Mitarbeiter der Wahrheit sein

27. September 2023 in Aktuelles


Begleitet vom himmlischen Segen und römischem Sonnenschein trafen erstmals sich die Schülerkreise Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. in Rom nach dem Tod des Namengebers. Ein Bericht von Martin Lohmann


Rom (kath.net) Es war das erste Treffen nach dem Ableben des Namengebers, doch die Tagung sowie das Öffentliche Symposium der Schülerkreise waren nicht nur von strahlendem Sonnenschein begleitet, sondern auch durch eine spirituelle Nähe zu Joseph Ratzinger spürbar gekennzeichnet. Dazu trug sicher auch das Oberthema des Treffens bei, das mit „Mitarbeiter der Wahrheit sein“ gleichsam das Kernanliegen des verstorbenen Papstes aufgriff, das ihn, den Theologen, Priester, Bischof und Pontifex ein Leben lang prägte und dessen Botschafter er in vielfacher Hinsicht war.

Christoph Ohly, Kirchenrechtler und Rektor der Kölner Hochschule für Katholische Theologie, brachte bei seiner Begrüßung zum öffentlichen Symposium vor den gut 100 Teilnehmern als Leiter des Neuen Schülerkreises auf den Punkt, was viele Anwesende ähnlich empfanden: „Der Abschied von dieser irdischen Welt stellt wie immer, aber eben auch für uns, eine spürbare Zäsur dar. Wussten wir in den vergangenen Jahren, dass der Heilige Vater unsere Tagung und vor allem auch das Symposium inwendig, aber eben auch äußerlich durch die ermöglichte Übertragung begleitet, ist das nun heute anders. Zugleich aber sind wir als Christen in der Zuversicht unseres Glaubens zutiefst davon überzeugt, dass er auf andere Weise gegenwärtig ist und unser Bemühen vom Himmel her unterstützt, auch heute und in der vor uns liegenden Zeit sein theologisches Denken vor dem Hintergrund aktueller Fragestellungen zu bedenken, zu durchdringen und zu vermitteln.“

Es habe nahe gelegen, sich im ersten Jahr nach dem Heimgang von Papst Benedikt der grundlegenden Thematik seines theologischen Werkes zu widmen: „Unter dem Titel ‚Mitarbeiter der Wahrheit sein‘, der an den bischöflichen Wahlspruch von Joseph Ratzinger aus dem dritten Johannesbrief erinnert (3 Joh 1,8), sollen jene großen Leitlinien sichtbar und damit zugleich wichtige Einzelthemen der künftigen Arbeit herausgestellt werden. Damit wird sozusagen der Auftrag erkennbar gemacht, der sich im Untertitel des Symposiums ausdrückt: ‚Das reiche Erbe von Papst Benedikt XVI. in die Zukunft tragen‘. Diese Worte atmen eine erkennbare Dynamik in sich. Das Symposium ist auf der einen Seite einer dankbaren Rückschau und Vergegenwärtigung des theologischen Denkgebäudes und seiner zentralen Stützpfeiler verpflichtet. Damit wird deutlich werden, aus welchen theologischen Grundüberzeugungen unser verstorbener Papst Benedikt gelebt, gelehrt und verkündet hat. Auf der anderen Seite zieht uns die benannte Dynamik unmittelbar in die Zukunft hinein. Denn die Begegnung mit dem Denken Papst Benedikts lässt uns zugleich nach dessen Relevanz und seiner möglichen Fruchtbarkeit für die Kirche von heute und von morgen denken. Dies geschieht in der Überzeugung, dass uns in diesem Denken ein wahrlich großer Schatz, ein “reiches Erbe” überantwortet ist, das es in die Zukunft zu tragen und zu entfalten gilt.”

Die Grundzüge des theologischen Denkens von Papst Benedikt zeichnete der Protektor der Schülerkreise, Kurt Kardinal Koch, unter der Überschrift „Mitdenken mit dem Glauben der Kirche“ in ebenso präziser wie dichter Weise nach. Dabei wurde, ganz im Sinne von Joseph Ratzinger, deutlich, dass Gott jeweils ganz konkret die Wahrheit, die Vernunft, die allmächtige Liebe und die absolute Freiheit ist und die Menschen durch Geschenk daran teilhaben lässt. So kam der römische Kardinal unter Bezug auf Joseph Ratzinger zu dem Schluss, dass das Christentum „in seinem innersten Kern (...) Begegnung mit der Person Jesus Christus (ist), in dem sich Gott endgültig offenbart hat und der das lebendige Wort Gottes ist. Jesus Christus selbst und in Person ist die Offenbarung Gottes, und die Heilige Schrift und die kirchliche Überlieferung sind die geschichtlichen Gestalten, die uns Gottes Offenbarung übermitteln und uns gegeben sind, um uns von ihnen in eine persönliche Begegnung mit Christus hinein führen u lassen. Zur Offenbarung Gottes gehört auch das sie empfangende Subjekt. Dieses ist aber nicht einfach der einzelne Glaubende, weil dieser nur mit der ganzen Kirche mit-glauben kann. Der eigentliche Empfänger der Offenbarung Gottes in Jesus Christus ist die Glaubensgemeinschaft der Kirche. Denn Jesus Christus und sein Leib, die Kirche, gehören unlösbar zusammen. Damit wird der tiefste Grund sichtbar, dass Joseph Ratzinger mit seinem theologischen Denken stets mit dem Glauben der Kirche mit-glauben und mit-denken wollte und dass seine Theologie konsequent kirchliche Theologie ist, die sich an der Offenbarung Gottes orientiert. Darin besteht das kostbare Erbe, das uns Joseph Ratzinger-Benedikt XVI. mit seiner Theologie hinterlässt.“

Der Theologe und Bioethiker Ralph Weimann, der an der Päpstlichen Universität vom Heiligen Thomas von Aquin und an der Internationalen Dominikaneruniversität in Rom lehrt, widmete sich der Wahrheit des Glaubens in der Offenbarung und zeigte unter Bezug auf die umfangreiche und große Theologie von Ratzinger den Glauben an einen sprechenden Gott auf. Weimann beschrieb das Zugehen Gottes auf den Menschen in Jesus Christus als der erlösenden Wahrheit: „Weil die Offenbarung in Jesus Christus Fleisch geworden ist, ist sie konkret. Daher geht es keineswegs um Meinungen oder Hypothesen, sondern um Gewissheiten. Joseph Ratzinger war schon früh zu dieser Gewissheit gelangt. Ihm war klargeworden, dass eine rein abstrakte und theoretische Wahrheit nicht rettet, wohl aber jene Wahrheit, die sich in der Person Jesu Christi geoffenbart hat. Hier zeigt sich der tiefste Grund, warum Joseph Ratzinger für sich das Bischofsmotto wählte: Mitarbeiter der Wahrheit. Wer in der Wahrheit bleibt, der bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm. Papst Benedikt XVI. hat dies in seinem geistlichen Testament noch einmal bekräftigt, als er, gleichsam als eine Art Glaubensbekenntnis, schrieb: „Jesus Christus ist wirklich der Weg, die Wahrheit und das Leben – und die Kirche ist in all ihren Mängeln wirklich Sein Leib.“

Das Fazit Weimanns lautete: „Die Offenbarung ist der Bezugspunkt für die Theologie und für den Glauben, davon losgelöst würden sie sich auflösen und aufhören zu existieren. In Jesus Christus ist die Offenbarung als Person sichtbar geworden. Er hat uns die göttliche Wahrheit geoffenbart, die danach verlangt, in Liebe angenommen und im Leben bezeugt zu werden, denn sie rettet. Joseph Ratzinger war zeitlebens Mitarbeiter der Wahrheit, nicht Herr über die Wahrheit. Er verstand sich als einfacher Diener im Weinberg des Herrn, der sein Verlangen in diese Wahrheit Gottes aufgenommen zu werden mit den letzten Worten seines Lebens zum Ausdruck brachte: ‚Jesus ich liebe Dich.‘ Sein theologisches Erbe wird bleibende Gültigkeit behalten, weil es Anteil an der Wahrheit Jesu Christi hat, die nicht vergeht, und die „gestern und heute und in Ewigkeit“ (Hebr 13,8) ihre Gültigkeit behält.“

Sven Leo Conrad von der Petrusbruderschaft ging der Frage nach, inwieweit sich die Schönheit des Glaubens in der Liturgie zeige beziehungsweise zeigen müsse. Er sprach vom Primat Gottes in der Liturgie, die als Lebensgrund der Theologie unersetzlich sei und machte deutlich, dass die gefeierte und andachtsvoll gelebte Liturgie, der nichts vorzuziehen sei, letztlich als nichts anderes als die Dynamik der reinen Liebe verstanden werden könne. Conrad endete mit der Conclusio: „Was aber bedeutet eigentlich die Liturgie des Himmels? Michael Kunzler gibt folgende Definition: „Die himmlische Liturgie ist die Lebensfülle des dreifaltigen Gottes selbst, in der die drei Personen miteinander in vollkommener Weise kommunizieren und zu einer vollendeten Einheit finden.“ Eine solche Definition deckt sich auch mit schönen Äußerungen aus dem Lehramt von Papst Benedikt XVI. „Es ist seine Liebe, die über den Tod siegt und uns die Ewigkeit schenkt, und es ist diese Liebe, die wir »Himmel« nennen: Gott ist so groß, daß er auch für uns Platz hat.“ In dieser eschatologischen Perspektive erkennen wir, warum nach Ratzinger letztlich das Innerste der Liturgie, ihr Ursprung, die ihr eigene Dynamik und ihr Ziel die Liebe ist.“

Der Abt des Zisterzienser-Stiftes Heiligenkreuz, Maximilian Heim OCist, beschrieb die Kirche als Gemeinschaft des Glaubens, die Volk Gottes vom Leib Christi her sei. Das Wesentliche sei und geschehe in der Feier der Eucharistie, und „Eucharistie-feiern bedeutet also von innen her eins zu werden mit dem Herrn, sein Paschamysterium mit ihm zu vollziehen, indem nicht wir die Handelnden sind, sondern die eigentliche Actio durch Jesus Christus vollzogen wird. Der Vorsteher der Liturgie kann nur dann ein alter Christus sein, das heißt ein Repräsentant Christi, wenn er das tut, was die Kirche als Vermächtnis des Herrn überliefert hat.“ Hier geschehe, wie es Benedikt XVI. beim Weltjugendtag in Köln ausdrückte, „der zentrale Verwandlungsakt, der allein wirklich die Welt erneuern kann: […] die Kernspaltung im Innersten des Seins – der Sieg der Liebe über den Hass, der Sieg der Liebe über den Tod. Nur von dieser innersten Explosion des Guten her, die das Böse überwindet, kann dann die Kette der Verwandlungen ausgehen, die allmählich die Welt umformt.“ Dieses Transformationsgeschehen dürfe also „weder technisch noch machtpolitisch, noch magisch missverstanden werden, sondern ist bereits, wie es Ratzinger einmal ausdrückt, „antizipierte Parusie, […] das Hereintreten des ‚schon’ in unser ‚noch nicht’“. Demzufolge ist die Kirche als wanderndes Volk Gottes in ihrem sakramentalen Wesen Vergegenwärtigung des neutestamentlichen Paschageschehens, das am Ende der Zeiten seine Vollendung findet, wenn Christus wiederkommt in Herrlichkeit.“

Der Untersekretär des Dikasteriums für die Gesetzestexte, Markus Graulich, widmete sich der Ausstrahlung des Glaubens in und auf die Gesellschaft und sprach vom Christlichen Licht für Recht und Gerechtigkeit.  Unter anderem sagte er: Die Kirche trage „in erster Linie durch ihre Verkündigung und durch ethische Bildung dazu bei, dass eine gerechte Gesellschaft und eine dem Wesen des Menschen entsprechende Rechtsordnung geschaffen werden kann, die nicht jeden Wunsch einer gesellschaftlichen Gruppe gleich zu einem angeborenen Recht erklärt. Damit dies im immer schwieriger werdenden gesellschaftlichen Diskurs gelingen kann, hat Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. auf das Wirken von kreativen Minderheiten in Kirche und Gesellschaft gesetzt. Es geht ihm dabei um Menschen, die den anderen jene Werte vorleben, die sie im Glauben gefunden haben. Um diese Gruppen herum, die wie Sauerteig in der Gesellschaft wirken sollen, bilden sich (durchaus im Sinne der von Rod Dreher postulierten „Benedikt Option“) Kreise der Zugehörigkeit und der Zuordnung. Dadurch entstehen Orte der Begegnung, die über sich selbst hinaus auf das Ganze verweisen.“ Graulich zitierte abschließend Joseph Ratzinger: „Was wir aber in dieser Stunde vor allem brauchen, sind Menschen, die durch einen erleuchteten und gelebten Glauben Gott glaubwürdig machen in dieser Welt. […] Nur über Menschen, die von Gott berührt sind, kann Gott wieder zu den Menschen kommen“ (JRGS 3/1, 777).

In einem moderierten Gespräch mit dem orthodoxen Theologen Stefanos Athanasiou gelang es Benedikts langjährigem engen Mitarbeiter Georg Gänswein, einen Blick in die Lebenspraxis des Glaubens von Joseph Ratzinger zu ermöglichen. Glaube und Vernunft hätten für Benedikt stets harmonisch zusammengehört, man habe immer wieder spüren und erleben können, wie sehr ihm die versöhnende Einheit von Fides und Ratio ein Herzensanliegen gewesen sei. Joseph Ratzinger sei ein fairer, toleranter und immer wieder interessierter Gesprächspartner gewesen, der offen war für andere Meinungen und Überzeugungen. Das gelte besonders für die Theologie, wo er ein sehr offenes Ohr für die Ostkirche zeigte, aber auch am Denken evangelischer Christen Interesse zeigte. Gänswein selbst meinte in Bezug auf seinen Abschied von Rom, er sei in Freiburg zwar leiblich angekommen, aber noch nicht mental. Die Übersiedlung nach so vielen Jahren Rom dauere halt ein wenig.

Es sei ein gelungenes Treffen in der Aura des verstorbenen Papstes gewesen, meinte ein Teilnehmer. Joseph Ratzinger hätte wohl seine Freude daran gehabt. Vor allem, weil es darum ging, sein lebenslanges Herzensanliegen ebenso fundiert wie engagiert in den Mittelpunkt seines Wirkens zu stellen: Mitarbeiter der Wahrheit sein und bleiben.

Informationen über den Neuen Schülerkreis: siehe Link

Martin Lohmann, (siehe Link), Theologe und Publizist, war mehr als 57 Jahre mit Joseph Ratzinger vertraut und ist korrespondierendes Mitglied des Neuen Schülerkreises Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI.

Das Symposium wurde übertragen von Radio Horeb und EWTN. Nachzuhören über
Radio Horeb: siehe Linkhttps://www.horeb.org/symposium-der-ratzinger-schuelerkreise-in-rom-2023/

EWTN:

 


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