20. November 2023 in Kommentar
Die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung zeigt die Fremdheit der Sozialwissenschaften gegenüber der Kirche und ihrem innersten Wesen. Der Montagskick von Peter Winnemöller
Linz (kath.net)
Wer Sozialstudien über die Kirche oder wie im aktuellen Fall über Kirchenmitglieder liest, könnte den Eindruck gewinnen, die Voraussetzung, sich für die Mitarbeit an einer solchen Studie zu qualifizieren sei größtmögliche Ahnungslosigkeit vom Wesen der Kirche. Der Grund dafür ist recht einfach beschrieben, es geht um den Wunsch größtmöglicher Objektivität. Eine solche verlangt einen maximalen Abstand zum beobachteten Phänomen. Zudem, das ist Prinzip der Sozialforschung, sind soziale Aggregate grundsätzlich nach gleichen Gesetzmäßigkeiten zu beurteilen. Für die Kirche ergibt sich hier ein Problem, das am Ende der Kolumne aufgelöst wird. Natürlich ist die Kirche als Ansammlung von Menschen ohne weiteres auch als ein soziologisches Phänomen aufzufassen und kann als solches wissenschaftlich erforscht und umschrieben werden. Da gelten dann in der Tat keine anderen Gesetzmäßigkeiten als bei Fußballfans oder Numismatikern. Vor diesem Hintergrund gelesen ist die KMU, in voller Länge Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, (Alles Ablästern über dieses Wort, das als eines der deutschesten Worte schlechthin angesehen werden kann, ist ausdrücklich erlaubt.) eine sehr interessante Sozialstudie. Den Hirten müssten die Ohren klingeln und der Frack sausen, liest man darin, dass sich nur ein Drittel der Kirchenmitglieder definitiv nicht vorstellen kann, aus der Kirche auszutreten. An dieser Stelle ist angeraten, kurz die Ebene der Sozialstudie zu verlassen.
Als die Menschen Jesus zu ihrem Brotkönig machen wollten, öffnete er ihnen die Augen, wozu der Menschensohn in die Welt gekommen ist. Sicher nicht als Mutter aller Sozialstaaten. Die Menschen fanden das unerhört und wandten sich ab. Statt seine Apostel mit einer Sozialstudie zu beauftragen, fragte der Herr, ob sie auch gehen wollten. Es war eine Sternstunde des Petrus, die entscheidende Gegenfrage zu stellen: „Wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ Von hier aus zurück zur Sozialstudie und ihren Interpreten. Allein der Blick auf die hochflüchtigen Kirchenmitglieder lässt beispielweise Ingo Brüggenjürgen, Chefredakteur des Domradios, sofort das Hohelied der Kirchenreformen anstimmen. Tatsächlich sehen der KMU zu Folge 96 Prozent der Kirchenmitglieder erheblichen Reformbedarf und es sind natürlich wieder einmal die alten Kamellen. Die KMU beschreibt aber nur das Phänomen und kratzt bei den Ursachen nur an der Oberfläche. Der Chefredakteur des Domradios betont hingegen, diese Forderungen lägen außerhalb des Glaubensbekenntnisses. Aber korrelieren sie wirklich gar nicht damit? Zuerst aber ein Blick dorthin, wo die Kirche gewinnt, bevor der Blick wieder zurück auf die ekklesiale Verliererseite geht.
Die Kirche gewinnt dort, wo sie aus der Caritas ein Brotkönigtum gemacht hat. Auch das ist eine spannende Erkenntnis aus der KMU, die hier natürlich stark überspitzt dargestellt wird, um sie zu verdeutlichen. Während die Caritas, die Nächstenliebe, gute Werke um Christi Liebe zu den Menschen willen hervorbringt, also ganz klar in der Nachfolge Christi steht, partizipiert die Firma Caritas gewinnorientiert am Milliardenmarkt der sozialen Dienstleistungen unserer Tage. Achtung, wenn die Caritas als Unternehmen agiert, dann muss sie gewinnorientiert arbeiten. Marktschelte wäre an dieser Stelle fehl am Platz. Kritik ist von ganz anderer Seite vorzubringen. Gehört ein gewinnorientiert arbeitender Sozialdienstleister in die Hände der Kirche oder würde man ihn besser in die Freiheit entlassen? Diese Frage ist zu diskutieren, denn eine Gesellschaft, die die Pflege der Alten und Kranken in den säkulären Bereich integriert hat, bedarf dieses Dienstes der Kirche so nicht mehr. Die wirkliche christliche Nächstenliebe fokussiert zu Recht die, die durch das staatliche Netz fallen. Und da gäbe es reichlich zu tun. Schwangere in Not, Sterbende, denen man den Suizid schönreden möchte und viele andere. Menschen, die durch bestehende soziale Raster fallen gibt es reichlich. Hier ist ein Feld für die Caritas, bei dem man nur wirtschaftliche Verluste einfährt, sich aber einen Schatz im Himmelreich erwirbt, der nicht von Motten zerfressen wird.
Warum bleiben Menschen in der Kirche? Weil die Kirche so viel Gutes tut. Vor allen Mitarbeitenden, die Werbung für die Firma Caritas machen, sei hier der Hut gezogen. Chapeau! Der Coup ist geglückt. Die Caritas ist weitaus vertrauenswürdiger als die Kirche. Nun kann man auch die Bischöfe verstehen, die Caritas wirft ja auch weitaus mehr ab als dieser ganze Seelsorge- und Verkündigungskram. Das kostet nur Geld, bringt jede Menge Unmut, Priestermangel fördert die Unzufriedenheit noch. Da kommen doch die augendienerischen Reformversprechen des Synodalen Weges gerade recht, um das Image der Kirche aufzupolieren. Zudem werden diese Forderungen gebetsmühlenartig seit über 50 Jahren erhoben und werden genauso lange wieder und wieder und wieder von der Kirche verworfen. Klar, dass 96 Prozent der Menschen exakt diese Reformen wollen. Sie hören doch Tag für Tag nichts anderes.
An dieser Stelle lohnt es, noch eine andere Zahl aus der KMU ins Spiel zu bringen. Nur 19 Prozent der Deutschen glauben an einen „Gott, der sich in Jesus Christus zu erkennen gibt“. Das war exakt die Formulierung nach der gefragt war. Der Kern des kirchlichen Glaubens ist exakt dieses Christusbekenntnis. „Wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ In seiner Argumentation für Reformen betont Ingo Brüggenjürgen, die Forderungen lägen außerhalb des Credo, doch die Gegenfrage sei erlaubt, wie steht es denn um die Kernfragen des Credo?
Im Christusbekenntnis haben wir jedenfalls eine deutliche Antwort der KMU erhalten. 81 Prozent der Menschen in Deutschland sagen mehr oder weniger deutlich „nein“ zu Christus und damit zum Kern des Credo. In einem Land, in dem konfessioneller Religionsunterricht Verfassungsrang hat, müsste man sich schon fragen, wie eine solche Ablehnung des Glaubens zustande kommt. Vermutlich muss man den Religionsunterricht seit der Würzburger Synode eher als Religionskritikunterricht auffassen. Dann wird ein Schuh daraus. Wer Erfahrungen mit Erstkommunionkindern oder Firmlingen hat, kann es wissen. Weder darf man Kenntnisse der Grundgebete noch Kenntnisse der Glaubensgrundlagen voraussetzen. Sakramentenkatechese ist Erstverkündigung, wird aber immer noch so angelegt, als lebe man in einer Volkskirche. Das Scheitern ist bekannt. Wie also kann man davon reden, dass 96 Prozent der Menschen Reformen der Kirche wollen, wenn man klar erkennen kann, dass diese Menschen von völlig falschen Voraussetzungen ausgehen.
Die KMU beschreibt wirklich gut und zutreffend den soziologischen Zustand der Kirche als gesellschaftlicher Großgruppe in der säkularen Gesellschaft in Deutschland im Jahr 2023. Seitens der Bischöfe gönnt man sich im Elfenbeinturm der Vollversammlung der DBK im Frühjahr 2024 einen halben Studientag auf dem dann kluge Wissenschaftler kluge Worte zur klugen Studie sagen dürfen. Man wird auf der Pressekonferenz zum Studientag episkopale Sorgenfalten bewundern dürfen und aufmerksam lauschen, welche klugen Sätze man den Bischöfen ins Stammbuch geschrieben hat. Eines ist sicher, auch die bischöfliche Botschaft wird die Reformagenda beschwören, um so viele Menschen wie eben nur möglich bei der Kirchensteuerstange zu halten.
Wer hinreichend masochistisch veranlagt ist, sich von dem Text einer Sozialstudie nicht abschrecken zu lassen, lese die KMU. Sie enthält wirklich interessante Erkenntnisse. Die allerwichtigste Erkenntnis aber ist diese: Mit keiner Zeile erwähnt oder erfragt die KMU den einen und einzigen Grund, den es gibt, um Mitglied in der Kirche zu sein und zu bleiben: Extra ecclesiam nulla salus. (Es gibt kein Heil außerhalb der Kirche.) Es ist ein einfacher Satz, zitiert nach Cyprian von Karthago und von der Kirche auf dem Konzil von Ferrara–Florenz zum Dogma erhoben. Das zweite Vatikanum hat dies Dogma nicht etwa abgeschafft, sondern für die moderne Welt präzisiert. Nur wer in der Lage ist mit Hilfe des Vernunftgebrauches einzusehen und zu erkennen, dass die Kirche zum Heil unbedingt erforderlich ist, wird nur durch die Kirche das Heil erlangen können. Die Gnade wirkt eben mit der Natur und nicht gegen sie. Die Kirche ist ein Gnadengeschenk Gottes an uns Menschen zu unserem Heil. Dass die Kirche trotzdem aus sündigen Menschen besteht, ist eher ein Hoffnungszeichen, denn wenn alle diese Versager eine Chance auf das Heil haben, dann auch ich, der ich ja auch stets vor dem Anspruch Christi versage. Egal wie viele Sozialstudien wir noch bekommen, ohne eine Neuevangelisierung wird uns jede Sozialstudie nur weiterhin den Niedergang beschreiben.
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