Angeklagt ist: Die Bibel

7. September 2023 in Kommentar


„Ende der vergangenen Woche fand in Finnland der Berufungsprozess zu Päivi Räsänen statt. Im Gericht ging es um nichts weniger als die Frage, ob Christen ihre Überzeugungen in der Öffentlichkeit vertreten dürfen.“ Gastbeitrag von Ludwig Brühl


Helsinki (kath.net) Ende der vergangenen Woche fand in Finnland der Berufungsprozess zu Päivi Räsänen statt. Im Gericht ging es um nichts weniger als die Frage, ob Christen ihre Überzeugungen in der Öffentlichkeit vertreten dürfen.

Der US-amerikanische Bestsellautor und Journalist Rod Dreher („Benedikt Option”) sprach von „der Gerichtsverhandlung des Jahrhunderts.” Denn die christliche Abgeordnete muss sich inzwischen schon in der zweiten Instanz dafür verantworten, ihre christliche Position zu Ehe und Sexualität öffentlich vertreten zu haben.

Räsänen selbst ist Mitglied der finnisch-lutherischen Kirche. Als ihre Kirche 2019 die LGBT-Veranstaltung Pride Parade offiziell unterstützte, richtete sie einen kritischen Tweet an die Hierarchie ihrer Kirche. Darin fragte sie, wie diese Entscheidung mit der Bibel zusammenpassen würde.

Was folgte war keine Entschuldigung der Kirche, sondern eine staatliche Hexenjagd gegen die mehrfache Großmutter und christdemokratische Abgeordnete. Insgesamt 13 Stunden Polizeiverhör musste Räsänen mehrere Monate lang über sich ergehen lassen. Am Ende entschied die Staatsanwaltschaft in drei Fällen Anklage zu erheben.

Konkret hatte Räsänen auf Twitter, im Radio und in einer kleinen Publikation die Auffassung vertreten, dass alle Menschen in Gottes Ebenbild geschaffen seien und daher die gleiche Würde haben. Gleichzeitig steht ausgelebte Homosexualität der christlichen Sicht auf Ehe und Sexualität entgegen.

Mehrmals wurde Räsänen angeboten sich von ihren Aussagen zu distanzieren. Paul Coleman, der leitende Anwalt der Menschenrechtsorganisation ADF International, war in der Berufungsverhandlung und meinte danach: „Der Kern des Kreuzverhörs durch die Staatsanwältin war die Frage: Würde Päivi Räsänen ihren Glauben widerrufen? Die Antwort lautete nein – sie verleugnet nicht die zentralen Punkte ihres Glaubens.” Coleman ist Teil des rechtlichen Verteidigungsteams von Räsänen.

Für Räsänen steht viel auf dem Spiel. Die Anklage fällt in den strafrechtlichen Bereich der „Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“ Die Höchststrafe dafür liegt bei zwei Jahren Gefängnis. Räsänen drohen hohe Geldstrafen und die Zensur ihrer Aussagen.

Die gestandene Politikerin sitzt seit 25 Jahren im Parlament – so etwas hat sie aber noch nie erlebt. Sie ist als Ärztin, ehemalige Innenministerin und Parteichefin der Christdemokraten anerkannt. Erst vor ein paar Monaten gewann sie wieder ihr Parlamentsmandat. Sie äußert sich zu kontroversen Inhalten überlegt, klar und liebevoll. Sätze wie „jeder Mensch hat eine Würde“, und „Gott liebt jeden Einzelnen, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung“ spricht sie aus Überzeugung und wiederholte sie auch vor Gericht immer wieder.

Der Prozess selber hielt einige skurrile Überraschungen bereit. Schon in der ersten Instanz hatte die Staatsanwältin alttestamentarische Bibelstellen vorgelesen, um darzustellen, dass die Bibel ‚Hassrede‘ enthält.

Vor dem Berufungsgericht letzte Woche nannte die Staatsanwältin Räsänens Interpretation und Veröffentlichung der Bibelverse „kriminell”. Zu ihrer christlichen Überzeugung meinte die Staatsanwältin: „Der Punkt ist nicht, ob es wahr ist oder nicht, sondern dass es beleidigend ist.”

Obwohl Räsänen letztes Jahr vor dem Bezirksgericht in Helsinki freigesprochen wurde, geht die Staatsanwaltschaft weiter gegen sie vor. Ziel ist die Zensur und Kriminalisierung von bestimmten christlichen Überzeugungen: „Sie können glauben, was Sie wollen, aber Sie sind darin eingeschränkt, welche Überzeugungen Sie zum Ausdruck bringen dürfen“, hieß es am zweiten Prozesstag.

Bei dieser Argumentation fiel ein skurriles Detail kaum mehr ins Gewicht: Das Gesetz, unter dem sie für die kleine Publikation angeklagt ist, trat erst Jahre nach der Veröffentlichung 2004 in Kraft.

Jetzt liegt es an den Richtern Meinungs- und Religionsfreiheit in dem Land zu verteidigen. Bis zum 30. November soll das Berufungsgericht das Urteil verkünden. Die Verteidigung hat vor Gericht alles Mögliche getan. Für den Anwalt Coleman ist klar: „Wir werden Päivi Räsänen weiterhin zur Seite stehen.” Die Wochen der Entscheidung werden zeigen, „ob die Äußerung von christlichen Überzeugungen in Finnland ein Verbrechen ist.”

Der Autor ist Sprecher der christlichen Menschenrechtsorganisation ADF International, die Päivi Räsänen vor Gericht unterstützt. Auf Twitter finden Sie ihn unter @LudwigBruehl


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