Willkommen in der Realität!

6. Jänner 2024 in Aktuelles


Über den Wirklichkeitsverlust der Moderne und ein Gegengewicht zum Virtuellen sprach Johannes Hartl beim MEHR-Glaubensfestival 2024 - Von Petra Knapp


Augsburg (kath.net / pk) „Es kann Situationen geben, wo du das Gefühl hast: Ich bin im falschen Film!“ Mit diesen Worten leitete der deutsche Theologe und Philosoph Johannes Hartl seinen Vortrag am zweiten Tag des MEHR-Glaubensfestivals 2024 in Augsburg ein. Er skizzierte, wie sich in den letzten 250 Jahren unsere Vorstellung von Realität verändert habe.

Ursprünglich sei unser Bild von der Wirklichkeit so konzipiert gewesen, dass diese nicht erst entstehe, indem wir darüber nachdenken, erklärte der Gründer des Gebetshauses Augsburg am Freitagvormittag bei dem christlichen Großevent, zu dem sich 11.000 Menschen versammelten. „Wir erschaffen Realität nicht, sondern finden sie vor. Die Dinge gibt es schon, bevor wir sie wahrnehmen.“ Der Kontakt zur Wirklichkeit sei von Anfang an ein „ethischer“, erläuterte Hartl.

Dieses Bild habe in den letzten 250 Jahren philosophisch an Bedeutung verloren und unsere Gesellschaft sei in Gefahr, „den Kontakt zur Realität zu verlieren“, bemerkte er. An seine Stelle sei die Idee gerückt, dass die Realität bei einem selbst anfange. „Was richtig und falsch ist, das musst du für dich selber herausfinden“, ist ein typischer Satz für heutige Menschen.

Das neue Bild von Realität habe viel Wahres, räumte Hartl ein. Es sei jedoch „tendenziell überfordernd“ für Menschen, alles Wesentliche selbst herauszufinden, vom Sinn des Lebens bis hin zur Auswahl aus 20.000 Studiengängen, die es in Deutschland gäbe. „Vielleicht ist das der Grund, warum wir so eine Burn-Out-Gesellschaft geworden sind“, vermutet der Theologe.

Narzisstische Selbstbespiegelung mache tendenziell unglücklich und traurig, unterstrich er. Es sei elementar wichtig, Kontakt mit seinen Gefühlen zu haben. Als Kompass seien diese jedoch nicht geeignet, denn „unsere Gefühle widersprechen einander und man „komplett falsch liegen“. Früher oder später werde man mit der Realität konfrontiert. „Realität ist die Wand, gegen die du läufst, wenn du einer Illusion gefolgt bist.“

Was also tun? „Je digitaler wir werden, je mehr wir uns in den virtuellen Welten verlieren, desto mehr brauchen wir Zugang zu unserem Leib“, ist Hartls Appell. „Wir brauchen das Analoge, als Gegengewicht zum Virtuellen.“

Unsere Gesellschaft hält er nicht für a-religiös. „Die Moderne hat Gott nicht abgeschafft, sondern einfach das Ich zum Gott erhoben“, stellt er fest. Das Problem: Wenn das „Ich“ der höchste Maßstab ist, „dann muss ich die Realität bekämpfen“. Oder anders formuliert: „Wenn die Realität meinen Gefühlen widerspricht, muss natürlich die Realität nachgeben.“

Der Theologe appellierte daran, sein Herz zu prüfen, anzuerkennen, dass man nicht selbst sei wie Gott. „Erst dann kommt so etwas wie Ordnung in dein Leben.“ Gott aus dem Blick zu verlieren, sei „der Anfang vom Realitätsverlust“. Wer sein Herz an Götzen hänge, etwa an Materielles oder die Meinung der Menschen, stürze langfristig ins Nichts.

„Das Kreisen um uns selbst bewirkt, dass wir uns verrennen in Scham und Illusion, und es ist die liebende Stimme Gottes, die uns herausruft.“ An die 11.000 Teilnehmer der MEHR appellierte Johannes Hartl deswegen: „Willkommen in der Realität, in der Wahrheit, die dich frei macht!“

 


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