31. Oktober 2023 in Kommentar
„So sieht die katholische Kirche aus!“ Gastkommentar von Joachim Heimerl
Linz (kath.net/joh) „So sieht die katholische Kirche aus“, dachte ich, als ich vor einiger Zeit zum ersten Mal eine Kapelle in Kolbermoor im südöstlichen Oberbayern betrat, in der die Heilige Messe noch in der überlieferten Form gefeiert wird.
Zwischen München und Salzburg ist dies mittlerweile die einzige Möglichkeit, denn überall sonst findet ausschließlich die „neue Messe“ statt.
Die Kapelle liegt am höchsten Punkt über der Kleinstadt, auf einem Hang über den Bahngleisen und nur ein kleiner Kirchturm und ein Kreuz weisen auf dieses Heiligtum hin, das von der „Priesterbruderschaft St. Pius X.“ betreut wird und das fast wie ein „gallisches Dorf“ der alten Liturgie wirkt.
Gewiss, die „Piusbrüder“, wird man raunen, und vom „Opus Dei“ abgesehen werden über keine andere kirchliche Gemeinschaft mehr Fake News verbreitet als über sie. Dabei steht die Piusbruderschaft in voller Gemeinschaft mit Rom und die frühere Exkommunikation ihrer Bischöfe ist von Benedikt XVI. aufgehoben worden. In den Messen der Bruderschaft wird selbstverständlich für den Papst und den Ortsbischof gebetet; in Kolbermoor ist das übrigens Kardinal Marx, von dem man weiß, dass er weit weniger in Einheit mit dem Glauben der Kirche steht als die Piusbruderschaft.
Aber ich gebe zu: Auch ich hatte Berührungsängste mit dieser Gemeinschaft, als ich die Kapelle zum ersten Mal betrat, und etliche Vorurteile hatte ich auch. Hinzu kam: Die „alte Messe“ erschien mir exotisch und fremd; wie den meisten Priestern meines Alters waren auch mir die vorkonziliaren Riten und Gebräuche nahezu unbekannt.
„Vorkonziliar“ – es widerstrebt mir, diesen Kampfbegriff zu verwenden, denn die Kirche war nach dem Konzil keine andere als vorher. Sie wurde erst allmählich zu dem, womit ich aufgewachsen bin und dessen Trümmer uns nun auf die Füße fallen. Inzwischen ist ihre Dekadenz sogar so weit gediehen, dass sie im Grunde nur noch um protestantische Reformideen kreist, und während die Welt in Flammen steht, hat man in Rom derzeit nichts besseres zu tun, als eine neue Kirche zu erfinden, die mit der überlieferten Lehre und Liturgie endgültig brechen soll.
Immer öfter frage ich mich: „Stellt sich das, was ich von Jugend auf für 'katholisch' hielt, am Ende womöglich als Fake heraus?“ Und: „Wird die Kirche noch katholisch bleiben?“
Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich mich zum Beginn der Heiligen Messe in die hinterste Bank der Kapelle kniete und zum ersten Mal hörte, wie ein Priester das uralte Stufengebet begann: „Introibo ad altare Dei“ – „Zum Altar Gottes will ich treten, zu Gott, der mich erfreut von Jugend auf.“
„Wie sonst könnte man die heilige Messe beginnen“, dachte ich, „wenn nicht mit diesen Worten?“ Und wie banal sind demgegenüber die Einführungen, mit denen wir die „neue Messe“ eröffnen, gerade so, als ob es um uns selber ginge. – Ja, es stimmt, was später eine Frau auf dem kleinen Kirchplatz sagen wird: „Die neue Messe hat das Beten verlernt.“
Mein Blick wanderte langsam durch den Innenraum, über den schönen, nur zum Herrn hin ausgerichteten Altar, über die kleine Kanzel und die Statuen der Heiligen, die alle diese alten Verse gehört und geliebt haben und die sich von dem abwenden würden, was sie in der heutigen Liturgie erleben müssten, vom rasanten Verfall der kirchlichen Lehre ganz abgesehen.
Am meisten aber erstaunten mich die Gläubigen. Das kleine Gotteshaus war mit Betern überfüllt und allen sah man jene aktive, innere Teilnahme an, von der das Zweite Vatikanische Konzil spricht. Derlei kannte ich bislang nicht; üblicherweise wird die Teilnahme des Gottesvolkes – sehr deutsch – als Funktionärswesen missverstanden: Lektoren, Kommunionhelfer und etliche Laien in liturgischen Gewändern. Doch all dies fehlt in der überlieferten Liturgie ganz, ebenso die gelangweilten oder kritischen Gesichter, die „Sonntagschristen“ und jene, die mit dem Heiligen Geschehen im Grunde nichts anzufangen wissen.
Hier dagegen war jedem klar, worum es in der Heiligen Messe geht, und die Meisten hatten zuvor im hinteren Teil der Kirche die Beichte abgelegt, ehe sie später die Heilige Kommunion empfingen.
Auch die Predigt war anders, als ich erwartet hätte: Kein Kirchenkampf und keine Märchenstunde, in der sich ein Histörchen ans nächste reiht, auch keine Bezugnahme auf die Tages- und Klimapolitik oder eine selbstgefällige Theologievorlesung, die sowieso niemand interessiert. Nichts von dem, was man sonst hört, und leider wohl am meisten in den Predigten unserer Bischöfe.
Stattdessen ging der Priester von den Messtexten und den Tagesheiligen aus und bot eine fundierte Unterweisung im religiösen Leben, die jeden beschenkte und auch mich bereicherte; man hatte den Eindruck, unterwegs zu Christus zu sein, und dies erst recht, als mit dem anschließenden Offertorium der Hauptteil der Messe begann.
Dabei ist das Besondere an dieser Liturgie wohl weniger die lateinische Sprache, der man mit Hilfe der ausliegenden Schott-Ausgaben leicht folgen kann, sondern das, was wir heute am wenigsten kennen: die große Stille, die das gesamte Hochgebet umfasst, und in den heiligsten Momenten hätte man eine Stecknadel zu Boden fallen hören können. – „Kann man Gott wirklich anders begegnen als in der Stille?“, fragte ich mich. In der hektischen Geschäftigkeit unserer durchgestalteten „Gottesdienste“ bin ich ihm jedenfalls nie begegnet, und meine Mitbeter in der Kapelle wohl auch nicht. Aber hier war das anders, hier wurde das Heilige nicht durch das Protestantische und Profane verstellt, hier gab die Stille den Blick auf das Mysterium frei. Und wieder dachte ich: „So sieht die katholische Kirche wirklich aus.“
Zwei kleine Details haben mich dabei am meisten berührt, weil sie zeichenhaft verdeutlichen, dass es das Kreuzesopfer ist, das in der heiligen Messe gegenwärtig wird. So legt der Priester den Leib Christi auf das kleine Tuch, das man nicht umsonst das „Corporale“ nennt. Der Herr hängt jetzt mit einem Lendentuch am Kreuz und liegt in Leinen gehüllt im Heiligen Grab. ER ist wahrhaftig das Lamm Gottes und ist mit seinem Leib und seinem Blut nun tatsächlich unter uns. Weil das wirklich so ist, hält ein Ministrant den Saum des Messgewands, wenn der Priester die Wandlung vollzieht. - Ja, wir haben alle Anteil am Erlösungsopfer des Herrn, und wir alle dürfen sein Gewand berühren, so wie es die Blutflüssige in meiner Lieblingsstelle im Evangelium tut. Und wie ihr strömen uns in diesen Augenblicken Gnade und Heilung zu.
Diese Symbolik ist der „neuen Messe“ – wie vieles – verloren gegangen, fast möchte ich sagen: Man vermisst das Katholische an ihr. Das wird in einer Zeit, in der die Kirche sich selbst aufgibt, nur umso deutlicher.
Wie es mit der katholischen Kirche weitergeht, kann ich natürlich nicht sagen. Ich bin mir aber sicher, dass sie in dieser Kapelle fortbestehen wird. Und auch deshalb freue ich mich, auf jenen Hang über den Bahngleisen zurückzukehren und wieder zu erleben, was wirklich katholisch ist.
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