manche Artikel des Portals unter dem Unterhaltungsaspekt einordnen. Gut, merken wir uns das.
Der nächste Schwerpunkt steht unter dem Titel „Kirche sozial“ und meint die Grunddimension „Caritas“= gelebte Nächstenliebe. Man sollte diese Grunddimension kirchlichen Handelns, die Diakonia nicht mit dem Sozialen Wirtschaftskonzern Caritas verwechseln. Während die der caritative Dienst der Kirche aus der Liebe Gottes zu den Menschen, die sich in der liebenden Selbsthingabe Christi in unserer Welt manifestiert hat, fließt, ist die Firma Caritas kommerziell und gewinnorientiert. Wem jetzt direkt der Kamm schwillt, warum auch immer, lasse ihn abschwellen. Der Caritaskonzern ist für unser Land wichtig und gewichtig. Er ist so wichtig, dass man ihn schleunigst wirtschaftlich und rechtlich von der Kirche entkoppeln muss. Das gilt insbesondere für das Arbeitsrecht, das inzwischen ein rechtliches Zwitterwesen geworden ist. Die Gesellschaft hat von der Kirche die Bedeutung eines sozialen Dienstes für die Armen, Alten, Kranken gelernt. Man darf diesen Dienst aus der Kirche entlassen, damit die Kirche die Hände freibekommt für die Nöte unserer Zeit.
Nur zwei seien hier genannt: Der Schutz des menschlichen Lebens vor der Geburt und der Schutz des menschlichen Lebens in schwerer Krankheit und im Sterben. Es ist sprechend, dass diese beiden Aspekte in der Broschüre nicht vorkommen. Es gibt noch weitere bioethische Problemfelder, in denen die Kirche gerade ein Totalausfall ist, weil sie auch in Sachen Caritas einfach zu sehr um sich selber kreist und dabei ihr Umfeld aus den Augen verliert.
Man schätze bitte diesen Aspekt nicht zu gering. Es war die Caritas, die in der Antike die Christen sichtbar von ihrer Umwelt schieden. Sie kümmerten sich um die Kranken, die Leidenden, die Armen und die Sterbenden. Sie setzten keine Kinder aus, töteten nicht die Leibesfrucht und nahmen sich der gesellschaftlich ausgestoßenen an. Ein unbedingter Einsatz der Kirche für das Leben, für das Recht eines Menschen auf seine Geburt und für das Recht eines Menschen auf ein würdiges Sterben, in Verbindung mit einem klaren Blick für bioethischen Probleme unserer Tage, sei es der Pränatest, seien es Leihmutterschaft und andere Probleme, wäre ein echtes Argument für die Kirche als soziales Gewissen ihrer Zeit und Umwelt. Man erkennt, dass die Broschüre auch darin wertvoll ist, wo sie schweigt. Es ist ein beredtes Schweigen, das wir auch in zwei Wochen in Berlin und Köln wieder hören werden, wenn tausende für das Leben auf die Straße gehen und die Mehrheit der Bischöfe sich in Schweigen hüllt.
Natürlich bekommt auch der umstrittene Synodale Weg seinen Platz. Die wichtige Nachricht: Er ist nicht zu Ende. Schade! Am Ende der Broschüre stehen Informationen über Struktur der Kirche und dem, was einst der Kern dieser Broschüre war: Eckdaten der Kirche in Deutschland. Es ist ganz nett, diese Zusammenstellungen zu lesen und vielleicht für jene, die nicht alltäglich damit beschäftigt sind, auch informativ. Ein kleiner Fauxpas ist es, dass in der Struktur der Kirche Erzbischöfe und Bischöfe als Gruppe getrennt von ihren Bistümern in der Hierarchie stehen. Das entspricht dem Traum des Sekretariats der DBK aus dem Bischofskollegium ein eigenes nationalkirchliches Organ zu machen, das zwar in der Grafik unter dem Papst steht, aber wie ein mächtiges Pendant wirkt.
Last not least habe ich tatsächlich in der Broschüre etwas Neues gelernt. Hieß es in der Vergangenheit, das „ZdK“ sei die offizielle Vertretung der katholischen Laien in Deutschland, so liest man in der aktuellen Broschüre über das umstrittene Gremium: „Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ist das höchste repräsentative Gremium der katholischen Laien in Deutschland.“ So weit war es ja bekannt. Doch dann folgt eine entscheidende Einschränkung: „Es [Das „ZdK“ Anm. PW] steht für die katholischen Frauen und Männer, die sich in den Laienräten, in Verbänden, Bewegungen, Initiativen und Organisationen aktiv beteiligen und dort mitarbeiten.“ Für alle, für die diese Einschränkung nicht zutrifft, gilt fortan der Satz: „Mich vertritt nicht das ZdK!“ Ist die Gattin aus Traditionsgründen noch in der örtlichen kfd? Tja, Pech gehabt! Sie wird vom „ZdK“ vertreten. Ist der Herr Gemahl noch aus Gesellentagen bei Kolping? Schicksal, auch diesen vertritt das „ZdK“. Natürlich sollte man niemanden zum Austritt aus einem katholischen Verband auffordern. Aber man muss hier schon für Klarheit sorgen.
Um einen Hinweis kommt man nicht herum: Wer nach Initiativen der Neuevangelisierung in der Broschüre sucht, sucht selbstverständlich vergeblich. Man sucht vergeblich nach allem, was Zukunft für die Kirche verheißt. Alles in allem muss man dennoch sagen, hat sich die Lektüre gelohnt und man kann nur empfehlen, sie sich herunterzuladen und mit aufmerksam kritischen Augen zu lesen. Man bedenke jedoch, dass es sich nicht um eine reine nüchterne Informationsschrift handelt. Die Broschüre ist eindeutig als Werbung oder auch Propaganda für die in unserem Land vorherrschende kirchenpolitische Linie anzusehen. Um diese zu verstehen und einordnen zu können, hat man hier ein brauchbares Instrument in der Hand.
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