27. September 2023 in Prolife
Während „mit im Mutterleib getöteten 73 Mill. Kindern die Abtreibung die höchste Todesursache ist, ist es geradezu dämonisch, mit allen technischen Mitteln Kinder … zu zeugen.“ Kardinal Gerhard Ludwig Müller im Gespräch mit Lothar C. Rilinger
Rom (kath.net) Gott hat die Menschen als Mann und Frau geschaffen, und damit der Frau die Möglichkeit eröffnet, Kinder zu gebären, um die Gesellschaft zu perpetuieren. Das Gebären von Kindern wird aber – wie es Simone de Beauvoir genannt hat – als Sklaventätigkeit für den Mann angesehen, so dass Mütter als Gebärmaschinen abqualifiziert werden und dadurch dem ökonomischen Produktionsprozess entzogen sind. Da jedoch eine Gesellschaft nur überlebt und im Übrigen auch nur Rentenbeitragszahler existieren, wenn die Gesellschaft nachwächst, ist es notwendig, für Nachwuchs zu sorgen. Da aber einige Mitglieder unserer Gesellschaften nicht bereit sind, sich der als vormodern verworfenen Mutterschaft zu unterziehen, wurde im Zuge der Kinderwunschtherapie die Möglichkeit geschaffen, zur Durchführung der Schwangerschaft im Rahmen eines hoch dotierten Dienstvertrages sich der Dienste dritter Frauen zu bedienen, damit diese die Kinder austragen. Diese Dienstleistung wird verharmlosend Leihmutterschaft genannt, obwohl es sich wegen des zu zahlenden Entgeltes um eine Mietmutterschaft handelt. Sie wirft ethische Fragen auf, die wir mit Kardinal Gerhard Ludwig Müller besprechen wollen.
Lothar C. Rilinger: Nach unserer Rechtsordnung ist es legitim, sich fremder Hilfe zu bedienen, wenn man nicht selbst in der Lage ist, die erwünschte Dienstleistung zu erbringen. Auf dieser Erkenntnis basiert unser Wirtschafts- und Rechtssystem. Seitdem es möglich ist, Eizellen künstlich mit Samenzellen zu befruchten, um diese Zelle einer Frau, im Regelfall der Mutter, einzupflanzen, wurde auch die Idee geboren, die befruchtete Eizelle einer dritten Frau zu implantieren, damit diese den Prozess der Schwangerschaft gegen Entgelt erledigt, um das Kind nach der Geburt den Auftraggebern auszuhändigen. Durch diese Kinderwunschtherapie werden die Interessen der Mietmutter und des Kindes in besonderer Weise berührt. Wir wollen zuerst auf diejenigen der Mietmutter eingehen. Ist es mit der Würde dieser Frau zu vereinbaren, dass sie wie eine Sklavin ihren Körper gegen Zahlung eines Entgeltes zur Verfügung stellt und damit lediglich als Sache, nämlich als Gebärmaschine, handelt, ohne die eigentliche Mutterschaft jemals ausüben zu können?
Kardinal Gerhard Ludwig Müller: Unsere Rechtsordnung beruht nicht positivistisch auf dem wandelbaren Willen des jeweiligen Gesetzgebers, sondern auf der Anerkennung der unveräußerlichen Würde des individuellen Menschen. Diese Erkenntnis ist jedem durch die natürliche Vernunft zugänglich, weil seine Leugnung den gnadenlosen Kampf aller gegen alle bedeuten würde. Der Sozialdarwinismus in Gestalt des Faschismus, Kommunismus und der milliardenschweren Abtreibungslobby war und ist die mörderischste Ideologie der ganzen Menschheitsgeschichte. Ohne Rückgriff auf die übernatürliche Offenbarung hatte Immanuel Kant (1724-1804) im Sinne einer rein vernünftigen Moralbegründung den moralischen Imperativ formuliert: „Der Mensch aber ist keine Sache, mithin nicht etwas, was als Mittel gebraucht werden kann, sondern muss bei allen seinen Handlungen jederzeit als Zweck an sich selbst betrachtet werden." (Immanuel Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten B 67). Denn das fundamentale Recht auf Leben kann nicht von endlichen und fehlbaren Menschen anderen Menschen zugesprochen oder aberkannt werden. Das Leben ist kein technisches Produkt, sondern eine unverdiente Gabe, die all unserem Denken und Handeln vorausgeht.
Der gläubige Jude und Christ erkennt überdies, dass die in der Natur des Menschen liegende Würde in seiner Erschaffung nach dem Bild und Gleichnis Gottes begründet ist (Gen 1, 27; Ps 8, 6; Kol 1, 15-20).
Die geschlechtliche Fortpflanzung und die liebevolle Erziehung ihrer Kinder ist ein Auftrag des Schöpfers an eine Frau und einen Mann, die in ganzheitlicher Liebe miteinander verbunden sind. Aber auch wer philosophisch rein materialistisch denkt, wird die empirisch bewiesene Tatsache anerkennen, dass die Zeugung eines neuen Menschen an die Evolution der genetischen Dualität von männlichem und weiblichem Geschlecht gebunden ist. (vgl. Ulrich Kutschera, Strafsache Sexualbiologie. Darwinische Wahrheiten zu Ehe und Kindeswohl vor Gericht, Hamburg 2021).
Es ist ein Rückfall in die Barbarei, wenn in den modernen gottlosen Ideologien des Nationalsozialismus, Marxismus-Leninismus und des konsumistischen Kapitalismus der Mensch zu einem Instrument der Politik oder zu einer Handelsware erniedrigt wird. Den natürlichen Wunsch nach einem Kind, der mit dem Mannsein oder Frausein des Menschen koexistiert, darf man nicht verwechseln mit einem dinglichen Objekt der Begierde. Das Kind ist keine Sache, sondern eine Person. Wenn Mann und Frau in der liebenden Gemeinschaft der Ehe, (d.h. in ihrem Respekt voreinander als Personen) leiblich zusammenkommen, dann öffnen sie sich auf ihr mögliches Kind als Frucht ihrer Liebe. Sie beziehen sich „in guter Hoffnung“ auf ihr Kind als eine Person von unveräußerlicher Würde. Die menschliche Zeugung unterscheidet sich wesentlich von der Zeugung von Nachwuchs im Tierreich oder der agrarischen Tierzucht dadurch, dass der auf die Welt kommende junge Mensch in einem sittlichen Akt in seinem Person-Sein, das sich jeder Instrumentalisierung entzieht, anerkannt wird. Die Eltern besitzen ihre Kinder nicht wie ihr Sacheigentum. Ihre Kinder sind vielmehr ihrer Sorge und Liebe anvertraut, so wie sie einst ihren eigenen Eltern nur anvertraut waren und als alte Menschen auf die Fürsorge ihrer Kinder angewiesen sind.
Rilinger: Im Rahmen der Prostitution stellen Frauen ihren Körper zur Verfügung, damit Männer ihren Sexualtrieb befriedigen können. Sie leisten Dienste, die honoriert werden müssen. Diese Dienstleistungen werden aber als sittenwidrig angesehen, obwohl sie einkommenssteuerpflichtig sind. Ist es nicht seltsam, dass die Prostitution als verwerflich angesehen wird, doch im Rahmen des Diskurses die Mietmutterschaft rechtlich ermöglicht werden soll?
Kard. Müller: Die staatliche Gesetzgebung stammt im Unterschied zum natürlichen Sittengesetz, das Gott zum Urheber hat, von fehlbaren und interessengeleiteten Menschen. Selbst da, wo man von einer echten Verfassungsdemokratie und einem einigermaßen funktionierenden Rechtsstaat reden kann, besteht die ständige Gefahr, dass die staatlichen Institutionen von Ideologen gekapert und von Mafiosi korrumpiert werden. Es ist nur ein menschenverachtender Zynismus, wenn die erwerbsmäßige Prostitution oder die legalisierte Pornographie oder Sex-Industrie als normale Dienstleistung entsittlicht wird, weil sie auf nichts weniger als einer fundamentalen Verletzung der Menschenwürde beruht. Selbst wenn sich jemand freiwillig prostituiert und seinen Körper für die bloße Lustbefriedigung eines anderen verkauft, begeht er ein schweres Unrecht, weil er seine Person zu einer Ware gemacht und somit seine Würde verraten hat.
Rilinger: Auch wenn in Deutschland die Leih/Mietmutterschaft noch verboten ist, in anderen Staaten ist sie schon erlaubt. Kann es einem Menschen zugemutet werden, zu wissen, dass er im Rahmen eines Dienstvertrages durch eine vollkommen fremde Frau während der Schwangerschaft ausgetragen wurde und dass die hierdurch entstandene Verbindung nach erfolgter Erbringung des Dienstes gekappt wurde?
Kard. Müller: Die Mietmutterschaft und das kapitalistische Geschäftsmodell dahinter sind nichts anderes als ein schweres Verbrechen gegen die Menschheit und die Menschlichkeit, wie sie zurecht und vorbildlich in den Nürnberger Prozessen (1946) gegen die biologistische Rassenideologie der Nationalsozialisten moralisch und juristisch verurteilt wurden. Da jeder Mensch einer geschlechtlichen Zeugung entstammt, hat er das natürliche Recht zu wissen, wer sein Vater und wer seine Mutter ist. Auch wenn die weltlichen Gerichte aufgrund einer inhumanen Gesetzgebung, dieses Recht verweigern, steht doch auf der Ebene einer sittlichen Beurteilung fest, dass die Verweigerung des Rechts auf das Wissen um die eigene Herkunft ein schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist. Denn hier wird einer Person offiziell bescheinigt, dass sie eine Sache ist, die wie in einer Sklavenhaltergesellschaft gekauft und verkauft werden kann bzw. auch nach der Freilassung immer noch den Makel der vormaligen Erniedrigung an sich tragen muss.
Rilinger: Es wird nach immer mehr Möglichkeiten gesucht, Frauen die Mühsal der Schwangerschaft zu ersparen. Jetzt wurde der Vorschlag der in Norwegen lehrenden Anna Smajdor bekannt, hirntote Frauen künstlich am Sterben zu hindern, um ihnen befruchtete Eizellen einzupflanzen, damit diese dann das Kind austragen können. Es stellt sich deshalb zuerst die Frage, ob ein hirntoter Mensch tatsächlich tot ist, wenn die Organe künstlich am Funktionieren gehalten werden können, so dass sogar hirntote Frauen ein Kind austragen und zur Welt bringen können. Kann der Hirntod deshalb als Tod eines Menschen angesehen werden oder ist er nur eine Konvention, um Organe entnehmen zu können, bevor sie durch Verwesen unbrauchbar werden? Darüber hinaus wird überlegt, hirntote Körper als Gebärmaschine einzusetzen. Ist dieser Gebrauch verstorbener, hirntoter Menschen mit der christlichen Ethik vereinbar?
Kard. Müller: Der Hirntod ist eine umstrittene Definition des tatsächlichen Todes als definitive Trennung der (christlich gesprochen: unsterblichen) Seele vom sterblichen Leib. Wenn einmal das sittliche Prinzip der Unveräußerlichkeit der Menschenwürde aufgegeben worden ist, dann dienen die Möglichkeiten der modernen Medizin nur noch der völligen Dekonstruktion der menschlichen Person. „Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären.“ (F. Schiller, Die Piccolomini 5. Aufzug, 1. Auftritt). Wer kann ein geflutetes Schiff am Untergang hindern?
Die Schwangerschaft bedeutet die tiefste persönliche und leibliche Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind. Hier ist auch nach der Geburt und bis zum Ende des Lebens und darüber hinaus das zarteste Band der Liebe geknüpft, das auch ein Symbol der innigsten Liebe Gottes zu uns Menschen ist (vgl. Jes 49, 14-16). Die Idee, eine hirntote oder gar tote Frau gegen ihren Willen, den sie ja nicht mehr äußern kann, zu einer Art organischem Brutkasten zu instrumentalisieren, kann nur einer entmenschten Phantasie entspringen, die den Menschen auf Biomaterial reduziert.
Rilinger: Kann und darf es einem Menschen zugemutet werden, durch einen für ihn fremden hirntoten Körper ausgetragen zu werden und wie soll er damit umgehen, von einer toten Maschine geboren worden zu sein?
Kard. Müller: Es ist sicher für einen Menschen das Bewusstsein furchtbar, in der ersten Phase seines Lebens wie eine Sache misshandelt oder wie ein Bioprodukt missbraucht worden zu sein oder Opfer der Pornoindustrie und von pädophilen Verbrechern zu werden. Man kann nur darum beten, dass sie Menschen begegnen, die sie als Person anerkennen und in Liebe und Freundschaft begleiten. Es bleibt die Gewissheit, dass uns niemand trennen kann von der Liebe Gottes zu uns, seinen Söhnen und Töchtern, in Christus Jesus (vgl. Röm 8, 18-39). Wir können in dem Trost leben, dass trotz all des Bösen, das es in der Welt gibt und dem Leiden, das Menschen ihresgleichen zufügen, die Liebe Gottes Bestand hat.
Rilinger: Es wird darüber hinaus überlegt, sich Frauen, die in ein Wachkoma gefallen sind, für das Austragen von Kindern zu bedienen. Im Gegensatz zum hirntoten Menschen können Wachkomapatienten wieder aufwachen. Da Wachkomapatienten die körperlichen Funktionen bewahren, könnten sie auch Kinder austragen und auf natürlichem Weg gebären, ohne dass die Organfunktionen künstlich am Leben erhalten werden. Könnte diese Möglichkeit herangezogen werden, um mehr fremde Frauen als Gebärmaschine zu rekrutieren?
Kard. Müller: Frauen im Wachkoma ohne ihren Willen schwanger zu machen, ist sittlich einer Vergewaltigung gleichzusetzten. Die Elternschaft ist eine Frage des freien Willens und der Bereitschaft dem Willen Gottes zu einem neuen Menschen als einem Geschöpf nach seinem Bild und Gleichnis zu dienen. In einer Welt, in der mit im Mutterleib getöteten 73 Millionen Kindern die Abtreibung die höchste Todesursache ist, ist es geradezu dämonisch, mit allen technischen Mitteln Kinder allen Grundregeln der Sittlichkeit zum Trotz zu zeugen.
Rilinger: Das Modell der Miet-/Leihmutterschaft wird als Teil der Kinderwunschtherapie verklärt, als der große Fortschritt in der Reproduktionsmedizin und gleichzeitig als Möglichkeit, die Arbeitskraft der Frau, die durch eine Schwangerschaft gemindert werden könnte, vollständig zu erhalten und sie in der Produktion zu belassen, um ein Wort von Marx aufzugreifen. Doch ist das Austragen von Kindern durch eine vollkommen fremde Frau nicht eher ein Rückfall in vormoderne und voraufklärerische Zeiten, in denen die Qualifikation von einem Teil der Menschen als Sache, also als Sklave, üblich war, so dass sich der vermeintliche Fortschritt als ein eklatanter Rückschritt entpuppt und die Erkenntnisse sogar der atheistischen Aufklärung für null und nichtig erklärt werden?
Kard. Müller: Immanuel Kant, der mit seiner berühmten Frage „Was ist Aufklärung?“ (1783) sich als den Vollender des „Zeitalters der Vernunft“ (Thomas Paine) sah, hätte die Verfügung über andere Personen oder über den eigenen Leib als bloß sachliche Objekte als einen zivilisatorischen Rückschritt verurteilt. Der Denkfehler besteht einfach darin, dass die technischen Möglichkeiten die Grenzen von Gut und Böse verschieben könnten. Wenn die eigenen Wünsche. die politischen Ziele oder die ideologischen Postulate das oberste Kriterium sind, dann kommen wir unvermeidlich in der Produktion von Menschen als käufliche Ware an, die man bei Nichtgefallen auch wieder entsorgen kann.
Rilinger: Wir erleben es immer wieder, dass Kinder, die von ihrer Adoption erfahren haben, ihre leiblichen Eltern suchen, um zu erfahren, woher sie kommen, wer ihre eigentliche Familie ist. Könnten Kinder darunter leiden, dass sie aus einer fremden Ei- oder Samenzelle oder aus beiden stammen und somit lediglich über eine anonyme Herkunft verfügen können?
Kard. Müller: Es gibt genug Zeugnisse von so gezeugten Kindern, die als Erwachsene darunter leiden, ihre Eltern nicht zu kennen. Ihnen wurde schwerstes Unrecht zugefügt, und verblendete Politiker und ideologisch korrumpierte Richter verschaffen ihnen kein Recht und machen sich so schuldig, selbst wenn sie sich auf die Buchstaben des Gesetzes stützen könnten, das aber dem Geist der Wahrheit und Gerechtigkeit widerspricht.
Rilinger: Da Sie sich strikt gegen jede Form der Abtreibung ausgesprochen haben, muss sich zwangsläufig der Frage erheben, welchen Sinn die Präimplantationsdiagnostik haben könnte, schließlich wird sie angewendet, um frühzeitig Behinderungen zu erkennen, damit das ungeborene Kind abgetrieben werden könnte?
Kard. Müller: Es geht ja nicht darum, dass ich subjektiv gegen die Abtreibung bin, sondern darum, dass objektiv die Abtreibung die absolut ungerechtfertigte Tötung eines wehrlosen Menschen ist und theologisch gesprochen damit eine Todsünde, die vom Reich Gottes ausschließt, solange diese Sünde nicht bereut und vergeben ist. Die Präimplantationsdiagnostik ist nach ihrem Gebrauch im Rahmen der ethischen Grundsätze zu beurteilen. Die Medizin ist zum Heilen von Krankheiten oder auch ihrer Vermeidung da. Jeder gezeugte Mensch hat vom Anbeginn seiner Existenz ein Lebensrecht, auch wenn er behindert wird. Wohin die Unterscheidung von lebenswertem und nicht lebenswertem menschlichen Leben führt, ist nicht eine abstrakte akademische Diskussion. Wir Deutsche müssten am meisten gewarnt sein, von den Massenverbrechen gegen die Menschlichkeit, die mit dieser Unterscheidung an Millionen von Unseresgleichen verübt worden ist.
Rilinger: Im Rahmen der Kinderwunschtherapie werden überzählige befruchtete Eizellen auch dazu genutzt, um als Geschwisterkinder Ersatzteile für das geborene kranke oder behinderte Kind zu produzieren. Ist diese Produktion ethisch zu vertreten, zumal ja nur ein Kind geboren werden soll, so dass die anderen ungeborenen Kinder – gleichsam wie Abfall – getötet werden müssen?
Kard. Müller: Die höchste Möglichkeit der Nächstenliebe ist es, das eigene Leben für andere zu opfern, wie P. Maximilian Kolbe im KZ Auschwitz an der Stelle eines Familienvaters freiwillig in den Hungerbunker ging. Das Gegenteil von dieser Hingabe für die anderen ist es, andere für sich zu opfern, so wie Hitler die Jugendlichen im Kampf um Berlin „verheizt“, d.h. zynisch in den Tod getrieben hat, um sein eigenes Leben zu verlängern. Ein Mensch kann im Sinn der Organspende für das Wohl anderer da sein. Aber das muss freiwillig geschehen und im Rahmen des natürlichen Sittengesetzes. Das ist etwas ganz anderes, als wenn Menschen, auch in ihrem frühesten Entwicklungsstadium, als Ersatzteile für andere instrumentalisiert und damit entpersonalisiert werden. Natürlich ist alles Mögliche zu tun, um kranken und behinderten Kindern und Erwachsenen medizinisch, psychologisch und pastoral zu helfen. Das hat aber seine Grenze an der Person-Würde des anderen, der nicht verdinglicht werden darf. Es ist das Grundgesetz der Liebe, dass einer vom andern lebt, aber sein Gegenteil ist die rücksichtslose Durchsetzung meiner Interessen auf Kosten des Nächsten, seines Lebens, seiner Ehe und Familie, seiner Ehre und seines Eigentums, wie uns die zweite Tafel des Dekalogs lehrt.
Letztlich gewinnen wir nichts, wenn wir mit dem Unglück anderer uns ein langes und lustvolles Leben erkaufen wollen. Es kommt auf die letzte Bilanz an, die vor Gott offenzulegen ist. „Was nutzt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber dabei sein Leben verliert“ oder wie Faust seine Seele an den Teufel verkauft? „Um welchen Preis kann ein Mensch sein Leben zurückkaufen? Der Menschensohn wird mit seinen Engeln in der Hoheit seines Vaters kommen und jedem Menschen vergelten, wie es seine Taten verdienen.“ (Mt 16,26f).
Rilinger: Zum Schluss lassen Sie uns noch auf eine Konstellation eingehen, in der die Interessen und die Grundrechte von zwei verschiedenen Personengruppen kollidieren. Sollte in einer männlichen homosexuellen Partnerschaft der Wunsch virulent werden, auch ein Kind aus dieser Verbindung erwachsen zu lassen, muss sie sich fremder Eizellen und einer fremden Frau bedienen, die das Kind austrägt. Sollte die Leih- Mietmutterschaft verboten werden, würden die Rechte der Partner in einer männlichen homosexuellen Partnerschaft beeinträchtigt. Sollte sie hingegen erlaubt werden, würde das Recht des Kindes negiert werden. Die Europäische Kommission geht in ihrem Vorschlag für eine Verordnung zur grenzüberschreitenden Anerkennung der Elternschaft davon aus, dass durch das Verbot der Leih- Mietmutterschaft gerade männliche homosexuelle Paare diskriminiert würden, so dass das Interesse des Kindes, das Kindeswohl also, zurückstecken müsse, mit der Folge, dass die Miet- Leihmutterschaft erlaubt werden müsse. Das Interesse des Kindes habe deshalb hinter dem Interesse männlicher homosexueller Paare zurückzutreten. Ist diese Wertung nicht nur mit der christlichen Ethik zu vereinbaren, sondern auch mit dem Kant´schen Sittengesetz, das ja Grundlage zumindest jeden westlichen Staates ist? Darf es also einen durchsetzbaren umfassenden Anspruch auf Erfüllung des individuellen Kindeswunsches geben zu Lasten des Kindes?
Kard. Müller: Homosexuelle Partnerschaften sind keine Ehe von Mann und Frau, auch wenn man meint, die Realität durch eine nominalistische Begriffsverwirrung außer Kraft setzen zu können. Die demokratisch vom Volk gewählten Politiker haben nur die Pflicht, die in der Natur des Menschen liegenden Rechte anzuerkennen, aber nicht sie aus ihrem bloßen Willen zur Macht heraus anders zu definieren. Wo dies geschieht, ist die Grenze zu einem totalitären Staat überschritten, der tyrannisch die Menschen zu einer Biomasse entwürdigt, die von Technokraten und Bioingenieuren nach Belieben umgeformt werden kann. Da in der Ehe Mann und Frau physisch Kinder zeugen, haben sie als deren Eltern auch allein das unveräußerliche Recht, diese als ihre Kinder zu lieben und zu erziehen (unbeschadet der tragischen Fälle, wenn die anderen Angehörigen oder die staatliche Gemeinschaft subsidiär helfen müssen). Da es aber kein natürliches Recht von Personen gleichen Geschlechtes auf ein Kind gibt, das sie von Natur her gar nicht zeugen können, haben sie umso weniger irgendein Recht, sich durch technische Manipulationen in den Besitz einer Person zu bringen, die eben nicht ihr gemeinsames Kind ist. Menschliches Leben wird in der wechselseitigen Liebe von Mann und Frau gezeugt, indem die Eltern berufen sind, am Werk und Heilswillen des Schöpfers mitzuwirken, und eben nicht durch eine Manipulation der Natur, wodurch der neue Mensch zur Befriedigung egozentrischer Wünsche technisch produziert wird.
Rilinger: Eminenz, herzlichen Dank.
Archivfoto Kardinal Müller (c) Lothar C. Rilinger
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