Vom digitalen Königreich ins echte Leben

27. Dezember 2023 in Familie


Über Cybermobbing, simples Nichts-Tun und warum jeder seine Bildschirm-Zeit unter Kontrolle bringen sollte. Von Petra Knapp.


Linz (kath.net) Sie haben sich in unserem Leben festgekrallt wie lästige Kletten an einer Hausfassade, sind Wecker, Lexikon, Telefon und Fotoalbum zugleich und fordert permanent unsere Aufmerksamkeit: Handys, I-Pads, Laptops, Rechner, Fernseher, Bildschirme von klein bis ganz groß.

Unsere Jeans und Designer-Taschen suchen wir auf der Couch aus und lassen es liefern, zusammen mit Klopapier und Mineralwasser vom Disconter.  Mit Freunden telefonieren wir über Video, und unsere Kinder sitzen nachmittags alleine im Zimmer und „spielen“ trotzdem miteinander, online, versteht sich.

Das hat Vorteile, denn selten fällt wer vom Baum oder stürzt mit dem Rad. So fahren wir weniger in die Unfallambulanz, dafür tauschen wir plötzlich Telefonnummern von Psychotherapeuten aus, weil uns eine Flut neuer Krankheiten und Verletzungen überrollt, so unsichtbar wie unbarmherzig.

Über Whats-App wird beleidigt, gemobbt und bloßgestellt. Cybermobbing, Bashing und Grooming gehören längst zum Vokabular von Beratungsstellen und Schulpsychologen, und der Schaden ist kaum geringer als ein gebrochener Arm, denn was kränkt, macht krank, schärfte mein Psychologieprofessor uns vor vielen Jahren ein.

Wer in diesen Zeiten Schulkinder hat, weiß, dass Bildschirme der Stressfaktor 1 in jeder Familie sind. Aber auch Eltern älterer Kinder schütteln den Kopf und fragen sich, „wer der Alien dort drüben ist“, der auf dem Sofa lebt, online verbunden mit aller Welt, mit jedem in Verbindung, nur nicht mit dem Nächsten, wie Michele Serra in seinem Buch „Die Liegenden“ analysiert.

Wie kommen wir also zurecht inmitten dieser „Screens“, die unser Leben eingenommen haben, unsere Beziehungen beeinträchtigen und uns keine ruhige Minute mehr lassen? „Unser Gehirn kann nie Pause machen“, erklärt David Murrow eine Stress-Ursache, die direkt mit unserem Bildschirm-Konsum zusammenhängt. Das Gehirn brauche  Pausen, simples Nichts-Tun, wo es regenerieren kann, sagte der Bestseller-Autor und Jugendexperte in einem Studio-Gespräch von „Focus on the Family“.

Die Zunahme an Ängsten und Depressionen würde nicht nur mit dem Inhalt dessen zusammenhängen, was wir sehen, sondern damit, dass unser Gehirn stets „in hoher Alarmbereitschaft“ sei. „Wenn du neun Stunden marschierst, wirst du erschöpft sein. Wenn du neun Stunden am Bildschirm verbringst, wird dein Gehirn erschöpft sein.“

Murrow, Autor des Buches „Drowning in Screen Time“, betonte, dass wir Zeit zum Denken, zum Tagträumen, zum Beten bräuchten. Der Durchschnitts-Amerikaner verbringe neun Stunden täglich am Bildschirm. Murrow selbst war vier Jahrzehnte lang Produzent von TV-Sendern. „Ich kenne alle Tricks und wurde selber Opfer davon und geriet unter den Fluch dieser Geräte“, bekennt der Autor.

 „Es raubte mir die Zeit mit meinen Kindern und meiner Frau. Bildschirmzeit nimmt dir die Zeit weg, die du für andere Dinge hättest.“ Er rät Eltern, zunächst vor der eigenen Türe zu kehren und Selbstdisziplin zu entwickeln. „Bring dein eigenes Bildschirm-Leben unter Kontrolle“, ist der erste Rat, den Murrow allen Eltern gibt.

 „Kinder werden das tun, was sie dich tun sehen und nicht unbedingt das, was du sagst“, appelliert er an sie, Vorbilder zu sein. Eltern sollten ihre Kinder ins echte Leben führen und ihnen vermitteln: „Hey, du versäumst dein echtes Leben, weil Snap Chat deine ganze Zeit schluckt.“

Bildschirmzeit sei ein schlechter Ersatz. „Wenn du die ganze Zeit vom Bildschirm in Anspruch genommen wirst, entwickelst du nicht die Fähigkeiten für das echte Leben, die du brauchst, um als Frau oder Mann erfolgreich zu sein“, betont Murrow. In jedem Familienleben seien spontane, zufällige Interaktionen wichtig, die allein daraus entstehen, dass man unverplante Zeit miteinander verbringt.

Wenn jeder an seinem Bildschirm sitzt und dieser immer verfügbar sei, finde das nicht mehr statt, beklagt Murrow. Besonders junge Erwachsene seien gefährdet, stellt er fest: „Wenn sie wach sind und nicht gerade duschen oder Autofahren, sind sie am Bildschirm.“

Murrow spricht auch die „Cancel Culture“ an und das Vortäuschen von Macht durch Bildschirme. Durch sie haben wir ein vermeintliches „digitales Königreich, wo wir König und Meister sind“, meint er. „Wir können jeden canceln, wir funktionieren als digitale Monarchen“.

Gerade für Heranwachsende bestehen reale Gefahren, betont der Autor. Er vergleicht den Einfluss der Medien mit jenem des Rings der Macht in Tolkiens Fantasy-Trilogie „Der Herr der Ringe“. Der Ringträger wird zwar unsichtbar für die echte Welt, aber für Sauron, den Bösen, wird er damit sichtbar und beeinflussbar, und je länger der Ring getragen wird, desto mehr verändert sich die Persönlichkeit des Ringträgers.

Murrows Interpretation: Kinder würden durch Medien zwar kurze Zeit „unsichtbar“, sprich: nicht spürbar für Erwachsene, aber mit jeder Minute, die sie surfen und navigieren, würden sie sichtbarer für die „andere Seite“, also Werbeleute, Influencer, aber auch Triebtäter, die gezielt nach Kinderkontakten suchen, um sie über Chats zu kontaktieren, ihnen Fotos abzuluchsen, sie zu erpressen oder gar persönlich zu treffen.

„Schlechte Dinge kommen ganz von selber über dein Handy herein“, bemerkt Murrow. Es sei überholt zu meinen, man müsse aktiv danach suchen. Nacktbilder finden dich und auch deine Kinder, selbst wenn du nur Nachrichten lesen oder einen harmlosen Film anschauen willst.

Kinder müssten aktiv begleitet werden, unterstreicht Murrow. Das Wichtigste sei, sie unterscheiden zu lehren zwischen guten und schlechten Dingen, die über die Medien zu ihnen kommen.

Parallel dazu rät er, jegliche Medien regelmäßig zu kontrollieren und zwar mit einer klaren Botschaft für das Kind, nämlich: „Jeder Bildschirm ist unter meiner Kontrolle. Ich tue das zu deinem Schutz! Es geht nicht darum, dass ich dir nicht vertraue, aber kommen schlechte Dinge über das Handy zu dir, und ich möchte das überprüfen.“

Sein Tipp: Es ist besser, Kinder einen guten Film anzuschauen zu lassen als sie zwei Stunden am Handy scrollen oder Computer spielen zu lassen. Die Auswirkungen auf das Gehirn seien bei letzterem viel massiver und bringen viel mehr Stress und Unruhe und führe zu Abhängigkeit und Hyperaktivität. Ruhe werde als abnormal empfunden, dabei war es seit Menschengedenken etwas Normales, Lebenswichtiges.

Murrow plädiert dafür, Zonen zu schaffen, wo keine Bildschirme präsent sind, etwa am Tisch, beim Essen und Reden, natürlich auch beim Beten. „Verbringen sie bildschirmfreie Abende, lesen sie Bücher zusammen“, sagt der Autor.

Auch unsere Zeit mit Gott ist durch die Bildschirme gefährdet, stellt Murrow fest. „Wir haben nur 24 Stunden am Tag. Gott kann nur schwer zu uns sprechen, weil wir fixiert auf unsere Bildschirme sind. Unsere Augen sind auf unsere Bildschirme gerichtet“, bemerkt Murrow. Die Bibel lehre uns jedoch: „Richte deine Augen auf Jesus!“


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