Gänswein: Benedikt XVI. dachte bei Rücktritt, ihm bliebe nur ein Jahr

8. Jänner 2024 in Chronik


Langjähriger Papst-Sekretär bei Besuch in norditalienischer Pfarre: Früherer Papst litt unter "Schmutz im Inneren der Kirche", lief aber nicht vor der Verantwortung weg


Rom (kath.net/KAP) Der vor einem Jahr verstorbene Ex-Papst Benedikt XVI. hat nach Worten seines früheren Privatsekretärs Georg Gänswein "aus Liebe zu Gott und der Kirche auf sein Amt verzichtet". Von Anfang an habe der Pontifex gesagt, seine Amtsdauer würde wegen seines Alters kurz sein, berichtete Gänswein laut der italienischen Zeitung "Corriere della Sera" bei einem Pfarrbesuch am Dreikönigstag in der norditalienischen Stadt Bergamo. Nach dem Rücktritt im Februar 2013 sei Benedikt XVI. überzeugt gewesen, "dass er nicht länger als ein Jahr leben würde", so Gänswein.

Benedikt sei "nicht vor der Verantwortung weggelaufen", berichtete der Erzbischof über die Gespräche mit dem früheren Papst, der mit ihm vor dem Rücktritt über seinen Wunsch, auf das Papstamt zu verzichten, gesprochen habe. Für seinen Privatsekretär sei diese Nachricht ein "sehr harter Schlag" gewesen, wie er sagte. "Ich habe ihm gesagt: Heiliger Vater, das können Sie nicht tun. Aber er hat mir erklärt, dass er gekämpft und gelitten hat, aber nicht mehr die körperliche und geistige Kraft hatte, diese Verantwortung auszuüben."

Gänswein beschrieb Joseph Ratzinger als einen Geistlichen mit der Berufung eines Universitätsprofessors, der "nicht zur Machtausübung" geboren worden sei. Aber als Benedikt zum Papst gewählt und mit Themen wie Pädophilie konfrontiert wurde, "hatte er ein starkes Verantwortungsgefühl", sagte Gänswein. Schon als Kardinal habe Ratzinger gemerkt, dass das große Problem der Kirche "nicht die Angriffe von außen, sondern der Schmutz im Inneren" sei. Das habe ihn sehr viel gekostet. "Wir haben ihn nie weinen sehen, weil er sehr kontrolliert war und seine Emotionen beherrschte, aber er hat gelitten", berichtete Gänswein.

Der am 31. Dezember 2022 verstorbene emeritierte Papst fehle ihm sehr, sagte Gänswein. "Ich spüre seine geistige Allmacht, aber ich vermisse seine physische Präsenz sehr". Gänswein war von Papst Franziskus Ende Juni 2023 aus Rom nach Deutschland zurückgeschickt worden. Dort lebt er derzeit ohne kirchliche Aufgabe im Priesterseminar seiner Heimatdiözese Freiburg.

Gänsweins Besuch in der Pfarre Sacro Cuore im Stadtteil Carnovali umfasste die Feier einer Heiligen Messe sowie einen Vespergottesdienst. Außerdem sprach er bei einer öffentlichen Begegnung mit etwa 150 Pfarrmitgliedern. Zustandegekommen war der Besuch laut der Zeitung durch eine Einladung des örtlichen Pfarrers, Daniel Roncaglia, anlässlich des Jahrestags der Bischofsweihe von Gänswein, die am 6. Jänner 2013 war.

Bereits am 31. Dezember 2023, dem ersten Todestag von Benedikt XVI., hatte Gänswein im Petersdom in Rom gemeinsam mit den deutschsprachigen Kardinälen Kurt Koch und Gerhard Ludwig Müller einen Gedenk-Gottesdienst gefeiert. Drei Tage später empfing Papst Franziskus Erzbischof Gänswein und die Frauen, die Benedikts Haushalt geführt hatten, in Audienz. Es war dies die erste Begegnung Gänsweins mit Franziskus seit seinem Abschied von Rom.

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