26. Oktober 2023 in Kommentar
"Darum betrachte ich auch die derzeitigen innerkirchlichen Bemühungen, an der Lehre herumzudoktern – selbst wenn diese aus Rom kommen –, mit einer gewissen Gelassenheit" - Von Christof Gaspari / VISION 2000
Wien (kath.net/http://vision2000.at)
Es ist schwer geworden über Wahrheit zu sprechen. Im Zeitalter des Pluralismus verbindet man mit dem Begriff leicht Bevormundung. Jedem nach seiner Façon, lautet die Parole. Und dabei: Wie befreiend ist es, wenn man von einem Irrtum loskommt und den rechten Weg findet!
Seit Jahrzehnten stehen etablierte Lehren der Kirche unter Beschuss, auch innerkirchlich. Es sind immer dieselben Themen, die da – medial unterstützt – aufgewärmt werden, die „heißen Eisen“: die Morallehre, der Zölibat, die Rolle der Laien, vor allem der Frau in der Kirche… Ausführliche, gut begründete Lehrschreiben der Päpste Paul VI., Johannes Paul II., Benedikt XVI. haben sich mit diesen Fragen auseinandergesetzt und die Sinnhaftigkeit und Lebensträchtigkeit der Lehre darzustellen versucht. Vergebens.
Die Infragestellung geht munter weiter, ja, sie nimmt an Intensität zu. Ihren bisherigen Höhepunkt erreichte sie im „Synodalen Weg“ der deutschen Kirche, dessen Beschlüsse mit bischöflicher Approbation (jedenfalls einer qualifizierten Mehrheit) in wichtigen Punkten gegen die Lehre Stellung beziehen. Viele befürchten, diese Abkehr von der Lehre könnte in der demnächst in Rom startenden Weltsynode über Synodalität ihre Fortsetzung finden.
Das stellt Christen vor die entscheidende Frage: Verkündet die Kirche die Wahrheit? Und: Ist diese zeitlos gültig? Oder muss man sie an neue Sichtweisen anpassen? Und vor allem: Würde eine solche Anpassung den Menschen zuträglicher sein und sie aus einem Korsett veralteter Normen befreien?
Damit sind wir beim Grundproblem der Debatte: Ist die Lehre, die die Kirche verkündet, ein Regelwerk, das – vom Fortschritt überholt – den Menschen von heute gängelt und an seiner freien Entfaltung hindert? Oder ist sie Ausdruck der zeitlosen Wahrheit über den Menschen, die es ihm ermöglicht, zu seiner vollen, freien Entfaltung zu gelangen?
Menschen, die nach verschiedenen Umwegen erst im Erwachsenenalter zum Glauben gefunden haben, können aus eigener Erfahrung bestätigen, dass die zweite Option zutrifft. Ich selbst habe es jedenfalls genauso erfahren: Als fast 30-jähriger Agnostiker entschloss ich mich, von Freunden und Bekannten bedrängt, an einem Cursillo, einem dreitägigen Glaubenskurs, teilzunehmen – ohne irgendwelche Erwartungen, nur um weiteren Bekehrungsversuchen endlich zu entgehen. Überzeugt, der Kurzaufenthalt in einem Kloster würde spurlos an mir vorübergehen, rüstete ich mich mit interessanter Lektüre aus.
Die drei Tage brachten jedoch die Wende in meinem Leben. Die mitgenommene Lektüre blieb ungelesen. Ich war Jesus Christus begegnet. Eine neue Realität brach in mein Leben ein. Gott war von nun an nicht mehr ein Thema wie viele andere auch, über die man endlos debattieren konnte – ob es Ihn überhaupt gibt, welche Religion die richtige sei, ob man ernst nehmen müsse, was die Bibel sagt oder die Kirche lehrt. Es war einfach evident, dass Er mich gerufen hatte und ich Ihm folgen würde – aus freien Stücken, weil mich diese Erfahrung froh gemacht und die Perspektive eines neuen, erfüllten Lebens eröffnet hatte.
Was für ein befreiendes Erlebnis! Zu wissen: „Du bist nicht mehr allein auf Dich gestellt. Gott, der alles in Händen hält, führt dich auf Seinem Weg!“ Ich erlebte alsbald die ersten Früchte dieses befreienden Erlebnisses: den Neustart unserer angekränkelten Ehe. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg.
Damit waren klarerweise nicht alle Probleme gelöst und alle Fragen geklärt. Mein Wissen über die Offenbarung und die Lehre war ja nach wie vor minimal, meine Unkenntnis nicht mit einem Zauberstab weggewischt. Aber von Anfang an gab es die Gewissheit: Der Raum der Kirche, in dem mir der Herr begegnet war, würde auch der Ort sein, an dem ich meinen Glauben vertiefen konnte.
Mit enormem Interesse und großem Elan stürzte ich mich nun in das Projekt Glaubensvertiefung. Der Besuch der Heiligen Messe am Sonntag wurde zum fixen Programmpunkt, unsere Bibliothek daheim bekam ein neues Gesicht: Glaubenszeugnisse, Bücher über Glaubensfragen, Heiligengeschichten füllten langsam die Regale. Wie wichtig diese Glaubensvertiefung war, wurde bei meinen Bemühungen, andere für den neuen Weg zu begeistern, deutlich. Ich stand nämlich kritischen Äußerungen von Freunden, denen meine Begeisterung verdächtig vorkam, recht hilflos gegenüber. Meine „Bekehrungsversuche“ gingen ins Leere, schienen zu verpuffen.
Ja, mehr noch: Die Einwände meiner Umgebung verunsicherten mich selbst. Es waren Themen wie: Empfängnisverhütung, Zölibat, die Sexualfeindlichkeit der Kirche, die Jungfrauengeburt… Der übliche Kanon eben. Aus meinem früheren Leben teilte ich ja solche Bedenken. Mangels entsprechender Kenntnisse konnte ich nicht angemessen antworten.
Die Herausforderung lautete: Ernsthafte Auseinandersetzung mit all diesen Fragen. Und das Ergebnis war immer wieder dasselbe: Was die Kirche uns als Wegweisung ans Herz legt, ist wahr.
Im Grunde genommen musste das ja auch so sein, wenn ich meine Erfahrung ernst nahm, dass ich Dem mein Leben anvertraut hatte, der von sich gesagt hatte, Er sei „der Weg, die Wahrheit und das Leben“. In Ihm war ich ja der personifizierten Wahrheit begegnet, der Wahrheit, die es gut mit mir meint. Wie sollte mich da die Kirche, der Leib Christi, in die Irre führen?
Am Beispiel der Sexuallehre wurde das klar. Sie führt uns die Kostbarkeit der sexuellen Begegnung vor Augen, in der die Ganzhingabe der Frau und die unbedingte Annahme dieser Hingabe durch den Mann zum Ausdruck kommt, die höchste Form der körperlichen Sprache der Liebe. Jeder junge Mensch, der nicht durch schlechte Sexualaufklärung verdorben ist, empfindet genau das: In der Umarmung von Mann und Frau geschieht etwas Besonderes, Kostbares, aus dem ein Kind, eine lebenslange Herausforderung und Freude hervorgehen kann. Bei der näheren Beschäftigung mit dem Thema wird offensichtlich, dass die „Befreiung“ der Sexualität, die heute als große Errungenschaft gehandelt wird, ja alles andere als Befreiung hervorgebracht hat, vielmehr Abstumpfung, Pornographie-Sucht, Einbruch der Geburtenzahlen…
Jesus Christus ist Mensch geworden, um uns die Freiheit der Kinder Gottes zu schenken. Wir können darauf vertrauen, dass Er bei denen, die Ihn lieben, alles zum Guten wenden kann – und wird. Und das sind keine frommen Floskeln, sondern erfahrbare Realität. Wenn das nicht eine befreiende Botschaft ist, was dann?
Jesus hat uns allerdings auch darauf aufmerksam gemacht, dass Ihn zu lieben, auch heißt, Seine Gebote zu beachten, also Seinen Wegweisungen zu vertrauen. „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens,“ sagt Petrus, als Jesus die Apostel vor die Frage stellt, ob sie Seine Offenbarung annehmen oder lieber doch eigene Wege gehen wollen.
Vor dieser Frage stehen wir heute auch, wenn es um die Frage nach der Wahrheit geht, die die Kirche lehrt. Und weil diese Wahrheit von dem kommt, der die Wahrheit ist, kann sie sich auch nicht durch „neue“ Erkenntnisse einer ideologieanfälligen Sozialwissenschaft ändern. Es kann nicht heute segenswerte Praxis werden, was seit den Tagen der Apostel als Sünde, also als den Menschen unfrei machendes Tun, bezeichnet wurde.
Darum betrachte ich auch die derzeitigen innerkirchlichen Bemühungen, an der Lehre herumzudoktern – selbst wenn diese aus Rom kommen –, mit einer gewissen Gelassenheit. Denn wer wirklich wissen will, auf welche Wege uns der Herr nach dem 2. Vatikanischen Konzil führen will, kann dies im Weltkatechismus und den diversen Lehrschreiben der Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. nachlesen.
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