12. Jänner 2024 in Kommentar
Für die deutschen Bischöfe dürfte es bei den geplanten Gesprächen mit dem Vatikan sehr, sehr eng werden. Man wird ihren Spielchen aus Dünkel und trotzphasenartiger Unwilligkeit ein Ende setzen - BeneDicta am Freitag von Dorothea Schmid
Regensburg (kath.net)
Kurz vor Weihnachten tauchte wie aus dem Nichts das römische Dokument „Fiducia Supplicans“ auf. Damit hat Rom in ein Wespennest gestochen. Die emotionalen Wellen schlugen so hoch, dass Glaubenspräfekt Victor Kardinal Fernández mehrfach Erläuterungen hinterherschicken musste. Zuletzt reagierte er sogar proaktiv mit einer sehr guten Erklärung, die besonders den Deutschen zu denken geben sollte. Mit nur zwei Sätzen vernichtet er das Narrativ des Synodalen Weges: „Tatsache ist, dass einige nichtkatholische christliche Kirchengemeinschaften, die das Verständnis der katholischen Kirche in Bezug auf Autorität oder Sexualität nicht teilen, Probleme haben, die unseren sehr ähnlich sind. Zu glauben, dass in einem Teil der Welt die durch den sexuellen Missbrauch verursachte Krise mithilfe von Entscheidungen gelöst werden könne, die der Lehre der universalen Kirche entgegenstehen, ist meiner Meinung nach nicht einmal vernünftig begründet.“
Deutlicher geht’s kaum. Für die deutschen Bischöfe dürfte es bei den geplanten Gesprächen mit dem Vatikan sehr, sehr eng werden. Man hat sie nicht nur längst durchschaut, man wird deren Spielchen aus Dünkel und trotzphasenartiger Unwilligkeit, päpstliche Aussagen aufrichtigen Herzens zu rezipieren, ein Ende setzen. Es geht in Fiducia Supplicans nicht um das Segnen einer Sünde, sondern um die Hinwendung Gottes zum Menschen — und umgekehrt. Darauf weist Fernandez hin. Und wir Gläubige stehen vor der Aufgabe, römische Aussagen nach Maßgabe von „Donum veritatis“ aufzunehmen; im Geist es Wohlwollens.
Der vielen noch Unbekannte, mit Vorsicht und Misstrauen beäugte Kardinal aus Argentinien entpuppt sich zumindest dem Augenschein nach als jemand, der schnell und entschlossen handelt und die Dinge blitzschnell erfasst — sei Buch von vor 25 Jahren lassen wir hier mal beiseite, das würde den Rahmen sprengen. Nicht, dass man die Wirkung dieses Dokuments nicht hätte vorhersehen können — da haben sich die Römer genauso verkalkuliert wie sie kommunikativ unvorbereitet waren und die Medien unterschätzt haben, die missleitende Titel in die Welt setzten, bevor sie das Dokument gründlich studiert haben können. Damit waren die denkbar schlechtesten Bedingungen zum Verstehen der ohnehin schon herausfordernden römischen Erklärung geschaffen. Und das ganz abgesehen davon, dass die Frage nach der Homosexualität in der Kirche zu den Fragen mit dem größten Explosionspotenzial gehört. An dieser Frage zerbrechen Kirchen, nicht nur im katholischen Bereich.
Dennoch beeindrucken Fernandez‘ schnelle und präzise Reaktionen. Der Glaubenspräfekt baut nun Brücken in Richtung der pastoralen Probleme, denen sich einige Bischofskonferenzen ausgesetzt sehen. Den Deutschen hält er die rote Karte vor die Nase. Beides macht Mut. Man kann nur beten und hoffen, dass die Bischöfe hierzulande sich seine Worte zu Herzen nehmen, haben die meisten die Intention des Textes doch nach altbekannter Manier pervertiert. Als nächstes würde man der Sexuallehre an den Kragen gehen, behauptete hocherfreut der Münchener Kardinal, Reinhard Marx, im Presseclub im Dezember vor Journalisten.
Dem hält Fernandez entgegen, „dass ein liberaler oder aufklärerischer Papst“ die Einheit der Weltkirche, „diese Gemeinschaft unter Deutschen, Afrikanern, Asiaten, Lateinamerikanern, Russen und so fort nicht garantieren könnte“. Der Papst ist also kein Liberalo, der den Deutschen in die Hände spielen will. Ganz im Gegenteil. Fernandez erklärt, dass nur ein „pastoraler“ Papst die Einheit garantieren könne — „ein Papst, der die Lehre bewahrt, die die Kirche im Lauf der Jahrhunderte im Hören auf das immerwährende Evangelium entwickelt und bereichert hat, der jedoch auch in der Lage ist, sie in einen Dialog mit dem konkreten, oftmals so verletzten Leben der Gläubigen treten zu lassen, nicht mit dem Leben eines abstrakten ,Menschen‘, sondern dem realen Leben vieler Männer und Frauen in den unterschiedlichsten Umfeldern“.
Der Glaubenspräfekt betont die Wichtigkeit der Anerkennung des Papstes als Papst sowie der Lehren von Päpsten im Allgemeinen, „auch, wenn sie nicht beabsichtigen, diese in einem endgültigen Akt zu verkünden“. Andernfalls bestehe die Gefahr, sich selbst an die Stelle des Papstes zu setzen und sich als Beauftragten zu sehen, „den Glauben aller anderen zu kontrollieren. Das geschieht gleichermaßen bei den Traditionalisten wie bei den Progressisten: Die Extreme berühren sich“.
Anders formuliert: Beide Extreme drohen sich vom Papst abzuwenden, also schismatische Wege einzuschlagen. Kann das richtig sein? Der Papst ist er immer noch der Papst, „ist der Papst, ist der Papst, ist der Papst“, wie der Ethiker Martin Brüske unlängst formulierte. Bei allen Herausforderungen, vor die Papst Franziskus viele Gläubige stellt: Er hat nicht mit der Lehre gebrochen, er festigt sie mit „Fiducia Supplicans“. Der Text unterscheidet zudem zwischen eine liturgischen und einer spontanen, seelsorglichen motivierten Segnung. Es gehe darum, so Fernandez, „gegenüber Paaren in irregulären Beziehungen zu handeln, ohne deren Status offiziell zu konvalidieren oder die beständige Lehre der Kirche über die Ehe in irgendeiner Weise zu verändern“.
Natürlich kann man fragen, warum es dann ein Dokument brauchte, wenn sich nichts ändert. Es hat — bislang — mehr Verwirrung gebracht als Nutzen. Jetzt muss der Glaubenspräfekt die Wogen glätten und fast gebetsmühlenartig wiederholen: Die homosexuelle Verbindung und alle homosexuellen Handlungen werden nicht legitimiert. Der Segen soll die menschlichen Beziehungen vielmehr in der Treue zur Botschaft des Evangeliums reifen und wachsen helfen, „sich von ihren Unvollkommenheiten und Schwächen befreien und sich in der immer größeren Dimension der göttlichen Liebe ausdrücken können“ (FS 31).
Franziskus‘ pastoraler Ansatz mag manchem aufstoßen. Aber es ist im Grunde ein Aufruf, über das Thema von Segen und (Gottes-)Beziehung intensiv nachzudenken, noch entschiedener das Evangelium zu leben, die Sünde zu hassen, den Sünder aber zu lieben. Man vertiefe sich mal in das Buch Genesis: Da wird man feststellen, dass Gott seine Gnaden und seinen Segen über Menschen ausschüttete, die in alle Formen von irregulären Beziehungen verwickelt waren. Trotz Lügen, Inzest, Betrug, Leihmüttern, Polygamie begegnet Gott dem Menschen mit unendlicher Liebe — der Betrüger Jacob wird mit Segen genauso überschüttet wie Lot, der außerehelich gezeugt und von einer Leihmutter ausgetragen worden ist. Trotz der menschlichen Sünde und Misere, die er verurteilt, geht Gott einen Weg des Wachstums mit dem Sünder und baut sich aus diesen Sündern das erwählte Volk Israel.
Das war Gottes segensreicher pastoraler Ansatz, der auch in Fiducia Supplicans durchzieht: Für Homosexuelle ist der Text regelrecht ein Ruf zur Umkehr gemäß Nummer 2359 des Katechismus: „Homosexuelle Menschen sind zur Keuschheit gerufen. Durch die Tugenden der Selbstbeherrschung, die zur inneren Freiheit erziehen, können und sollen sie sich – vielleicht auch mit Hilfe einer selbstlosen Freundschaft –‚ durch das Gebet und die sakramentale Gnade Schritt um Schritt, aber entschieden der christlichen Vollkommenheit annähern.“
Dass Segen Herzen verändern kann, zeigt folgende wahre Begebenheit, von der der Autor Joe White in einem seiner Bücher erzählt: Eine evangelikale Gemeinde nimmt ein schwules Paar mit adoptiertem Kind pastoral auf, obwohl dessen Lebensweise ihren Überzeugungen komplett widerspricht. Die Gemeinde orientiert sich an der Bibel und verurteilt homosexuelle Handlungen. Das Paar weiß dies, fühlt sich aber angenommen. Die Gemeinde verurteilt das Paar nicht, sondern setzt unbeirrt ihren geistlichen Weg fort und wird dadurch dem Paar zum Vorbild. Die beiden Männer lassen sich auf einen geistlichen Prozess ein und kommen irgendwann zu der Erkenntnis, dass der einzig richtige Weg, jener der Bibel ist; das Leben in Enthaltsamkeit. Die Männer treffen die Entscheidung, keusch zu leben. Heute sagen sie, dass sie damit die beste Entscheidung ihres Lebens getroffen haben. Möglich geworden ist diese Transformation einer zuerst sexuell bestimmten Beziehung zu einer Freundschaftsbeziehung durch die pastorale Entscheidung einer Gemeinde, dem Paar mit Liebe zu begegnen, ohne an den biblischen Grundfesten zu rütteln. DAS ist die Botschaft, die Papst Franziskus der Kirche mitgeben möchte — auch der in Deutschland.
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